J. Ellis: Seine Exzellenz George Washington

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Titel
Seine Exzellenz George Washington. Eine Biographie


Autor(en)
Ellis, Joseph J.
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
386 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Wollschläger, Abt. Informationstechnik, Die Deutsche Bibliothek, Frankfurt am Main

Joseph Ellis, Professor für Geschichte am Mount Holyoke College in South Hadley, Massachusetts (USA), hat mit seinem jüngsten Werk zu George Washington bereits seine dritte Einzelbiografie zu amerikanischen Präsidenten der Gründerzeit der USA vorgelegt, nach Studien zu John Adams und Thomas Jefferson.1 In einer weiteren Studie, „Founding Brothers“ (dt.: „Sie schufen Amerika“)2, beschrieb Ellis das komplizierte Netzwerk, welches die Hauptakteure dieser Gründerzeit (neben den drei bereits genannten u.a. auch Madison, Franklin und Hamilton) schufen, welches sie aber auch miteinander verband und wobei durch einzigartiges und Präzedenzfälle schaffendes Verhalten die junge Nation mit epochemachenden Charakteristika ausgestattet wurde. Unter den Hauptakteuren jedoch war Washington zweifellos derjenige, von dessen Verhalten (zunehmend) das meiste abhing, dem die größte Verantwortung übertragen wurde und der diese in besonders prägender Weise handhabte. Mit „Seiner Exzellenz“ zeichnet Ellis eine auf jene Charakteristika fokussierte Analyse des ersten Ersten Staatsmannes der Vereinigten Staaten.

Die Aufteilung der Biografie auf unterschiedliche (insgesamt sieben) Lebensabschnitte Washingtons scheint an sich nicht außergewöhnlich. Sie fügt sich jedoch schlüssig in Ellis’ Perspektive, Washington nicht aus der Perspektive des „Nationalen Monuments“, sondern im jeweiligen Lebensabschnitt auf Augenhöhe zu begegnen; ebenso Verhalten, Entscheidungen und seine Entwicklung im jeweiligen Lebensumfeld zu begründen, weitestgehend losgelöst von zu sehr in die Zukunft weisenden Ergebnis-Darstellungen. Das trägt einerseits dazu bei, die Entwicklungen gut nachvollziehbar und schlüssig aufzuzeigen. Andererseits ergibt sich dadurch umso mehr mit fortschreitender Abfolge der Lebens- und Wirkensabschnitte Washingtons ein beeindruckend differenzierendes Bild, in welchem Privat- und Amtsperson, private und öffentliche Wahrnehmung, ja schließlich die Person und das Amt selbst sowohl differierten als auch sich an bestimmten Punkten kreuzten; sich bedingten, aber auch auseinander wuchsen.

Das erste Kapitel beschreibt die Jahre von 1753 bis 1758, in denen Washington als junger Offizier militärische Erfahrungen in den Franzosen- und Indianerkriegen sammelt. Prägende Momente umfassen Washingtons erstes Gefecht bei Great Meadows; Aufbau, Verteidigung und Übergabe von Fort Necessity – wobei Washington trotz Niederlage und möglicher Fehleinschätzungen erstmals in der öffentlichen Wahrnehmung auftauchte, und zwar als Kriegsheld; Entkommen beim Massaker am Monongahela; Aufbau und erfolgreiche Führung des ersten Virginia Regiments. Lektionen aus diesem Lebensabschnitt, so Ellis, sind die frühe Verwicklung in Ereignisse großen politischen Ausmaßes; der Gewinn von Erkenntnissen über Amerikas Rolle im britischen Empire im Kontext eines Krieges; die Diskrepanz zwischen Washingtons Bereitschaft, seine Taten, aber nicht seine Gedanken mitzuteilen; schließlich der Zusammenhang zwischen Washingtons Charakterentwicklung unter den Bedingungen der rauhen und zeitweise mörderischen Umgebung des expandierenden Ohio-Gebiets.

Die Jahre von 1759 bis 1775, Thema des zweiten Kapitels, charakterisieren Washington als typischen, durch Heirat zu Wohlstand gelangten, virginischen Land- und Farmbesitzer. Washingtons Hang zu Wohlstand, Repräsentation, Wohn- und Lebenskomfort, aber auch seine extrem penible Kontrolle geschäftlicher Aktivitäten und eine absolute und finale Vertretung für berechtigt gehaltener Ansprüche sind kennzeichnend. Klar und ernüchternd wird seine damalige Haltung zur Sklaverei geschildert: Washington betrachtet die Sklaven als persönliches Eigentum wie Pferde oder Hunde. Ein Sklave ist vor allem als Wertobjekt interessant; persönliche Fürsorge für Sklaven dient eher der Erhaltung der Produktivität der Plantagen. Alles in allem ist es ein beschäftigtes, voll ausgefülltes Leben eines Virginiers mit vielfältigen Verantwortlichkeiten gegenüber Familie, Nachbarn und Geschäftspartnern. Mehr als manches andere ist es dann Washingtons Präsenz im alltäglichen öffentlichen Leben, seine Involvierung in typische Geschäfte und die Beeinträchtigung persönlicher Interessen, die ihn in Konflikt mit dem britischen Empire bringen. Ellis macht deutlich, dass es eine Vielzahl an sich einfacher, aber zusammengenommen entscheidender Gründe sind, die dazu führen, dass Washington schließlich der einzige Kandidat für das Oberkommando bleibt: Neben den eben genannten sind dies seine Eignung als vorzeigbarer und qualifizierter Virginier, seine militärische Reputation, ein offensichtlicher Anstand und, obwohl vielleicht seltsam anmutend, seine physische Größe, die sein gewohntes Schweigen in öffentlichen Debatten zu Stärke und Weisheit werden lassen.

Kapitel drei und vier, welche den Abschnitt des Unabhängigkeitskrieges, 1775 bis 1783 behandelt, seien hier nur kurz zusammengefasst. Zwei der bedeutendsten Entscheidungen Washingtons als Oberbefehlshaber, die Ellis hervorhebt, sind zum einen das Durchsetzen der generellen Impfung gegen Pocken für die Continental Army und zum anderen die Festlegung der Kriegsstrategie auf eine „Fabianische Strategie“, d.h. die Vermeidung von Kampfhandlungen, wenn diese die Existenz der Armee riskiert hätten; eine Entscheidung, die Washingtons geradliniger Natur überhaupt nicht entspricht. Er ordnet sich der Erkenntnis aber unter. Damit bildet dies einen der Momente, in dem die Entscheidung, etwas nicht zu tun, einen wichtigen Präzedenzfall setzt. Diese Entscheidungen vollenden seine Transformation in eine öffentliche Person, deren persönliche Überzeugungen wenn nötig unterdrückt und einem höheren Zweck untergeordnet werden (wobei sich, um den Titel des Buches hervorzuheben, in den Kriegsjahren auch Washingtons offizielle Anrede als „Seine Exzellenz“ manifestiert). Folgerichtig steht auch Washingtons Entscheidung am Tag des Sieges, das Oberkommando abzugeben und auf seinen Landbesitz Mount Vernon zurückzukehren: Er ist gekommen, eine Pflicht zu erfüllen; sie ist erfüllt, daher muss er praktisch, um sowohl persönlich als auch offiziell zu seinen Überzeugen zu stehen, jetzt wieder abtreten – der großartigste Abgang der Geschichte.

Das Intermezzo nach dem Krieg ist kurz (1783 bis 1789, beschrieben in Kapitel fünf). Doch schon jetzt muss Washington mit dem Ansehen eines lebenden Heiligen leben, während für ihn diese Jahre erst einmal der Beginn seines Lebensabends sind. Er kümmert sich um seinen Besitz und um seine Finanzen, wobei er die Erkenntnis gewinnt, dass die Sklaverei sich zunehmend weniger als Wirtschaftsform rechnet. Auf die ersten Einladungen, sich an der aufkommenden Verfassungsdebatte zu beteiligen, reagiert er sehr zögerlich (1786/87), eine problematische Endsequenz seines Lebens fürchtend. Andererseits ist zwar sein Nachleben als größte amerikanische Revolutionspersönlichkeit längst gesichert; jedoch wie würde es sich darauf auswirken, wenn er dem Ruf nach Philadelphia nicht nachkommt – eine Frage, die ihm sehr wohl bewusst ist. Er folgt dem Ruf, und wie zuvor ist Washington der am wenigsten aktiv beteiligte, jedoch der wichtigste Anwesende. So brilliant die Verfassung im Nachhinein konzipiert erscheint, so klar muss festgestellt werden, dass jedem Delegierten bewusst ist, dass Washington der einzige ist, der Präsident werden kann. Nur aufgrund seiner Persönlichkeit sind die Freiheiten, die dem Amt des Präsidenten überlassen werden, überhaupt erklär- und denkbar. Washingtons eigene Zweifel angesichts seines fortschreitenden Alters und fehlenden persönlichen Umfelds im künftigen Amt werden durch die ihm einstimmig entgegengebrachte Zustimmung ausgeglichen. Er muss dem neuen Ruf folgen, obwohl er persönlich alles vermieden hat, ein solches Ergebnis herbeizuführen.

Diese Trennung zwischen offizieller und privater Person zieht sich auch durch die gesamte Präsidentschaft Washingtons (1789 bis 1797, Kapitel sechs). Ellis wendet sich hier gegen die Auffassung, die Privatperson Washington sei durch die Amtsperson verdeckt worden. Der konstitutionelle Kontext zeigt, welche Marksteine Washington für die Entwicklung der Exekutive setzt. Der historische Kontext kann das Monument zeigen, das er als Person setzt, die das Gespenst eines Monarchen vertreibt. Jedoch hat der persönliche Kontext immer den Blick nach Mount Vernon im Fokus, den Platz, an dem Washington ganz er selbst sein kann. Am Ende der Präsidentschaft schließlich steht der nächste, der letzte und größte Abgang Washingtons: der freiwillige Verzicht auf eine nochmalige Kandidatur als Präsident. Wie Ellis klar zeigt, ist es eine sehr sorgfältige und genau geplante Inszenierung, mit allein monatelangen Korrektur-Korrespondenzen zu seiner Abschieds-Adresse. Es ist keine Inszenierung im Sinne einer Vortäuschung: Washington will den Ruhestand; jedoch muss er dafür sorgen, dass die Umwelt und Nachwelt den Abgang zweifelsfrei im richtigen Licht sieht. Obwohl seine Abschieds-Adresse keine Aussagen zur Sklaven- und zur Indianerfrage enthält, sollte nicht vergessen werden, dass mit Washington auch der Große Weiße Vater seinen Abgang hält, der gegenüber den Indianern – und hier speziell gegenüber den Cherokee die Einhaltung aller Verträge und ihr Überleben als Volk und Nation garantiert hat.

Die letzten Lebensjahre, denen sich das siebte und letzte Kapitel widmet, beschreiben den letzten Ruhestand Washingtons; ein Ruhestand, der aus täglicher Arbeit von morgens bis abends als Geschäftsmann und Plantagenbesitzer besteht, und das bis buchstäblich zwei Tage vor seinem Tod am 14. Dezember 1799. Obwohl noch gelegentlich mit politischen Entwicklungen der Adams-Präsidentschaft konfrontiert, konzentriert er sich auf die Regelung aller persönlichen Angelegenheiten, bis ins kleinste Detail. Er verschiebt die Emanzipation seiner Sklaven, da er die Gewissheit nicht hat, dadurch finanziell keine Nachteile zu erleiden, und regelt dies erst in seinem Testament. Wiewohl seine Motive weder ganz human noch ausschließlich finanziell beeinflusst waren, setzt er damit nichtsdestoweniger ein Zeichen. Während er auch einerseits dafür sorgt, dass durch eine gleichmäßige Aufteilung seines umfangreichen Besitzes keine amerikanische Dynastie entsteht, stellt er mit seinem Testament gleichzeitig und bewusst sicher, dass er als Vater Amerikas in Erinnerung bleibt.

Ellis’ Buch liefert eine bestechende Analyse. Obwohl Washington schon mehrfach Subjekt umfangreicher Biografien gewesen ist – und die vorliegende ist deren nicht die voluminöseste –, gelingt es ihm, neue Perspektiven schlüssig und erfrischend neben die klassischen Forschungsergebnisse zu stellen. In einigen Bereichen kann das Werk selbstredend nicht alle Details und Fragen in gleicher Tiefe behandeln; so kommt etwa das erste Kapitel mit nur einigen Seiten zu Washingtons Jugend und Ausbildung für manchen sicher etwas zu kurz. Nichtsdestoweniger fehlt am Gesamtbild kein wesentliches Detail. Die Lehre aus der amerikanischen Geschichte ist, so Ellis: „Great leadership at the national level emerges only in times of great crisis.“ 3 Washington meisterte die Krise der Gründung einer Nation. Wie Umstände und Persönlichkeit ihn, „Seine Exzellenz“, geschaffen haben, wird in Ellis’ Biografie auf lesenswerte Weise geschildert.

Anmerkungen:
1 Ellis, Joseph J., Passionate Sage. The Character and Legacy of John Adams, New York 1993; Ders., American Sphinx. The Character of Thomas Jefferson, New York 1997.
2 Ellis, Joseph J., Founding Brothers. The Revolutionary Generation, New York 2000. [Dt. Ausgabe u.d.T.: Sie schufen Amerika. Die Gründergeneration von John Adams bis George Washington, München 2002.]
3 Ellis, Joseph J., Ellis on the ‘Founding Brothers’, ‘Gush and Bore’, and the Future, in: [Mount Holyoke] College Street Journal, November 2000 (Online-Artikel, http://www.mtholyoke.edu/offices/comm/csj/110300/ellis.shtml).

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