N. Böttcher u.a. (Hrsg.): Los buenos, los malos y los feos

Cover
Titel
Los buenos, los malos y los feos. Poder y resistencia en América Latina


Herausgeber
Böttcher, Nikolaus; Galaor, Isabel; Hausberger, Bernd
Reihe
Publicationes del Instituto Ibero-Americano 102
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Vervuert/Iberoamericana
Anzahl Seiten
512 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Suter, Basel

Der spanische Titel des Sammelbandes ist natürlich eine Anspielung auf Sergio Leones Western "The Good, the Bad and the Ugly" und verweist so darauf, dass es hier nicht allein um das Referieren verschiedener Macht- und Konfliktverhältnisse geht, sondern ebenso auch um ihre Einordnung in einen gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Kontext: etwa die Gegenüberstellung Zivilisation – Barbarei, die für den gesellschaftlichen Diskurs zu Rebellionen, Revolutionen und Widerstandsbewegungen in Lateinamerika häufig den Bezugsrahmen gebildet hat. Der Band ist das Ergebnis eines schon 2002 in Berlin abgehaltenen Symposiums zum – sehr weit gefassten – Thema Macht und Widerstand in Lateinamerika. Er vereinigt Beiträge der, wie die Herausgeber schreiben, "jungen und weniger jungen TeilnehmerInnen" des Symposiums. Neben der deutschen ist die jüngere Lateinamerikanistik der Schweiz sehr gut vertreten, aber auch einige internationale „celebrities“ des Faches, etwa der Mexiko-Historiker Friedrich Katz aus Chicago. Hinzu kommen Beiträger aus Israel, Frankreich und Kolumbien. HistorikerInnen, EthnologInnen und SoziologInnen beleuchten die Problemstellung aus den Blickwinkeln ihrer verschiedenen Disziplinen variantenreich und mit viel Detailwissen zu ihrem teilweise für Nicht-Lateinamerikanisten exotisch anmutenden jeweiligen Forschungsgegenständen. Die Einführung der Herausgeber hebt auf das Problem der Suche nach Kontexten von Macht und Widerstand ab und argumentiert also auch methodenkritisch. In den folgenden Beiträgen werden Fragen nach Macht und Machtausübung in beachtlicher thematischer, chronologischer und geographischer Breite gestellt, wobei Mexiko einen Schwerpunkt bildet.

Die einleitende Sektion "Widerstehen, um zu erobern" wird angeführt von einem Beitrag von Miriam Lang, die sich mit dem Feminismus in Mexiko in jüngster Zeit befasst. Ihr folgt Ingrid Kummels mit einem Aufsatz über den Einfluss von Ärzten und Missionaren auf Peyote-Heilungszeremonien bei den Rarámuri der mexikanischen Tarahumara-Wüste. Die zweite Abteilung "Erinnerung und Diskurs" bringt unter anderem Essays zur peruanischen und mexikanischen Kolonialgeschichte im 16. Jahrhundert (Karoline Noack bzw. Amos Megged) sowie Untersuchungen politischer Widerstandsbewegungen in Brasilien zu Ende des 19. Jahrhunderts (Dawid Danilo Bartelt). "Ethnizität und Identität", so die Bezeichnung des dritten Teils des Bandes, vereinigt Stücke vor allem zu indigenistisch orientierten Widerstandsbewegungen, etwa bei den Kruso'b Yukatans (Wolfgang Gabbert) im 19. Jahrhundert oder der zapotekischen Potestbewegung COCEI in Oaxaca in den 1980er-Jahren (Stephan Scheuzger). Den Schluss bildet der Abschnitt "Repression, Revolution und täglicher Widerstand", unter anderem mit einem Beitrag zum Alltagswiderstand im kolonialen Lateinamerika zwischen 1500 und 1810 (Hermes Tovar Pinzón) und eine Betrachtung der neuesten politischen Geschichte Perus und der Guerillaorganisation Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") von Ulrich Mücke.

Mit diesem kurzen Überblick ist die thematische Breite angedeutet, die der im Übrigen ansprechend gestaltete und sorgfältig redigierte Sammelband abzudecken versucht. Offensichtlich wendet er sich in erster Linie an ein sehr interessiertes Fachpublikum – nicht zuletzt auch, weil den fünf Beiträgen in englischer Sprache 16 auf spanisch verfasste (inklusive der Einleitung) gegenüberstehen. Man kann diese Publikation damit also auch als einen Versuch des Dialogs mit der internationalen, das heißt der nord- und südamerikanischen Lateinamerikaforschung sehen, der durch vielerlei institutionelle Hindernisse, aber auch häufig vorhandenes gegenseitiges Desinteresse stark eingeschränkt wird. Gerade für die Lateinamerikanistik des deutschsprachigen Europa sind solche Anstrengungen unverzichtbar und deshalb sehr zu begrüßen. Man nimmt dabei allerdings billigend in Kauf, dass die wissenschaftliche Produktion zu Lateinamerika in solche "internationalistische" Publikationen und eher "binnenwissenschaftliche", das heißt zwangsweise auf deutsch verfasste Monographien und Sammelbände (Dissertationen aufgrund universitärer Vorschriften, bzw. andere Publikationen infolge Vorgaben durch Förderungsinstitutionen) auseinander fällt. Ebenso ergibt sich durch die Zusammenstellung von derart verschiedenartigen Ansätzen, Themen, geographischen Spezialisierungen und Methoden im Zeichen von Interdisziplinarität und dem Anspruch, Verallgemeinerungen und Ungenauigkeiten möglichst zu vermeiden, eine methodische Schwierigkeit: Entweder, man verzichtet für Publikationen wie die vorliegende auf ein Oberthema, um die spezialisierte Forschung der BeiträgerInnen nicht unnötig thematisch zu beugen. Oder aber, und dieser Weg wurde hier gewählt, das Oberthema wird sehr allgemein gefasst. Doch damit ist die Gefahr verbunden, dass allgemeine Erkenntnisse im Hinblick auf das Oberthema durch die Beiträge nicht wirklich zu gewinnen sind. Ein derart globales Thema wie "Macht und Widerstand in Lateinamerika", so der Untertitel des Bandes, kann vielleicht in der Diskussion eines Symposiums vor dem Hintergrund der präsentierten Forschung angegangen werden; im Sammelband müsste jedoch zumindest durch die Herausgeber der Versuch einer Synthese unternommen werden, die die Fäden der einzelnen Beiträge zu einem Muster verknüpft und noch einmal auf die in der Einleitung geäußerten Erkenntnisinteressen abhebt. In "Los buenos, los malos y los feos" bleibt dieser Versuch einer Synthese aus, es gibt kein zusammenfassendes oder abschließendes Kapitel. Trotz dieser Schwäche bleibt der Band nichtsdestoweniger eine lesenswerte Sammlung, aber eben nur eine Sammlung, von Schlaglichtern auf einzelne Aspekte des Komplexes Macht / Widerstand in Lateinamerika, die notgedrungen etwas disparat erscheinen muss.

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