S. Lütgenau (Hg.): Paul Esterhazy 1901-1989

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Titel
Paul Esterházy 1901-1989. Ein Leben im Zeitalter der Extreme


Herausgeber
Lütgenau, Stefan A.
Erschienen
Innsbruck 2005: StudienVerlag
Anzahl Seiten
196 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Zsolt Keller, Seminar für allgemeine und schweizerische Zeitgeschichte, Universität Fribourg

Der herrschaftliche Name der Fürstenfamilie Esterházy ist kein unbekannter. So traten die Esterházys als Förderer des Virtuosen Joseph Haydn, der am fürstlichen Hof von 1761 bis 1790 unter anderem als Kapellmeister diente, ins Bewusstsein der (Musik-)Geschichte.1 Rund 243 Jahre später, im Jahre 2004, erhielt der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und erntete mit seiner Dankesrede viel Aufmerksamkeit.2 Überdies erlangte der Name Esterházy durch die Abenteuer des Hasen Esterhazy (diesmal ohne Akzent auf dem a), die Irene Dische und Hans Magnus Enzensberger erzählen, Bekanntheit in vielen Kinderzimmern.3 Der Name des 1901 geborenen Pál (Paul) Esterházy de Galántha blieb bislang eher unbekannt. Der von Stefan August Lütgenau herausgegebene Sammelband widmet sich in sieben Beiträgen der Person Paul Esterházys und dessen historischem Umfeld.

Die Spannweite des Lebens von Paul Esterházy zog sich – wie die seiner zahlreichen Zeitgenossen auch – über die letzten Habsburger Monarchen, die Wirren nach dem Ende des Grossen europäischen Weltkrieges, über die ungarische Räterepublik unter Béla Kun, den Bürgerkrieg in Ungarn, das Regime von Reichsverweser Miklós Horty, die deutsche Besatzung und die Schreckensherrschaft der Pfeilkreuzler von 1944/45, über die Schlacht um Budapest, die Befreiung durch die Rote Armee 1945, die Errichtung der sozialistischen Diktatur sowie den Ungarnaufstand von 1956 hinweg, welcher Esterházy schliesslich die Flucht nach Österreich ermöglichte. Esterházy starb am 25. Mai 1989 im Zürcher Exil, wo er und seine Frau nach der Flucht ihr Leben verbrachten. Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes liefern historische Streiflichter auf das vergangene Jahrhundert und zeigen auf, dass Esterházy aufgrund seines Erbes und seiner gesellschaftlichen Position immer wieder ins Visier der ständig wechselnden Machthaber geriet, und dies obwohl er sich in politischen Belangen strikte Zurückhaltung auferlegte.

Von seinem Geburtsrecht, Einsitz ins ungarische Parlament zu nehmen, machte er nie Gebrauch. Trotzdem geriet er 1937, als das nationalsozialistische Deutschland die politisch-wirtschaftliche Elite Ungarns mit wachsendem Misstrauen beobachtete ins Visier der Nationalsozialisten, die ihn als „Reichsfeind“ einstuften. „Politisch liberal, hatte er [Esterházy] als Katholik nicht nur persönliche Beziehungen zur Spitze der ungarischen katholischen Kirche und zu den apostolischen Nuntien; er kam zudem aus einer Familie, die auf eine lange Tradition der Kooperation und des Schutzes der jüdischen Bevölkerung in ihrem Herrschafts- und Einflussbereich zurückblickte.“ (S. 36) Nach einleitenden Beiträgen von Stefan August Lütgenau, der die Vita Esterházys nachzeichnet, einen kurzen Einblick in das jüdische Leben im Burgenland gibt sowie das Verhältnis zwischen den Nationalsozialisten und Esterházy beschreibt, widmet sich Peter Haber den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges.

Haber erzählt anhand der Geschichte des Schweizer Diplomaten Harald Feller, der die Schweizer Botschaft in Budapest im Winter 1944/45 leitete, von der Aufnahme der Schweizer Gesandtschaft ins Palais Esterházy auf dem Burghügel in Budapest. Im November 1944 kam es zu heftigen Bombardements, so dass sich die Schweizer Gesandtschaft aus Sicherheitsgründen gezwungen sah, ihren Standort zu verlegen. Die Schweizer diplomatische Vertretung wurde schließlich in den von Esterházy zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten untergebracht. Neben den Angestellten der Schweizer Gesandtschaft beherbergte das Palais zudem „geheime Gäste“ der Schweizer Delegation und gewährte einigen schwedischen Diplomaten Schutz, die von der ungarischen Regierung verfolgt wurden, da sie Jüdinnen und Juden großzügigen Schutz gewährt hatten. Wie gefährlich diese „geheimen Gäste“ waren, zeigte sich wenig später als Feller und seine Sekretärin von den Pfeilkreuzern auf der Strasse verhaftet, verschleppt und misshandelt wurden. Haber der anhand von Quellen die Lage und Stimmung der letzten Kriegsmonate im Palais Esterházy nachzeichnet, kommt zum Schluss, dass der Umzug der Schweizer Gesandtschaft im Herbst 1944 und die dort vorherrschenden Bedingungen wesentlich dazu beitrug, „dass Harald Feller und seine Mitarbeiter zahlreiche Menschenleben retten konnten.“ (S. 55)

Nach dem Krieg wurde Feller von der Roten Armee gefangen genommen, in die Sowjetunion verschleppt und erst nach einem Jahr wieder freigelassen. In die Schweiz zurückgekehrt wurde ihm in einem Administrativprozess u.a. das Ausstellen von Schweizerpässen an Nichtschweizer sowie Asylgewährung an Ausländer und Pfeilkreuzer (!) im Gebäude der Gesandtschaft in Budepest vorgeworfen. Auch wenn alle sechs gegen ihn vorgebrachten Punkte, die auch seine Lebensführung zum Gegenstand hatten – so wurde er der des übermässigen Alkoholgenusses und der Homosexualität verdächtigt – entkräftet werden konnten, fasste Feller nach seiner Gefangenschaft und der gegen ihn geführten Untersuchung nicht mehr richtig Fuss. Es wurde ihm nahe gelegt, den diplomatischen Dienst zu quittieren – was er auch tat. In Anerkennung seiner Dienste zur Rettung von jüdischen Verfolgten verlieh ihm 1999 die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem die „Medaille der Gerechten“.

Lázló Karsai befasst sich in seinem Beitrag mit der Rettung ungarischer Juden im Jahr der Deportationen von 1944. Ausgangspunkt seiner Darstellung (nach sehr interessanten einleitenden Bemerkungen) ist eine hohe Spende Paul Esterházys, die dieser für die Rettung gefährdeter jüdischer Kinder entrichtete, die sich in einem von Ordensschwestern geführten Haus namens „Schutzengel-Heim“ in Budapest aufhielten. Einblicke in die turbulente Nachkriegsgeschichte Ungarns gewährt Jenő Gergely, der sich mit Paul Esterházy im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den ungarischen Fürstprimas Jószef Kardinal Mindszenty beschäftigt. Das kommunistische Regime beobachtete Esterházy mit Argusaugen, weil dieser, obwohl er einen gültigen Reisepass besaß und über ein beträchtliches Vermögen in Österreich verfügte, in Ungarn geblieben war. Als der Fürst Ende 1946, Anfang 1947 seine Ausreise erwog und durch die Bank Devisen beschaffen wollte, wurde ihm dies zum Verhängnis.

Als weiteres Motiv des Argwohns der Kommunisten konstatiert Gergely die Tatsache, dass die Familie Esterházy große Ländereien im damals noch von der Sowjetunion kontrollierten Burgenland besaß. Eine rechtskräftige Verurteilung Esterházys hätte es der ungarischen Regierung ermöglicht, einen Rechtsanspruch auf die Ländereien Esterházys im Burgenland zu erheben. Dieser Anspruch wurde jedoch von der österreichischen Regierung nie anerkannt. Auch die sowjetische Besatzungsbehörde konnte diesem Ansinnen der ungarischen Regierung nicht zum Durchbruch verhelfen. Neben diesen Beweggründen erscheint jedoch das politische Argument, dass Mátyás Rákosi im Mindszenty-Prozess das „alte Ungarn“ auf die Anklagebank setzen wollte, am plausibelsten.4 Esterházy stand hierbei neben Mindszenty für das alte monarchische und feudal strukturierte Ungarn, das sich gegen die Reformen und Innovationen des Sozialismus verschwor und die Monarchie wiederherstellen wollte. Esterházy wurde vom Rákosi-Regime der Verschwörung gegen den Staat, der Spionage und des Devisenvergehens bezichtigt und vor das „Volksgericht“ gestellt. Obwohl die Anklage für Esterházy die Todesstrafe forderte, wurde der Fürst im Februar 1949 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zudem verlor er sein gesamtes Vermögen und seine politischen Rechte. Am 30. Oktober 1956 kam Esterházy im Zuge der Wirren des ungarischen Aufstandes nach langjähriger Haft wieder frei. Drei seiner österreichischen Angestellten brachten seine Frau und ihn in einem Wagen des österreichischen Roten Kreuzes nach Wien – und damit in die Freiheit.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wurde das Verfahren zu Beginn der 1990er-Jahre gegen Esterházy neu aufgerollt. Paul Esterházy wurde im Revisionsverfahren von der Verschwörung gegen den Staat und der Spionage freigesprochen, die Verurteilung wegen Devisenvergehen behielt das Gericht aufrecht. In einem abschließenden Artikel beleuchtet Stefan August Lütgenau den Kampf um die Besitzungen Paul Esterházys in Österreich nach 1945 diesmal im Kontext der burgenländischen und österreichischen Politik, der zu Beginn der 1970er-Jahre im Zusammenhang mit der Errichtung des Nationalparks Neusiedler See sowie verschiedenen kulturpolitischen und touristischen Projekten zu einem guten Ende fand.

Eines ist klar: Die Stationen im Leben Paul Esterházys spiegeln die radikalen Umwälzungen und Brüche des 20. Jahrhunderts – Eric Hobsbawm charakterisierte es als „Zeitalter der Extreme“ – wieder. Aufgrund seines Erbes und der damit verbundenen Position wurde er zu einem politisch-gesellschaftlichem Spielball. Auch wenn die Person des Fürsten in den einzelnen Beiträgen nicht immer im Mittelpunkt steht – auf diesen Umstand macht auch der Herausgeber aufmerksam –, so zieht sich die Person von Paul Esterházy als roter Faden durch die einzelnen Artikel. Esterházy erscheint als Relikt einer untergegangen Welt, die den Status einer Person von seiner Herkunft und seinem Vermögen her bestimmte. Diese seine Herkunft, die ihm ein unbeschwertes Leben bereiten sollte, wurde ihm unter veränderten Vorzeichen zum Stigma und argen Verhängnis.

Anmerkungen:
1 Immer wieder empfehlenswert: Sadie, Stanley; Lathan, Alison (Hgg.), Das Cambridge Buch der Musik, Frankfurt am Main 2001, bes. 262-263.
2 Siehe: Günter, Joachim, Amüsant wie nie. Péter Esterházy erhielt den Friedenspreis, in: Neue Zürcher Zeitung, 11. Oktober 2004.
3 Dische, Irene; Enzensberger, Hans Magnus; Sowa, Michael, Esterhazy. Eine Hasengeschichte, Düsseldorf 2003.
4 Diese Ansicht vertritt auch Mindszenty prominent in seinen „Erinnerungen“: „Er [Paul Esterházy] war offensichtlich nur verhaftet worden, um in seiner Person einem reichen Magnaten den Prozeß machen zu können.“ (Jósef Kardinal Mindszenty, Erinnerungen, Frankfurt am Main 1974, S. 243).

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