Titel
Fremdherrschaft. Ein politischer Kampfbegriff im Zeitalter des Nationalismus


Autor(en)
Koller, Christian
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
590 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Götz Nordbruch, Berlin

Die Warnung vor einer „Fremdherrschaft“ gehört bis heute zum Kernbestand nationalistischer Agitationen. Der Inhalt des Begriffes unterlag dabei einem historischen Wandel, der auf das Engste mit den Variationen nationalen Denkens verbunden war. Der ideologische Kontext dieses Wandels in den verschiedenen Strömungen und Epochen seit Beginn des 19. Jahrhunderts steht im Zentrum der Untersuchung von Christian Koller. Die Studie, die sich als Beitrag zur „politischen Mentalitätsgeschichte“ (S. 19) versteht, ergänzt die mittlerweile zahlreichen historischen Arbeiten, die sich mit dem Konstruktionsprozess der Nation im europäischen Kontext beschäftigen, um eine wichtige Facette. Hier stehen nicht die kulturellen und sozioökonomischen Bedingungen nationaler Mythen im Vordergrund, sondern die semantischen Abgrenzungen des nationalen Kollektivs durch die Konstruktion eines nicht-Nationalen, einer „Negativfolie zum Nationalstaat“ (S. 17). Im Unterschied zu einigen jüngeren Arbeiten, in denen es um die Konstruktion der Nation in konkreter Abgrenzung gegenüber vermeintlich anderen Bevölkerungsgruppen geht, untersucht Koller diese Mechanismen in ihrer abstrakten Gestalt als Funktion und Ausdruck von Herrschaftslegitimation und nationaler Ideologie.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Feststellung einer sprachlichen Spezifik im deutschen Kontext. Wenngleich sich historisch auch in anderen nationalen Zusammenhängen verwandte Begriffe finden, steht der deutsche Begriff der Fremdherrschaft in seiner Plakativität für eine sprachliche Besonderheit der deutschen Geschichte. An ihrem Beispiel untersucht Koller die Entwicklung des Fremdherrschaftskonzeptes in einem semantischen Feld, welches von Begriffen wie „Joch“, „Tyrannei“, „Oberherrschaft“ und „Volkssouveränität“, aber auch von „Freiheit“, „Selbstbestimmung“, „Ehre“ und “Nation“ umrissen wird. Er gliedert seine Studie dabei in drei wesentliche Kapitel: Während ein erstes Hauptkapitel die Vorbegrifflichkeit des Konzeptes beschreibt, analysieren die zwei folgenden Kapitel dessen Entwicklung in der Zeit von 1800 - 1914 bzw. von 1914 - 1945. Der Begriff der „Fremdherrschaft“ stand im deutschen nationalen Denken in einem wichtigen Zusammenhang mit Interpretationen der napoleonischen Herrschaft. Vor dem Hintergrund der Legitimationskrise der traditionellen Ordnung, die mit der Französischen Revolution einen neuen Höhepunkt erreicht hatte, verdichtete sich der Begriff der Fremdherrschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts – im Rückblick auf die napoleonische Besatzung und die antinapoleonischen Kriege – zu einem politischen Schlagwort, welches die absolute Illegitimität einer Herrschaft markierte. Dieser Prozess setzte zwei Entwicklungen voraus: Zum einen eine schrittweise Durchsetzung der Vorstellung, dass „Fremdheit“ ein negatives Merkmal von Herrschaft ausmache, zum anderen eine Verständigung darüber, wie genau das Kriterium der Fremdheit – auf der Grundlage von Herkunft, Nationalität, Geografie oder Religion – zu bestimmen sei.

Eine solche ausdrücklich negative Konnotation hatte der Begriff nicht immer; ebenso wenig war sie im Laufe der Geschichte unumstritten. Sowohl in den verschiedenen historischen Epochen als auch in den einzelnen politischen Spektren unterschieden sich die Bestimmungen und die Beurteilungen der Fremdheit der Herrschaft erheblich. In seiner negativen Bedeutung geht der Begriff gerade auf liberale und demokratische Strömungen zurück, für welche die Fremdheit der Herrschaft eine wichtige Rolle in der Kritik der traditionellen Ordnung spielte. Mit der Verknüpfung der Idee der Volkssouveränität mit dem Konzept der Nation, welche sich in den Argumentationen dieser gesellschaftlichen Spektren gegen die herrschende Ordnung verbanden, rückte das Kriterium der Fremdheit in den Mittelpunkt. Die Kritik der Fremdherrschaft beinhaltete hier zunächst eine Forderung sowohl nach „innerer“ als auch nach „äußerer“ Freiheit. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert verkürzten sich schließlich diese Argumentationen auf eine nationale Freiheit von äußerer Dominanz. „War früher die Herrenlosigkeit der Bürger, der Staat und seine Verfassung, Freiheit gewesen, so wurde es jetzt: die Aufhebung der Eroberung. Die Volkseigentümlichkeit und Unabhängigkeit wurden nun die Parole, und der bloße Name des Volks zum Ruf der Freiheit […]“, zitiert Koller den radikal-liberalen Philosophen Arnold Ruge als Kritiker einer solchen Verkürzung auf einen äußeren Freiheitsbegriff (S. 209). Konservative Verfechter traditioneller ständischer Herrschaft standen der Vorstellung einer nationalen Ordnung lange ablehnend gegenüber, was sich nicht zuletzt im Fehlen einer ausdrücklichen Kritik fremder Herrschaft ausdrückte. Nicht nationale oder religiöse Herkunft, sondern dynastische Legitimationen standen im Vordergrund. Erst im Laufe des Jahrhunderts entwickelte sich auch im konservativen Denken die Nation zur Bezugsgröße legitimer Herrschaft. Fremdherrschaft wurde damit auch hier zum Schreckbild einer Herrschaft, deren Makel nicht auf eine konkrete Herrschaftspraxis, sondern auf die „Fremdheit“ des Herrschenden zurückging.

In der Gegenüberstellung dieser Wahrnehmungen, die sich in den unterschiedlichen politischen Strömungen mit dem Begriff der Fremdherrschaft verbanden, macht Koller die zentrale Bedeutung des Fremdherrschaftskonzeptes im nationalen Denken sichtbar. Als zunehmend abstrakter Begriff, der sich im politischen Diskurs von konkreten Herrschaftskonstellationen löste und – wie unter anderem in den antisemitischen Strömungen der Jahrhundertwende – zu einer Charakterisierung vermeintlich undeutscher Verhältnisse wurde, spiegeln sich in seiner Entwicklung die widersprüchlichen Bestimmungen von Freiheit als Freiheit von äußerer und/oder innerer Dominanz. Nicht weniger aussagekräftig ist die Rekonstruktion des Begriffes zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Bezugsgrößen von Herrschaft. Während der Erfolg des Fremdherrschaftsbegriffs im politischen Katholizismus lange durch die widersprüchliche Bezugnahme auf Deutschland und auf die katholische Kirche beschränkt blieb, stand das Geschichts- und Gesellschaftsverständnis der sozialistischen Spektren einer eindeutig negativen Deutung von Fremdherrschaft entgegen. Als modernisierender Faktor, der eine Überwindung der überkommenden Ordnung in bestimmten Situationen erst möglich machte, ließ sich Fremdherrschaft aus dieser Perspektive durchaus positiv deuten. Aus einer gänzlichen anderen Richtung wurde der Begriff dagegen schließlich im nationalsozialistischen Denken variiert. Auf der Grundlage von Konzepten wie „Rasse“, „Volk“ und „Raum“, die zur Bestimmung von Herrschaft im völkischen Denken herangezogen wurden, verschob sich hier die Vorstellung, die sich mit Fremdherrschaft verband.

Gerade in diesen Rekonstruktionen der unterschiedlichen Definitionen, die dem Begriff der Fremdherrschaft zugrunde lagen, liegt die Aktualität der Studie, die trotz ihrer Konzentration auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert unausgesprochen immer wieder auch aktuelle Aspekte anreißt. Angesichts einer politischen, ökonomischen und kulturellen Globalisierung stellt sich die Frage einer vermeintlichen Fremdherrschaft gerade in den postkolonialen Regionen – aber keineswegs nur dort – unter einem erneut veränderten Vorzeichen. Kollers Untersuchung ist insofern nicht nur als historische Studie zum Spannungsfeld von nationaler Identität und politischer Legitimation von Interesse. Sie bietet gleichzeitig zahlreiche Anregungen für ähnliche Fragestellungen, die angesichts aktueller Legitimationskrisen von kollektiven Identitäten und gesellschaftlicher Ordnungen diskutiert werden.

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