M. Pesek: Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika

Cover
Titel
Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880


Autor(en)
Pesek, Michael
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Campus Verlag
Anzahl Seiten
354 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Michels, Institut für Afrikanistik, Universität zu Köln

So nüchtern der Titel des hier zu besprechenden Buches klingen mag, so anregend ist seine Lektüre. Michael Pesek gelingt ein sehr eloquentes Werk voller grundlegender Einsichten über den kolonialen Diskurs und die Etablierung kolonialer Herrschaft. Sein Ziel ist dabei die Dekonstruktion kolonialer Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Dabei stellt er den kolonialen Staat nicht ins Zentrum, sondern beschreibt ihn als einen Akteur unter anderen. Er erreicht dies anschaulich durch eine kluge Synthese verschiedener Perspektiven. Der Blick auf die Deutschen glückt dabei ebenso ethnologisch, wie der auf die afrikanischen Akteure historisch. „Koloniale Herrschaft“ beschreibt er als Transformation, sowohl als Zäsur als auch als Kontinuität verschiedener Kontaktzonen. Er beginnt mit den Karawanen der zanzibarischen Händler des 19. Jahrhunderts, verweist auf deren Ordnung und symbolische Praktiken („Der interregionale Karawanenhandel des 19. Jahrhundert“). Die frühen europäischen Forschungsreisenden, wie Emin Pascha und Hermann Wissmann, übernahmen dann die moralischen, politischen und symbolischen Ökonomien der Karawanenkultur, veränderten sie aber auch („Im Morgengrauen der Kolonialherrschaft. Europäische Reisende“). Das koloniale Projekt und mit ihm deren wichtigste Herrschaftspraktiken, die Militärexpedition und die Station, bezogen sich auf den etablierten Habitus der Kontaktzone und verwandelten ihn gleichzeitig („Von der Metropole nach Ostafrika“, „Inseln von Herrschaft“). Die Verwendung der so genannten „Sudanesen“ in den Militärexpeditionen an Stelle der Swahili-askari der Karawanen stellte einen solchen Bruch dar.

Beeindruckend gelingt Pesek die Beschreibung der symbolischen Herrschaft durch die Kolonisierenden. Als Historiker und Theaterwissenschaftler entwirft er sehr überzeugend die „Theatralik der Herrschaft“, in denen kostümierte Akteure (z.B. Offiziere, Soldaten oder lokale Herrscher) in verschiedenen Szenen und Rollen auftraten und koloniale Subjektbildung zur Einübung der kolonialen Choreografie wurde, sei es beim shauri, als kolonialer Herrschaftspraxis, sei es beim Fest anlässlich des Kaisers Geburtstag. Die Ausübung kolonialer Gewalt beschreibt er als notwendiges Gegenstück der theatralen kolonialen Herrschaft. Denn in dieser Situation waren die Kolonisierenden auf Vermutungen über die Gedanken, Strategien und Taktiken ihrer Gegenüber angewiesen. Erst die aufsteigenden Rauchsäulen abgebrannter Dörfer visualisierten einen Sieg. Die Schwierigkeit der Kolonisierenden eindeutige militärische Siege zu erkennen, begründete die Logik des Vernichtungskrieges. Es konnte den totalen Kolonialkrieg geben, da es die Welt des totalen Kolonialismus nicht gab. In der Demütigung des Körpers der Gegner, in der extremsten Form durch Erhängung, aber auch durch Kettenhaft, konnte sich der Kolonisierende als Sieger, als Herrscher, inszenieren und vergewissern. Erst der Terror der Kolonisierenden teilte die Welt in Besiegte und Sieger und schuf damit die Voraussetzungen für die wirtschaftlichen und politischen Ziele des Kolonialismus.

Herrschaft und Herrschaftsrepräsentation wurden so untrennbar. Pesek zeigt, dass der koloniale Diskurs erst eine afrikanische Wirklichkeit erfand, auf die die Kolonisierenden dann mimetisch reagierten und sich selber zum Beispiel als orientalische Despoten inszenierten. Das letzte – leider sehr kurze – Kapitel widmet Pesek Afrikanern als „Intermediären kolonialer Herrschaft“. Er greift dabei zwei bisher in der Forschung kaum beachtete Gruppen heraus: die askari und die ruga-ruga – beide Teil der militärischen Ordnung. Die askari – als Soldaten kostümiert und dadurch Teil der kolonialen Disziplinierung – partizipierten am stärksten in der kolonialen Welt. Wie fragmentiert diese Welt war, zeigt ihre Zugehörigkeit sowohl zur Sphäre der Europäer als auch zum Islam. Symbolisch drückte sich dieser Habitus auch in der Freizeitkleidung der Askari aus: koloniale Uniformjacke über langem weißen Gewand (kanzu). Die Transformation der ruga-ruga von Karawanen überfallenden Räuberbanden zu lokalen Herrschern unterstellten quasi-offiziellen askari, ist ein weiteres Phänomen der Kontaktzone, in der die Europäer zu „Afrikanern“ wurden und die Kolonie Deutsch-Ostafrika zu Udoa. U- steht dabei für die Kiswahili-Vorsilbe für einen Ort, -doa als Abkürzung für Deutsch-Ost-Afrika. In der Kontaktzone verband sich der metropolitane Habitus mit den lokalen Gegebenheiten und brachte etwas Neues hervor.

Peseks Arbeit betont die Grenzen kolonialer Herrschaft, die Orte, an denen der koloniale Diskurs kollabierte. In dieser Schwerpunktsetzung spricht er immer wieder von „ephemerer Herrschaft“ und der Mimikry der Kolonisierenden. Indem er sich explizit nicht auf die Orte der stärksten Präsenz, die urbanen Zentren an der Küste, konzentriert, gelingt ihm eine Inversion konventioneller Darstellungen der deutschen Kolonialgeschichte. Konsequent setzt er so die Ansätze von Johannes Fabian 1 fort und kombiniert sie mit der Erfindung und Entstehung von kolonialer Herrschaft und Staatlichkeit, so wie Trutz von Trotha dies aus soziologischer Perspektive für Togo getan hat. 2 Die Arbeit überzeugt auch durch die Auswahl des ihr zugrunde liegenden Materials: Neben Reiseberichten und Memoiren, sowie zahlreichen Akten, Briefen und Berichten aus diversen Archiven und Nachlässen diskutiert Pesek auch Fotografien und Objekte. Die Ausgewogenheit der Perspektiven zeigt eindrucksvoll, welche Quellen zu finden sind, die die Hegemonie des eingeübten europäischen Blickes brechen, z.B. Swahili-Gedichte, Gesänge, Tänze, Objekte und Zitate. Pesek nimmt die historischen lokalen Gegebenheiten ernst und die ausführliche Darstellung der vorkolonialen Situation (immerhin fast ein Drittel der Arbeit) ist absolut notwendig. Der Untertitel des Buches scheint daher etwas irreführend. Für die koloniale Phase konzentriert er sich auf die frühe Zeit und lässt die Untersuchung 1903 enden, auf den Maji-Maji-Krieg verweist Pesek nur an wenigen Stellen. Diese Einteilung bringt diverse Vorteile mit sich, so kann er zum Beispiel zeigen, dass der Vernichtungsfeldzug bereits vorher fundamentaler Teil der kolonialen Herrschaftsrepräsentation und -praxis war. Er lenkt den Blick dabei auch auf bisher wenig beachtete Aspekte, wie das Motiv der Rache und das Gefühl der Bedrohung bei den Deutschen. Diese Einsichten könnten sowohl für die Diskussion des Herero-Völkermordes in Deutsch-Südwestafrika, aber auch für die generelle Bewertung kolonialer Kriege und kolonialer Herrschaft von Bedeutung sein. Es ist zu wünschen, dass Peseks Studie zu einem Standardwerk für die Beschäftigung mit deutscher Kolonialgeschichte wird und so konventionellere Darstellungen bricht und dezentriert.

Anmerkungen:
1 Fabian, Johannes, Im Tropenfieber, Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas, München, 2001.
2 Trotha, Trutz von, Koloniale Herrschaft, Zur soziologischen Theorie der Staatsentstehung am Beispiel des „Schutzgebietes Togo“, Tübingen, 1994.

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