M. Buss: Intellektuelles Selbstverständnis und Totalitarismus

Cover
Titel
Intellektuelles Selbstverständnis und Totalitarismus. Denis de Rougemont und Max Rychner – zwei Europäer der Zwischenkriegszeit


Autor(en)
Buss, Maike
Reihe
Dialoghi/Dialogues 8
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 42,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roger Sidler, Redaktion "Historisches Lexikon der Schweiz", Bern

Die bei Dirk Hoeges (Hannover) eingereichte Dissertation beschäftigt sich mit den zwei Schweizer Rechtsintellektuellen Denis de Rougemont und Max Rychner. Sie will zeigen, wie sich die zwei Geistesarbeiter angesichts der Bedrohung der Demokratie und Menschenrechte durch den Totalitarismus verhielten und welches intellektuelle Selbstverständnis sie dabei ausbildeten. Was die beiden Schweizer für die Untersuchung interessant macht, ist ihre europäische Gesinnung. Während de Rougemont sich nach Frankreich orientierte und sich in die französischen Debatten (etwa mit Julien Benda) einmischte, wandte sich Rychner Deutschland zu und nahm u.a. gegen Alfred Döblin und Karl Mannheim Stellung. Im Zentrum stehen denn auch nicht die Ausführungen der beiden zur Schweiz, sondern ihre Auseinandersetzung mit dem Kommunismus und Nationalsozialismus. Warum sich aber ausgerechnet die beiden Schweizer, die gemessen an ihrer Bedeutung und ihrem Bekanntheitsgrad der zweiten Reihe der europäischen Intellektuellen zuzuordnen sind, für die allgemein gehaltene Fragestellung eignen, lässt Maike Buss offen. Zwar geraten wichtige Elemente der französischen und deutschen Intellektuellendebatte in den Blickpunkt der Untersuchung, aber letztlich erschöpft sich der Erkenntnisgewinn ihrer Studie in der Darstellung zweier rechtsintellektueller Positionen. Auch der nahe liegende Vergleich der Protagonisten hilft da nicht weiter.

Materiell fusst die Untersuchung in erster Linie auf der Publizistik von de Rougemont und Rychner, aber auch auf persönlichen Dokumenten aus den jeweiligen Nachlässen. Bei der Definition, was unter einem Intellektuellen zu verstehen sei, hält sich Buss an die französische Geschichtsschreibung (Jean-François Sirinelli), wobei sie Pierre Bourdieus Überlegungen zum Thema als zu soziologisch erachtet und verwirft. Bezüglich der Totalitarismusdebatte greift sie hauptsächlich auf Hans Meiers Arbeiten zurück. Über die Herkunft, Ausbildung und berufliche Laufbahn von Rychner und de Rougemont erfährt man wenig. Diese Anlage zieht unweigerlich das Problem nach sich, dass den dargestellten Kontroversen der Praxisbezug fehlt. Es handelt sich um eine Ideen- oder Geistesgeschichte ohne Rückkoppelung an die damaligen politischen und sozialen Verhältnisse, aus der heraus die thematisierten gesellschaftspolitischen Vorstellungen erst möglich wurden. Natürlich versucht Buss den historischen Kontext in groben Strichen zu skizzieren und wir erfahren auch einiges über das personelle Beziehungsnetz von Rychner und de Rougemont, aber wie dieses Panorama auf die konkreten Stellungnahmen der beiden einwirkt, bleibt ungeklärt.

Gegenüber dem Kommunismus und der marxistischen Ideologie grenzten sich Rychner und de Rougemont klar ab. Ihrem Antikommunismus blieben sie auch im Kalten Krieg treu. Bezüglich des Nationalsozialismus gelangten sie ebenfalls zu einem negativen Urteil, allerdings mit schwachen Argumenten, wie es Buss formuliert. Rychner verkörpert einen Intellektuellen, der mehr an Goethes Werk und der klassischen Antike interessiert war als an den politischen Debatten in Deutschland, über die er zwischen 1933 und 1937 als Sonderkorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ berichtete. Er war ein Kulturaristokrat, dem das Geschäft der Politik zuwider war und der sich dem literarischen Erbe des Abendlandes verpflichtet fühlte. Zwar wollte er von Beginn nichts von der nationalsozialistischen Kulturbarbarei, wie er es nannte, wissen, aber seine betont sachlichen, gemäßigt kritischen Artikel aus Deutschland verharmlosten die dortigen Zustände und schätzten die Folgen für Deutschland und Europa falsch ein. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus bekannte sich Rychner zur Freiheit und zu den liberalen Grundsätzen, im Grunde genommen ist er aber, wie Buss zu Recht schreibt, ein Kulturbewahrer mit konservativem Einschlag.

Der Protestant de Rougemont verwarf die totalitären Ideologien, weil er sie als Ersatzreligionen begriff und in deren totalen Anspruch auf den Menschen einen Angriff gegen Gott sah. Der Personalist und engagierte Intellektuelle de Rougemont hingegen fühlte sich in seinem revolutionären, antibürgerlichen, antikapitalistischen und antiliberalen Affekt von gleichgelagerten Erneuerungsbewegungen auf der Rechten wie dem Faschismus und Nationalsozialismus anfänglich angezogen. Diese ambivalente Haltung zeigt sich in seinem 1938 veröffentlichten „Journal d’Allemagne“, in dem er über seinen Aufenthalt in Deutschland von 1935/36 schrieb. Zwar äußerte er sich auch kritisch zum NS-Regime, aber in seinem Bemühen, die Vorgänge in Deutschland zu verstehen, ohne zu urteilen, mischten sich immer wieder beschönigende und verharmlosende Beobachtungen. Über die Opfer des Regimes, die brutalen Repressionen oder die Unterdrückung der Juden erfährt man so gut wie nichts. Es war letztlich de Rougemonts Bewunderung für Karl Barth und die „Bekennende Kirche“ in Deutschland, die ihn früher als andere aus den Reihen der reaktionären Avantgarde die Gefahren, die vom NS-Regime ausgingen, erkennen ließen. Spätestens mit dem Kriegsausbruch distanzierte er sich in aller Deutlichkeit vom Nationalsozialismus.

Hätten sich Rychner und de Rougemont, so lautet die Hauptthese von Maike Buss, in ihrer Einschätzung des Nationalsozialismus auf die Menschenrechte und die Würde des Menschen bezogen, hätten sie einen weit solideren Kriterienkatalog zur Verfügung gehabt, der es ihnen erlaubt hätte, die nationalsozialistische Ideologie und Praxis dezidiert zu verwerfen. Aber ihr rechtskonservatives Weltbild, ihr Antimodernismus und ihre elitäre Haltung ließen einen solchen normativen Bezug nicht zu. Immer dann wenn Buss die Stellungnahmen ihrer Protagonisten an diesen Werten misst, gewinnen ihre Aussagen an analytischer Schärfe. Nur schade, dass sie allzu oft ihre kritische Auseinandersetzung in den Fussnoten führt und nicht im Haupttext.

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