J. Fabian: Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn

Titel
Im Tropenfieber. Wissenschaft und Wahn in der Erforschung Zentralafrikas


Autor(en)
Fabian, Johannes
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
412 S.
Preis
DM 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Schwarz, Department of German Language and Literature, Keimyung University

Leopold II. von Belgien war ein zweitrangiger europäischer Monarch, dem es gelang, sein eigenes koloniales Begehren mit den Interessen der Finanzwelt zu verknüpfen und eine Internationale Afrikanische Assoziation (IAA) mit einem recht aktiven deutschen Zweig zu organisieren, die im Gefolge einer internationalen geographischen Konferenz in Brüssel 1876 als Unternehmen im Dienst der Humanität auf den Plan trat. Das Projekt wurde zum Teil eines Wettlaufs um Afrika, bei dem es um die Erfassung von Verkehrswegen und kommerziellen Möglichkeiten, von Naturschätzen und kolonisierbaren Territorien ging. Die Männer, die vor Ort gingen, zahlten oft mit dem eigenen Leben, andere mit dem Verrat ihrer wissenschaftlichen Ideale, die in Widerspruch gerieten zu ihrer imperialistischen Instrumentalisierung. Die Afrikaforschung bereitete die Gründung des Kongo-Freistaats auf der Berliner Kongo-Konferenz 1885 vor, ein Schritt, der von der Kolonialpropaganda als Maßnahme gegen den Sklavenhandel gefeiert wurde. Dass das Ziel der europäischen Anti-Sklaverei-Kampagnen aber in nichts anderem als der Verdrängung der Swahili-Araber in ihrer Funktion als wirtschaftlichen und kulturellen Konkurrenten der Europäer bestand, war allerdings schon den meisten Zeitgenossen klar. Bei dem Versuch, diesen Spagat zwischen Wissenschaft und Imperialismus auszuhalten, stellten sich bei den Forschern unverkennbar die Symptome des Wahnsinns ein, denen Fabian in seinem Buch nachgeht (31f., 57, 77, 318).

Der Autor, der an der Universität von Amsterdam Kulturanthropologie unterrichtet, baut sein Werk um den Begriff des Ekstatischen herum auf, es geht um das „Draußen-Sein“, um das Heraustreten aus sich selbst, für ihn eine Bedingung dafür, dass Begegnungen zwischen Europäern und Afrikanern zu mehr als nur zu physischen Zusammenstößen geführt haben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass die europäischen Reisenden in Afrika ihren Gastgebern des öfteren in einem Zustand gegenübergetreten sind, den man von Wissenschaftlern nicht erwarten würde. Von selbstbeherrschter Rationalität konnte keine Rede sein, statt dessen hatten sich ihrer Affekte bemächtigt, die von gereiztem Zorn bis Verachtung reichten. Sie waren von Tropenkrankheiten, vor allem den Fieberanfällen der Malaria, zerrüttet oder standen unter dem Einfluss von Drogen, von Chinin, Morphium, Alkohol oder Opiaten - die Reise wurde zum Rausch (17f., 24, 95, 98). Als Quellen benutzt Fabian Reiseberichte über Expeditionen nach Zentralafrika, der Schwerpunkt liegt auf den Jahren von 1874 bis 1887. Sie bedienten einen lukrativen Markt, sollten gleichzeitig die Durchschnittsleser mitreißen und die spezialisierten Fachleute beeindrucken. Bevor die Reisenden anfingen, zu schreiben, waren sie selbst Leser, und zwar war nach eigenem Eingeständnis die Lektüre von Reisebeschreibungen ein nicht unwichtiges Motiv für den eigenen Aufbruch. Die stereotyp rekurrierenden Entschuldigungen der Verfasser für die mangelnde literarische Qualität ihrer Berichte führt Fabian auf den für die Romane des 19. Jahrhunderts typischen realistischen Stil zurück (328f., 332f., 341). Die Reihe der behandelten Autoren reicht – um nur einige von ihnen zu nennen - von Adolf Bastian (später Direktor am Berliner Völkerkundemuseum) über Jérôme Becker (in Afrika auf Expeditionen der IAA, später im belgischen Kolonialdienst), Joseph Thomson (einem Schotten im Auftrag der Royal Geographic Society) und Otto H. Schütt (ebf. im Dienst der IAA) bis zu Hermann Wissmann (gilt als der erste, der Afrika von West nach Ost durchquert hat, später Gouverneur von Deutsch-Ostafrika) (36-42). Die Texte, die sie zum Beispiel in der Schriftenreihe MAGD vorlegten, den „Mittheilungen der afrikanischen Gesellschaft in Deutschland“ (28), könnte man als Proto-Anthropologie bezeichnen, und es ist gerade der für den kritischen postkolonialen Blick noch relativ offen irrationale Charakter dieser ‚Magd‘ des Imperialismus, der einer Meta-Anthropologie helfen kann, ähnliche Symptome in der Textproduktion der entfalteten Disziplin zu entdecken.

Dass die weißen Protagonisten der Erforschung Afrikas heldenhaft allein reisten, ist der erste Mythos, den Fabian demontiert. Umgeben waren sie vom Tross ihrer Karawane. Auch ging es nicht wirklich ins Neuland hinein, sondern man bewegte sich meistenteils auf bereits ausgetreten Pfaden (50, 75). Zum „Mythos des unerschrockenen Reisens“ gehören Bilder einer „gefährlichen Wildnis“. Doch nur in den großen Flüssen fanden die schießwütigen Europäer Nilpferde und Krokodile als Zielscheiben, im Westen Zentralafrikas waren Wild und Vögel schon derart selten geworden, dass die Reisenden erst nach Wochen oder Monaten einmal ein wildes Tier sahen, das dann zumeist auch noch einer ungefährlichen Spezies angehörte. Jagd-Anekdoten interpretiert Fabian als gattungsbedingte Elemente der Reisebeschreibung, die den Bedarf an Abenteuern abdecken sollten. Er findet hier in der Schilderung von Misserfolgen durchaus auch eine selbstironische Haltung, die ihre kritische Wirkung selbst dann zu entfalten vermag, wenn die ganze Geschichte rein fiktiv ist – aus Mangel an Wild vermutlich (125, 335). Wer glaubt, dass die Karawane einer Expedition sich vornehmlich durch ihre Beweglichkeit auszeichnet, erfährt das Gegenteil: Da die europäischen Reisenden so gut wie ausnahmslos von Krankheiten (Malaria, roter Hund ...) heimgesucht wurden, waren sie oft zu schwach zum Reisen oder selbst zum Getragenwerden. Ihr Unternehmen war daher zum Stillstand verdammt. Das Fortkommen war von Desertion, Befehlsverweigerung und Revolte bedroht (69, 194). Die Forscher fanden sich regelmäßig in Situationen wieder, in denen sie von der einheimischen Bevölkerung selbst ausgeforscht wurden, was sie ohne ihre eigene Position zu reflektieren gern als „Belästigung“ beschrieben. Sie beklagten die afrikanische Neugier als Eingriff in ihre Privatsphäre und unterstellten ihren Gastgebern im selben Atemzug, dass diese kein Konzept vom Privatleben besäßen. Mit dieser Denkfigur entledigte man sich des Problems, über die eigene penetrante Präsenz vor Ort zu Zwecken ‚wissenschaftlicher Beobachtung‘ nachdenken zu müssen. Der Gabentausch, eigentlich ein klassisches ethnologisches Thema, kommt in den Quellen als eine der „größten Plagen“ für die Reisenden in Zentralafrika vor. Fabian berichtet von einem Fall von Paranoia, bei dem der Forschungsreisende schließlich für alles, was auf seiner Expedition schiefging, Afrika und die Afrikaner verantwortlich machte (70, 85, 249ff.). Für manche waren Verständigungsschwierigkeiten Anlässe für Wutausbrüche und rassistische Beschimpfungen, mit denen die eigene kommunikative Inkompetenz oder zumindest die Ignoranz auf dem Gebiet semantischer Feinheiten kompensiert wurden (270).
Langsam aber sicher drohte bei einer solchen Fremdwahrnehmung, dass die Reisenden in Zustände der Frustration, Erbitterung, Aufregung und Wut gerieten, die in ekstatischer Gewalt gipfelten. Die Reisenden verwickelten sich offenbar regelrecht in eine „Kultur der Gewalt“, inszenierten Prügelstrafen in der Öffentlichkeit, nicht zuletzt um ihre eigene Macht zu demonstrieren. Es konnte sogar geschehen, dass die Forschungsreise zu einer Strafexpedition mutierte (197ff., 202), um das widerspenstige Objekt des ethnographischen Begehrens gefügig zu machen. Zumindest aber benahmen sich die Forscher wie Schaubudenbetreiber, wenn sie sich stereotyp zu Handlungen hinreißen ließen, die unter der Rubrik épater les indigènes firmieren. Es ging darum, die Eingeborenen zu beeindrucken, zu schockieren und in Furcht zu versetzen, indem man ihnen zum Beispiel einen Phonographen präsentierte, um damit letztlich nichts anderes zu tun, als angesichts der furchtbaren Macht des Unbekannten die eigene Macht so weit wie nur möglich aufzublähen (146, 157f.). Man kann sich gut vorstellen, wie sich die Forscher über den Effekt ihrer akustischen Attacke auf den Anderen amüsierten. Dagegen empfanden die Reisenden Tänze und vor allem die Musik der Eingeborenen, wenn sie unkontrolliert in ihre Ohren drang, als „Lärm“, geeignet, sie in den Wahnsinn zu treiben (159ff.).
Fabian unterstreicht, dass der Imperialismus ein „theatralisches Unternehmen“ war, eine Inszenierung mit Hilfe von Requisiten wie Tauschwaren (die berühmten Glasperlen), von Flaggen und Uniformen, von Militärparaden zur Schaustellung der Macht europäischer Waffen (167f., 174). Vom „Mythos einer heroischen Suche im Dienst der Wissenschaft“ bleibt nach der Lektüre von Fabians Buch, das sich als eine „Kritik der imperialistischen Vernunft“ versteht, im Grunde nur noch die „Unvernunft“ übrig (79ff.). Am Ausgangspunkt der Reise stand das „Reisefieber“, unterwegs machten Depressionen und Nervenzusammenbrüche den Reisenden zu schaffen (91, 93). Solche ekstatischen Zustände bildeten Einfallstore für die Entwicklung von unkontrollierten Beziehungen der Europäer zu den Afrikanern, um ihnen entgegenzuwirken, versuchten die Entdecker, sich einer „Hygiene“ zu unterwerfen. Nur etwa die Hälfte der Reisenden überlebte den Aufenthalt, und auch die Versuche, die Angst vor dem Tod durch irrationale Hoffnungen zu überwinden, zählt Fabian zu den „ekstatischen Elementen in ihrer Begegnung mit Afrika“ (108f.). Das „Regime der Hygiene“ erstreckte sich auch auf die Kontrolle sexueller Energien. Bei dem Forschungsreisenden, der die „erotische Spannung“ an sich heranließ, konnte das Verhältnis zu den Afrikanern derart außer Kontrolle geraten, dass die von ihm verlangte Wissensproduktion ekstatische Züge annahm (114). Der Normalfall war die Herabsetzung der Afrikaner als „schmutzige Wilde“, an deren „knochigen Frauen“ nur „Hängebrüste“ baumeln und die von „fetten Potentaten“ beherrscht werden. Paradoxerweise aber wird die Ethnographie gleichzeitig zu einer „bedeutenden Lieferantin von Soft-Pornographie“, indem sie zu ihren populären Publikationen einschlägige „wissenschaftliche“ Illustrationen beisteuerte. Die Überwältigung durch die exotische Schönheit rechnet Fabian zu den ekstatischen Erfahrungen, die zumindest augenblicksweise die Pseudorationalität eines tiefverwurzelten Rassismus durchbrechen konnten (315f.).
Der „sprachliche Imperativ“ verlangte von den Afrikaforschern die Fähigkeit, mit den Afrikanern direkt und möglichst ohne die Hilfe von Übersetzern zu kommunizieren. Dem Begehren, Informationen zu gewinnen, stand als eine Form des Widerstandes die gezielte Desinformation gegenüber. Das schlug sich in den Reiseberichten im Bild vom Dolmetscher als einem verlogenen Halunken nieder. Diese Projektion hat in der Tat etwas „entschieden Irrationales und Irres“, vor allem wenn man ihr entgegenhält, dass für die Europäer ihre eigenen Täuschungsmanöver und Manipulationen (Übervorteilung beim Warentausch etc.) keinen Anlass für Zweifel an der eigenen Redlichkeit boten. Um also an ‚authentische‘ Informationen heranzukommen, legte man - auch durchaus als „Maßnahme tropischer Hygiene“ - Wörterverzeichnisse von Eingeborenensprachen an. Irgendetwas musste man schließlich tun, um der sich bei einem Aufenthalt in Afrika zwangsläufig einstellenden Langeweile Sinn zu verleihen. Harmlos war diese Tätigkeit keineswegs. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Unterscheidung afrikanischer Sprachen ein wichtiges Instrument der Reterritorialisierung Afrikas durch die Kolonialmächte, die linguistische bildete die Basis für die ethnische und schließlich die politische Segmentierung (176, 181f., 185, 278f.). Dazu kam die Kartographie der entdeckten Gebiete. Doch dass es auch bei dieser scheinbar exakten Wissenschaft nicht immer mit rechten Dingen zuging, zeigt der Bericht von Schütz, der ab einem bestimmten Punkt schlicht in Fiktion umschlug - wobei der Autor die scheinbar genauesten, aber lediglich sorgfältig gefälschten Karten seiner Reise benutzte, um zu suggerieren, dass er wirklich ‚dort‘ gewesen sei. ‚Dort‘ bedeutet in diesem Fall das Land der Baschilange oder Luba, die einen Cannabis-Kult als Gemeinsamkeit stiftendes Kulturem pflegten, um sich als politische Einheit zu formieren. Paul Pogge, ein Teilnehmer der Expedition von Wissmann, ließ sich bei ihnen sogar auf einer Station nieder. Als er es dem Tode nahe gerade noch bis zur Küste schaffte, gab er die Anweisung, man möge seine kostbaren Aufzeichnungen vernichten. Aus europäischer Perspektive scheint er die Kontrolle über seinen Verstand verloren zu haben (208ff., 217, 232f., 272f.). Solche vereinzelten Versuche, Informationen dem Zugriff der Kolonialmächte zu entziehen, wie sie sich bei Schütz und Pogge finden lassen, ersparten den Baschilange allerdings nicht, in den Mahlstrom des imperialistischen Projekts hineingerissen zu werden. Pogges und Wissmanns Freundschaft zu den Baschilenge entstand in einer ekstatischen Situation, als sich ihre Expedition in einer verzweifelten Verfassung befand, außer Kontrolle infolge von Desertion, Krankheit und Geldmangel. Fabian spricht von einer „utopischen Begegnung zwischen dem Westen und Afrika auf gleicher Ebene“. Das traurige Ende verschweigt er nicht: die Expedition reorganisierte sich und erfüllte ihre imperialistische Mission. Wissmann tat sich später als einer der ersten hervor, die bei der Aufstandsbekämpfung in Deutsch-Ostafrika das Maxim-Maschinengewehr einsetzte (cf. 240f., 361, 369f.).
Indem die Afrikareisenden versuchten, den Forderungen von Museen und Sammlungen in den Metropolen nachzukommen, konstruierten sie das ethnographische Objekt (260). Beim Sammeln kann von Wissenschaftlichkeit keine Rede sein, rafften die Forscher doch lediglich mehr oder weniger willkürlich zusammen, was sich am Wegesrand gerade anbot. Wenn sie beim Produzieren von Wissen Listen, Terminologien und Wörterverzeichnisse aufschrieben, dann ging es dabei in erster Linie darum, ihren Bericht mit ethnographischer Autorität auszustatten. Es kam bei ihrer Reproduktion im Bericht in erster Linie auf einen vordergründigen Effekt beim Leser an, die sprachliche Kompetenz der Verfasser konnte sowieso niemand überprüfen. In manche Berichte wurden sogar ganze einheimische Texte, zum Beispiel Fabeln, Lieder oder gar Aufzeichnungen von Dialogen in der Originalsprache montiert. Für Fabian handelt es sich bei der Mehrzahl dieser angeblich authentischen Texte um Zugeständnisse an die Konventionen des realistischen Schreibstils (267f., 336).
Was kann man denn dann eigentlich noch aus diesen Texten herausziehen? - Die „Reise nach Afrika“ dürfte für die meisten Reisenden zu einer „Reise in ihr Ich“ geworden sein (130). Fabian hat einmal mehr gezeigt, dass man aus Reiseberichten, wenn überhaupt dann am ehesten etwas über die Mentalität ihrer Verfasser erfährt. Seine Hypothese lautet, dass die „ethnographische Realität weniger in den verifizierbaren Behauptungen einer Reisebeschreibung als in den Veränderungen, die sie bei Forschern als vernunftbegabten menschlichen Wesen bewirkte“, erscheine (319). Die modernen Zivilisierten, die Afrika als primitive Wildnis imaginierten, entpuppten sich als diejenigen, die mit aggressiver Wildheit die imperialistische Expansion vorantrieben (223). Die „Forschungsreisen als Mythos“ zu entdecken, soll zu einem „kritischen Verständnis der Anthropologie“ von heute führen. Der Mythos von der rationalen wissenschaftlichen Forschung gibt seine eigene Gegengeschichte überraschend bereitwillig preis, die Irrationalität ist in zahlreichen Belegen gut dokumentiert. Da waren sie aus der Metropole in die Wildnis gereist, ausgestattet mit hehren Instruktionen und wissenschaftlichen Instrumenten, die dann entweder gar nicht funktionierten oder erst manipuliert werden mussten, um zu umso zweifelhafteren Ergebnissen zu führen. Ernsthafte wissenschaftliche Forschung, die einen längeren Aufenthalt erfordert hätte, war unter dem Zeitdruck, der von den Auftraggebern ausging, unmöglich zu leisten. Man konkurrierte mit den Vertretern anderer Nationen und geriet unter diesem Druck allein schon an den Rand des Wahnsinns. Dieses „Von-Sinnen-Sein“ ist eine nicht zu unterschätzende Dimension der wissenschaftlichen Produktion von Wissen über Andere, die sich von dieser nicht ablösen lässt. Ekstase und Wissenschaft lassen sich nicht einfach voneinander trennen, die eine muss nach Fabian geradewegs als „Möglichkeitsbedingung“ der anderen begriffen werden (362-367, 371).
Der Autor legt am Ende Wert auf die Feststellung, dass der widersprüchliche und wahnsinnige Charakter des von ihm beschriebenen Projekts der Erforschung Zentralafrikas nicht dazu herhalten darf, die Ethnographie und den Imperialismus aus der Affäre zu ziehen, indem man auf Unzurechnungsfähigkeit plädiert (372). Genau das geschah, als der „Tropenkoller“ (ein Term, den Fabian in seinen Quellen nicht gefunden hat, der aber das von ihm untersuchte Phänomen gut zum Ausdruck bringt, vgl. Anm. 3, S. 383f.), im kolonialistischen Diskurs des Deutschen Kaiserreichs zu den ‚Kinderkrankheiten‘ der imperialistischen Expansion stilisiert wurde. Lesern von Conrads Herz der Finsternis ist dieser irrsinnige Horror, der den imperialistischen Eindringling nach Afrika befällt, schon ein Begriff, das Umkippen der philanthropischen Mission in Exterminatorismus. Zu verweisen wäre an dieser Stelle flankierend auf das Buch des österreichischen Expressionisten Robert Müller aus dem Jahr 1915 mit dem Titel Tropen. Der Mythos der Reise. Handlungsort ist zwar Südamerika, aber auch hier wütet der Tropenkoller in einer Expedition, und die erklärte Absicht dieses literarischen Reiseberichts ist es, Auskunft zum Durchdrehen der Nerven im Dschungel zu geben. Dieses literarische Werk verfolgt damit auffällig ähnliche Ziele wie Fabians Meta-Anthropologie. Dieser betont die Ähnlichkeiten zwischen seinen Quellen und der Literatur, indem er sich bei der Analyse dann auch literaturwissenschaftlicher Methoden der Ausdifferenzierung von Gattungen bedient (cf. 321ff.). Eine Konsequenz könnte sein, die diskursiven Schranken zwischen ethnographischen und literarischen Texten einfach auch einmal ganz einzureißen und beide in eine komparative Betrachtung einzubeziehen.

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