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Titel
Im Namen der Freiheit. Die amerikanische Mission


Autor(en)
Besier, Gerhard; Lindemann, Gerhard
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
415 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Fedor-Lynen-Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Department of History, University of Chicago

In seinem Gedicht „Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy“ karikierte der Dichter Bertolt Brecht 1947 diejenigen geschlagenen Deutschen und umgedrehten Nazis, die sich nun zur „amerikanischen“ Idee der Freiheit bekannten:
„Blut und Dreck in Wahlverwandtschaft
Zog das durch die deutsche Landschaft
Rülpste, kotzte, stank und schrie:
Freiheit und Democracy!“

Der Blick zurück in den frühen Kalten Krieg verdeutlicht, wie ambivalent und schillernd der Freiheitsbegriff in der politischen Sprache Deutschlands besetzt war. Brecht hielt ihn nicht nur für unzeitgemäß, sondern versuchte hier, seine Verfechter moralisch zu diskreditieren. Da sie den Freiheitsbegriff fünfzig Jahre nach Brechts Gedicht keineswegs für anachronistisch halten, haben die Dresdner Theologen Gerhard Besier und Gerhard Lindemann den Pfad der Diktaturforschung verlassen, um sich der Geschichte der Freiheit zu widmen. Was liegt da näher als die amerikanische Geschichte zu betrachten – schließlich sind „freedom“ und „liberty“ seit dem 18. Jahrhundert Kernbestand amerikanischer Selbstbeschreibung. Eingangs beklagen sie dann auch, dass sich die deutsche Historiographie bisher zu wenig mit der Geschichte der Freiheit hierzulande beschäftigt habe. Durch den Blick auf die USA wollen sie dazu beitragen, die „Freiheitsforschung“ als Teil der Kulturwissenschaft in Deutschland zu etablieren. Wohl um das Anliegen des Buches offensiv zu untermauern, sind ihm zwei kämpferische Zitate von Karl Popper und George W. Bush zum Siegszug der Freiheit in den Vereinigten Staaten vorangestellt. So eingestimmt, nehmen die Autoren den Leser mit auf die Reise durch drei Jahrhunderte amerikanischer Geschichte – von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart des „Krieges gegen den Terror“.

Das Buch gliedert sich in zwölf Kapitel, die den etablierten Zäsuren amerikanischer Geschichte folgen. Die einzelnen Abschnitte erklären das Leben in den Kolonien, die Entstehung der Vereinigten Staaten, die Erschließung des Westens und den Weg in den Bürgerkrieg, die Industrialisierung und die Sozialreformen der klassischen Moderne und widmen sich schließlich dem inneren Wandel und der Außenpolitik der USA im 20. Jahrhundert. Die Erzählung der Ereignisse streift dabei immer wieder die Entwicklung des Freiheitsbegriffes in den USA: Sie berichtet von der liberty bell in Philadelphia und den liberty trees der amerikanischen Revolution mit ihrem Schlachtruf „liberty or death“, vom rassistischen Freiheitsverständnis des Südens und der Freiheitspropaganda des Ersten Weltkrieges, bis hin zu den Forderungen des civil rights movements und dem consumer freedom der wohlhabenden Nachkriegsgeneration. Doch das Freiheitsthema ist nur ein Strang des Buches. Vornehmlich handelt es sich um eine Geschichte der amerikanischen Republik und ihrer Gesellschaft, die hier gerafft erzählt wird. Chronologisch stringent und überwiegend flüssig geschrieben ist die Darstellung insbesondere für Einsteiger in die amerikanische Geschichte gut geeignet. Diejenigen, die sich bereits mit der amerikanischen Moderne befasst haben, werden hingegen weder auf der Ebene der Fakten noch der Deutungen viel Neues erfahren.

Letztlich leidet „Im Namen der Freiheit“ darunter, dass die Verfasser sich nicht entschieden haben, ob sie sich mit der amerikanischen Freiheitstradition auseinandersetzen möchten oder für den deutschen Markt eine Geschichte der USA verfassen wollen. Das Ergebnis dieses Versäumnisses ist zwar eine lesbare Darstellung der Entwicklung der Vereinigten Staaten – es löst jedoch den eingangs von den Autoren formulierten Anspruch kaum ein. Zu häufig verlieren sie sich zwischen den Fakten und in der Erklärung von Institutionen und Traditionen der USA; eine systematische Auseinandersetzung mit einem spezifisch amerikanischen Freiheitsverständnis – die auch den systematischen Vergleich mit anders geprägten europäischen Traditionen verlangt hätte – findet kaum statt. Erst im letzten Kapitel kommen die Verfasser auf konkurrierende Freiheitsvorstellungen zurück. Als Charakteristikum der USA nennen sie dabei, dass verschiedene Freiheitsvorstellungen sich stets ausbalanciert hätten. Ihre Erklärung der amerikanischen Freiheitskultur kommt allerdings nicht ohne Allgemeinplätze aus: so sprechen sie vom „unbändigen Freiheitswillen“ als movens amerikanischer Kultur und bescheinigen ihren Bürgern einen „unverbesserlichen, stets auf die Zukunft hin fokussierten Optimismus“ (S. 285).

Es ist bedauerlich, dass die Autoren das Wechselspiel zwischen amerikanischen Freiheitsvorstellungen und den totalitären Ordnungen des 20. Jahrhunderts nur in Ansätzen diskutieren. Schließlich entstanden die Freiheitsdiskurse der Neuen Welt immer auch in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Vorstellungen in Europa. Stattdessen haftet dem Buch ein didaktischer Unterton an, so dass das Gefühl entsteht, dass es als Aufklärungsschrift für ein antiamerikanisches Publikum konzipiert wurde. Dies mag hierzulande, wo legitime Kritik an den USA nicht selten in zügelloses Ressentiment umschlägt, nicht ganz unbegründet sein. Doch eine Zeit, die ohne den plakativen Antiamerikanismus Bertolt Brechts auskommen möchte, sollte nicht in den Americana Norman Rockwells Zuflucht suchen.

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