K. Steiner: Ortsempfänger, Volksfernseher und Optaphon

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Titel
Ortsempfänger, Volksfernseher und Optaphon. Die Entwicklung der deutschen Radio- und Fernsehindustrie und das Unternehmen Loewe, 1923-1962


Autor(en)
Steiner, Kilian J. L.
Erschienen
Anzahl Seiten
381 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Florian Triebel, Konzernarchiv, BMW Group Mobile Tradition

Bis auf einige wenige Ausnahmen liegen bislang keine unternehmenshistorischen Arbeiten über deutsche Firmen jüdischen Eigentums im 20. Jahrhundert vor. Ein Grund hierfür ist sicherlich die gewaltsame Unterbrechung jüdischen Lebens und Arbeitens in Deutschland durch den Nationalsozialismus. Die Ausgrenzung jüdischer Unternehmen nach 1933 bis hin zu den „Arisierungen“ seit 1938 scheinen hier eine nachhaltige Wirkung zu zeitigen.

Die hier anzuzeigende Dissertation Kilian Steiners trägt dazu bei, diese Lücke zu schließen. Mit dem Unternehmen der Brüder Loewe untersucht er eine Firma, die seit den 1920er-Jahren für die Entwicklung der Unterhaltungsindustrie in Deutschland mitbestimmend war. Konsequent ist daher, dass Steiner nicht nur die Unternehmensgeschichte im engeren Sinne betrachtet, sondern den Auf- und Ausbau der Rundfunk- und Fernsehwirtschaft in Deutschland gleich gewichtet einbezieht. Zudem kann er anhand seines Beispiels nicht nur die Zwangslagen jüdischer Unternehmer im Nationalsozialismus beleuchten, die schließlich in Enteignung und physischer Verfolgung endeten, sondern auch die Bemühungen der emigrierten Eigentümer nach 1945 ihre Firma zurückzuerhalten und wieder am Wirtschaftsleben in Deutschland teilzunehmen. Die Arbeit verfolgt die Branchen- und Unternehmensgeschichte bis Mitte der 1960er-Jahre, als das Unternehmen nach dem Tod des Gründers Siegmund Loewe an den niederländischen Philips-Konzern verkauft wurde.

Als theoretische Grundlage für seine Untersuchung verwendet Steiner das in der deutschen Historiografie bislang noch wenig verbreitete Konzept der „learning base“. Es versteht das in einer Organisation gespeicherte Wissen als Basis für das Handeln der Akteure. Im Fall eines Unternehmens reicht dies von wissenschaftlicher Grundlagenforschung über produktbezogenes Anwendungswissen in Entwicklung, Produktion und Marketing bis hin zu koordinativen und strategischen Kenntnissen in der Unternehmensführung. Ein Teil dieser „learning base“ ist firmenspezifisch und in einzelnen Personen des Unternehmens „gespeichert“, somit nur partiell übertragbar. Gerade für das forschungsintensive Unternehmen Loewe bietet das Konzept für die Untersuchung einen passenden theoretischen Rahmen: Denn Loewe entwickelte sich aus einem rundfunktechnischen Speziallabor zu einem Kernunternehmen der deutschen Unterhaltungsindustrie. Durch die gewaltsamen Eingriffe des nationalsozialistischen Regimes in den 1930er-Jahren hatte es abrupte und nicht voraussehbare personelle Einschnitte zu erleiden, die einen empfindlichen Verlust an technischem und unternehmerischem Wissen mit sich brachten.

Steiner teilt seine Untersuchung in drei Teile, die den politischen Zäsuren folgen: Zunächst widmet er sich dem Aufbau der deutschen Unterhaltungsindustrie und der Firma Loewe während der Weimarer Republik. Im zweiten Teil werden die Geschehnisse während des „Dritten Reiches“ und zuletzt der Wiederaufbau der Rundfunk- und Fernsehindustrie und des Unternehmens Loewe im Nachkriegsdeutschland betrachtet. Diese Aufteilung erscheint sinnvoll, da sich mit den Änderungen des politischen Regimes auch jeweils grundlegende Änderungen in den Rahmenbedingungen unternehmerischen Handels ergeben haben. In jedem Kapitel betrachtet Steiner jeweils in einem ersten Schritt ausführlich die Branchenentwicklung und darauf folgend die Geschicke der Firma Loewe. Hervorzuheben sind die für den Leser nützlichen kurzen Resümees am Ende jedes der drei Kapitel, die die verfolgten Entwicklungen noch einmal zusammenfassen und auf das theoretische Konzept beziehen.

Als Quellengrundlage stand Steiner kein umfassender und systematisch geordneter Bestand an Akten und Dokumenten des Unternehmens Loewe zur Verfügung. Die überlieferten firmeneigenen Unterlagen konnten aber durch Komplementärüberlieferungen des Staates und der Kooperationspartner und Konkurrenzfirmen zu einer zwar heterogenen, aber dennoch breiten und tragfähigen Quellenbasis ausgebaut werden. Hierdurch konnte auch das Fundament für die grundlegende Darstellung der Branchenentwicklung gewonnen werden.

In den ersten Jahren der Weimarer Republik erlebte die während des Ersten Weltkriegs von den Militärs beider Seiten erfolgreich eingesetzte Funktechnik einen wirtschaftlichen Boom. Ausgehend von der Entwicklung in den USA machten sich eine Reihe deutscher Pionierunternehmen daran, die Technologie marktfähig zu entwickeln. Dabei gelang es der Telefunken GmbH durch ein Geflecht internationaler Patentabkommen eine mächtige Vorreiterrolle in Deutschland aufzubauen und zu behaupten. Nur über eine Zwangsmitgliedschaft im Branchenverband VDFI konnten Unternehmen über Bauerlaubnisverträge an der Auswertung des von Telefunken dominierten Patent-Pools teilhaben. Neben seiner Teilhabe am VDFI gelang es Siegmund Loewe und seinen Ingenieuren jedoch, Schlüsselinnovationen auf den Markt zu bringen und dadurch technologische und wirtschaftliche Impulse zu setzen. So konnte Loewe beispielsweise auf Basis einer neu entwickelten Mehrfachröhre 1925/26 erstmals ein äußerst preisgünstiges „Volks-Gerät“ platzieren, das den kartellierten Markt in den folgenden Jahren deutlich in Bewegung brachte. Der Entwicklungsvorteil im Rundfunksektor wurde bei Loewe jedoch Ende der 1920er-Jahre zugunsten eines starken Engagements in der neuen Fernsehtechnologie aufgegeben. Hierdurch verlor Loewe zwar kurzfristig Marktanteile bei den Rundfunkgeräten, sicherte sich jedoch wiederum die Teilhabe am langfristig lukrativen Markt des Fernsehsektors.

Wie sich zeigen sollte, zahlte sich diese Entscheidung zunächst auch unter den neuen politischen Rahmenbedingungen nach dem 30. Januar 1933 aus. Die technologische Führungsstellung der Loewe-Laboratorien in der Fernsehtechnologie sicherte dem Unternehmen trotz aller rassepolitischer Eingriffe und Behinderungen eine gewisse Protektion durch Teile des Regimes. Schließlich wurde im Frühjahr 1938 dennoch eine „Arisierung“ des Unternehmens eingeleitet, was die Emigration der Eigentümer und wichtiger Wissensträger des Unternehmens zur Folge hatte. In den folgenden Jahren entwickelte sich das Unternehmen zu einem rüstungswichtigen Zulieferer für die Luftfahrtindustrie, das unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft auch Zwangsarbeiter einsetzte.

In der Nachkriegszeit gelang es Siegmund Loewe, das Eigentum über das Unternehmen Loewe zurück zu erlangen und von den Standorten Berlin, Kronach und Düsseldorf aus am Geschehen auf dem Rundfunk- und Fernsehmarkt teilzuhaben. Während dies zunächst gelang, stellte sich bald heraus, dass auf der Entwicklungsseite der Anschluss an die neue Halbleitertechnologie nicht mehr zu halten war. Im zunehmenden Konzentrationsprozess der Unterhaltungsindustrie verkaufte die Familie nach dem Tod Siegmund Loewes das Unternehmen an den Philips-Konzern.

Steiner gelingt es in seiner Untersuchung, neben den unternehmenshistorischen Aspekten auch die grundlegenden Zusammenhänge der Rundfunk- und Fernsehtechnik allgemeinverständlich darzustellen. Das die Untersuchung leitende Konzept der „learning base“ beleuchtet am Beispiel des Unternehmens Loewe die Bedeutung von Wissen für die Weiterentwicklung von Organisationen, die Konsequenzen beim Verlust dieses Wissens sowie die Vorteile, die sich Unternehmen durch den zielgerichteten Einsatz firmeninterner Kenntnisse sichern können.

Dennoch wäre es unter Umständen vorteilhafter gewesen, die Geschicke der Firma Loewe in die Darstellung der jeweiligen Branchenentwicklung zu integrieren. Die gewählte Gliederung zwingt Steiner oftmals zu Sprüngen und Verweisen. Zudem geraten hierdurch einige Zusammenhänge ins Hintertreffen. Dies wird jedoch teilweise durch die Zusammenfassungen am Ende der Kapitel ausgeglichen. Sehr nützlich wäre es überdies gewesen, das Sachregister um Einträge zu Personen und Firmen zu ergänzen.

Diese Kritikpunkte schmälern jedoch den Wert der vorliegenden Arbeit nur unwesentlich. Steiner ist es gelungen, eine ausgezeichnet lesbare historische Darstellung der deutschen Unterhaltungsindustrie und des Unternehmens Loewe vorzulegen.

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