T. Heinze: Konstantin der Grosse

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Titel
Konstantin der Große und das konstantinische Zeitalter in den Urteilen und Wegen der deutsch-italienischen Forschungsdiskussion.


Autor(en)
Heinze, Traudel
Reihe
Quellen und Forschungen zur antiken Welt 45
Erschienen
München 2005: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
€ 44,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heinrich Schlange-Schöningen, Institut für Alte Geschichte, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Wie zuletzt durch die große Trierer Ausstellung wieder deutlich geworden ist, hat Konstantin nicht nur als eine der bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten der Antike zu gelten, sondern auch als eine in ihrer Rezeptionsgeschichte besonders wirkungsmächtige und zugleich umstrittene Gestalt. Da sich mit seinem Namen die „Befreiung der Kirche“ und die ersten Schritte auf dem Weg zum christlichen Kaisertum der Spätantike verbinden, konnte er als positiver Bezugspunkt für jeden Herrscher gelten, der aktiv in die Belange von Kirche und Glauben eingriff, andererseits aber auch als Negativ-Exempel dort, wo das Zusammengehen von Christentum und Staat kritisiert wurde. Diese religiöse Komponente in der Politik und in der Wirkungsgeschichte Konstantins macht den Kaiser auch zu einem für die Entwicklung der Geschichtswissenschaften interessanten Fall, da sich hier die Probleme der Emanzipation historischen Denkens von den Vorgaben des christlichen Glaubens besonders deutlich zeigen. Vor diesem Hintergrund sind in der jüngeren Vergangenheit etliche Arbeiten zur Geschichte des Konstantinbildes vorgelegt worden1, doch ist das Material wohl noch lange nicht ausgeschöpft. Dass sich in den Nationalliteraturen der europäischen Geschichtsschreibung zahlreiche bemerkenswerte Positionen finden lassen, zeigt die umfangreiche Göttinger Dissertation von Traudel Heinze aus dem Jahr 2005.

Die Autorin konzentriert sich auf ausgewählte Stimmen der italienischen und deutschen Konstantinforschung seit dem 18. Jahrhundert. Angefangen mit Nicola Spedalieri und Johann Kaspar Friedrich Manso führt ihre Untersuchung über Aurelio Bianchi-Giovini und Jacob Burckhardt, Theodor Mommsen und Amedeo Crivellucci, Otto Seeck, Adolf von Harnack und Luigi Salvatorelli, Ernesto Buonaiuti und Joseph Vogt, Arnaldo Momigliano und Santo Mazzarino, Salvatore Calderone und Jochen Bleicken bis zu Bruno Bleckmann und Arnaldo Marcone. Durch diese Breite des wissenschaftsgeschichtlichen Zugriffs gelingt es Heinze zu veranschaulichen, wie stark die Diskussionen um Konstantin mit den politischen und religiösen Gegenwartserfahrungen der Autoren verbunden sind. Dabei werden nicht nur viele interessante Details zur Wirkungsgeschichte Konstantins aufgearbeitet, sondern es wird auch einzelnen Gelehrten, die bislang wenig Beachtung gefunden haben, ein durchaus wichtiger Platz in der Forschungs- und Wirkungsgeschichte Konstantins zugewiesen. Dies ist etwa bei dem Breslauer Gymnasialdirektor (und Verursachers des „Xenienstreites“) Johann Kaspar Friedrich Manso der Fall, dessen „Leben Constantins des Großen“ in vielem an Voltaire und Gibbon anschließt und zugleich Burckhardts Deutung vorausnimmt, indem Konstantins Annäherung an das Christentum mit seiner „Herrschsucht“ und seinem „Ehrgeiz“ erklärt (S. 49) und Euseb eine „geflissentliche Unredlichkeit“ vorgeworfen wird (S. 45). Auch mit Amadeo Crivelluci hat Heinze einen wissenschaftshistorisch bemerkenswerten Forscher ausgewählt, der sowohl vom deutschen Positivismus als auch vom Antiklerikalismus des Risorgimento beeinflusst war. Crivellucci führte die politische und die Religionsgeschichte zusammen, was für die italienische Forschung eine Neuerung darstellte, und machte in seiner „Storia della relazioni fra lo Stato et la Chiesa“ von 1886 die das Christentum aus politischen Gründen begünstigende konstantinische Religionspolitik für den Niedergang des Imperiums verantwortlich.

Interessante Stimmen zur Konstantinforschung sind dann auch Luigi Salvatorelli (1886-1974) oder Ernesto Buonaiuti (1881-1946), die die italienische Kirchengeschichts- und Konstantinforschung weiterentwickelt haben. Salvatorelli, beeinflusst vom französischen Reformkatholizismus (S. 172f.), wandte sich unter anderem der Erforschung des frühen Christentums zu, wobei er ähnlich wie Crivellucci die an deutschen Universitäten übliche „Trennung von theologischer Kirchengeschichte und politisch ausgerichteter historischer Forschung“ (S. 173) zu überwinden suchte. Seine Überlegungen zu Konstantin nehmen heutige Deutungen voraus, soweit sie, wie es zumeist geschieht, die Entscheidung zwischen politischen oder religiösen Motiven für zu einfach halten. Buonaiuti, der als Priester gegen die Kurie den Standpunkt der Modernisten vertrat, 1924 exkommuniziert und 1931, als er den von den italienischen Faschisten geforderten Treueschwur verweigerte, auch von seinem Amt als Professor für die Geschichte des Christentums an der Universität Rom suspendiert wurde (S. 193ff.), zeigt noch einmal besonders deutlich, wie schwer es für die italienische Wissenschaft noch des beginnenden 20. Jahrhunderts war, sich von den Vorgaben der katholischen Kirche frei zu machen. Dass für Buonaiuti Konstantin aufgrund seiner Förderung der Kirche für den Verlust der frühchristlichen Spiritualität verantwortlich ist (S. 208, S. 210), korrespondiert mit der kritischen Haltung, die der Kirchenhistoriker im zeitgenössischen Dogmenstreit mit der Kurie eingenommen hat.

Mit diesem kurzen Blick auf einige der zahlreichen Befunde, die die Arbeit von Heinze zu bieten hat, dürfte deutlich geworden sein, dass sie ihr Ziel, vermittels einer komparatistischen Untersuchung „zum einen den Entwicklungslinien der jeweiligen historiographischen Methodik und Deutung nachzugehen und zum anderen die darin sichtbar werdenden Bezüge zum Gegenwartsbewusstsein und zur individuellen Prägung der untersuchten Historiker näher zu bestimmen“ (S. 13), mit eindrucksvoller Kenntnis der politischen und wissenschaftshistorischen Entwicklungen in Italien und Deutschland verfolgt. Zu bemerken ist indes auch, dass sie sowohl mit ihrer Beschränkung auf die beiden Nationalliteraturen als auch mit ihrer Auswahl der Autoren eine Konzeption umsetzt, die nicht ganz überzeugen kann. Denn zum einen kann keine Rezeptionsgeschichte Konstantins, die das 18. und 19. Jahrhundert thematisiert, an Voltaire und Edward Gibbon vorbeigehen, die beide, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art, die Kritik an Konstantin breit angelegt und auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt haben. In ihrer Einleitung spricht Heinze denn auch treffend vom „Durchbruch der Kritik“, der mit Montesquieu und Voltaire erfolgt sei (S. 10), doch bleibt ihre Darstellung der von Voltaire und Gibbon entwickelten kritischen Positionen sehr knapp. Dass damit der rechte Ausgangspunkt für die Untersuchung fehlt, wird bereits bei dem ersten der näher untersuchten Autoren deutlich. Denn der 1749 geborene Priester, Journalist und Philosoph Nicola Spedalieri findet seinen Platz in der Geschichte der Konstantinforschung deshalb, weil er Gibbons „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ 1784 mit einer „Confutazione dell’esame critico del cristianesimo fatto dal Signor E. Gibbon“ beantwortete (S. 18f.). Um Spedalieris Argumente zu erläutern, muss Heinze also immer wieder auf Gibbon zurückgreifen. Zwar entsteht auch auf diese Weise allmählich ein Bild von der Aussagekraft der Gibbon’schen Geschichtsschreibung, doch wäre es ratsam gewesen, zunächst das neue Konstantinbild des 18. Jahrhunderts ohne Einschränkung auf Italien oder Deutschland ausführlicher zu behandeln, um damit einen klaren Bezugsrahmen für die Analyse der ausgewählten Autoren zu gewinnen. Diese mussten sich alle direkt oder – vermittelt durch Burckhardt – indirekt mit den Positionen Voltaires und Gibbons auseinandersetzen.2

Das schwierige Problem der Auswahl der zu behandelnden Autoren löst Heinze, indem sie sich „nicht zwingend an der internationalen Wirkung und an wegweisenden Erkenntnissen ihrer Studien“ (S. 14) orientiert, sondern nach ihrer Lebenszeit und der Originalität ihrer Beiträge fragt. Sie will auf diese Weise „den Entwicklungslinien der jeweiligen historiographischen Methodik und Deutung“ nachgehen, um „nationale Interpretationskonstanten“ und Beeinflussungen zwischen der deutschen und italienischen Wissenschaft festzustellen. Für das 19. und 20. Jahrhundert ist ein auswählender Zugang zur Konstantinrezeption, die sonst ein zu großes Arbeitsgebiet darstellen würde, sicher sinnvoll. Gleichwohl vermisst man Ausführungen zu Eduard Schwartz, Hermann Dörries oder Heinrich Kraft, auf deren Bedeutung Heinze nur kurz hinweist (S. 10f.). Bei dem an dritter Stelle behandelten, 1739 in Como geborenen Jesuitenschüler, Journalisten und Historiker Aurelio Bianchi-Giovini trifft man zwar auf eine geistesgeschichtlich bemerkenswerte Verbindung von katholischem Glauben und Antiklerikalismus, doch erfüllt dieser Autor das von Heinze formulierte Kriterium einer besonders „prägnanten Deutung“ Konstantins nicht. Theodor Mommsen dagegen hat gewiss eine solche Interpretation formuliert, doch stammt sie aus seiner nur aus zweiter Hand überlieferten Vorlesung zur Spätantike (1885/86), während Leopold von Ranke, der in Untersuchung nicht aufgenommen wurde, im ersten Band seiner seit 1881 erscheinenden „Weltgeschichte“ ein viel breitenwirksameres Urteil über Konstantin formuliert hat. Auch über Harnacks und Momiglianos Bedeutung für die Konstantinforschung ließe sich streiten, wird doch der Kaiser in der allerdings bedeutsamen Untersuchung des Kirchenhistorikers über die „Mission und Ausbreitung des Christentums“ nur kurz behandelt und auch bei Momigliano, wie Heinze selbst feststellt, „nur selten direkt analysiert“ (S. 240). In beiden Fällen wird man die Aufnahme der Autoren gleichwohl begrüßen, da von beiden Gelehrten starke Forschungsimpulse auch in den jeweils anderen Sprachraum ausgegangen sind.

Diese die Konzeption der Arbeit bzw. die Auswahl der Autoren betreffenden Fragen sollen aber nicht verdecken, dass Heinze eine Arbeit vorgelegt hat, in der die Konstantinforschung des 19. und 20. Jahrhunderts wissenschaftshistorisch sehr gelungen mit der modernen Politik- und Geistesgeschichte zusammengeführt wird. Das wird auch noch einmal in den beiden abschließenden Kapiteln deutlich, in denen die Ergebnisse zusammengefasst werden. Heinze stellt hier zunächst anhand der thematischen Schwerpunkte der konstantinischen Herrschaft die verschiedenen Positionen der Gelehrten heraus (S. 303ff.: „Die Wandlung des Konstantinbildes in der historischen Forschung“), bevor sie dann in einer Schlussbetrachtung (S. 336ff.) die Veränderungen in der Methodik und in den historischen Perspektiven erläutert. Ihre Studie erweist sich bis in diese letzten Kapitel hinein als anregend und lesenswert und stellt einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der modernen Konstantinrezeption dar.

Anmerkungen:
1 Vgl. zuletzt die Beiträge in Alexander Demandt/Josef Engemann (Hrsg.), Konstantin der Grosse. Geschichte – Archäologie – Rezeption. Internationales Kolloquium vom 10.-15. Oktober 2005 an der Universität Trier zur Landesausstellung Rheinland-Pfalz 2007 „Konstantin der Grosse“, Trier 2006; Michael Fiedrowicz/Gerhard Krieger/Winfried Weber (Hrsg.), Konstantin der Große, Trier 2006; Klaus M. Girardet (Hrsg.), Kaiser Konstantin der Grosse. Historische Leistung und Rezeption in Europa, Bonn 2007; Andreas Goltz/Heinrich Schlange-Schöningen (Hrsg.), Konstantin der Große. Das Bild des Kaisers im Wandel der Zeiten, Köln 2008.
2 Vgl. z.B. die kurzen Verweise auf Voltaire oder Gibbon bei der Behandlung Mansos (S. 49f. mit Anm. 76), Bianchi-Giovinis (S. 62), Burckhardts (S. 80, S. 83, S. 87, S. 91), Mommsens (S. 106), Vogts (S. 219,S. 238), Mazzarinos (S. 251ff.) oder Bleckmanns (S. 285), während an anderer Stelle – z.B. bei Crivelluci (S. 120f.) – der Hinweis auf die Vorgänger des 18. Jahrhunderts fehlt. Auch für Seeck wäre noch einmal zu untersuchen, in wie weit er sich implizit mit Gibbon, der von ihm namentlich nicht angeführt wird (vgl. S. 139), auseinandersetzt; die „Erziehung zur Knechtschaft“ während der Römischen Kaiserzeit, welche die Menschen von der Politik weg – und zum Christentum hingeführt habe (vgl. S. 152f.), erinnert jedenfalls an Gibbons Hinweis auf den seit Augustus zu verzeichnenden Verlust von „public courage“, der dann in einem „declining and despotic empire“ die Menschen für das Heilsangebot des christlichen Glaubens empfänglich gemacht habe. Die gleiche Frage stellt sich dann noch einmal für Salvatorelli (vgl. S. 180).

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