K. Fings u.a.: Rassismus, Lager, Völkermord

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Titel
Rassismus, Lager, Völkermord. Die nationalsozialistische Zigeunerverfolgung in Köln


Autor(en)
Fings, Karola; Sparing, Frank
Reihe
Schriften des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln 13
Erschienen
Köln 2005: Emons Verlag
Anzahl Seiten
528 S.
Preis
€ 28,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc von Lüpke-Schwarz, Graduiertenkolleg "Generationengeschichte", Georg-August-Universität Göttingen

Seit knapp 30 Jahren untersucht die Historiografie die nationalsozialistische „Zigeunerverfolgung“, die letztlich in einer Politik der Vernichtung an den als „Zigeuner“ stigmatisierten Menschen kulminierte. Das Ergebnis dieser Forschungstätigkeit lässt sich an einer beträchtlichen Anzahl von Publikationen ablesen, die von Lokalstudien bis hin zu Gesamtdarstellungen reichen. Gleichwohl finden sich weiterhin Desiderate, die sich insbesondere auf die Rolle der regionalen Kriminalpolizeien als ausführende Organe der Diskriminierung und Ausgrenzung der „Zigeuner“ erstrecken. Dies liegt insbesondere darin begründet, dass kriminalpolizeiliche „Zigeunerpersonenakten“ angesichts kriegsbedingter und gezielter Zerstörung nur für sechs Städte überliefert sind.

Mit Karola Fings und Frank Sparing schließen nun zwei ausgewiesene Experten diese Lücke für die Region Köln und speziell für das Zuständigkeitsgebiet der Kriminalpolizeileitstelle Köln. Anhand der Auswertung des mit 810 Einheiten größten erhaltenen Bestandes an „Zigeunerakten“ dieser Polizeibehörde untersuchen Fings und Sparing Strategien und Verhaltensweisen der Kriminalbeamten. Doch der Untersuchungsfokus beschränkt sich nicht allein auf das polizeiliche Agieren: Auch die Rolle anderer radikalisierender Akteure – darunter die Fürsorge- und Wohlfahrtsämter wie auch das „Rassenpolitische Amt“ der NSDAP – werden in die Untersuchung einbezogen. Auf diese Weise wird das bestürzend weit reichende Feld von Akteuren analysiert, die die Kölner Theorie und Praxis der „Zigeunerpolitik“ prägten und beeinflussten.

Dem entspricht der immense Fundus an herangezogenen Quellen, der neben einschlägigen Archivalien aus dem ganzen Bundesgebiet auch zeitgenössische Zeitungsberichte sowie Interviews mit Überlebenden umfasst. Eine großzügige Zahl an Abbildungen (ca. 100), Tabellen und ein Register bereichern den voluminösen Band zusätzlich. Fings und Sparing schildern und analysieren die regionale Radikalisierung der „Zigeunerpolitik“, ohne dabei die reichsweiten Dynamiken außer Acht zu lassen. Vielmehr gelingt es ihnen sprachlich sensibel und kenntnisreich, die Kölner „Zigeunerbekämpfung“ in Beziehung zu den übergeordneten „zigeunerpolitischen“ Entwicklungen zu setzen und auf diese Weise Kongruenzen und Dissonanzen zwischen lokaler und zentraler Ebene herauszuarbeiten. Zusätzlich durchzieht die Studie der Vergleich mit der „Zigeunerpolitik“ anderer Regionen, so dass eine Einordnung der Kölner „Zigeunerbekämpfung“ erreicht wird.

Dies geschieht für den Zeitraum 1933 bis 1945 in sieben knapp wie treffend betitelten Hauptkapiteln: NS-Rassenpolitik, Konzentration, Erfassung, Ausgrenzung, Deportation, Isolation und Vernichtung. Positiv hervorzuheben ist die Einordnung der nationalsozialistischen „Zigeunerverfolgung“ in die Tradition deutscher und Kölner „Zigeunerpolitik“, die zwischen den Extremen sozialer Disziplinierung und Vertreibung changierte und auf einen diskriminierenden Sanktionierungskatalog zurückgreifen konnte. Zudem endet die Darstellung nicht im Jahr 1945, sondern stellt die skandalöse Behandlung der überlebenden wie zurückkehrenden „Zigeuner“ sowie die kaum erfolgte Strafverfolgung der verantwortlichen Täter nach Kriegsende dar. Fings und Sparing konstatieren bereits während der ersten Jahre nationalsozialistischer Herrschaft eine immense Zunahme der Repression seitens der Behörden. „Disziplinierung“ und Ausgrenzung der „Zigeuner“ charakterisieren das Vorgehen der Kölner Behörden und NSDAP-Parteistellen. Eine „Disziplinierung“ sollte unter anderem durch den Zwang zur Aufnahme lohnabhängiger Arbeit und die Aufgabe selbstständiger Tätigkeiten erfolgen.

Als Instrument der weiteren Ausgrenzung und Konzentration richteten die Kölner Behörden in Eigenregie 1935 – erstmalig und von anderen Städten bald kopiert – ein kommunales „Zigeunerlager“ ein, wie es Fings und Sparing anschaulich darstellen. Ohne rechtliche Grundlage gegründet, scheuten sich die Kölner Behörden nicht erheblichen Zwang anzuwenden, um „Zigeuner“ im Lager zu internieren. In der Folgezeit wurde die soziale und rechtliche Ausgrenzung sowohl für die Insassen des Lagers wie auch für die weiterhin in der Stadt lebenden „Zigeuner“ mit dem Ausschluss aus dem sozialen Leben und den öffentlichen Sozialleistungen forciert: Insbesondere Parteistellen, wie die NSV und das „Rassenpolitische Amt“ zeichneten im Zusammenspiel mit den Kommunalbehörden dafür verantwortlich. Die Einführung separater „Zigeunerschulklassen“ 1939 stellt nur ein in der Untersuchung angeführtes Beispiel für diese soziale Segregation dar. Fings und Sparing unterstreichen insbesondere die finanziellen Motive der Kommunalbehörden die „Zigeuner“ umfassend aus dem öffentlichen Leistungskatalog auszuschließen.

Die seit 1933 zunehmende Rubrizierung von „Zigeunern“ unter das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ und ihre damit verbundene Zwangssterilisierung führen Fings und Sparing als ein Beispiel für die folgenschwere Hinwendung zu einem fortschreitenden rassistischen Diskurs an, der die „Zigeuner“ in die Rolle einer genetisch definierten Feindgruppe trieb. Dabei befanden sie sich in der Schnittmenge eines rassenhygienischen und rassenanthropologischen Zugriffs, der sie sowohl als „Asoziale“ als auch als „Fremdrassige“ zugleich aus der „Volksgemeinschaft“ ausschloß. Der zunehmende Ausbau der polizeilichen Verfolgungsstrukturen ab 1939 geschah unter eben diesem rassistischen Paradigma. Die Kölner „Dienststelle für Zigeunerfragen“ war insbesondere mit der Erfassung, Identifizierung sowie der Aufdeckung der Abstammungsverhältnisse der „Zigeuner“ betraut, um den Kreis der „Gemeinschaftsfremden“ auf biologischer Grundlage möglichst exakt zu erfassen. In Köln widmete sich zudem das „Rassenpolitische Amt“ verstärkt der Erfassung von „Zigeunern“, welches auf einen regen Denunziantenkreis zurückgreifen konnte. Besondere Unterstützung erhielt die Kripo durch die Rassenhygienische Forschungsstelle im Reichsgesundheitsamt, die mit der „wissenschaftlichen“ Erforschung und Erfassung der „Zigeuner“ betraut war.

Die fortlaufende Konzentration der „zigeunerpolitischen“ Kompetenz bei der Kriminalpolizei und dem Reichskriminalpolizeiamt ließ bei Kriegsbeginn eine Dynamik entstehen, die einerseits die bis dahin in der Radikalisierung federführenden Kommunalbehörden und Parteiorganisationen ablöste und andererseits insbesondere die Kripostellen auf eine kanalisierende reichsweite „Lösung der Zigeunerfrage“ sinnen ließ. Als Fanal für diese „Lösung“ wurde ab Oktober 1939 die Freizügigkeit für „Zigeuner“ im Reichsgebiet aufgehoben. Zuwiderhandelnden drohte die Verhängung von Vorbeugungshaft. Wie Fings und Sparing ausführen, nutzte die Kölner Kripo – ganz im Gegensatz beispielsweise zur Duisburger Kriminalpolizei – diese Möglichkeit zur KZ-Einweisung kaum, um ihr „Zigeunerproblem zu kanalisieren“.

Dagegen wurde der der Kölner Kripo eingeräumte Spielraum bei der im Mai 1940 durchgeführten Deportation von ca. 2.300 „Zigeunern“ aus Westdeutschland in das Generalgouvernement zur Gänze ausgenutzt bzw. sogar überschritten. Als charakteristisch für die Selektionspraxis der Kripobeamten bei der Auswahl von 622 „Zigeunern“ aus dem Kölner Raum beschreiben Fings und Sparing – wie auch bei den ab März 1943 beginnenden Deportationen in das „Zigeunerfamilienlager“ Auschwitz-Birkenau – das hohe Maß an Willkür und den immensen Ermessensspielraum, den sie zur Erfüllung „polizeilicher Kontrollbedürfnisse“ nutzten. Insbesondere als sozial deviant aufgefallene Menschen wurden von den Polizeibehörden ausgewählt und deportiert, auch wenn diese nach Erlasslage ausdrücklich ausgenommen waren. Diese Beobachtung wird in der weiteren Untersuchung weiter erhärtet. Die Kölner Kriminalisten gerierten sich zunehmend als „Rassenpolizei“ (S. 384), die es sich zum Ziel gesetzt hatte sämtliche „rassenschänderischen“ Beziehungen zu verfolgen und mit widerrechtlichen Zwangssterilisationen und der Verhängung von Vorbeugungshaft zu ahnden.

Die ab März 1943 durchgeführten Deportationen in das „Zigeunerfamilienlager“ Auschwitz-Birkenau waren wie bei der Mai-Deportation 1940 geprägt von dem hohen Ermessensspielraum der Kripobeamten vor Ort. Während als besonders „minderwertig“ angesehene „Rom-Zigeuner“ auf Grundlage von Gutachten der Rassenhygienischen Forschungsstelle deportiert wurden, oblag es den Kriminalbeamten bei anders gelagerten Fällen das Urteil selbst zu fällen. Hierbei gaben die sozialen Gesamtumstände des mutmaßlichen Deportationsopfers sowie der internalisierte Rassismus des Beamten den Ausschlag. Angestrebt wurde – wie Fings und Sparing nachweisen – zweifelsohne eine möglichst weitgreifende Entfernung der „Zigeuner“ aus dem Kölner Raum, wozu die Kripo bis in die letzten Kriegswochen hinein ihre Erfassungs- und Verfolgungstätigkeit aufrechterhielt.

Etwa 1.600 Menschen registrierte und verfolgte die Kölner Kripo als „Zigeuner“, von denen etwa drei Viertel deportiert wurden und die anderen weitere Verfolgungsmaßnahmen seitens der Kripo erdulden mussten. Anhand einer umfassenden Analyse des verfügbaren Quellenmaterials ist es Karola Fings und Frank Sparing gelungen, die nationalsozialistische „Zigeunerverfolgung“ im Kölner Raum eingehend zu untersuchen und dabei den Blick auf die übergeordneten Zusammenhänge ebenso wie auf einzelne Schicksale zu richten.

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