Titel
Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert


Autor(en)
Fiedler, Matthias
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen G. Nagel, Historisches Institut, FernUniversität Hagen

Seit einigen Jahren erlebt die Forschung zur deutschen Kolonialgeschichte einen deutlichen Aufschwung. Unter den inzwischen nicht mehr ganz so neuen Paradigmen des „cultural turn“ wird dabei nicht nur die koloniale Herrschaft vor Ort in den Blick genommen, sondern auch ihre Imagination in der Heimat. Unter dem Zauberwort „Diskurs“ sind gerade hierzu in jüngster Zeit zahlreiche Publikationen erschienen, deren Interdisziplinarität das Ende der alleinigen Zuständigkeit der Geschichtswissenschaft für den deutschen Kolonialismus eingeläutet hat. Einen wesentlichen Beitrag leistet die Literaturwissenschaft. Ihr entstammt auch die Göttinger Dissertation von Matthias Fiedler, die mittlerweile unter dem Titel „Zwischen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus. Der deutsche Afrikadiskurs im 18. und 19. Jahrhundert“ im Böhlau-Verlag erschienen ist.

Es mag etwas unfair sein, einen Historiker mit der Rezension einer literaturwissenschaftlichen Arbeit zu betrauen, doch weckt der Titel weit über die Fachgrenzen hinaus Interesse, verspricht er doch ein umfassendes, ebenso kolonial- wie wissenschaftshistorisches Panorama. Vorgenommen hat sich der Autor nicht weniger als „dass es auf der einen Seite um eine möglichst umfassende Beschreibung und Analyse der Verlaufsgeschichte des Afrikadiskurses in Deutschland geht, auf der anderen Seite aber auch die Frage nach Konstruktionselementen, -prinzipien und -modellen dieses Diskurses gestellt wird“ (S. 13). Er verknüpft dies mit der grundlegenden These, „dass es im Zuge des 19. Jahrhunderts zu einer Popularisierung des Afrikadiskurses kommt, während die entscheidenden Ein- und Zuschreibungen sich jedoch bereits vor der Zeit der großen Entdeckungsreisen in den afrikanischen Kontinent weitestgehend vollzogen hatten“ (S. 13f.). Dabei begnügt er sich nicht mit dieser Ausrichtung seiner Untersuchung, sondern bettet sie in die theoretischen Ansätze ein, die modernen Kulturwissenschaftler/innen lieb und teuer sind. Fiedler verknüpft die feldtheoretischen Überlegungen Pierre Bourdieus mit den diskursanalytischen Vorgehensweisen des New Historicism, insbesondere Stephen Greenblatts Vorstellungen von Mimesis als gesellschaftlichem Produktionsverhältnis, um zu fragen, „wie sich in feldtheoretischer Perspektivierung der Afrikadiskurs im Wechselspiel von bestimmten Feldstrukturen und den habituellen Dispositionen von im Feld operierenden Akteuren beschreiben lässt“ (S. 16) – oder etwas konkreter, „welche in den verschiedenen wissenschaftlichen Feldern geführten Verhandlungen von den Afrikareisenden übernommen und auf welche Art und Weise sie in den Afrikadiskurs eingespielt und modifiziert werden“ bzw. „welche spezifisch deutschen Ausprägungen des Afrikadiskurses sich im Zuge einer Hinwendung zu einem breiteren Publikum ergeben“ (S. 23). Auf diese Weise entwickelt Fiedler einen soliden theoretischen Rahmen für seine Analysen, dessen Begrifflichkeit allerdings im Folgenden gelegentlich aufgesetzt wirkt, als gälte es noch schnell das richtige Stichwort in den eigentlich erschöpfend behandelten Zusammenhang einzufügen. Immerhin kommt diese Darstellungsweise der Verständlichkeit des Textes zu Gute, ist doch die Einleitung dank der Beibehaltung des sprachlichen Duktus ihrer theoretischen Vordenker nicht immer leichte Lesekost.

Im ersten der drei Hauptkapitel steht unter der Überschrift „Beschreiben, bestaunen, vermessen und kategorisieren“ das deutsche Afrikabild des 18. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Seiner Ausgangsthese folgend, geht es Fiedler vorrangig um den Nachweis, dass die im späteren kolonialen Diskurs verankerten Topoi bereits im 18. Jahrhundert vorgebildet wurden. Als grundlegendes Beispiel führt er die Beschreibung der Hottentotten in Peter Kolbs südafrikanischem Reisebericht von 1719 an. Eine gründliche Textexegese macht deutlich, dass Kolb seine Studienobjekte im Gegensatz zu den meisten seiner Vorläufern zwar zu den Menschen zählt, sie jedoch in einer Dichotomie aus Natur und Kultur stets im Kontrast zur europäischen Welt schildert, ohne ihnen wiederum ein gewisses Entwicklungspotenzial abzusprechen. Dieses sieht Fiedler in den Topoi der Natürlichkeit und der Rohheit verankert, die prägend auf alle folgenden Afrikawahrnehmungen wirkten. Von Kolb spannt der Autor über einige kursorische Bemerkungen zum intellektuellen Afrikabild in der Aufklärung einen weiten Bogen zu dem 1770 erschienenen Roman „Die Reise des Priesters Abulfauaris ins innere Afrikas“ von Christoph Martin Wieland. An diesem Beispiel verdeutlich er einerseits die Rezeption wissenschaftlicher Diskussionen über Afrika in der Literatur und andererseits die im 18. Jahrhundert noch auf ein exotisches Symbol reduzierte Funktion des „dunklen Kontinents“. Insgesamt billigt er dem Roman Wielands ein weitaus geringeres Gewicht zu als Kolbs Hottentottenbericht, wodurch dieser unversehens in die Position des exemplarischen Werks für ein ganzes Jahrhundert gerückt wird.

Kapitel II ist den Reiseberichten deutscher Afrikaforscher des 19. Jahrhunderts gewidmet. Exemplarisch werden fünf Persönlichkeiten vorgestellt, die nicht nur vor oder zu Beginn der deutschen Kolonialherrschaft den Kontinent bereisten, sondern ihre Erfahrungen auch in erfolgreichen Publikationen verbreiteten. Mit Heinrich Barth, Gustav Nachtigal und Gerhart Rohlfs stehen drei Forscher am Anfang, die als „geografische Reisende“ vorgestellt werden. Ihnen gegenübergestellt werden Georg Schweinfurth als wissenschaftlicher Reisender, der bereits einen kolonial-rassistischen Hintergrund hatte, und Hermann Wissmann, der nicht mehr unter wissenschaftlicher, sondern militärischer Flagge mit eindeutig kolonialer Zielsetzung Afrika bereiste. Fiedler sieht diese Fünf als Repräsentanten einer Entwicklung, die von der Notwendigkeit, Afrikareisen ohne eigenen Kolonialbesitz zunächst wissenschaftlich zu legitimieren, hin zum Selbstbewusstsein einer nationalstaatlichen Kolonialmacht führte. Auch Kapitel II weist eine Zweiteilung auf, indem zunächst in Anlehnung an die Untersuchungen Cornelia Essners Afrikareisende als „förmliche Berufsklasse“ beschrieben und abgegrenzt werden, bevor auf die Werke der Auserwählten mit literaturwissenschaftlicher Akribie eingegangen wird. Die verschiedenen Formen der Selbstinszenierung, der Repräsentation von Wissenschaftlichkeit und der literarischen Gestaltung werden anschaulich verdeutlicht und auch überzeugend in eine Entwicklungsgeschichte des Reiseberichtes überführt, aber wie exemplarisch die gewählten Beispiele tatsächlich sind, bleibt weitgehend unklar. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass sie vorrangig auf Grund ihrer herausragenden Prominenz ausgewählt wurden – wie auch Adolf Bastian und Leo Frobenius als Beispiele ethnologischer Forschungsreisender im folgenden Kapitel.

Kapitel III ist dem Afrikadiskurs in der deutschsprachigen Kolonialbelletristik sowie der Etablierung der deutschen Ethnologie als Universitäts- und Museumswissenschaft gewidmet, um „die Zirkulation des Afrikadiskurses im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts“ zu verdeutlichen. An den Anfang setzt Fiedler eine Untersuchung des Romans „Abu Telfan oder Die Heimkehr vom Mondgebirge“ von Wilhelm Raabe. Er weist überzeugend nach, dass Afrika in diesem Werk nicht nur eine beliebige Chiffre für das Fremde darstellt, sondern zeitgenössisches Wissen über Afrika bewusst eingebaut wird. Allerdings wird in der peniblen Textinterpretation des Romans, der nun einmal gar nicht in Afrika spielt, nicht wirklich deutlich, wieso gerade dieser exemplarisch für die Popularisierung des Afrikadiskurses sein soll; man kann auch sagen: das Thema wird anhand eines denkbar unpassenden Beispiels aufgezogen. In der Folge werden mit den Werken der „Zweckliteraten“ Frieda von Bülow und Carl Falkenhorst zwei Typen von Kolonialromanen, Gesellschaftsroman und Abenteuerroman, gegenüber gestellt. Fiedler thematisiert die Kontinuität der afrikabezogenen Topoi und Aneignungsprozesse seit dem 18. Jahrhundert, in der auch die Kolonialliteratur des Kaiserreichs stand, wie die Funktion, die solche Romane im Rahmen der deutschen Kolonialpropaganda erfüllten. Nach einem knappen Exkurs zu den Völkerschauen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geht Fiedler – an dieser Stelle etwas unvermittelt, aber an Kaptitel II anknüpfend – zur Genese der akademischen Ethnologie über, die seines Erachtens zu dieser Zeit die Geografie als koloniale Leitwissenschaft ablöste. Vorrangig am Beispiel der beiden herausragenden Figuren Adolf Bastian und Leo Frobenius und – wie könnte es anders sein – in Konzentration auf ihr publizistisches Œuvre gelingt ihm innerhalb der Grenzen der exemplarischen Vorgehensweise eine problemorientierte Skizze der Frühgeschichte des Faches. Daran ändern kleinere Unstimmigkeiten wie die zu einseitige Deutung der Ablehnung des jungen Frobenius in Fachkreisen (S. 227f.) wenig.

Zweifelsohne hat Fiedler einen wichtigen Beitrag zu zentralen Elementen des deutschen Afrikadiskurses vorgelegt. Auf der Grundlage unterschiedlicher Textgattungen zeichnet er ein detailreiches Bild der Mechanismen und Topoi europäischer Afrikaimagination sowie des Umschwungs von wissenschaftlicher zu nationaler Rechtfertigung der deutschen Befassung mit Afrika. Auch der in diesem Zusammenhang hergestellten Verbindung zwischen Nationalstaatswerdung und Kolonialgedanke mag man durchaus folgen. Insofern handelt es sich um ein Buch, das niemand, der sich für die Geschichte des deutschen Verhältnisses zu Afrika näher interessiert, unbeachtet zur Seite legen sollte.

Ein Aber kann jedoch nicht ganz ausbleiben. Natürlich lässt sich, will man im Kleinen kritisieren, immer etwas finden. So gibt es so manches Überflüssige, das den Lesefluss stört – seien es die unablässig gebrauchten Floskeln à la „wie im Folgenden darzustellen ist“ oder „wie bereits mehrfach erwähnt“, seien es redundante Wiederholungen (auf S. 150 wird die Aussage, dass Schweinfurth zur Spannungssteigerung eine Begegnung mit Kannibalen in Aussicht stellt, mit der Anmerkung, versehen, dass Schweinfurth eine Begegnung mit Kannibalen zwecks Spannungsaufbau in Aussicht stellt, um auf S. 164 auf den Spannungsaufbau durch die etc. pp. hinzuweisen) oder seien es überflüssige Erläuterungen in Zitaten. Auch der schiefe Umgang mit einigen Quellenauszügen fällt gelegentlich auf: so fordert Friedrich Fabri die Organisation von Auswanderung durch eine starke Kolonialbewegung nicht, weil diese als einzige dazu in der Lage gewesen wäre (S. 203f.), sondern um den Auswandererstrom in eigene Territorien umzuleiten. Dies sei jedoch nur am Rande erwähnt und wirft weniger ein Licht auf den Autor als auf die lektorale Betreuung – so sich denn Böhlau überhaupt noch einen solchen Luxus leistet.

Wichtiger sind einige kritische Anmerkungen zum Schluss. Einerseits fällt auf, dass sich große Passagen der Untersuchung jeweils an einem Autor orientieren. Die Ausführungen zu Peter Kolb lassen sich von den entsprechenden Passagen in Mary Louise Pratts „Imperial Eyes“ leiten, die Vorstellung der Afrikareisenden als eigenständige Gruppe folgt Cornelia Essner, und eine ähnlich prominente Rolle nimmt Johannes Fabian hinsichtlich der Imaginationen von Afrikareisenden ein. Unweigerlich stellt sich hier die Frage nach der Originalität des Autors. Vorhanden ist diese sicherlich, wenn Fiedler seine eigenen Stärken zur Geltung bringt und im eingangs theoretisch verankerten Analyserahmen sein Material, die Texte der Reisenden, Forschenden und Erzählenden, regelrecht auseinander nimmt. In der engen Orientierung am Text bietet die Untersuchung lohnende Einblicke. Um ein komplexes Bild des Afrikadiskurses entwerfen zu können, ist diese Perspektive nicht weit genug. Andere Elemente der untersuchten Felder fehlen zwar nicht völlig, fristen jedoch nur ein Schattendasein. Beinahe zwangsläufig lässt die Studie alle Diskursteilnehmer außer Acht, die sich nicht literarische äußerten – in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, teilweise auch in der Wissenschaft, vom „gemeinen Mann“ einmal ganz zu schweigen. Bezogen auf das Versprechen des Titels, den deutschen Afrikadiskurs zwischen den Polen Abenteuer, Wissenschaft und Kolonialismus zu beschreiben, bleibt festzuhalten: es sind Teilbereiche des deutschen Afrikadiskurses, die auf diese Weise erfasst werden. Der Historiker hätte sich am Ende etwas mehr erwartet – aber wie gesagt, das ist vielleicht ein wenig unfair.