S. Mecking u.a. (Hgg.): Stadtverwaltung im Nationalsozialismus

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Titel
Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft


Herausgeber
Mecking, Sabine; Wirsching, Andreas
Reihe
Forschungen zur Regionalgeschichte 53
Erschienen
Paderborn 2005: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
VII, 418 S., 16 s/w, 9 Tab., 4 Zeich.
Preis
€ 46,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Stelbrink, Soest

Der „Nationalsozialismus in der Region“ hat über Jahrzehnte im Windschatten der NS-Forschung gestanden. Seit ca. 1975 jedoch hat sich das Bild bekanntlich gründlich gewendet. In den letzten 30 Jahren ist eine beinahe unüberschaubare Fülle einschlägiger Arbeiten erschienen.1 So verschieden der Untersuchungsgegenstand, das Erkenntnisinteresse und die Qualität dieser Veröffentlichungen auch war, eines hatten sie jedoch ganz überwiegend gemeinsam: Die Kommunalverwaltungen im „Dritten Reich“ wurden – wenn überhaupt – eher beiläufig abgehandelt. Ihr Handlungsspielraum und Stellenwert im Machtgefüge des vorwiegend zentralistisch missinterpretierten NS-Staates galt als gering. Als relevante Handlungsträger vor Ort galten allenfalls verschiedene Parteiformationen oder Gestapo-Dienststellen. Prägenden Einfluss auf die Bewertung der Gemeindeverwaltungen im „Dritten Reich“ gewann das 1970 erschienene, noch heute unentbehrliche Standardwerk von Horst Matzerath, das jedoch vor allem den Zerfall der traditionellen kommunalen Selbstverwaltung thematisierte.2 Für die notwendige Analyse der „Systemfunktion der Gemeinden“ (S. 49) jenseits dieses klassischen Selbstverwaltungsmodells war damit nur wenig gewonnen.

Seit Mitte der 1990er-Jahre vollzog sich jedoch ein deutlicher Perspektivwechsel, der maßgeblich auf Wolf Gruner zurückgeht. In zahlreichen Veröffentlichungen arbeitete er auf überzeugende Weise den bedeutenden, autonom in die Wege geleiteten Anteil der Kommunalverwaltungen an der zunehmend radikaleren Repressionspolitik des NS-Staates gegenüber den „jüdischen Deutschen“ heraus.3 Diesem neuen Forschungskontext ist auch die hier zu rezensierende Publikation verpflichtet. Sie ist hervorgegangen aus drei im Jahre 2003 in Hannover, Augsburg und Magdeburg abgehaltenen Workshops. Die Herausgeber knüpfen ausdrücklich an Gruner an, weiten die Untersuchungsperspektive jedoch auf das gesamte Spektrum kommunalpolitischer Aktionsfelder aus. In zusammenfassender Auswertung der nachfolgenden Fallstudien gehen sie dabei zu Recht davon aus, dass „die Stadtverwaltungen [...] eigenständige Handlungsräume behielten bzw. sich neue Tätigkeitsfelder erschlossen“. Somit müssten sie als „eigenständige und wirkungsmächtige Akteure“ (S. 6), die sowohl in den Friedensjahren, vor allem aber auch im Krieg unabdingbare Arbeit für den Systemerhalt des NS-Regimes leisteten, „ernst genommen werden“ (ebd.). Besonderen Wert legen Mecking und Wirsching dabei auf die Feststellung, dass „der spektakuläre und gerade deswegen quellenmäßig leichter fassbare Konflikt“ zwischen Gemeindeverwaltung und Partei „nicht zum Regelverhältnis [...] erhoben werden“ darf. „Weitaus eher als von polykratisch bewirkter Dysfunktionalität des Regimes“ könne daher vor Ort von einem „symbiotischen Verhältnis zwischen Kommunalverwaltungen und Partei gesprochen werden“ (S. 18).

Die im Anschluss vorgelegten zwölf Spezialstudien stammen fast ohne Ausnahme aus der Feder relativ junger, entweder noch promovierender oder unlängst promovierter Historiker. Folglich handelt es sich zumeist um nützliche (Teil-)Zusammenfassungen bereits abgeschlossener Doktorarbeiten oder um Zwischenberichte aus laufenden Forschungen. Die Arbeiten gruppieren sich um die „drei großen Themenkomplexe Personalpolitik und -verwaltung, Konsolidierung und Versorgung sowie Verfolgung“ (S. 7). Untersucht werden fast ausschließlich großstädtische Verwaltungen. Bernhard Gotto und Sabine Mecking etwa demonstrieren am Beispiel der Städte Augsburg und Münster nachdrücklich die Effizienz einer nicht nur von NS-Ideologemen, Protektion und Pressionen, sondern auch von Pragmatismus und bisweilen auch „Milde“ (S. 45) geprägten Personalpolitik. Loyalität, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der städtischen Belegschaften konnten dadurch nicht nur in den Jahren nach der Machtübernahme 1933, sondern auch unter den erschwerten Bedingungen des Krieges nahezu uneingeschränkt aufrecht erhalten werden. Bettina Tüffers untersucht am Beispiel von Frankfurt am Main die Zusammensetzung, die informellen Koalitionsbildungen und die Entscheidungsprozesse innerhalb der Stadträte und Ratsherren, die sie irritierenderweise kollektiv als „Magistrat“ (S. 51 u.ö.) bezeichnet.

Der anschließende Themenkomplex „Konsolidierung und Versorgung“ ist mit fünf Beiträgen der umfangreichste. Christoph Schmidt und Yvonne Wasserloos etwa loten die systemimmanenten Handlungsspielräume städtischer Kulturpolitik am Beispiel Gelsenkirchens bzw. der Demontage des Mendelssohn-Denkmals in Leipzig aus. Roland Schlenker belegt am Beispiel rheinischer und westfälischer Großstädte, dass die personell zunehmend ausgezehrten Kommunen zur Aufrechterhaltung ihrer Versorgungsfunktionen ab 1942 in hohem Maße auf die Beschäftigung ausländischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter zurückgriffen. Die systemstabilisierende Funktionen der Kommunen im Krieg belegt vor allem der wichtige Aufsatz von Jörn Brinkhus über die von der Forschung viel zu lange völlig vernachlässigte expandierende Auftragsverwaltung der Gemeinden im Krieg. Natürlich ließen die zentral gesteuerten, den Gemeinden lediglich zur Durchführung übertragenen Aufgaben der Kriegswirtschaftsverwaltung oder des zivilen Luftschutzes wenig Ermessensspielraum vor Ort. Jedoch trug allein schon die zuverlässige Implementierung zentraler Vorgaben wesentlich zum relativ reibungslosen Funktionieren des NS-Staates im Kriegszustand bei. Brinkhus kann jedoch darüber hinaus aufzeigen, dass die begrenzten Handlungsspielräume durch die Kommunen effektiv genutzt wurden, um spezielle örtliche Problem- bzw. Stimmungslagen flexibel abzufedern und auf diese Weise das Regime zusätzlich zu festigen. Lediglich die von Katrin Holly am Beispiel von Memmingen und Augsburg treffend geschilderte, ganz weitgehende Zerstörung der Handlungsspielräume städtischer Finanzpolitik lässt sich nicht ganz so mühelos in die These von der relativ autonomen und systemstabilisierenden Rolle der Kommunen einpassen wie die Herausgeber das in der Einleitung darstellen.

Ein eindeutigeres Bild ergibt sich wiederum mit Blick auf die Kommunalverwaltungen als Instanzen der Ausgrenzung und Verfolgung. Maren Janetzko und Doris Eizenhöfer untersuchen die bereits 1933 einsetzende zentrale Rolle der Stadtverwaltungen von Augsburg, Memmingen und Frankfurt am Main als Organisatoren und „skrupellose Profiteure“ (S. 298) der Verdrängung jüdischer Unternehmer bzw. der Arisierung jüdischen Vermögens. Rüdiger Fleiter analysiert die Durchführung der nationalsozialistischen Erb- und Rassengesetzgebung durch das städtische Gesundheitsamt Hannover. Er betont, dass sich die ärztlichen Leiter trotz formaler Distanz zur Partei vorbehaltlos und übereifrig in den Dienst der Gesundheitspolitik stellten. Fleiter folgert daraus mit Recht, dass die allgegenwärtige „Klage der NSDAP über eine vermeintlich fehlende Nazifizierung der Verwaltung [...] von Historikern quellenkritisch hinterfragt und nicht überbewertet werden“ (S. 338) sollte. Hatte Gottos oben genannter Aufsatz noch ein „verhältnismäßig gutes Betriebsklima“ (S. 42) in der Augsburger Stadtverwaltung konstatiert, so unterstreicht Karl Reddemanns abschließende Analyse eines Münsteraner Einzelfalles nochmals den hohen Disziplinierungsdruck, der innerhalb der Stadtverwaltungen durch die stete Gefahr der Denunzierung bestand.

Eine eingehendere Besprechung der einzelnen Fallstudien kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Vielmehr muss der Hinweis genügen, dass die Aufsätze ohne Ausnahme lesenswert sind und ganz überwiegend gute Argumente für die oben geschilderte Sichtweise der Herausgeber liefern. Der neugierige Leser wird daher nur bedauern, dass ihm nicht wenigstens doppelt so viele Beiträge geboten werden. Insbesondere erscheint der Themenkomplex „Verfolgung“ mit lediglich vier Aufsätzen, von denen sich zwei auch noch dem vergleichsweise befriedigend erforschten Thema der „Arisierung“ widmen, arg zu kurz gekommen zu sein. Generell stellt sich bei derartigen Fallstudien natürlich stets das Problem der Repräsentativität. Weitere ausgedehnte Forschungen in vergleichbarer Qualität tun also Not, wobei auch Mittel- und Kleinstädte stärker berücksichtigt werden sollten. Vor allem wäre wünschenswert, dass noch viel konsequenter als bisher eine vergleichende Perspektive zwischen verschiedenen Städten gewählt wird. Auf eine weitere, noch für diesen Herbst angekündigte Aufsatzsammlung zum Thema „Stadtgeschichte in der NS-Zeit“ darf man daher nicht zuletzt wegen der im Untertitel angekündigten „vergleichenden Perspektive“ gespannt sein.4

Anmerkungen:
1 Siehe etwa Wirsching, Andreas, Nationalsozialismus in der Region. Tendenzen der Forschung und methodische Probleme, in: Möller, Horst; Wirsching, Andreas; Ziegler, Walter (Hgg.), Nationalsozialismus in der Region, München 1996, S. 25-46.
2 Matzerath, Horst, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung, Stuttgart 1970.
3 Stellvertretend seien hier genannt: Gruner, Wolf, Öffentliche Wohlfahrt und Judenverfolgung. Wechselwirkungen lokaler und zentraler Politik im NS-Staat (1933-1942), München 2002; Ders., Die NS-Judenverfolgung und die Kommunen. Zur wechselseitigen Dynamisierung von zentraler und lokaler Politik 1933-1941, in: VfZ 48 (2000), S. 75-126, zit. n. S. 78.
4 Schmiechen-Ackermann, Detlef; Kaltenborn, Steffi (Hgg.), Stadtgeschichte in der NS-Zeit. Fallstudien aus Sachsen-Anhalt und vergleichende Perspektiven, Münster (voraussichtlich 2005).

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