P. Gueniffey: la politique de la Terreur

Titel
La politique de la Terreur. Essai sur la violence révolutionnaire 1789-1794


Autor(en)
Gueniffey, Patrice
Erschienen
Anzahl Seiten
376 pp.
Preis
€ 23,76
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Cottebrune, Nussloch

Mehr als ein Jahrzehnt nach der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution liegt es nahe, in Frankreich eine Abnahme des regen Interesses an der Erforschung der Lieblingsepoche der französischen Geschichte anzunehmen. Dafür sorgt unvermeidlich das Verschwinden großer Figuren, die mit ihren Forschungen unvergänglich die Historiographie der französischen Revolution geprägt haben. Seitdem Albert Soboul und neuerdings Michel Vovelle nicht mehr an der Sorbonne unterrichten, seit dem plötzlichen Tod von François Furet könnte man vermuten, daß nun ein gewisses wissenschaftliches Vakuum in der Erforschung der Französischen Revolution herrscht. Dieser Eindruck muß allerdings relativiert werden, denn in den letzten Jahren hat sich bereits eine Wende angebahnt, an der Nachwuchshistoriker aktiven Anteil haben. Patrice Gueniffey, der seit einigen Jahren an dem Centre Raymond Aron der EHESS lehrt, gehört auch zu diesen Nachwuchshistorikern, deren wissenschaftliche Anfänge viel Aufmerksamkeit gefunden haben. Als Schüler von François Furet, bei dem er 1993 eine spannende Promotion über die Wahlen während der Revolution verfaßte, widmete er sich letztes Jahr mit seinem zweiten Buch über die Politik des Terrors einem in Frankreich stets mit Leidenschaft diskutiertem Thema und stieß unvermeidlich auf scharfe Kritik. Die regen Reaktionen, die dieses Buch verursachten, dürfen jedoch denjenigen kaum wundern, der sich mit den radikalen Thesen von Gueniffey auseinandersetzt. Diese mögen sicherlich gewagt erscheinen, denn für Gueniffey geht es nicht nur darum, das Erbe seines Doktorvaters und damit die revisionistische Historiographie der Französischen Revolution sehr engagiert in Anspruch zu nehmen, sondern auch die revolutionäre Gewalt anhand einer rein politischen Analyse zu deuten. In jenem Anliegen liegt sicherlich die Kraft des Buches, das ein neues Licht auf die Radikalisierung der Revolution wirft, aber gleichzeitig auch seine Schwäche. Zum ersten Mal wird versucht, die politischen Mechanismen, die zur Radikalisation der Revolution geführt haben mögen und die Furet eher suggerierte als sehr genau und theoretisch fasste, ausführlich und umfassend zu erläutern. Leider bringt aber gleichzeitig eine solche Perspektive die Gefahr mit sich, die Komplexität der revolutionären Ereignisse auszublenden.

Deshalb sollte sich jeder im klaren über die Absichten und Grenzen der Untersuchung von Gueniffey sein, bevor er die Lektüre seines Buches unternimmt. Schon der Titel weist ganz absichtlich auf die bescheidenen Ziele der Untersuchung hin, denn wie der Autor selber in seiner Einleitung unterstreicht, soll sein neues Buch nicht als eine neue Geschichte des Terrors verstanden werden, vor allem wenn man unter diesem Wort eine bestimmte Phase der Revolution versteht, nämlich die Phase, die am 5. September 1793 mit der Ausrufung des Terrors durch die jakobinische Wohlfahrtsdiktatur anfing und am 9. Thermidor mit dem Sturz von Robespierre endete.

Diese Geschichte des Terrors sowie seiner einzigartigen Variationen in den verschiedenen Provinzen Frankreichs wäre, so auch Gueniffey, noch zu schreiben. Seine Interessen liegen dennoch woanders und hängen von einem breiteren Verständnis des Wortes „Terror“ ab. Wenn dieses Wort, groß geschrieben, auf eine bestimmte Phase der Revolution hinweist, kann es auch, kleingeschrieben, als ein allgemeiner Begriff verstanden werden, der zeitlos auf die Aussübung von Sondermaßnahmen und Ausnahmegesetze hinweist.

In diesem Sinne fängt für Gueniffey wie sogar für Furet in dem Dictionnaire critique de la Révolution die Geschichte des Terrors nicht mit der Ausrufung des Terrors 1793, sondern bereits mit dem großem Aufbruch von 1789 an. Zudem endet sie nicht mit dem Sturz von Robespierre, sondern erst mit dem Ende der Revolution. Indem sich Gueniffey auf diese Konzeption des Terrors stützt, möchte er v.a. zwei Ideen widerlegen, nämlich die Annahme, daß der Terror eine von der Revolution zu trennende Episode und zufällige Abweichung vom ihrem normalen Lauf bildete und daß er erst aufkam, als es den jakobinischen Eliten gelang, ihre diktatorische Politik durchzusetzten.

Gueniffey richtet sein ganzes Buch gegen diese beiden Ideen, die in der Historiographie der Revolution stets eine große Rolle gespielt haben. In 11 ausgeglichenen Kapitel baut er seine Argumentation auf, die darauf abzielt, die intime Verbindung des Terrors mit der revolutionären Dynamik zu beleuchten. Somit geht er von der Neubewertung des Bruchs von 1789 aus, wozu die Zweihundertfeier der Französischen Revolution u.a. unter dem Einfluß von Furet weitgehend führte und setzt sich vorangehend mit der Frage nach der Natur und Eigenartigkeit des revolutionären Terrors.

In einem ersten spannenden Kapitel, in dem sich Gueniffey von den Ideen Wolgang Sofskys über die Gewalt inspirieren läßt, werden die verschiedenen Formen der revolutionären Gewalt analysiert und drei Hauptmerkmale unterschieden, die die Politik des Terrors kennzeichnen. Erstens wird der Terror von jeder wilden und spontanen, vom Volk ausgeübten Gewalt unterschieden. Gueniffey ist zurecht bemüht, die strategische Dimension des Terrors zu erläutern, der in den Händen der herrschenden Eliten als ein Einschüchterungsmittel benutzt wird. Indem der Terror zwischen seinen wirklichen Opfern und seiner eigentlichen Zielscheibe unterscheidet, kann er seine Wirkung hervorbringen, nämlich einen allgemeinen Schreck verbreiten. Darüber hinaus die Reflexion von Sofsky aufgreifend, veranschaulicht Gueniffey die Strategie des Terrors ganz hervorragend, indem er sich auf einen Text aus dem Prinz von Machiavel stützt. Somit weist er auf ein weiteres Merkmal des Terrors. Wirkungsvoll kann der Terror nur sein, wenn er seine Opfer mit großer Willkür trifft. In diesem Sinne widerspricht der Terror allen Regel der Justiz, die die Schuldigen ihren Taten angemessen straft. Aus diesem Gegensatz zur Justiz erschöpft sich laut Gueniffey der Sinn des revolutionären Terrors, der sich in erster Linie gegen die Personen richtet und nicht mehr gegen ihre Taten. Während der Revolution genügt tatsächlich der Zustand, bzw. die Zugehörigkeit zu bestimmten Feindkategorien wie Priester oder Adel, um die Schuld zu begründen. Indem Gueniffey die Merkmale des Terrors sehr genau fasst, kann er die ersten Ausrucksformen des Terrors auf das Jahr 1789 zurückdatieren. Mit der Errichtung des Comité des recherches der Stadt Paris und der allgemeinen Verfolgung der Emigrierten ab dem Sommer 1791 erschien spätestens für Gueniffey der Terror in der Revolution, der von ihm als ein angeborenes Produkt der revolutionären Dynamik betrachtet wird. In einem zweiten Kapitel wird der moderne Begriff der Revolution erläutert und die damit verbundenen idealistischen Vorstellungen der Revolutionäre, worauf die Erscheinung des Terrors für ihn zurückzuführen ist.

Gerade diese These, die den Terror eng mit der Revolution verbindet und die revolutionärfeindliche Argumentation von Edmund Burke in einem neutralen Sinne zu rehabilitieren scheint, wird für die meiste Kritik gesorgt haben.

Am Ende des 18. Jahrhunderts wandelte sich der Sinn des Revolutionsbegriffes, indem eine lineare auf die Fortschritte des Menschengeschlechts gedachte Geschichtsvorstellung die bisher herrschende zyklische ablöste. Wenn sich dieser aufklärerische Geschichtsoptimismus mit dem Ausbruch der französischen Revolution durchsetzen konnte, erhielt der Revolutionsbegriff gleichzeitig eine neue hinausragende Bedeutung, denn für die Revolutionäre ging es nicht nur darum, für eine Verbesserung der Umwelt zu kämpfen, sondern darüber hinaus eine völlig neue Realität zu schöpfen. Eine solche Einstellung wird in einem absoluten Vertrauen in die Macht des Willens und die Wirkung der Vernunft begründet, das für Gueniffey jedem pragmatischen Sinn für die Realität widersprechen sollte und insofern zur Anwendung von terroristischen Mittel führen muß. Wenn diese etwas karikaturale Verbindung zwischen dem Terror und dem modernen Revolutionsbegriff ein Stück Wahrheit beinhalten mag, ist es jedoch zu bedauern, daß der Autor an dieser Stelle seine abstrahierenden Ideen nicht anhand von konkreten Beispielen veranschaulicht. Sinnvoll wäre sicherlich eine Auseinandersetzung mit den Debatten des 6. Bureaus der Assemblée constituante, der mit der Niederschrift einer Déclaration des droits de l’homme beauftragt wurde. Dazu gibt das 1789 erschiene Buch von Marcel Gauchet ein paar schlüssige Beispiele. Das Fehlen von konkreten Beispielen bildet aber kein allzu bedauerlichen Mangel, da Gueniffey bald sein theorethisches Vorfeld verläßt und sich chronologisch auf für die Erscheinung des Terrors aufschlußreiche Momente konzentriert.

Zuerst wird Marat als ein Herold des Terrors geschildert. Indem Marat sehr früh die Denunziation als ein politisches Mittel ausnutzte und die Politik auf den Verdacht reduzierte, zeigt Gueniffey, wie er auf alte, traditionnelle politische Konzeptionen angewiesen blieb und im voraus die Diktatur von Robespierre verkörperte. Anstatt sich an die politischen Mittel zu wenden, die eine Mediation zwischen den regierenden und dem regierten Volk hätte fordern können, ließ er sich von einem Mißtrauen gegen die unvermeidliche Trennung zwischen dem Volk und den Repräsentanten verleiten und verbreitete jenen allgemeinen Verdacht, der später der Kern der terroristischen Politik der Wohlfahrtsdiktatur bilden sollte. Dieser Verdacht erscheint als ein Endzweck des politischen Engagements Marats, der von einer traditionnellen Konzeption der Souveränität ausgeht, die als einheitlich und infolgedessen als nicht übertragbar verstanden wird. Insofern sind für Gueniffey die Texte Marats als eine Prophezeiung des Terrors zu lesen, für dessen Aktivierung er auf drei auslösende Momente hinweist: den Beschluß vom 16. Mai 1791, die den Mitgliedern der konstituierenden Versammlung die Wiederwahl in die Nationalversammlung verbot und somit eine Verschiebung der politischen Kräfte nach links verursachte; die Flucht vom Ludwig dem XVIten am 21. Januar 1791 und die jakobinische Spaltung vom 15. Juli 1791. Um diese Wende von 1791 zu benennen, sprach Aulard sogar bereits von einem „petite terreur“.

Ein nächster Schritt erfolgte im April 1792 mit der Kriegserklärung, die zur Herausbildung einer Konfrontation zwischen der Gironde einerseits und der Bergpartei andererseits führte. Dieser Episode widmet Gueniffey ein Kapitel, in dem er sich mit von Mona Ozouf bereits ausgeführten Bemerkungen auseinandersetzt. Wie Mona Ozouf geht es Gueniffey darum, die kausale Verbindung zwischen Krieg und Terror infragezustellen und zu zeigen, daß die These der „circonstances“ ein nachthermidorianisches Produkt ist. Wie bereits von Mona Ozouf angemerkt, nahm der Krieg einen außerordentlich kleinen Platz in den Debatten der Konvention über die Einführung des Terrors im September 1793 und der „Grande Terreur“ im Juni 1794 ein. Außerdem unterstreicht Gueniffey wie Furet vorher in dem Dictionnaire critique de la Révolution, daß der Terror sogar öfter einsetzte, nachdem die Gefahr bereits verschwunden war. Dies trifft sowohl in der Revolte von Lyon zu als auch in dem Vendeekrieg, wo die blutige Vergeltung nach der Vernichtung der oppositionnellen Gruppierungen erfolgte. Somit greift Gueniffey auf zwei Beispiele zurück, die bereits von Furet erwähnt werden. Aber wo Furet noch gelegentlich auf die Bedeutung von sozialen Faktoren, bzw. den Klassenkonflikten im Fall der Revolte von Lyon hinweist (Furet schreibt, die politischen Kämpfe überlagerten den Klassenkrieg mit seinen Wirkungen), vertritt Gueniffey eine eindimensionalere Auffassung, die ihn zur Verschärfung der revisionistischen Thesen seines bisherigen Doktorvaters führen: Für ihn liegt die Ursache des Terrors ausschliesslich im politischen Konflikt lokaler Eliten und Regierungskommissare.

Wenn diese These ihn zu etwas karikaturalen Formulierungen verführt, verdient seine politische Interpretation der „Grande Terreur“, einer in der Forschung bisher noch wenig beachteten Episode, dennoch viel Aufmerksamkeit. In Konsequenz zu seiner bisher angewandten Argumentation präsentiert Gueniffey die „Grande Terreur“ als Kern eines politischen Projekts, dessen vorgeschobenen Anlaß und unmittelbaren Kontext, nämlich die Vergeltung von Attentatsversuchen auf die Personen von Collot d’Herbois und Robespierre, jene Einsetzung nicht genügend erklärt. Von diesem Standpunkt aus interpretiert er alle Zeichen, die ihn schließlich zu dem Schluß einer längeren Vorbereitung der Prairial-Dekrete zur Schaffung eines übermächtigen revolutionären Tribunals in Paris kommen lassen. Unter anderem unterstreicht er, daß zwei Monate vor der Einsetzung der „Grande Terreur“ die Wohlfahrtsdiktatur die in den Provinzen bisher eingerichteten revolutionären Tribunale abschaffen ließ und alle Prozesse von Verschwörungsverdächtigen nach Paris verlegen ließ. Den wirklichen Anlaß zu der „Grande Terreur“ bildet für Gueniffey der Prozeß von Danton, wo der Angeklagte auf sein Mitspracherecht beharrte und seinen klaren Widerstand hätte noch ausdrücken können. Um seine Macht zu befestigen, hätten also die herrschenden jakobinischen Eliten einen wirksamen Ausweg zur Ausschaltung ihrer unmittelbaren Bestreiter bedurft. Somit legt Gueniffey einen weiteren Baustein zu seiner radikalen These und einseitigen politischen Interpretation des Terrors vor; denn für die diktatoriale Regierung Robespierres war, laut Gueniffey, eben die Zeit gekommen, ihre Macht auf der Basis einer Scheinlegalität zu gründen. Nicht die Ideologisierung der revolutionären Debatte habe also für Gueniffey letztendlich die Radikalisierung der Revolution hervorgebracht, sondern umgekehrt, die Radikalisierung der Revolution habe sie umso mehr befördert, da sich die herrschenden jakobinischen Eliten aufgrund des wachsenden Einflusses von Konkurrenten, bzw der Anhänger von Hébert einerseits und der von Danton anderseits, gefährdet sahen. Auch wenn die ausgeführte Interpretation von Gueniffey plausibel erscheint, läßt sein monokausales Deutungsmuster andere Fragen offen, wie zum Beispiel die Auswirkung der sans-cullotische Bewegung auf die Radikalisierung der Revolution. Auch der Rolle der Pariser Kommune und der Frage nach ihrer Verwickelung mit den Machteliten wird keine besondere Beachtung geschenkt. Zwar erscheint eine politische Deutung der revolutionären Dynamik legitim, doch läßt sich diese Dynamik nicht ohne soziale Motive beleuchten, denn die Volksaufstände haben den Prozeß der Radikalisierung nicht nur stets begleitet, sondern auch weitgehend bestimmt.

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