L. Ansorg: Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR

Cover
Titel
Politische Häftlinge im Strafvollzug der DDR. Die Strafvollzugsanstalt Brandenburg


Autor(en)
Ansorg, Leonore
Reihe
Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten 15
Erschienen
Berlin 2005: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
411 S.
Preis
€ 21,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Weinke, Juristische Fakultät, Institut für Kriminalwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wenn es zutrifft, dass Gefängnisse immer auch Brennspiegel politischer und gesellschaftlicher Problemlagen sind, dann litt die DDR unter einem doppelten Verdrängungssyndrom. Denn die SED-Partei- und Staatsführung leugnete nicht nur jahrzehntelang die Existenz politischer Häftlinge in den DDR-Haftanstalten, sie stritt auch stets ab, dass es ein speziell auf diese Häftlingskategorie zugeschnittenes Haftregime gebe. Tatsächlich waren die Häftlingsgemeinschaften in DDR-Gefängnissen jedoch in zwei Klassen unterteilt – in die Kategorie „normaler“ Gefangener, die zumeist wegen krimineller Delikte einsaßen, und in die „politischen“ Gefangenen, die pauschal als „Staatsfeinde“ abqualifiziert wurden.

Wie Leonore Ansorg in der Einleitung ihres Buches zur Geschichte des politischen Strafvollzugs in der Haftanstalt Brandenburg-Görden hervorhebt, habe sich die DDR-Forschung seit Beginn der 1990er-Jahre vornehmlich auf die politische Strafjustiz und die Repressionspraktiken in den berüchtigten Untersuchungshaftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) konzentriert, während der „gewöhnliche Strafvollzug“ an politischen Gefangenen noch kaum systematisch untersucht worden sei. Diese etwas missverständliche, jedoch notwendige Differenzierung führt Ansorg ein, um die speziellen Haftbedingungen in der MfS-Sonderhaftanstalt Bautzen II von den in Gefängnissen des Ministeriums des Inneren (MdI) praktizierten Maßnahmen gegenüber „Politischen“ abzugrenzen. Des Weiteren diskutiert die Autorin ausführlich den Begriff des politischen Gefangenen unter den Bedingungen des DDR-Staatssozialismus. Sie knüpft damit an eine Debatte über die Einordnung von Widerstand und Opposition an, die in den letzten Jahren vor allem im Zusammenhang mit „Ausreiseantragstellern“ geführt wurde.1 Ansorg plädiert für einen breiten Verfolgungsbegriff, der nicht die individuelle Motivlage des von Verfolgung betroffenen DDR-Bürgers berücksichtigt, sondern die Beurteilung der Staatsgefährlichkeit durch die Herrschenden zur Grundlage nimmt. Begründet wird dies damit, dass Justiz und MfS vielfach Staatsgefährlichkeit unabhängig von der jeweiligen Motivlage unterstellt hätten, um bestimmte politische und ökonomische Interessen des SED-Staates durchzusetzen. Abgesehen davon, dass eine Ergründung individueller Motive ohnehin methodisch nicht sauber zu leisten wäre, scheint dieser Ansatz auch deshalb der sinnvollere zu sein, weil er dem umfassenden Lenkungs- und Verfügungsanspruch der SED-Diktatur Rechnung trägt. Allerdings ergeben sich daraus auch Folgeprobleme. Anders als im Bereich der Widerstandsforschung ist die Gefahr inflationärer Verwässerung zwar eher gering. Doch liegt eine gewisse Schwierigkeit darin, dass die DDR-Organe in den späteren Jahren objektiv oppositionelles Verhalten bewusst als „normale“ Kriminalität klassifiziert haben, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden. Aufgrund willkürlicher Kriminalisierungspraktiken des SED-Staates, die sich vor allem durch interne Steuerungsprobleme und fiskalische Begehrlichkeiten erklären, bleibt jeder Versuch einer Grenzziehung zwischen „normalen“ und „politischen“ Gefangenen unvollkommen bzw. unpräzise. Ansorgs Argumentation hätte noch stärker überzeugt, wenn sie dies deutlicher herausgearbeitet hätte.

Ausgangspunkt von Ansorgs gründlich recherchierter Studie zum Zuchthaus Brandenburg ist die Frage nach den Besonderheiten des MdI-Strafvollzugs gegenüber politischen Gefangenen. Ihre Grundthese, dass es bestimmte Spezifika im Umgang mit politischen Gefangenen gegeben habe, die sich am Beispiel Brandenburg-Görden in besonders anschaulicher Weise belegen lassen, verfolgt sie über drei verschiedene Epochen. Unabhängig von den häufig vorgenommenen Kurswechseln in der Strafvollzugspolitik zeichnete sich der MdI-Haftvollzug durch menschenrechtswidrige Haftbedingungen und diskriminatorische Praktiken aus. Während die Juristen der Deutschen Justizverwaltung, die nach 1945 zunächst die Oberhoheit über das Gefängniswesen übernommen hatten, noch einen humanen Strafvollzug mit dem Ziel der Resozialisierung befürworteten, setzte sich mit dem 1952 erfolgten Übergang an die Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei im DDR-Innenministerium ein Haftregime durch, das Härte, Sicherheit und Vergeltung in den Vordergrund stellte. Da politische Straftäter in der ideologischen Sichtweise der ostdeutschen Kommunisten grundsätzlich als die „gefährlichsten Verbrecher“ galten, richteten sich die Drangsalierungen zwar nicht ausschließlich, aber doch hauptsächlich gegen jene Gefangenengruppe. Obwohl gewalttätige Übergriffe durch das Strafvollzugspersonal mit fortschreitender Zeit abnahmen und die physische Ausbeutung der Häftlinge als Arbeitskräfteressource schließlich ganz zurückgeschraubt wurde, widersetzte sich das MdI ebenso erfolgreich wie das MfS allen unerwünschten „Liberalisierungstendenzen“. Seit der Übergabe des Zuchthauses Brandenburg an die Polizei, so Ansorgs Einschätzung, prägten „militärischer Drill, menschenverachtender Umgang mit den Gefangenen, Willkür und Schikane den Haftalltag“ (S. 16).

Trotz dieser Konstanten lassen sich für den über vierzigjährigen Untersuchungszeitraum allerdings auch charakteristische Veränderungen feststellen. So waren die 1950er-Jahre vor allem durch ein Übergewicht politischer Häftlinge geprägt. Wie Ansorg anhand zahlreicher Einzelschicksale nachweist, blieb die Gefangenenstruktur bis Mitte der 1950er-Jahre sehr heterogen. Neben einer Vielzahl von durch Sowjetische Militärtribunale (SMT) Verurteilten, darunter 1955 in die DDR überstellte „Schwerstkriegsverbrecher“2, saßen in Görden auch Verurteilte aus den Verfahren nach SMAD-Befehl Nr. 201, den Waldheimer Massenprozessen sowie Verurteilte nach Art. 6 ein. Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren wandelte sich die Zusammensetzung der Häftlingsgemeinschaft in spürbarer Weise. Mildere Urteile und Amnestien führten dazu, dass der Anteil politischer Häftlinge insgesamt deutlich zurückging. „Politische“ mit kürzeren Haftstrafen kamen zudem nicht mehr nach Brandenburg, sondern wurden auf andere Gefängnisse verteilt. Dadurch entwickelte sich Görden vor allem zu einem Haftort für langjährig einsitzende politische Häftlinge. Gleichzeitig wurden zunehmend Kriminelle eingewiesen. Auch psychisch auffällige Häftlinge konzentrierten sich verstärkt in Brandenburg. Anfang der 1970er-Jahre stellten politische Gefangene nur noch 15 Prozent der Gesamtinsassen. Darunter befanden sich auch zahlreiche Bürger aus der Bundesrepublik, die wegen Verletzung des Transitabkommens verurteilt worden waren. Die Wandlung zum „Schwerverbrecherknast“ war mit gravierenden Folgen für die „Politischen“ verbunden. Insbesondere das erzwungene Zusammenleben mit Mördern, Sexualstraftätern und anderen Gewalttätern, noch dazu auf engstem Raum, machte den Aufenthalt im Zuchthaus Görden zu einer Qual. Da das Stafvollzugspersonal deren fast täglich erfolgende Übergriffe auf „Politische“ nicht nur duldete, sondern als „ordnungsschaffende Maßnahme“ geradezu billigte, bildete sich eine Hierarchie innerhalb der Häftlingsgemeinschaft heraus, die zu Lasten der politischen Gefangenen ging. Ansorg bezeichnet die Zusammenlegung von kriminellen Straftätern und politischen Häftlingen als „schikanöses Element“ des politischen Strafvollzugs in der DDR (S. 329). Angesichts der Tatsache, dass diese Vorgehensweise offenbar ein grundsätzliches Merkmal des politischen Strafvollzugs in der späten DDR darstellte, das in Brandenburg lediglich eine Zuspitzung erfuhr, bliebe aber noch genauer zu klären, inwieweit es sich hier um einen bewusst herbeigeführten Zustand oder um eine nicht antizipierte Begleiterscheinung von strukturellen Problemen in der DDR-Strafvollzugspraxis handelte.

Anderthalb Jahrzehnte nach Ende der DDR ist Leonore Ansorgs flüssig geschriebene Darstellung zur Geschichte des Zuchthauses Brandenburg-Görden der erste wissenschaftlich fundierte Gesamtüberblick zur Entwicklung des politischen Strafvollzugs in der DDR. Allein dieser Sachverhalt macht deutlich, dass die oft beschworene Gefahr einer „Überforschung“ der SBZ/DDR-Geschichte überzeichnet ist. Auch wenn viele interessante Themen und Fragestellungen nur angeschnitten werden können, stellt die Arbeit eine unverzichtbare Grundlage für künftige Forschungen dar.

Anmerkungen:
1 Raschka, Johannes, Die Ausreisebewegung. Eine Form von Widerstand gegen das SED-Regime?, in: Baumann, Ulrich; Kury, Helmut (Hgg.), Politisch motivierte Verfolgung. Opfer von SED-Unrecht, Freiburg im Breisgau 1998, S. 257-274; kritisch dazu Eisenfeld, Bernd, Die Ausreisebewegung. Eine Erscheinungsform widerständigen Verhaltens, in: Poppe, Ulrike; Eckert, Rainer; Kowalczuk, Ilko-Sascha (Hgg.), Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung. Formen des Widerstandes und der Opposition in der DDR, Berlin 1995, S. 192-223.
2 Vgl. Schmidt, Ute, Spätheimkehrer oder „Schwerstkriegsverbrecher“? Die Gruppe der 749 „Nichtamnestierten“, in: Hilger, Andreas u.a. (Hgg.), Sowjetische Militärtribunale, Band 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945 bis 1955, Köln 2003, S. 273-350.

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