R. W. Keck u.a. (Hgg.): Bildung im Bild

Titel
Bildung im Bild. Bilderwelten als Quellen zur Kultur- und Bildungsgeschichte


Herausgeber
Keck, Rudolf W.; Kirk, Sabine; Schröder, Hartmut
Erschienen
Bad Heilbrunn 2004: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thorsten Loch, MGFA

Seit den 1980er Jahren sammelt und katalogisiert der emeritierte Hildesheimer Professor für Angewandte Erziehungswissenschaften und Allgemeine Didaktik, Rudolf W. Keck, Bilder, die einen im weitesten Sinne pädagogischen Inhalt bieten. Dabei konzentrierte er sich auf die Bibliotheksbestände der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, sowie der Universitäten in Helmstedt und Göttingen. Seit 1998 arbeitet Keck im Rahmen des DFG-Projekts „Retrospektive Digitalisierung ausgewählter Bibliotheksbestände“ gemeinsam mit der Berliner Bibliothek für Bildungshistorische Forschung (BBF) daran, den gewonnenen Hildesheimer Bildarchivbestand mit dem der BBF zusammenzuführen und über das Internet einem größeren Interessentenkreis zugänglich zu machen. 1 Der hier vorliegende Sammelband stellt einen Zwischenbericht über die inhaltliche Beschäftigung mit der Quelle Bild aus Sicht des Pädagogen einerseits und den technischen Umgang mit dieser im Zuge der Digitalisierung andererseits dar. Dabei steht die Absicht im Vordergrund, das Bild als pädagogisch-historische Quelle nutzbar zu machen und eine Diskussion zur Interpretation von Bildern für die Historische Bildkunde und besonders für die Bildungs- und Erziehungsgeschichte voranzubringen (S. 8).

Keck zeigt in seinem einleitenden Aufsatz am Beispiel ausgewählter mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Drucke den Wandel der Pädagogik. Dabei fragt er, wie sich Pädagogisches im Bild lesen ließe. Er stützt sich dabei im Wesentlichen auf die ikonographisch / ikonologische Methode Panofskys, die Keck selbst als ikonologisch-strukturalistisch bezeichnet (S. 26). Zur Verdeutlichung zeigt er mit Hilfe der vorikonographischen, ikonographischen und ikonologischen Analyse die Entwicklung und Ausdifferenzierung von „Lehr-Konfigurationen“ und „Lehrplan-Konfiguration“. Dabei streift Keck den geschichtswissenschaftlichen Stand der Forschung zur Historischen Bildkunde nur am Rande.

Sabine Kirk widmet sich der Frage, ob eine Schultheorie im Bilde durch Bilddokumente des 15.-17. Jahrhunderts erstellt werden könne. Dabei nutzt sie Ansätze der Seriellen Ikonographie, um Veränderungen in der Darstellung von Lehrendem und Lernendem aufzuspüren und darüber hinaus in diesen Quellen Aussagen über Lernorte und Schulbereiche zu tätigen. Wie Keck geht Kirk davon aus, „dass Bilder mehr aussagen können“ indem „Bilddokumente über Textquellen hinausgehende Aussagen zur Geschichte der Pädagogik unter Einbeziehung sozial- und kulturgeschichtlichen Aspekten ermöglichen.“ (S. 38) Wie allerdings die Einbeziehung von sozial- und kulturgeschichtlichen Ansätzen erfolgt, bleibt Kirk schuldig. Hier tritt das Selbstverständnis des Bandes auf, eine Historische Bildforschung im Rahmen der Pädagogik und nicht der Geschichtswissenschaft zu betreiben (S. 67).

Peter Müller wendet sich mit Retabeln und Bilderchroniken ebenfalls mittelalterlichen Darstellungsformen, bzw. Bildgattungen zu. Anders jedoch als seine Co-Autoren schreibt Müller in erster Linie aus Sicht des Historikers. Hierin liegt zunächst die Stärke seines Beitrages, denn er versteht es die Bilder quellenkritisch einzuordnen, d.h. er beleuchtet vor allem Produktionsbedingungen, aber auch die Intentionen möglicher Auftraggeber. Doch auch Müller stellt die Historische Bildkunde in den Bezugsrahmen der Pädagogik, gleichwohl räumt er ein, dass historische Bildforschung auch Geschichtswissenschaft bedeute (!) (S. 68). Letztlich kommt Müller über einen realienkundlichen Ansatz nicht hinaus und stellt fest, dass die Genauigkeit der Darstellungen teilweise beeindruckend sei und man fast wie in einer Bildreportage „mit Bildquellen viele Bereiche des Lebens erfassen und abdecken“ könne (S. 118).

Otto May möchte mit der relativ jungen Bildgattung „Postkarte“ mentalitätsgeschichtliche Quelle befragen und betrachtet sie als ein Massenkommunikationsmittel, „das Bilddarstellungen selbst in die entferntesten Winkel der Welt trug und so Menschen und deren Einstellungen massiv beeinflusste.“ (S. 126) Bereits diese apodiktische Aussage berührt den zentralen Kritikpunkt an diesem Sammelband: Die Frage nämlich, inwiefern Nichthistoriker auf dem Gebiet der historiographischen Subdisziplin der Historischen Bildkunde wirken, ohne den geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand zu berücksichtigen. Ungeachtet der Tatsache, dass May m. E. hier massenhafte Kommunikation mit massenhafter Auflage, Verfügbarkeit und vielleicht auch Verbreitung gleichsetzt, bleibt stets zu hinterfragen, ob Postkarten tatsächlich in der Lage gewesen sein können, Einstellungen massiv zu beeinflussen. Damit ist die Frage nach Wahrnehmung und Wirkung der Quelle Bild angesprochen. Wenn Postkarten tatsächlich eine massenhafte Auflage hatten und vielleicht auch massenhaft versandt wurden, wer kann dann Quellen benennen, wie einzelne dieser Bildmotive zu wirken vermochten und wie sie in der Lage waren Mentalitäten zu beeinflussen? May vermutet in den Bildern eine handlungsleitende Einstellung, eine übergeordnete Idee und ein Leitbild der Gesellschaft, kurzum den herrschenden Zeitgeist vorzufinden. (S. 141)

Möchte May nachweisen, dass z.B. Ansichtskarten vor dem Ersten Weltkrieg als Propagandamittel eingesetzt wurden, reicht der Bezug zur Mentalitätsgeschichte allein eben nicht aus, vielmehr muß hier am Einzel- bzw. am Serienbeispiel nachgewiesen werden – dies geht wohl nur über die schriftliche Überlieferung – ob diese Bilderreihen tatsächlich für eine auf Persuasionen abzielende Kommunikation eingesetzt wurden. Erst dann, wenn hierzu der Nachweis erbracht wird, also der ursprüngliche Zweck nachweisbar ist, können die bildlichen Darstellungen als Quellenmaterial befragt werden. Deutlich wird dies in einem Beispiel für Kriegspostkarten des 2. Weltkrieges (S. 160-163). Vor allem in diesem Abschnitt wirken Mays Aussagen angesichts der Forschungsliteratur 2 spekulativ. May beschreibt eine Postkarte (S. 161) mit dem Motiv „Der 10. Mai 1940“. Dieser Postkarte liegt ein Gemälde des Propagandakompanie-Malers Paul Mathias Padua zugrunde. Wolfgang Schmidt, der das Gemälde in seinen historischen Entstehungs- und Wirkungszusammenhang stellt, weist nach, dass das Bild Paduas mit dem für die nationale Identität der USA bedeutenden Gemälde Emanuel Leutzes „Übergang Washingtons über den Delaware“ von 1850 in Verbindung zu bringen ist. Demnach erhebt das Bild Paduas den Anspruch darauf, die Überquerung des Rheins im Frankreichfeldzug als „die bildhafte Formulierung eines ins Mythische weisenden heroischen nationalen Aufbruchs zu sein.“ 3 Für May hingegen zeigt das Bild Paduas schlicht „die Beherrschbarkeit der Kriegsmaschinerie im Kleinen.“ (S. 161) Hieran wird deutlich wie ungeheuer komplex der Kommunikationszusammenhang bei Bildern sein kann und welche Tücken in der Nutzbarmachung der Quelle Bild vorhanden sein können. May unterliegt hier m.E. der Versuchung, Bildern allzu schnell eine Bedeutung im historischen Wirkungszusammenhang zuzuschreiben und diese als Repräsentanten der geistigen Verfassung einer Generation anzusehen.

Einen Abschluss findet der Band in den Beiträgen von Hartmut Schröder und erneut Peter Müller, die sich überwiegend der technischen und praktischen Seite des DFG-Projektes zuwenden. Sie beleuchten die zur Verfügung stehenden Bestände, die Katalogisierungskriterien und die Erhebung und Digitalisierung der Bilder und vermitteln so einen Einblick in eine andere Form im Umgang mit der Quelle Bild.

Die Herausgeber legen mit dem Sammelband eine Arbeit zur historischen Bildungs- und Bildforschung vor, die methodisch im Pädagogischen verwurzelt ist. Historiographische Fragestellungen bleiben weitestgehend unberücksichtigt. Bemerkenswert ist, dass die Vorgehensweise Panofskys kritisch hinterfragt und gleichzeitig eingeräumt wird, dass dessen Ansatz zwar auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Bildgattungen anwendbar ist, jedoch in der Analyse von Photographien, Karikaturen, Filmen oder Werbebildern mit dem vorliegenden Sammelband methodische Fragen offenbleiben müssen. Aus diesem Grund beabsichtigen die Herausgeber um Keck im Jahr 2005 einen weiteren Band zu publizieren, der sich mit diesen hier offen gebliebenen Bildgattungen befaßt, die Ansätze Panofskys weiterhin kritisch hinterfragt und Methoden der Geschichtswissenschaft stärker mit einbindet.

Anmerkungen:
1http://www.bbf.dipf.de/virtuellesbildarchiv/
2 Schmidt, Wolfgang, „Maler an der Front“. Die Kriegsmaler der Wehrmacht und deren Bilder von Kampf und Tod, in: Arbeitskreis Historische Bildforschung (Hg.), Der Krieg im Bild – Bilder vom Krieg. Hamburger Beiträge zur Historischen Bildforschung, Frankfurt am Main 2003, S. 45-76.
3 Schmidt (wie Anm. 2), S. 60.

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