T. Brady (Hg.): Die deutsche Reformation

Titel
Die deutsche Reformation zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit.


Herausgeber
Brady, Thomas A.
Reihe
Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 50
Erschienen
München 2001: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XXI + 258 S.
Preis
EUR 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Lotz-Heumann, Institut für Geschichtswissenschaften der HU Berlin Email:

Dieser von Thomas Brady herausgegebene zweisprachige Sammelband enthält Beiträge deutscher, amerikanischer und eines britischen Historikers und spiegelt die enge Verbindung zwischen der deutschen und der nordamerikanischen Reformationsgeschichtsschreibung. Obwohl das Thema des Bandes - die Reformation als Epochenumbruch - in der Reformationsforschung bereits seit langem präsent ist, hat es in den letzten Jahren insbesondere durch zwei Sammelbände und einige grundlegende Aufsätze eine neue Brisanz erhalten.1

Der Sammelband umfasst eine Einleitung von Thomas Brady, die einen inhaltlichen Überblick vermittelt, neun Beiträge sowie Personen- und Ortsregister, jedoch leider kein Sachregister. Die Aufsätze decken ein breites thematisches Spektrum ab, das sich von der Reichs- und Territorialgeschichte über die städtische und Gemeindereformation bis hin zu den religiösen Praktiken, der Wirtschaftsauffassung der Reformatoren und mediengeschichtlichen Fragen erstreckt. Eingerahmt werden diese Spezialstudien von zwei Aufsätzen, die die Reformation als Epochengrenze systematisch thematisieren (Heiko A. Oberman: "The Long Fifteenth Century: In Search of its Profile" und Constantin Fasolt: "Europäische Geschichte, zweiter Akt: Die Reformation").

Eine kurze Erläuterung der einzelnen Beiträge scheint hier angezeigt, um die thematische Breite des Bandes, aber auch eine gewisse Unverbundenheit der Aufsätze zu verdeutlichen. In einem zweiten Schritt wird dann die übergreifende Fragestellung des Bandes nach der Rolle der Reformation als Epochengrenze anhand der Aufsätze von Oberman und Fasolt in den Blick genommen.

Zunächst beschäftigt sich Ernst Schubert mit dem Wandel des fürstlichen Herrschaftsstils vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Unter einem stark begriffsgeschichtlich orientierten Zugriff zeigt er auf, wie sich der Territorialstaat der Frühen Neuzeit, der auf der Ämterverfassung, auf festen Grenzen und Landesordnungen beruhte, allmählich aus den spätmittelalterlichen Grundlagen heraus entwickelte. Auffallend ist an diesem Aufsatz zweierlei: Erstens stellt Schubert dem traditionellen Bild der staatlichen Zerrissenheit des Reiches in der Frühen Neuzeit die "Einheit Deutschlands in den Ordnungsvorstellungen der Gesetzgebung" (49) gegenüber. Diese Ordnungsvorstellungen hätten entschieden mehr Einheitlichkeit geschaffen als eine Territorialkarte des Reiches suggeriere. Hier wird implizit, wenn auch nicht explizit, ein weiterer Baustein für eine Neuinterpretation des Alten Reiches als "komplementärem Reichs-Staat" bereitgestellt, wie sie von Georg Schmidt vorgeschlagen worden ist2. Zweitens verwundert der - offenbar zurzeit einer gewissen Mode geschuldete - Versuch des Autors, sich auf einem Nebenschauplatz seines Aufsatzes als Gegner der Konfessionalisierungsthese zu profilieren: "Nach der Entwirrung des Problemknäuels wird erstaunlicherweise kein Strang übrig bleiben, der mit dem Etikett 'Konfessionalisierung' katalogisiert werden könnte." (21) An den wenigen Stellen im Aufsatz, an denen diese Frage wieder aufgegriffen wird, gelingt es jedoch nicht, das Konfessionalisierungsparadigma zu widerlegen. Vielmehr scheint Schubert gar nicht zu bemerken, dass er mit den Vertretern der Konfessionalisierungsthese d'accord geht, wenn er betont, dass protestantische wie katholische Fürsten in gleicher Weise die Staatsbildung in ihren Territorien vorantrieben und die Ordnung und Kontrolle der Kirche dabei als Teil dieses Prozesses ansahen (vgl. 37, 39, 40, 49).

Manfred Schulze zeigt in seinem Beitrag eine bislang kaum beachtete Dimension des zweiten Nürnberger Reichsregiments auf, einer Reichsinstitution, die im Rahmen der Reichsverfassungsgeschichte als weitgehend handlungsunfähig angesehen werden muss. Schulze kann dagegen anhand des kursächsischen Gesandten Hans von Planitz zeigen, wie sehr das Reichsregiment eingebunden war in die Diskussion um die Reformation und somit als "Bühne der Diplomatie" (63) durchaus Wirkung entfaltete. Eine interessante These, die Schulze aus dieser Untersuchung und insbesondere mit Blick auf Kursachsen ableitet, ist, dass "die säkularen Nutzeffekte der Reformation für die Obrigkeiten nicht einfach auf der Hand liegen. In den langen Jahren der Anfänge [...] erbrachte die neue Lehre nichts als politische Belastungen" (90).

Berndt Hamm untersucht das Verhältnis zwischen dem bürgerlich-kommunalen Wertekonsens und dem Umgang mit inner-protestantischen Konflikten in den oberdeutschen Reichsstädten zwischen 1525 und 1530. Dies ist seit Bernd Moellers einschlägigem Werk "Reichsstadt und Reformation" eine traditionelle Frage der Stadtgeschichte, doch wurde Hamms Untersuchungsgegenstand bislang kaum beachtet: die Ratsschreiber, deren entscheidende Rolle in der städtischen Reformation erst seit kurzem Aufmerksamkeit findet3. Hamm kann ein Spektrum von der "antiirenischen" (107) Position des Nürnberger Ratsschreibers Lazarus Spengler über Mittelpositionen der Memminger und Straßburger Stadtschreiber bis hin zu dem "Toleranz-Plädoyer" (114) des Nürnberger Kanzleischreibers und späteren Augsburger Stadtschreibers Georg Frölich identifizieren.

Heinrich Richard Schmidt widmet sich dem Konzept der "Gemeindereformation". Er untersucht an Fallbeispielen des oberdeutsch-schweizerischen Raumes, die Reformation, so der Titel des Aufsatzes, als "Handlungs- und Sinnzusammenhang". Im Hinblick auf den reformatorischen Handlungszusammenhang will Schmidt weg von der weiterhin verbreiteten Zweiteilung in "Gemeinde- und Obrigkeitsreformation" und plädiert stattdessen für ein "vernetztes" Modell (154), das das "Kräftedreieck von Predigern, Gemeinde und Obrigkeit" (124) in den Blick nimmt. Bezüglich des Sinnzusammenhangs betont Schmidt, dass das individuelle und kollektive Heil die Zielorientierung der Laien in der Reformation gewesen sei, nicht die Erlangung der Kirchenhoheit.

Susan Karant-Nunn erörtert die religiöse Praxis in den Konfessionskirchen, die ihrer Auffassung nach gegenüber der traditionellen Betonung der Lehrvorgaben stärker in den Blick der Forschung rücken muss. Anhand mehrerer Leitthemen untersucht sie Formen religiöser Praktiken: das Zusammenspiel zwischen Individuum und Gemeinde in der Taufzeremonie, beim Abendmahl und in der Begegnung mit dem Tod; die Rolle der Emotion im Glauben; die Frage nach dem Ort des Göttlichen in der Welt.

Tom Scott analysiert das Wirtschaftsdenken ("economic thought", 175) von Luther und Gaismair im Vergleich. Er kommt zu dem Schluss, dass weder Luther noch Gaismair "was the advocate of a classless society" (191). Vielmehr sieht er bei beiden ein Verständnis für die wirtschaftlichen Entwicklungen ihrer Zeit, so dass sie das Privateigentum respektierten und nicht für "simple subsistence husbandry" (190) eintraten.

Der Germanist Horst Wenzel beschäftigt sich mit "Luthers Briefen im Medienwechsel von der Manuskriptkultur zum Buchdruck". Er macht deutlich, wie komplex das Mediensystem der Reformationszeit war, bei dessen Betrachtung traditionell der Buchdruck im Vordergrund steht: "Mündliche, visuelle und literarische Medien wirken nebeneinander, sie bedingen und modifizieren sich gegenseitig" (203). Anhand von Luthers Briefen zeigt Wenzel unter anderem, wie der Buchdruck zu einer Verstärkung der Manuskriptkultur im Zeitalter der Reformation führte.

Insgesamt hinterlässt der Sammelband einen zwiespältigen Eindruck. Zum einen - und das ist sehr zu begrüßen - macht er die Vielfältigkeit der gegenwärtigen Reformationsforschung deutlich. Zum anderen ist der Band aber wenig dazu geeignet, die Diskussion um den Charakter der deutschen Reformation und insbesondere um die Frage nach der Reformation als Epochengrenze anzuregen. Die Forschung der letzten Jahre scheint relativ rasch zu einem Grundkonsens vorgedrungen zu sein, der lautet: Die Reformation ist stark im späten Mittelalter verhaftet und sie kann heute weder als weltgeschichtliches Ereignis im Sinne Rankes noch als Epochenumbruch begriffen werden. Natürlich wird dieser Grundkonsens unterschiedlich akzentuiert, so dass man keineswegs von Meinungsgleichheit sprechen kann. Die Beiträge von Oberman und Fasolt in diesem Band hinterlassen aber den Eindruck, dass nun im Rahmen des genannten Grundkonsenses Thesen konstruiert werden, die mehr Fragen offen lassen als Antworten bereitstellen.

Der mittlerweile verstorbene Historiker Heiko A. Oberman hebt das Profil des "langen 15. Jahrhunderts" als eigenständige Periode hervor und sieht diese Periode von vier wesentlichen Merkmalen geprägt: einem allgemeinen (nicht nur demographischen) "Aufschwung" nach der großen Pest, dem Konziliarismus, der Devotio moderna und den Franziskanerpredigern. Oberman spricht sich in der Einleitung seines Beitrags vehement gegen eine "grand narrative" (4) mit der deutschen Reformation als Beginn der Moderne aus, denn sonst könne das 15. Jahrhundert nicht adäquat verstanden werden. Die deutsche Reformation sei kein weltgeschichtliches Ereignis gewesen, vielmehr habe der Sonderweg Deutschlands bereits mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und nicht erst mit Bismarck oder Versailles begonnen. Ob man Oberman noch so weit folgen will, sei dahingestellt. Vollends problematisch wird seine Argumentation jedoch am Schluss seines Beitrags, denn hier bezeichnet er - trotz seiner ursprünglichen Ablehnung - die Geschichte des europäischen Calvinismus und seiner Exulanten als "truly grand narrative" (17), die es in Zukunft in den Vordergrund zu stellen gelte.

Einen ähnlich zwiespältigen Eindruck hinterlässt Constantin Fasolts Aufsatz. Zunächst irritiert an einigen Stellen die Auswahl der Begrifflichkeit und die dadurch bedingte starke Vereinfachung, um nicht zu sagen Verfälschung. So bezeichnet Fasolt beispielsweise die frühmoderne Staatsbildung als "Wendung vom ständischen Wettbewerb zum monarchischen Monopol", wobei die "Monopolisten" - also Könige und Fürsten - sich "darauf einigten, das Erbe der römischen Kirche unter sich aufzuteilen, sich gegenseitig bei der Ausübung ihrer Macht über ihre Untertanen [...] zu unterstützen und dafür darauf zu verzichten, dem einen die Untertanen oder das Territorium des anderen streitig zu machen" (240 f.). Fasolt beschreibt die Reformation als "zweiten Akt" einer europäischen Geschichte, die seiner Meinung nach im Hochmittelalter begann. Aus "der Reformation" wird "eine Reformation" (232). "Nicht die Geschichte der Reformation ist zu schreiben“ so meint er als Fazit, "und schon gar nicht die Geschichte der Reformation im Kontext der Nation, sondern die Geschichte der europäischen Gesellschaft" (249). Durch die Einbindung der Reformation in eine europäische Geschichte seit dem Hochmittelalter wird die "Einzigartigkeit" der Reformation (247) und ihr Umbruchscharakter zurückgewiesen. Ist diese Argumentation Fasolts in Anlehnung an das Alteuropa-Konzept durchaus plausibel, so geht er meines Erachtens aber zu weit, wenn er "eine Kontinuität in der Entwicklung der europäischen Gesellschaft, von der Kirche zur Nation, auf sozialer wie auch auf geistiger Ebene, von der Gründung Europas im 10. Jahrhundert bis zur Selbstzerfleischung im 20." (246) behauptet und damit altbekannte - und bereits überwunden geglaubte - Kontinuitätsthesen in abgewandelter Form wieder aufleben lässt.

1 Vgl. Bernd Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch, Gütersloh 1998; Bernhard Jussen/ Craig Koslofsky (Hgg.), Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400-1600, Göttingen 1999; Heinz Schilling, Reformation - Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes?, in: Bernd Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland (wie oben) 13-34; Berndt Hamm, Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: Der Prozess normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: Archiv für Reformationsgeschichte 84 (1993) 7-82; Berndt Hamm, Wie innovativ war die Reformation?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000) 481-497.
2 Vgl. Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999.
3 Vgl. Peer Frieß, Die Bedeutung der Stadtschreiber für die Reformation der süddeutschen Reichsstädte, in: Archiv für Reformationsgeschichte 89 (1998) 96-124.

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