L. Weinrich (Hg.): Quellen zur Reichsreform

Titel
Quellen zur Reichsreform im Spätmittelalter.


Herausgeber
Weinrich, Lorenz
Reihe
Freiherr vom Stein - Gedächtnisausgabe A 39
Erschienen
Anzahl Seiten
520 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Annas, Forschungsstelle Reichstagsakten, Köln

Beginnen wir zunächst mit einem Begriff – und seiner Problematik: Bereits verschiedentlich war in der verfassungshistorischen Forschung auf die Schwierigkeiten hingewiesen worden, die mit der Verwendung des Begriffs einer spätmittelalterlichen ‘Reichsreform’ verbunden sind. Obgleich allgemein als übergreifende (Sammel-)Bezeichnung für z.T. divergierende verfassungspolitische Bestrebungen des späten Mittelalters eingebürgert, sollte das moderne sprachliche Pendant zum mittelalterlichen Begriff der ‘sacri imperii reformatio’ insgesamt nur – so Peter Moraw – „mit Zurückhaltung gebraucht werden. Er [d.h. der Begriff der ‘Reichsreform’, G.A.] ist problematisch, weil er einesteils im heutigen Wortsinn zu weit und zu hoch greift, anderenteils inhaltlich zu eng ist und bestimmte einseitige Perspektiven schafft. Jenes gilt um so mehr, als sich die Quellenlage nach wie vor als eher ungünstig darstellt, so daß auch das Urteil stark vom Gesamtverständnis des Zeitalters abhängig bleibt” 1. Entsprechend dem mittelalterlichen Wortsinn des Verbs ‘re-formare’ war das zeitgenössische, von einem konservativen Grundzug bestimmte Reformdenken vor allem restaurativ auf die (vermeintliche) Wiederherstellung bzw. Erneuerung einer als richtig (an)erkannten älteren Ordnung ausgerichtet. Nicht die – im modernen Sinne – reformierende Veränderung von Gesellschaft und Verfassung, sondern die Behebung verfassungspolitischer Missbräuche bzw. Missstände, hier namentlich in den Bereichen der Landfriedenswahrung (einschließlich der Gerichtsorganisation) und des Finanzwesens sowie der ‘Reichskriegsverfassung’, standen im Mittelpunkt der ausgedehnten Bemühungen um eine ‘Reform’ des spätmittelalterlichen Reichs, die in literarischen Reformtraktaten ebenso wie in der aktenmäßigen Überlieferung thematisiert wurde. Ungeachtet dieser im eigentlichen Sinne konservativ-reformerischen Zielvorstellungen hat der konkrete Geschehenszusammenhang ‘Reichsreform’ jedoch zu weitreichenden Wandlungen der politisch-institutionellen Ordnung geführt, die am Übergang zur frühneuzeitlichen Staatlichkeit des Alten Reichs standen.

Entsprechend den jeweils dominierenden verfassungshistorischen Paradigmen, aber auch in Abhängigkeit von je individuellen Interpretationsansätzen hat die mit dem Begriff der ‘Reichsreform’ verbundene Verfassungsbewegung eine durchaus unterschiedliche historiographische Beurteilung bzw. Einordnung erfahren: Ausgehend von einem anstaltsstaatlich-obrigkeitlich orientierten Denkmodell hatte noch die ältere verfassungshistorische Forschung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts die Reformbestrebungen des späten Mittelalters unter den negativen Vorzeichen eines im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten gescheiterten Verstaatungs- und Modernisierungsprozesses betrachtet, der zu einer entscheidenden innen- und außenpolitischen Schwächung des Alten Reichs beigetragen habe 2. Jüngere Interpretationsansätze – zu verweisen ist in diesem Zusammenhang vor allem auf die Untersuchungen Heinz Angermeiers, Dietmar Willoweits und Peter Moraws – sind demgegenüber wesentlich von dem Bemühen bestimmt, die diskursiv profilierten Reformbemühungen des ausgehenden Mittelalters in den größeren Kontext einer ‘Konsolidierung’ (Heinz Angermeier) bzw. ‘Umgestaltung’ (Peter Moraw) der mittelalterlichen Reichsverfassung einzuordnen. Die betreffenden Reformbestrebungen wesentlich aus dem „Problem eines doppelten bzw. wechselseitigen Mißverhältnisses von Recht und Macht bei Königen und Ständen” 3 erklärend, hat Heinz Angermeier die ‘Reichsreform’ des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts in diesem Sinne als eine (macht)politisch motivierte Konfrontation zweier Reformbewegungen beschrieben, einer vom Königtum ausgehenden einerseits und einer von den ‘Reichsständen’ getragenen andererseits, die mit der Schaffung entsprechender verfassungsrechtlicher Institutionen zugleich zu einer Neubestimmung der krisenhaft gestörten Rechtsbeziehungen zwischen Reichsoberhaupt und ‘Reichsständen’ zu gelangen suchten. Von einem „Machtkampf um den Wandel von Verfassungsformen” 4, gar „von einem gigantischen Verfassungskonflikt” 5 spricht zwar auch Dietmar Willoweit, der zugleich auf den sachlichen Zusammenhang zwischen der ‘Reichsreform’ und der Diskussion um das allgemeine Reichssteuerwesen (mit der ‘Reichsmatrikel’) hinweist; gegenüber dem (macht)politisch akzentuierten Interpretationsansatz Heinz Angermeiers mit der postulierten Trennung von Recht und Macht werden hier jedoch „die kontroversen Diskussionen und Aktionen im Rahmen des Reichsreformprozesses” wesentlich „auf Veränderungen im Rechtswesen und Rechtsbewußtsein” zurückgeführt 6. Im Zusammenhang mit den Reformbemühungen vor allem der Zeit König/Kaiser Maximilians I. (im Umfeld des Wormser ‘Reformreichstags’ von 1495) hat schließlich Peter Moraw nachdrücklich betont, dass „dem König [...] keine einheitliche Ständepartei gegenüber[stand], vielmehr bestand eine ganze Anzahl nur schwer abgrenzbarer Interessentenpositionen” 7. Als vielleicht wichtigstes Ergebnis der ‘Reichsreform’ – Teil zugleich einer spätestens seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts einsetzenden ‘gestalteten Verdichtung’ des spätmittelalterlichen Reichs – wird dabei der allgemein, von Königtum und ‘Reichsständen’, anerkannte Reichstag bezeichnet 8. – Wohl nicht ohne Grund hat Heinz Angermeier im Hinblick auf die divergierenden Bemühungen der verfassungshistorischen Forschung um eine inhaltliche Bestimmung des Begriffs ‘Reichsreform’ von dem Eindruck gesprochen, „vor einem Phänomen zu stehen, das zwar in seiner metahistorischen Realität unabweisbar, in seiner historischen Gestalt aber kaum faßbar ist” 9.

Nachdem mit den Bänden 32 und 33 der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe bereits 1977 bzw. 1983 zwei chronologisch angelegte Quellensammlungen zur mittelalterlichen Verfassungsgeschichte des Römisch-deutschen Reichs (mit der Zäsur um 1250) erschienen waren 10, ist nach längerem zeitlichen Abstand nun unter dem Titel ‘Quellen zur Reichsreform im Spätmittelalter’ ein weiterer Band zur Verfassungsgeschichte des 15. Jahrhunderts vorgelegt worden, der – ebenfalls von Lorenz Weinrich zusammengestellt, eingeleitet und kommentiert – eine wichtige, die Thematik nochmals intensivierende Ergänzung zu den bereits in Band 33 aufgenommenen Textzeugnissen darstellt. Hatte offenbar die ursprüngliche konzeptionelle Planung eine Konzentration auf wesentlich theoretisch-literarische Schriften zur sog. ‘Reichsreform’ vorgesehen, so orientierte sich Lorenz Weinrich bei der Quellenauswahl – Interpretationsansätze der jüngeren verfassungshistorischen Forschung (s. o.) aufnehmend – an einem grundlegend erweiterten ‘Reichsreform’-Begriff: Er [d. h. Lorenz Weinrich, G.A.] habe „sich der Aufgabe unterzogen, [...] den Gestaltwandel der Reichsverfassung im 15. Jahrhundert von Sigismund bis Maximilian quellenmäßig vorzustellen” (13). Insofern präsentiert der Band denn auch weitaus mehr als nur Quellen zur ‘Reichsreform’ im engeren Sinne: „Die Hauptmasse des Bandes bilden Rechtstexte, Akten und Berichte von Teilnehmern an den Hoftagen, die zumeist in den Bänden der ‘Reichstagsakten’ oder älteren Editionen gedruckt sind. Aber auch die theoretischen Traktate kommen in einer auf die weltliche Reform zugeschnittenen Kürzung zu Wort” (13). Im Hinblick auf die erweiterte Aufgabenstellung des anzuzeigenden Bandes – hier: die quellenmäßige Dokumentation der verfassungspolitischen Umgestaltung des spätmittelalterlichen Reichs – und die damit verbundene enge thematische Verzahnung mit den zuvor genannten verfassungshistorischen Quellensammlungen empfiehlt sich im übrigen eine entsprechende Berücksichtigung vor allem des Bandes 33 der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe mit Texten allgemein zur spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte.

Ausgehend von einer allgemeinen, die Thematik skizzierenden Einleitung (15-23) gliedert sich die chronologisch angelegte Quellensammlung in insgesamt vier größere Abschnitte, die sich wesentlich an den Herrschaftsjahren der einzelnen Könige bzw. Kaiser aus den Häusern Luxemburg und Habsburg orientieren: (I) Mit einer schwerpunktmäßig auf die kritische Edition der ‘Deutschen Reichstagsakten’ gestützten Auswahl aus Textzeugnissen königlicher und ‘ständischer’ Provenienz werden zunächst in einem ersten, der Zeit König/Kaiser Sigismunds und König Albrechts II. (1410/11-1439) gewidmeten Kapitel exemplarisch die verfassungspolitischen Rahmenbedingungen des Römisch-deutschen Königtums zu Beginn des 15. Jahrhunderts umrissen. Die hier thematisierten Problemfelder – Landfriedenswahrung, Finanzierung militärischer Maßnahmen (Bekämpfung der Hussiten, später der Armagnaken und Türken), Zoll- und Münzwesen, Fürsten- und Städtepolitik sowie die Kirchenfrage – sollten leitmotivisch die Reformbemühungen der nachfolgenden Jahrzehnte durchziehen. Nachdem die bereits 1417 von Job Vener, einem in kurpfälzischen Diensten tätigen gelehrten Rat, vorgelegten Reformvorschläge zur Kirchen- und Reichsreform (‘Avisamentum’, 85f.) 11 offenbar zunächst wohl ohne konkrete Wirkung auf die verfassungspolitische Praxis geblieben waren, wurde die eigentliche reformerische Initiative erst fast zwanzig Jahre später – im Spätsommer 1434 – durch eine den ‘Reichsständen’ zur Beratung vorgelegte Proposition Kaiser Sigismunds eingeleitet (124-127, Nr. 22). Möglicherweise erst nach neuerlichem Drängen des Reichsoberhaupts fanden schließlich auf dem zu Eger im Juni/Juli 1437 abgehaltenen ‘(all)gemeinen Tag’ Verhandlungen über die kaiserlichen Reformvorschläge statt, die jedoch – über erste ‘reichsständische’ Stellungnahmen hinaus – weitgehend ergebnislos verliefen (130-145, Nr. 24, mit ausgewählten Quellentexten zu der betreffenden Versammlung). Bereits kurz nach der Wahl König Albrechts II. (1438/39) wurden auf dem im Juli 1438 abgehaltenen Nürnberger Tag erneut Reformpläne vorgelegt, doch war die reformerische Initiative nun – wegweisend für die folgenden Jahrzehnte – von den Kurfürsten ausgegangen (151-162, Nr. 26).

(II) Durchaus kontrovers wird in der verfassungshistorischen Forschung die Frage nach der Bedeutung theoretisch-literarischer Reformschriften in der politischen Rechtspraxis der ‘Reichsreform’ diskutiert: dezidierte Eigenständigkeit einer literarischen Reformdiskussion oder – wie offenbar von der Mehrheit der Forschung erwogen – potenzielle inhaltliche Interdependenzen zwischen ‘Theorie’ und ‘Praxis’, die sich allerdings weniger an der vergleichsweise schmalen Überlieferung der betreffenden Reformtraktate orientieren, sondern sich vor allem aus dem in den vergangenen Jahren intensivierten Wissen um das ‘Profil’ gelehrter Räte ergeben. Mit diesem Problemkomplex eng gekoppelt sind Überlegungen zu den möglichen Zusammenhängen zwischen der ‘Reichsreform’ des 15. Jahrhunderts und der zeitgenössischen Kirchenreform, die auf den Reformkonzilien von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449) thematisiert wurde: Reform (von Kirche und Reich) also als ein gesamtgesellschaftlicher Faktor? 12 Als „ein chronologische[r] Seitenstrang” (17) werden diese Fragestellungen entsprechend in einem zweiten Abschnitt aufgenommen, der eine kluge Auswahl der vielleicht interessantesten Reformschriften aus dem Umkreis des Basler Konzils zusammenstellt – leider nur in längeren Auszügen, die sich jeweils auf die Reform der weltlichen Ordnung konzentrieren. Neben dem konzisen Reformkonzept der ‘Concordantia catholica’ des Nikolaus von Kues (1433), das hier mit einer Auswahl aus dem dritten Buch – in den betreffenden Auszügen erstmals auch in deutscher Übersetzung – vorgestellt wird (170-225, Nr. 28), ist dabei vor allem auf den ‘Pentalogus de rebus ecclesiae et imperii’ des Enea Silvio Piccolomini (1443) zu verweisen (250-291, Nr. 31), der als eine Art königliches ‘Gegenmodell’ zu den bekannten (kur)fürstlichen Reformvorstellungen jener Jahre bislang wohl zu selten berücksichtigt wurde: Eingebettet in ein fiktives Fünfergespräch zur Situation von Kirche und Reich zwischen König Friedrich III., dem Bischof von Chiemsee Silvester Pflieger, dem Bischof von Freising Nicodemo della Scala, Kaspar Schlick sowie dem Autor selbst, werden hier die Grundzüge eines reichspolitischen Programms formuliert, das zunächst die Notwendigkeit einer aktiven Italienpolitik des Reichsoberhaupts – als ideelle, politische und finanzielle Grundlage einer gestärkten Herrschaft im deutschen Reich – in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt.

(III) Mit der sog. ‘Reformatio Friderici’ vom 14. August 1442 (300f.), dem Reichslandfrieden vom 20. August 1467 (341-344, Nr. 38b) sowie dem auf dem Regensburger ‘Großen Christentag’ nach eingehenden Verhandlungen mit den ‘Reichsständen’ errichteten allgemeinen Landfrieden vom 24. Juli 1471 (hierzu: 346-351, Nr. 40) hatte das Königtum zwar bereits erste reformerische Voraussetzungen im Bereich der Landfriedenswahrung geschaffen, auf denen später der ‘Ewige Landfrieden’ des Wormser Reichstags von 1495 (450-456, Nr. 50b) aufbauen konnte; die entscheidenden konzeptionellen Bemühungen um eine allgemeine Behebung der verfassungspolitischen Missstände im Römisch-deutschen Reich sollten in der Zeit König/Kaiser Friedrichs III. jedoch von den ‘Reichsständen’, von Kurfürsten und Fürsten, ausgehen. Wohl aus dem Umkreis des reichspolitisch umtriebigen Trierer Erzbischofs Jakob von Sierck stammt der vermutlich 1452/55 entstandene sog. ‘Abschied zwischen Geistlichen Churfürsten’ (301-309, Nr. 33; hier zugleich mit den von Leopold von Ranke nicht gedruckten letzten beiden Absätzen) 13, der den Auftakt zu einer Reihe weiterer (kur)fürstlicher Reformkonzepte der fünziger und sechziger Jahre bildete (vgl. 309-314, Nr. 34; 315-320, Nr. 35; 324-332, Nr. 37a-b). In den weiteren Kontext dieser ‘reichsständischen’ Reformbestrebungen sind schließlich auch die wiederholt aufgenommenen Römischen Königswahlpläne einzuordnen, die hier indes nicht gesondert thematisiert werden 14. – Obgleich vom Seitenumfang her gegenüber den anderen Abschnitten weitgehend gleichgewichtig, ist die Quellenauswahl für die Zeit König/Kaiser Friedrichs III. insgesamt vergleichsweise knapp gehalten; gerade hier mag man vielleicht doch das ein oder andere Stück vermissen, wie z.B. ein Gutachten Martin Mairs (RTA 22,1, 116-122, Nr. 34b), das – im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Treffen Kaiser Friedrichs III. und König Matthias’ von Ungarn (zu Wien, Anfang 1470) entstanden – neben aktuellen reichspolitischen Überlegungen auch allgemeine finanzielle (Reform)Vorschläge berücksichtigt. Auf die unvermeidliche Subjektivität der getroffenen Quellenauswahl hatte Lorenz Weinrich allerdings einleitend hingewiesen (13).

(IV) Bereits in den Jahren nach 1485/86 mit einer intensivierten Phase „neue[r] Aktivitäten des alten Kaisers und des jungen Königs” (352 [= Zitat]-375, Nr. 41-45) eingeleitet, sind am Ende des 15. Jahrhunderts – namentlich im Rahmen des Wormser Reichstags von 1495 – erste konkrete Ergebnisse der Reformbemühungen zu verzeichnen, die in einem abschließenden vierten Teil ausführlich gewürdigt werden: Die Errichtung eines ‘Ewigen Landfriedens’ (450-456, Nr. 50b), die Reichskammergerichtsordnung (mit der Umorganisation des königlichen/kaiserlichen Kammergerichts: 438-449, Nr. 49b), die Exekutionsordnung (‘Handhabung Friedens und Rechts’: 459-463, Nr. 51) sowie die Ordnung über die Erhebung einer allgemeinen Reichssteuer (‘Gemeiner Pfennig’: zu 463-465, Nr. 52) – ein gemeinsam von Reichsoberhaupt und ‘Reichsständen’ getragener Kompromiss, den die Beteiligten in den folgenden Jahren auf je eigene Weise, in je eigenem Sinne weiterzuentwickeln suchten (hierzu beispielsweise die ‘Regimentsordnung’ des Augsburger Reichstags von 1500: 485-489, Nr. 57). Den eigentlichen Abschluss sollte die Verfassungsbewegung der ‘Reichsreform’ schließlich im Augsburger Reformwerk von 1555 finden, das hier allerdings nicht mehr berücksichtigt wird 15.
Ein Verzeichnis der benutzten Editionen sowie der wichtigsten Forschungsliteratur (27-32) ergänzt die Zusammenstellung der Textzeugnisse, die zusätzlich durch ein Orts-, Personen- und Sachregister (509-520) erschlossen werden.

In der den Themenkomplex ‘Reichsreform’ breit dokumentierenden Quellenauswahl konzeptionell überzeugend, sind im Hinblick auf die Einrichtung des Bandes jedoch gewisse sachlich-inhaltliche Überlegungen anzumerken: Mit dem Bemühen um eine Einbindung der sog. ‘Reichsreform’ in den Kontext eines übergreifenden ‘Gestaltwandels’ der spätmittelalterlichen Reichsverfassung nimmt Lorenz Weinrich zwar dezidiert Interpretationsansätze der jüngeren verfassungshistorischen Forschung auf; leider wurden die betreffenden Ergebnisse jedoch bei der Präsentation der einzelnen Quellenstücke nicht immer konsequent umgesetzt. Namentlich in der Kommentierung scheinen sich vielmehr wiederholt ältere, noch stärker anstaltsstaatlich-obrigkeitlich orientierte Sichtweisen und jüngere, ‘dynamisch-offene’ Argumentationsansätze zu überlagern, die den insgesamt positiven Gesamteindruck dieser Quellensammlung bisweilen irritierend eintrüben. Nur ein Beispiel: Während sich die einführenden Überlegungen und Kommentare zu den einzelnen Stücken inhaltlich wesentlich an den Ergebnissen der verfassungshistorischen Arbeiten Heinz Angermeiers, Eberhard Isenmanns, Karl-Friedrich Kriegers sowie Peter Moraws orientieren, sind – offenbar wiederholt ältere Interpretationsmodelle aufnehmend – vor allem in der Wahl der verwendeten Begrifflichkeit gewisse Inkonsequenzen zu beobachten. So wird in den einleitenden Bemerkungen zu Nr. 34 (309) die Regensburger Reichsversammlung von April/Mai 1454 als ‘Hoftag’ bezeichnet, S. 313, Anm. 27, hingegen als ‘Reichstag’; tatsächlich fand der betreffende ‘Tag’ – von ‘Reichstag’ sollte man erst ab 1495 sprechen – jedoch nicht am kaiserlichen Hof in Anwesenheit des Herrschers statt (entsprechend der Bedeutung des im übrigen keineswegs zeitgenössischen Begriffs ‘Hof-Tag’ – einer Wortschöpfung wohl erst des beginnenden 19. Jahrhunderts), sondern unter Mitwirkung verschiedener Vertreter des Reichsoberhaupts an einem zuvor vereinbarten Ort im ‘Binnenreich’. Ähnliche Unstimmigkeiten in der Begrifflichkeit sind beispielsweise auch bei den einleitenden Ausführungen zu Nr. 21 (121) zu beobachten. Auch kann im 15. Jahrhundert noch nicht vom ‘Hoftag’ als einem eigenständig handelnden Verfassungsorgan gesprochen werden (wie z.B. 127, Anm. 23, geschehen: „[...] so verständigte sich der Hoftag [...], alle Laien zur Kriegsfinanzierung zu besteuern”) – stets sind es einzelne Personen(kreise), die Entscheidungen treffen und Beschlüsse fassen.

Entsprechend den konzeptionellen und editorischen Richtlinien der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe sind neben den Kommentaren vor allem die Einleitungen zu den einzelnen Stücken im allgemeinen vergleichsweise kurz gehalten – eine Vorgabe, die der Herausgeber selbst nicht zu verantworten hat. Ob diese kommentierende Knappheit mit z.T. nur ‘telegrammstilhaft’ einleitenden Bemerkungen tatsächlich mit dem Hinweis zu rechtfertigen ist, die „in den Texten nur angedeutete[n] Sachverhalte [seien] knapp erklärt, damit sich die Lektüre auf die thematischen Zusammenhänge konzentrieren kann” (26), mag indes – vor allem im Hinblick auf einen mit der Thematik nicht hinreichend vertrauten Benutzer – zweifelhaft sein. Nicht zuletzt angesichts eines potenziellen Einsatzes dieser Quellenauswahl in der universitären Lehre hätte man sich verschiedentlich doch eine den Inhalt stärker erschließende textliche Begleitung gewünscht. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang allerdings die jeweils ergänzend aufgeführten Literaturhinweise.

Nicht ganz einsichtig ist schließlich das Prinzip, nach dem einzelne Begriffe und Wendungen der volkssprachlichen Texte erklärt bzw. interpretiert werden. Geradezu unverständlich mutet beispielsweise die Kommentierung zu Nr. 2, S. 40, Anm. 16-16 sowie 17, an: Die betreffende Passage „aller paffheid [...], sie sin geistlich oder werntlich” wird hier mit dem Hinweis auf die „Kleriker” bzw. „Diener der Kleriker” erläutert; tatsächlich gemeint ist jedoch offenbar die Ordensgeistlichkeit sowie der Weltklerus, also der gesamte Klerus. Wenn in einem Gutachten der Kurfürsten und Fürsten zu einem geplanten allgemeinen Landfrieden (1467) im Zusammenhang mit der Einrichtung eines kaiserlichen Gerichts neben „herren, ritter und knecht” als „urtheiler” auch andere benannt werden sollen, „die man tügenlichen dorzu erkennet”, so sind diese keineswegs – wie Nr. 38a, S. 337, Anm. 33, interpretierend vermerkt – zwangsläufig mit „akademisch Gebildete[n]” zu identifizieren. Weshalb schließlich die in den Verfügungen König Maximilians I. zur Verwaltung der habsburgischen Erblande (1498) verwendete Formulierung „alle unser [d.h. König Maximilians I., G.A.] nutz und rent ihrer [d.h. der zuvor genannten Amtleute, G.A.] verwesung” (Nr. 54, S. 475) in Anm. 8-8 mit dem Hinweis auf „den geordneten Zustand ihrer Verwaltung” erläutert wird, bleibt unklar.

Leider haben sich darüber hinaus in die Einleitungen und Kommentare zu den einzelnen Textzeugnissen eine Reihe kleinerer Ungenauigkeiten und Flüchtigkeits- bzw. Druckfehler eingeschlichen: So handelt es sich beispielsweise bei dem als Nr. 16, S. 97-103, unter der Überschrift ‘Neufassung des Binger Kurvereins (1427 XII)’ aufgeführten Stück tatsächlich um die in Band 8 der ‘Deutschen Reichstagsakten’ S. 346-351, abgedruckte Textfassung des Binger Kurvereins vom 17. Januar 1424; nicht unmittelbar einzuordnen ist in diesem Zusammenhang der Hinweis des Herausgebers auf die ‘Neufassung’ dieses Kurvereins, „nunmehr aber unter Einbeziehung des Königs” (97). Mit dem in der Überschrift zu Nr. 34 genannten „herzog Ludwigs” ist nicht – wie S. 309, Anm. 1, angegeben – der Hochmeister des Deutschen Ordens Ludwig von Erlichshausen gemeint, sondern Herzog Ludwig IX. (der ‘Reiche’) von Bayern-Landshut. Der im Text der Nr. 38a erwähnte „abschid, Martini verlassen” wurde nicht – wie S. 340, Anm. 61-61, vemerkt (offenbar in Verwechslung von ‘Michaeli’ und ‘Martini’) – „am 29. Sept. verkündet”, sondern auf dem im November 1466 abgehaltenen Nürnberger Tag – zu Martini (11. November). Vielleicht etwas verwirrend sind schließlich die Bemerkungen zu Nr. 46, S. 378, Anm. 4, über die Begrifflichkeit spätmittelalterlicher Tagsatzungen: Nachdem Reichsversammlungen im Verlaufe des 15. Jahrhunderts verschiedentlich (jedoch nicht ausschließlich) als ‘gemeine tage’ bezeichnet wurden, ist im Kontext der Wormser Verhandlungen von 1495 erstmals überhaupt der Begriff ‘Reichstag’ nachzuweisen, der sich dann vergleichsweise rasch gegenüber konkurrierenden Ausdrücken wie z.B. ‘tag’ bzw. ‘gemeiner tag’ durchsetzen sollte.

Mit dem nun vorgelegten Band 39 der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe hat Lorenz Weinrich den durchaus gelungenen Versuch unternommen, die Verfassungsbewegung der sog. ‘Reichsreform’ in den größeren Kontext eines ‘Gestaltwandels der Reichsverfassung’ im späten Mittelalter zu stellen. Sind auch hinsichtlich der Einrichtung des Bandes einzelne sachlich-inhaltliche Kritikpunkte zu benennen, die bei einer Neuauflage sicherlich rasch beseitigt werden könnten, so überzeugt doch insgesamt die klug angelegte, die Thematik breit ausleuchtende Quellenauswahl, die nicht zuletzt eine Reihe bislang wenig bekannter Textzeugnisse vor allem aus der Zeit König/Kaiser Friedrichs III. einem breiteren Publikum zugänglich macht.

1 Peter Moraw, Die Reichsreform und ihr verwaltungsgeschichtliches Ergebnis, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, hg. von Kurt G. A. Jeserich, Hans Pohl und Georg-Christoph von Unruh, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches, Stuttgart 1983, 58-65, hier 60. – Ähnlich beispielsweise auch Karl-Friedrich Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (Enzyklopädie deutscher Geschichte 14), München 1992, 49, 114. – Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Ein Studienbuch, München 42001, 108. – Hierzu hingegen Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984, der die Verwendung des Begriffs ‘Reichsreform’ im modernen Sinne mit dem Hinweis begründet, dass „wir mit unserem modernen Begriff ‘reformieren’ eine Vorstellung verbinden, die zwar nicht den Intentionen der Handelnden, wohl aber den historisch tatsächlichen Ergebnissen ihres Handelns entspricht” (22)
2 Hierzu beispielhaft die älteren Arbeiten von Fritz Hartung, Die Reichsreform von 1485 bis 1495. Ihr Verlauf und ihr Wesen, in: Historische Vierteljahrschrift 16 (1913) 24-53, 181-209, und Ernst Molitor, Die Reichsreformbestrebungen des 15. Jahrhunderts bis zum Tode Kaiser Friedrichs III. (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 132), Breslau 1921. – Mit einem Überblick zur älteren Forschung: Heinz Angermeier (wie Anm. 1) 22-28
3 Angermeier (wie Anm. 1) 30
4 Willoweit (wie Anm. 1) 108
5 Willoweit, Reichsreform als Verfassungskrise. Überlegungen zu Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410-1555, in: Der Staat 26 (1987) 270-278, hier 271
6 Beide Zitate: Willoweit (wie Anm. 5) 275
7 Moraw (wie Anm. 1) 61
8 Vgl. Moraw (wie Anm. 1) 65
9 Angermeier (wie Anm. 1) 28
10 Lorenz Weinrich (Hg.), Quellen zur deutschen Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis 1250 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 32), Darmstadt 1977, 22000. – Ders. (Hg.), Quellen zur Verfassungsgeschichte des Römisch-deutschen Reiches im Spätmittelalter (1250-1500) (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 33), Darmstadt 1983. – Ergänzend: Jürgen Miethke/Lorenz Weinrich (Hg.), Quellen zur Kirchenreform im Zeitalter der großen Konzilien des 15. Jahrhunderts. Teil 1. Die Konzilien von Pisa (1409) und Konstanz (1414-1418) (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 38a), Darmstadt 1995
11 Hier nur in einer auf die Ausführungen zur ‘Reichsreform’ beschränkten Inhaltsangabe. Zum gesamten ‘Avisamentum’ Job Veners siehe Jürgen Miethke/Lorenz Weinrich (wie Anm. 10) 378-415, Nr. 9
12 Zu diesem Themenkomplex siehe zuletzt den instruktiven Tagungsband: Ivan Hlaváček/Alexander Patschovsky (Hg.), Reform von Kirche und Reich zur Zeit der Konzilien von Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449). Konstanz-Prager Historisches Kolloquium (11.-17. Oktober 1993), Konstanz 1996; namentlich zu den Reformschriften: Claudia Märtl, Der Reformgedanke in den Reformschriften des 15. Jahrhunderts, in: ebd., 91-108
13 Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Sechster Band (Gesamt-Ausgabe der Deutschen Akademie. Leopold von Ranke’s Werke, historisch-kritisch hg. von Paul Joachimsen. Erste Reihe, Siebentes Werk), München 1926, 14-19
14 Vgl. Adolf Bachmann, Die ersten Versuche zu einer römischen Königswal unter Friedrich III., in: Forschungen zur Deutschen Geschichte 17 (1877) 275-330
15 Vgl. Hanns Hubert Hofmann (Hg.), Quellen zum Verfassungsorganismus des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1495-1815 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 13), Darmstadt 1976, 98-128, Nr. 17

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension