K. Moser (Hrsg.):Besetzte Bilder, Film, Kultur und Propaganda

Titel
Besetzte Bilder, Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945-1955.


Herausgeber
Moser, Karin
Erschienen
Anzahl Seiten
584 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barbara Wurm, Graduierten Kolleg, Humboldt-Universität zu Berlin

Mittlerweile kann keine informierte Mentalitäts- oder Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts auf den Bezug zu den bewegten Bildern verzichten. Dies gilt umso mehr für ein (geo-)politisch so komplexes Gebilde wie Österreich zwischen 1945 und 1955, ein Zeitraum, der im spionageverdächtigen Kanalisationssystem von Wien („The Third Man“, GB 1949, Carol Reed) oder in der Militärpatrouille der „Vier im Jeep“ (CH 1951, Leopold Lindtberg) prägende „Bildikonen“ gefunden hat. Aufgeteilt unter den vier alliierten Besatzungsmächten, musste sich der neue Staat zudem auf der Basis divergierender historischer Traditionslinien wie Monarchie, Demokratie, autoritärer Herrschaft und NS-Diktatur herausbilden. Wer dazu forscht und schreibt, ohne weder das immer dichter werdende historische Detailwissen noch methodologische Grundsatzfragen unberücksichtigt zu lassen, muss sich dem Verhältnis Film/Historie von verschiedenen Seiten widmen. Das Filmarchiv Austria stellt sich dieser Aufgabe seit geraumer Zeit – mit Retrospektiven und Konferenzen, dem monatlichen Programmheft „filmarchiv“ sowie einer umtriebigen Publikationstätigkeit.

Die filmhistorische Aufarbeitung der unmittelbaren Nachkriegszeit Österreichs kann allerdings kaum als unbearbeitetes Feld gelten: Bereits 1997 legten Elisabeth Büttner und Christian Dewald eine bahnbrechende Studie vor, bei der zwar klar die Filme selbst im Mittelpunkt stehen, die es neben profunder archäologischer Arbeit am Material aber nie versäumt, den politischen und ästhetischen Kontext in einem weiteren, medien- und kulturwissenschaftlich orientierten Horizont zu berücksichtigen.1 „Besetzte Bilder“, herausgegeben von der Filmhistorikerin Karin Moser, verschreibt sich nun komplementär dazu dezidiert einer eher zeithistorischen Perspektive und versucht durch eine streng-kaskadenartige (phasenweise etwas schematisch wirkende) fünfteilige Gliederung dem Verhältnis von (Kultur-)Politik und Kino in seiner gesamten Breite auf die Spur zu kommen.

Ein allgemeiner historischer Überblick zur österreichischen Besatzungszeit (S. 11-34) leitet über zur Beschreibung der „Strukturen der Kultur- und Propagandapolitik“ (S. 35-154), wie sie sich aus der Perspektive der Besatzungsmächte sowie aus österreichischer Sicht darstellen. Für die hier versammelten fünf Beiträge konnte Moser Verfasser/innen gewinnen, die, wie Wolfgang Müller im Fall der sowjetischen oder Barbara Porpaczy für die französische Kulturpolitik, auf eigene langjährige Recherchen zurückgreifen konnten. Darüber hinaus stellen einschlägige Arbeiten von Oliver Rathkolb 2 sowie Reinhold Wagnleitners Standardwerk zur österreichischen Nachkriegs-Kulturpolitik 3 zentrale Referenzpunkte fast aller Texte dar. Die folgenden Kapitel widmen sich der „österreichischen Filmproduktionen zwischen Tradition und Innovation, zwischen Selbstdarstellung und Selbstfindung“ (S. 155-282), sowie den „Österreichprojektionen“ der Alliierten (S. 283-492), die sich in so unterschiedlichen Filmen manifestierten wie US-amerikanischen Musikfilm-Klassikern, „Atrocity“-Filmen über die Konzentrationslager, Marshallplan-Propagandafilmen oder kuriosen, in den sowjetisch verwalteten Wiener Rosenhügelstudios entstandenen Ideologie-Entertainment-Hybriden. Der abschließende Themenblock konzentriert sich schließlich auf die Wochenschau-Produktion und fragt nach dem Potenzial dieses Genres für die Herausbildung eines kollektiven Bildgedächtnisses (S. 493-561).

Aus konzeptionellen Gründen ist es schade, dass die Herausgeberin ihre enorme Sachkenntnis und ihren Überblick über das Themenfeld nicht in einen längeren Einleitungstext verpackt hat. Denn die insgesamt 23 Aufsätze nehmen nur selten wirklich aufeinander Bezug und wirken dennoch als Ganzes stellenweise redundant. Zwei Themen dominieren: Zum einen das Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit, das in den Filmen zum Ausdruck kommt, unthematisiert bleibt oder von anderen Narrativen – „erstes Opfer“, „endlich Freiheit“, „Heimkehrer-Schicksale“ – überschrieben wird; zum anderen die Verortung der jeweiligen Propaganda-Strategien der alliierten Mächte innerhalb der instabilen Szenerien des Kalten Kriegs. Nur selten finden diese beiden Stränge zueinander – so in Heidemarie Uhls kulturwissenschaftlich äußerst instruktiver visual-history-Lektüre der „Austria Wochenschau“ als „performatives Format“ (S. 499). Jenseits einiger weniger mythenbildender Ikonen des kollektiven Österreich-Gedächtnisses, wie der Unterzeichnung des Staatsvertrags am 15.5.1955 oder des „Triumphzugs“ der Riesenglocke „Pummerin“ in den renovierten Wiener Stephansdom, sind es nach Uhl meist ephemere, kontingente Ereignisse, die Eingang in die Wochenschau gefunden haben und die dieses Genre eher zu einem Speicher im Sinne des historischen Archivs als zu einem aktiven, auf Aktualität bezogenen Gedächtnisort machen. Was daher aus der konkreten Auswahl der Beiträge ablesbar wird, ist eine sorgsam zwischen den Verpflichtungen gegenüber den Besatzungsmächten und der neuen Regierung vermittelnde und unterhaltende Rhetorik des neuen Patriotismus und – im direkten Anschluss an den Ständestaat-Vorläufer „Österreich in Bild und Ton“ – der katholisch-konservativen Werte.

Ähnliches gilt auch für die alliierten Wochenschauen: So zeigt Vrääth Öhner in einer schlüssigen, auf Foucaults Gouvernementalitäts-Konzept basierenden Interpretation, dass mit den Prinzipien des „Neuen, Nötigen, Nützlichen“ (S. 513) eine interventionistische Wirtschaftspolitik zum impliziten Leitmotiv auch der britisch-amerikanischen Wochenschau wurde. Sie zeichnete sich ferner dadurch aus, dass auf explizite Propagierung des Antifaschismus bald nach Kriegsende ebenso verzichtet wurde wie – was überraschender sein dürfte – auf direkte antikommunistische Statements. Vielmehr setzte man auf eine positive Selbstdarstellung und eine Streuung häufig beliebig wirkender Inhalte, was die suggestive Annäherung der Interessen der Westmächte und jener der österreichischen Bevölkerung beförderte. Frankreich, das zumindest bis 1947 radikal an einer Entnazifizierung Österreichs arbeitete, zeigte später ebenfalls wenig Interesse an einer Politik der Umerziehung und setzte neben der allgemeinen Tendenz [„französisch, exotisch-kolonial und etwas elitär“ (S. 547)] auf Verbrüderung, sowohl mit der Bevölkerung, als auch mit den anderen Alliierten – wie Karin Moser ausführt. Sie ist es auch, die schließlich die Strategien der bisher weitgehend unerforschten sowjetischen Wochenschau mit den Etiketten „Gegenwelten“ (S. 532) und „Bildbruch“ (S. 543) versieht.

Auch im umfangreichsten Kapitel des Bandes, das sich der Österreich-Politik nicht-österreichischer Filmproduktionen widmet, seien zwei besonders lesenswerte Texte kurz skizziert: Julia Köstenberger rekonstruiert minutiös die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der in der Forschung weitgehend unbeachteten amerikanischen Musikfilm-Produktion „The Great Waltz“ (USA 1938, Julien Duvivier), die als Bol’šoj val’s nicht nur die Herzen der Sowjetbürger, sondern auch jenes Stalins erobert hatte. 1940, in einer Zeit, die Kulturimporten gegenüber alles andere als aufgeschlossen war, avancierte das Biopic über den Walzerkönig Johann Strauß (hier volksnaher Revolutionär) zu einem absoluten Hit. Und die darin transportierten Österreichbilder wirkten auch während der Befreiung Wiens im April 1945 nach: Sie wurde von zahlreichen Soldaten als Spaziergang durch den Wienerwald imaginiert – zumindest im Befreiungs-Dokumentarfilm „Vena“ (Wien, SU 1945) von Jakov Posel’skij.

Sowohl hinsichtlich des recherchierten Materials als auch in Bezug auf seine detaillierte und medientheoretisch informierte Analyse sticht Ramón Reicherts Untersuchung der so genannten Marshallplan-Filme hervor. „Realpolitisches“ und filmhistorisches Spezialwissen verbindet sich hier auf bewundernswerte Weise mit den tools des Kulturwissenschaftlers. Dies zeigt sich etwa im Hinblick auf intermediale Aspekte der Kulturfilme, die am Beispiel des Zwischentitel-Einsatzes diskutiert werden, und an der Analyse der visuellen Sichtbarmachung bestimmter Narrative. Schließlich arbeitet Reichert überzeugend die eklatante männliche Signatur des filmisch propagierten Marshallplanes heraus, der im Zuge der Rationalisierungsdevise Frauen einen konkreten geschlechtsspezifisch konnotierten Status zuwies (häuslich und auf Reproduktion „spezialisiert“).

Die hier vorexerzierte Fähigkeit zur Formulierung präziser Thesen, die sich tatsächlich aus dem analysierten Filmmaterial herausarbeiten lassen, fehlt leider in vielen der übrigen Beiträge. Nicht selten bleiben sie auf der Ebene der filmpolitischen Rahmenbedingungen, ohne jedoch die Wirkmacht der Filmbilder selbst zu reflektieren. Wo Witz und Esprit im Umgang mit (Trash-)Kult-Ikonen der österreichischen Spielfilmgeschichte angebracht wäre, wird mehr oder weniger Bekanntes kompiliert – wie im Fall der genialen Produktionen der sowjetisch verwalteten Rosenhügelstudios, in denen sich die Verbindung von kommunistischer Solidaritätsbekundung und Unterhaltungsindustrie schon mal als Streik im Arbeitersynchronschwimmclub manifestiert („Seesterne“, 1952, Johannes Alexander Hübler-Kahla). Und da, wo Neues zur Trapp-Familien-Kult-Saga „The Sound of Music“ zu erwarten wäre, trifft man auf vorsichtiges Kokettieren mit filmwissenschaftlichem savoir écrire, das dann doch oft einer positivistischen und wenig pointierten Wissenschaftsprosa weicht.

Zwei forschungsstrategische Richtungen scheinen für den Sammelband insgesamt prägend: Auf der einen Seite eine referierend-deskriptive Aufarbeitung von bisher unbearbeitetem Archivmaterial, andererseits die Revision durchaus bekannter Dokumente unter methodisch relevanten Fragestellungen. Die Verbindung von beidem, also theoriegeleitete Detail-Ausgrabungen, sind sicher besonders wünschenswert. In einigen Texten wird man hier durchaus belohnt, wie beispielsweise in Ines Steiners ausführlicher und gut lesbarer Neusichtung des österreichischen Nachkriegsspielfilms als mentalitätsgeschichtliches Selbstbildnis. Hier bleiben die zahlreichen Vergrößerungen aus den behandelten Filmen (die den Band insgesamt zu einem wertvollen Raritäten-Bildspeicher machen) nicht bloße Illustration, sondern verweisen über den politischen, institutionsgeschichtlichen und narrativen Rahmen hinaus auf jene Macht- und Gedächtnispolitik, die aus dem Potenzial der Bilder und der Filme entspringt. Wer weiter an der Filmgeschichte Österreichs schreiben will, sollte „Besetzte Bilder“ auf jeden Fall zur Hand nehmen.

1 Büttner, Elisabeth; Dewald, Christian, Anschluß an Morgen. Eine Geschichte des österreichischen Films von 1945 bis zur Gegenwart, Salzburg 1997.
2 Rathkolb, Oliver, Politische Propaganda der amerikanischen Besatzungsmacht in Österreich 1945-1950. Ein Beitrag zur Geschichte des Kalten Krieges in der Presse-, Kultur- und Rundfunkpolitik, Dissertation, Wien 1981.
3 Wagnleiter, Reinhold, Cola-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg, Wien 1991.

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