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Titel
Der Mauerbau. Die Westmächte und Adenauer in der Berlinkrise 1958-1963


Autor(en)
Steininger, Rolf
Erschienen
München 2001: OLZOG Verlag
Anzahl Seiten
411 S.
Preis
DM 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rupieper, Hermann-J.

Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 gehört zu den Zäsuren des Ost-West-Konfliktes, der Teilung Deutschlands und Europas. Sie war eine der gefährlichsten Krisen der Nachkriegszeit, die leicht zu einer direkten Konfrontation zwischen den beiden atomaren Supermächten hätte führen können und bedeutete für die Bevölkerung der DDR, daß alle Hoffnungen auf eine Änderung der Lebensbedingungen in der SED-Diktatur zunächst zerstört wurden.

Der Innsbrucker Zeithistoriker Rolf Steininger hat eine faszinierende Darstellung der politisch-diplomatischen Entscheidungsprozesse in den Hauptstädten der Westmächte vorgelegt. Dabei kann er teilweise auf jüngst freigegebene Akten der britischen und amerikanischen Diplomatie zurückgreifen. Bereits die 1992/93 in den Foreign Relations of the Department of State und 1995/96 als Microfiche Supplement veröffentlichten Akten der amerikanischen Diplomatie haben den Ablauf der Krise hervorragend dokumentiert. Hinzu kommen nun Berichte über die Politik der Bundesregierung unter Konrad Adenauer, die sich in britischen und amerikanischen Unterlagen widerspiegeln. Die Analyse der sowjetischen Politik ist weniger gut dokumentiert. Dazu fehlt bisher der Zugang zu den einschlägigen Akten der sowjetischen Führung, ohne die eine abschließende Beurteilung der Krise weiterhin nicht möglich ist.

Ausgelöst wurde der Konflikt durch ein Ultimatum des sowjetischen Ministerpräsidenten Nikita Chrustschow im November 1958, mit dem er den Westmächten den Abschluß eines Friedensvertrages mit der wirtschaftlich und politisch schwer angeschlagenen DDR androhte, die durch die Flucht der Bevölkerung als Folge von politischer Repression und der Einführung einer kommunistischen Wirtschaftsordnung in große Schwierigkeiten geraten war. Diese Politik war nicht zuletzt das Ergebnis des zweiten Anlaufs zum „Aufbau des Sozialismus“ mit dem die SED versucht hatte, Blockparteien und Massenorganisationen der Partei unterzuordnen. Gleichzeitig wurde im Zeichen des Systemwettbewerbs mit der Bundesrepublik der Kampf um die Erhöhung des Lebensstandards aufgenommen. Der Abbruch des Fünfjahresplanes und seine Ersetzung durch einen Siebenjahresplan signalisierten niedrige Wachstumsraten, und insbesondere die Kollektivierung der Landwirtschaft führte zu einer besonders auf dem Land wieder anschwellenden Fluchtbewegung und innenpolitischen Schwierigkeiten.

Es ist das Verdienst der Untersuchung, daß sie den schwierigen Entscheidungsprozessen der Westmächte zur Sicherung ihrer Stellung in Berlin detailliert beschreibt und damit zur Entmythologisierung des Berlin-Konfliktes beiträgt, obwohl die Konstellationen weitgehend bekannt sind.

Für die amerikanische Politik unter Präsident Eisenhower und Außenminister Dulles stellte sich die Frage, ob die Unterstützung Berlins soweit gehen würde, einen nuklearen Konflikt zu riskieren, der auch Millionen Tote in den USA bedeutet hätte. Auch wenn man sich an Berlin aus politischen und strategischen Überlegungen (Domino-Effekt) gebunden fühlte und keineswegs bereit war, sowjetischem Druck oder Drohungen zu weichen, so befand man sich in einer prekären Situation. Andererseits gebot die Verantwortung gegenüber dem amerikanischen Volk, daß alle Möglichkeiten für eine friedliche Lösung, die die amerikanische Präsenz in Berlin als Siegermacht des 2. Weltkrieges sicherte, ausgeschöpft werden mußten.

Das Ziel der amerikanischen Politik war daher, nach Alternativen zu suchen, auch wenn dies der Adenauerschen Politik und der Hoffnung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf baldige Wiedervereinigung zerstört hätte, und gleichzeitig den Sowjets klar zu machen, daß dieser Konflikt durch eine aggressive sowjetische Handlung ausgelöst worden war. Daher wurden Notfallpläne für einen militärischen Vorstoß nach Berlin ausgearbeitet, die auch den Sowjets nicht unbekannt geblieben sein dürften. Es überrascht, daß Steininger in diesem Zusammenhang die Stationierung sowjetischer Atomraketen im Jahre 1959 in der DDR („Operation Atom“), ein ungewöhnlicher Vorgang, und den plötzlichen Abzug, für den es bisher keine befriedigende Erklärung gibt, nicht erwähnt.

Die Studie zeigt auch, daß Adenauers Mißtrauen gegenüber der britischen Politik unter Premierminister Harold MacMillan mehr als berechtigt war. McMillan wollte eine Einigung mit den Russen zu Lasten der deutschen Politik. Die Studie zeigt aber auch, daß Adenauer, nach dem Tode von Dulles, nicht mehr in der Lage war, die amerikanische Politik unter der Kennedy-Administration in seinem Sinne zu beeinflussen.

Der Kanzler war unsicher, nicht der dominierende Staatsmann, keine Führungsgestalt in der Krise. In dieser schwierigen Situation war die starre Haltung des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle gegen Verhandlungen mit der sowjetischen Führung ein wichtiger Pfeiler der westlichen Verteidigung, als auch John F. Kennedy eine pragmatische Lösung anstrebte, die Sicherung West-Berlins. Die hier zitierten Quellen zeigen, daß offenbar über die Errichtung von Grenzsperren mehrfach in amerikanischen Dokumenten spekuliert wurde, so daß man, als es tatsächlich passierte, kaum vollständig überrascht gewesen sein kann. Die Analyse zeigt auch, daß in Anbetracht der Risiken eines Atomkrieges kaum auf eine massive amerikanische Reaktion zur Verhinderung der Teilung der Stadt gehofft werden konnte. Zumindest standen sich „Tauben“ und „Falken“ in der amerikanischen Administration gegenüber. Daher wurde eine Fülle von Notfallplänen entwickelt. Mit der Beschränkung der amerikanischen Garantien auf West-Berlin fand Kennedy schließlich einen Weg aus der hochexplosiven Krise, der auch für die UdSSR gangbar war. Die Deutschen und vor allem die West-Berliner haben Glück gehabt. Was wäre passiert, wenn die Westmächte sich mit den Sowjets über eine Regelung für Berlin „als unabhängige Stadt“ geeinigt hätten?

Dies ist die bisher ausführlichste Studie der Diplomatie der Krise. Die vielen Hinweise auf bisher nicht freigegebene Akten werden wahrscheinlich das Gesamtbild der Entscheidungsprozesse und Ziele auch nichts ändern. Die Deklassifizierungsrichtlinien des State Departments sperren Bemerkungen, die im Interesse der nationalen Sicherheit der USA liegen oder ausländische Quellen kompromittieren bzw. der Außenpolitik der USA schaden. Ob nun eine weitere polemische Bemerkung über Adenauer und die deutsche Politik bekannt wird, ist letztlich nicht entscheidend. Wichtig wäre es, mehr über die sowjetischen Entscheidungsprozesse zu erfahren, die Strategie Chrustschows in der Krise kennenzulernen und die Reaktionen auf die Politik des Westens herauszufiltern. Welche Rolle spielte „Life Oak“, der Testfall für eine Konfrontation mit der Sowjetunion, für die Beendigung der Krise? Auch die Rolle und Einflußnahme Walter Ulbrichts auf die sowjetische Politik bleibt weiterhin kontrovers.

Dies ist ein wichtiges Buch. Diplomatiegeschichte kann spannend sein. Es zeigte aber auch die Probleme einer Koalition, wenn existentielle nationale Interessen tangiert sind.

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