R. v. Malllinckrodt: Struktur und kollektiver Eigensinn

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Titel
Struktur und kollektiver Eigensinn. Kölner Laienbruderschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung


Autor(en)
von Mallinckrodt, Rebekka
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 209
Erschienen
Göttingen 2005: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
517 S.
Preis
€ 69,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne Conrad, Institut für Katholische Theologie, Universität des Saarlandes, Saarbrücken

Die „Vielgestaltigkeit und Komplexität“ (S. 408) der Kölner Laienbruderschaften, das Wechselverhältnis ihrer religiösen und sozialen Funktionen sowie ihre Relevanz für die Religiosität katholischer Laien im Zeitalter der Konfessionalisierung – dies sind die Leitmotive der Untersuchung Rebekka von Mallinckrodts, die im Jahr 2003 als Dissertation an der Universität Augsburg eingereicht wurde. Bruderschaften, bereits im Mittelalter eine Sozialform, die nicht nur religiöse Bedürfnisse befriedigte, sondern auch wichtige gesellschaftliche Funktionen wahrnahm (gemeinsame Essen und Feiern, soziale Stabilisierung, Unterhaltung), erlebten im frühneuzeitlichen Katholizismus eine Hochkonjunktur, sind allerdings bislang in der Forschung erst ansatzweise behandelt worden. 1 In Köln sind im 17. Jahrhundert über 120 Bruderschaften nachweisbar, allerdings sind nur knapp 70 davon quellenmäßig genauer zu erfassen. Sie bilden den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit.

Nach einer ausführlichen Einleitung zu Fragestellung, Forschungsstand und Quellenlage sowie zur speziellen politischen und konfessionellen Lage Kölns als „Musterbeispiel untridentinischer Reform“ (S. 84) gliedert sich der Hauptteil der Untersuchung in drei Teile: die Marianischen Kongregationen der Jesuiten, andere katholische Gründungen – Mallinckrodt nennt sie „reformkatholische Bruderschaften“ – im Gefolge der Jesuiten sowie schließlich Neugründungen in der Tradition der vorreformatorischen mittelalterlichen Bruderschaften.

Von besonderem Gewicht als Vorbild für viele ähnliche Gründungen waren die von den Jesuiten ins Leben gerufenen Marianischen Kongregationen, deren Betrachtung auch bei Mallinckrodt den größten Raum einnimmt. Die Frage ist dabei, „wie sich die neuartigen Marianischen Kongregationen in die bereits bestehende Bruderschaftslandschaft einfügten, welche Wechselwirkungen und Widerstände dabei womöglich entstanden“, wie also die neu gegründeten katholischen Bruderschaften in ihrer Wirksamkeit tatsächlich einzuschätzen sind (S. 20). Mallinckrodt versucht diesen Fragen auf die Spur zu kommen, indem sie in jedem Abschnitt zunächst die in den Bruderschaftsstatuten niedergelegten Normen und Ideale vorstellt, dann deren institutionelle und mediale Vermittlung in den Blick rückt und schließlich anhand der Mitgliederlisten Überlegungen zur sozialen Reichweite und Akzeptanz der Bruderschaften anstellt.

Die Marianischen Kongregationen, also die von den Jesuiten für verschiedene städtische Gruppen, vor allem für Schüler und Bürger, gegründeten Vereinigungen bildeten einen neuen Bruderschaftstypus, der sich von den mittelalterlichen Laienvereinigungen deutlich unterschied. Sie zeichneten sich durch eine straffe, zentralistisch auf Rom ausgerichtete Organisation und eine von der jesuitischen Spiritualität bestimmte geistliche Zielrichtung aus, zugleich aber auch durch moderne Methoden, die – glaubt man den mehrheitlich jesuitischen Quellen – bei der Bevölkerung großen Anklang fanden. Besonders die ‚multimediale‘ Vermittlung religiöser Inhalte durch Bücher, Bilder, Schauspiele und Wettbewerbe verlieh der Mitgliedschaft in den Marianischen Kongregationen hohe Attraktivität (S. 153-194). Die Marianischen Kongregationen zielten, wie sich an der Auswertung des „Handbuchlein“ der Bürgersodalität aufzeigen lässt, auf die katholische Sozialisation ihrer Mitglieder durch ein „neues Ideal der religiösen Lebensführung“ (S. 147). Dieses manifestierte sich im häufigen Sakramentsempfang, in regelmäßigen, von Jesuiten geleiteten geistlichen Versammlungen und in einem streng strukturierten, geistlich orientierten Tagesablauf, der von der „protestantischen Arbeitsethik“ nicht weit entfernt war. Insgesamt kann man von einer „regelrechten Klerikalisierung der Laien“ sprechen (S. 151), die bereits mit der feierlichen Aufnahmezeremonie mit Generalbeichte, Weihegebet und öffentlich abgelegtem tridentinischen Glaubensbekenntnis grundgelegt wurde.

Mit gleicher Zielsetzung initiierten auch andere Reformorden – Kapuziner, Franziskaner-Observanten, Unbeschuhte Karmeliter – geistliche Bruderschaften, meist nach dem Vorbild der Jesuiten, aber auch als Konkurrenzgründungen. Für Köln lassen sich vierundzwanzig solcher Gründungen nachweisen, die unter verschiedenen Patrozinien standen und sich aus unterschiedlichen sozialen Schichten rekrutierten, alle jedoch das katholisch-konfessionalistische Frömmigkeitsideal propagierten, das von sämtlichen Mitgliedern – Laien ebenso wie Ordensleuten und Klerikern – gleichermaßen mitgetragen wurde. Eine spezifische „Laienfrömmigkeit im Unterschied oder gar in Kontrast oder Opposition zu einer klerikalen Religiosität“ findet sich hier offenkundig nicht (S. 288).

Neben diesen Neugründungen des tridentinischen Katholizismus bestanden etwa ebenso viele Gemeinschaften, die ihre Wurzeln im Mittelalter hatten oder in Analogie zu den mittelalterlichen Bruderschaften im 17. Jahrhundert neu gegründet wurden. Beispiele für diese Vereinigungen, die „begrenzte religiöse Ziele mit weltlichen Zwecken kombinierten“ (S. 298), sind die Zunftbruderschaften sowie Gemeinschaften, die sich der Versorgung von Kranken (Vorläufer von „Krankenkassen“) und der Armenfürsorge widmeten. 37 solcher Vereinigungen (davon 29 Zunftbruderschaften) werden von Mallinckrodt genauer untersucht. Allen gemeinsam war ihre „Multifunktionalität“, also die Tatsache, dass sie sich nicht nur als religiöser, sondern zugleich auch als geselliger oder karitativer Verein darstellten (S. 373). In religiöser Hinsicht waren diese Gemeinschaften eher den traditionellen als den neuen tridentinischen Frömmigkeitsformen verpflichtet und dementsprechend nicht im Umfeld der reformkatholischen Ordenskirchen, sondern bei den Pfarrkirchen angesiedelt. Allerdings kam es bei den Mitgliedschaften in den Bruderschaften vielfach auch zu Überschneidungen. Aus Sicht der Mitglieder selbst bildeten also die jesuitischen und „reformkatholischen“ Bruderschaften, die im Sinne des tridentinischen Frömmigkeitsideals als konfessionelle Multiplikatoren fungierten, und die „traditionellen“ Bruderschaften, bei denen die Geselligkeit im Vordergrund stand, keine unvereinbaren Gegensätze. Deutlich wird dies in dem letzten Teil des Abschnitts, in dem die Mitgliederrekrutierung der Bruderschaften – gerade auch im Hinblick auf Überschneidungen und Interferenzen – näher betrachtet wird. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch der wertvolle prosopografische Anhang zu den „Bürgermeistern, Ratsherren und Syndici“ in den einzelnen Bruderschaften (S. 465-503).

Insgesamt bietet Mallinckrodt eine detaillierte Untersuchung des Kölner Bruderschaftswesens in der Frühen Neuzeit und schließt damit an die Arbeiten von Klaus Militzer zum Kölner Bruderschaftswesen im Spätmittelalter an. Die Untersuchung trägt somit dazu bei, die große Forschungslücke zum Semireligiosentum in der Frühen Neuzeit zu schließen. Ihre Ergebnisse sind jedoch weniger spektakulär, als es die Selbsteinschätzung Mallinckrodts nahe legt. Dass ihre Befunde das bisherige Bild des Bruderschaftswesens „wesentlich revidieren“ (S. 136), scheint etwas hoch gegriffen. Auch dass das „Konfessionalisierungsparadigma [...] erheblich relativiert werden“ muss (S. 407), gilt allenfalls, wenn man die „Konfessionalisierungsthese“ sehr eng auslegt. Insgesamt wird das „Konfessionalisierungsparadigma“ durch Mallinckrodts Untersuchung eher bestätigt als relativiert. Die Dominanz der Marianischen Kongregationen und damit des jesuitisch-tridentischen Katholizismus, ihre Vorbildfunktion und ihr Einfluss auf die anderen Bruderschaften werden nicht wirklich in Frage gestellt.

Unbefriedigend ist zudem, dass (fast) nur Bruderschaften mit männlichen Mitgliedern betrachtet werden. Laut der Satzungen der weitaus meisten Bruderschaften waren Frauen ausgeschlossen oder bestenfalls „Mitglieder zweiter Klasse“ (S. 64, 70f., 142f. u.ö.). Dies zieht allerdings die von Mallinckrodt allenfalls beiläufig, nämlich im Zusammenhang mit der jesuitischen Todesangstbruderschaft (S. 279) gestellte Frage nach sich, wie Frauen mit dieser Ausgrenzung umgingen, ob sie kein Interesse an den (männlichen) Bruderschaften hatten oder ob sie für sich selbst alternative Ausdrucksformen fanden – sowohl in Bezug auf Religiosität als auch auf die Geselligkeit. Mit den Marianischen Kongregationen vergleichbare jesuitische Frauengemeinschaften wie etwas die Kölner Ursulagesellschaft bleiben ausdrücklich außen vor – mit der wenig plausiblen Begründung, dass es sich dabei um eher ordensähnliche Gemeinschaften gehandelt habe (S. 24). Letzteres ist zwar nicht falsch, verkennt aber die besondere Funktion, die das Semireligiosentum (und damit die Bruderschaften) gerade für Frauen, denen sich im geistlichen Bereich weniger Möglichkeiten als Männern boten, wahrnehmen konnten. 2 Unklar bleibt auch, weshalb eines der Kapitel zu den „reformkatholischen“ Bruderschaften mit „Feminisierung der Religion [...]?“ überschrieben ist, obwohl über die dazu betrachtete Wallfahrtsbruderschaft lediglich festgestellt wird, dass ihr zwar vergleichsweise viele Frauen (43%) angehörten, diese aber weder bei der Ämtervergabe noch sonst eine erwähnenswerte Rolle spielten (S. 287). So bietet die Untersuchung wichtige Einblicke in die frühneuzeitliche Spiritualität männlicher Laien in einer katholischen Stadt, lässt aber nicht zuletzt aus Sicht der Geschlechtergeschichte etliche Fragen offen.

Anmerkungen:
1 Bisher liegen vor: Remling, Ludwig, Bruderschaften in Franken. Kirchen- und sozialgeschichtliche Untersuchungen zum spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bruderschaftswesen, Würzburg 1986; Schneider, Bernhard, Bruderschaften im Trierer Land. Ihre Geschichte und ihr Gottesdienst zwischen Tridentinum und Säkularisation, Trier 1989.
2 Vgl. dazu: Conrad, Anne, Die Kölner Ursulagesellschaft und ihr „welt-geistlicher Stand“. Eine weibliche Lebensform im Katholizismus der frühen Neuzeit, in: Reinhard, Wolfgang; Schilling, Heinz (Hgg.), Die Katholische Konfessionalisierung, Münster 1995, S. 271-295.

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