P. Brandt u.a. (Hrsg.): Symbolische Macht und inszenierte Staatlichkeit

Cover
Titel
Symbolische Macht und inszenierte Staatlichkeit. "Verfassungskultur" als Element der Verfassungsgeschichte


Herausgeber
Brandt, Peter; Schlegelmilch, Arthur; Wendt, Reinhard
Reihe
Politik- und Gesellschaftsgeschichte 65
Erschienen
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Bruning, Göttingen

Die vorliegende Sammlung von Beiträgen zur „Verfassungskultur” als Gegenstand der Geschichtswissenschaft geht zurück auf eine gleichnamige Tagung beim Promotionskolleg „Gesellschaftliche Interessen und politische Willensbildung – Verfassungskulturen im historischen Kontext“ am Historischen Institut der Hagener FernUniversität, die im Dezember 2002 stattgefunden hat. So finden sich unter den insgesamt 17 Beiträgen, die ihren zeitlichen Schwerpunkt im 19. und frühen 20. Jahrhundert haben, denn auch immerhin fünf Aufsätze, die von Absolventen/innen bzw. Mitgliedern des Promotionskollegs verfasst wurden.

Ganz der Konzeption des Kollegs folgend, steht die Bedeutung kulturgeschichtlicher Fragestellungen für die Verfassungsgeschichte bei allen Beiträgen im Mittelpunkt, wobei „Verfassung“ nicht auf das moderne System reduziert wird, sondern auch vergleichbare Formen der Vormoderne sowie außereuropäische Varianten mit einbezogen werden. Gegliedert sind die chronologisch und geografisch breit gestreuten Aufsätze in drei grundlegende Forschungsfelder: Die „Inszenierung von Herrschaft“ (Sektion I) beschäftigt sich mit der Selbstdarstellung der Herrschaftsträger/innen und Verfassungsakteure in Festen, Hymnen oder politischer Architektur und fragt nach ihrer Wahrnehmung und Funktionalisierung, also nach der (Selbst-)Inszenierung der Herrschaftsträger/innen. Die „Kulturelle bzw. Symbolische Praxis“ (Sektion II) stellt den gesellschaftlichen Umgang der Untertanen und Bürger/innen mit den Inszenierungen und Symbolen von Herrschaft in den Mittelpunkt, wobei hier natürlich insbesondere der Protest bis hin zu revolutionären Akten analysiert wird. Die abschließende Sektion III ist den „Diskursen“ der Interpreten/innen aus Wissenschaft und Politik über Herrschaft und Verfassung gewidmet, wobei vor allem zeitgenössische Debatten auf der Ebene von Staatsrechtslehre und Verfassungstheorie Berücksichtigung finden.

Nach einer mit sechs Seiten recht knapp ausgefallenen Einleitung zum Begriff der „Verfassungskultur“ eröffnet Wolfgang Reinhard die erste Sektion mit einem Beitrag zur „Historischen Anthropologie politischer Architektur“. Auf der Grundlage archivalischer Quellen behandelt Manuela Sissakis den „Überfluss und Sparzwang am Fürstenhof“ am Beispiel des Wolfenbütteler Herzogs Heinrich Julius am Ende des 16. Jahrhunderts; Sören Brinkmann widmet sich unter dem Titel „Chronik eines Misserfolges“ den Plänen zur Errichtung eines nationalen Pantheons in der spanischen Hauptstadt Madrid; Monika Wienfort analysiert die „Huldigungen und Thronjubiläen in Preußen-Deutschland und Großbritannien im 19. Jahrhundert“, und Michael Mann setzt sich mit der Inszenierung der britischen Herrschaft in der Kronkolonie Indien von 1876 bis 1937 auseinander.

In der zweiten Sektion zur „Symbolischen Praxis“ behandelt Wolfgang Kruse die „symbolische Destruktion des Königtums in der Französischen Revolution“; Werner Daum setzt sich mit den „politischen Öffentlichkeiten in der Revolution beider Sizilien“ in den Jahren 1820/21 auseinander; Reinhard Wendt widmet sich der Festigung der spanischen Kolonialherrschaft auf den Philippinen nach dem Putschversuch von 1823; Peter Brandt analysiert die Bedeutung des 17. Mai (Verabschiedung des Grundgesetzes durch die erste verfassungsgebende Versammlung Norwegens im Jahr 1814) für die norwegische Identitätsbildung; Karin Gille-Linne und Heike Meyer-Schoppa fragen nach der Bedeutung des Geschlechts als Projektionsfläche politischer Inszenierung am Beispiel der Juristin Elisabeth Selbert, die im Parlamentarischen Rat 1948/49 den Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes durchgesetzt hat, während der Aufsatz von Klaus H. Schreiner den nationalen Heldenkult in Indonesien als Mittel der Nationenbildung und Herrschaftslegitimation nach dem Zweiten Weltkrieg zum Thema hat.

Die dritte Sektion zu den „Diskursen“ wird eröffnet durch einen Beitrag von Ewald Grothe, der die Verfassungsdiskussion zwischen den Brüdern Grimm und dem hessischen Innen- und Justizminister Ludwig Hassenpflug zwischen 1832 und 1837 analysiert; Reinhard Blänkner beschäftigt sich mit dem Programm einer konstitutionellen Verfassungsgeschichte der Neuzeit des Leipziger Historikers und Staatswissenschaftlers Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772-1838); Anna Gianna Manca beschreibt den italienischen Sonderweg zur parlamentarischen Regierung in den Jahren 1848 bis 1922; Arthur Schlegelmilch setzt sich mit der These des von der westlichen Verfassungsentwicklung abgekoppelten „deutschen Konstitutionalismus“ auseinander; abschließend widmet sich Gesa Westermann der vietnamesischen Japanrezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Der vorliegende Band versammelt als Ergebnispräsentation der Arbeit des Hagener Forschungskollegs zahlreiche interessante Aufsätze, die sich auf der Grundlage der kulturwissenschaftlichen Wende der Geschichtswissenschaft dem altbekannten Feld der nun zu erweiternden Verfassungsgeschichte zuwenden und mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten nach der Anwendbarkeit des Begriffs der „Verfassungskultur“ im interdisziplinären Rahmen fragen. So können die präsentierten Beiträge naturgemäß nur erste Anregungen für einen vertieften Umgang mit den aufgeworfenen Fragestellungen bieten; allerdings wäre es wünschenswert und hilfreich gewesen, die Leser/innen in Form einer ausführlicheren Einleitung oder einer resümierenden sowie Orientierung bietenden Schlussbetrachtung etwas mehr ‚an die Hand’ zu nehmen, um wenigstens einige der zahlreichen weiterführenden Gedankengänge besser einordnen zu können. Vielleicht hätte man diesen gewissen Mangel schon durch die Beigabe der jeweiligen Diskussion zu den einzelnen Referaten oder der Dokumentation einer umfassenden Abschlussdiskussion beheben können. Zudem sollte eine abschließende redaktionelle Aufbereitung der Beiträge in Form eines Orts- und Personenregisters für eine solche Publikation eigentlich Pflicht sein; ein Sachregister hätte es außerdem ermöglicht, wenigstens auf diesem Wege die Beiträge des Bandes besser erschließen zu können.

So präsentiert der mit zahlreichen, aufgrund der Wiedergabequalität nicht immer hilfreichen Karten und Abbildungen versehene Sammelband insgesamt viele interessante Einzelbeobachtungen und weiterführende Anregungen für den Umgang mit dem Begriff der „Verfassungskultur“ und den damit verbundenen vielfältigen Interdependenzen zwischen Kultur und Verfassung, die auch von anderer Seite, beispielsweise von der Vereinigung für Verfassungsgeschichte schon andiskutiert wurden. 1 Es bleibt zu wünschen, dass die Impulse dieser beiden Tagungen und Sammelbände von der Fachwelt aufgenommen und in eine modern verstandene Verfassungsgeschichte integriert werden.

Anmerkung:
1 Becker, Hans-Jürgen (Hg.), Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur. Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Hofgeismar vom 22.3.-24.3.1999, Berlin 2003. Der Band behandelt insbesondere die Themenfelder der bildenden Kunst, der Wissenschaft und Erziehung, der Literatur, der Architektur und der Musik.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch