Ausstellungskatalog, Landesgeschichte

Titel
Ehrgeiz, Luxus & Fortune. Hannovers Weg zu Englands Krone


Herausgeber
Historisches Museum Hannover
Reihe
Schriften des Historischen Museums Hannover 19
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
"in Vorbereitung"
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barmeyer-Hartlieb, Heide

Am 15. August 1701 wurde im Leineschloß des Kurfürstentums Braunschweig-Lüneburg in Hannover der Witwe des Kurfürsten Ernst August Sophie von der Pfalz vom englischen Gesandten die Urkunde des vom englischen Parlament verabschiedeten Act of Settlement überreicht, in der die Thronfolgebestimmungen festgehalten waren, aufgrund deren Sophie und ihre Nachkommen die Krone Englands erben sollten. Auf den Tag genau dreihundert Jahre später eröffnete das Historische Museum Hannover eine Sonderausstellung mit dem Titel "Ehrgeiz, Luxus & Fortune. Hannovers Weg zu Englands Krone", der der zu besprechende Essayband zugeordnet ist. Die Schwierigkeit bei der Besprechung dieses Bandes besteht nun darin, daß er sich zwischen Ausstellungskatalog und wissenschaftlichem Aufsatzband bewegt und damit das Problem aufwirft, welcher Beurteilungsmaßstab gerechterweise anzulegen ist. Alle Autoren sind Fachkenner der von ihnen behandelten Materie, aber sie gehen sehr unterschiedlich mit ihrer Aufgabe um, einem historisch interessierten breiten Laienpublikum, das die Ausstellung besucht, weiterführende Informationen zu geben.

Bevor man in die Lektüre einsteigt, fällt auf den ersten Blick die sehr gelungene ästhetische äußere Gestaltung des Bandes auf. Dafür ist das Atelier für Visuelle Kommunikation verantwortlich, das die Publikation auch finanziell mit unterstützt hat und hier eine attraktive Visitenkarte vorlegt. Farblich, typographisch und im gesamten Layout ist der Band durchgängig gekonnt-professionell "durchgestyled" - eine Freude für den Betrachter. In barocker Pracht präsentiert sich das Äußere des Bandes: Auf tiefdunkelblauem matten Grund strahlt auf Vorder- und Rückseite in Gold eine weibliche Halbfigur aus dem Gartentheater in Herrenhausen -Symbol der Glanzzeit Hannovers. Sie wird auf der Vorderseite flankiert von Ernst August, dem ersten Kurfürsten, und seiner Gemahlin Sophie von der Pfalz - beide jung und modisch-elegant nach dem Zeitstil gekleidet - Jahre vor ihrem politischen Aufstieg.

Daß der Gang der politischen Ereignisse ein Aufstieg war, suggeriert der Titel: Ehrgeiz und Luxus als Voraussetzungen und Mittel, Fortune als notwendige Zugabe für den dann eintretenden Erfolg. Daß Fortuna eine unbeständige und unzuverlässige Göttin war, auf deren Segnungen nur ein labiles Gleichgewicht aufgebaut werden konnte, könnte man symbolisch angedeutet in der Vorderseitengestaltung erkennen: Ernst August und Sophie, in Diagonale von links oben nach rechts unten einander gegenübergestellt ohne sich anzusehen und in der Mitte die anmutige Frauengestalt, die wie an einem unsichtbaren Faden mit leichter Hand die die beiden Protagonisten tragenden Waagebalken zu halten scheint.

Der Titel des Bandes und der Ausstellung scheint zu suggerieren, daß Hannovers Weg zu Englands Krone eine Erfolgsgeschichte war. Ist das auch die Aussage der Aufsätze?

Einleitend äußert sich Thomas Schwark, Leiter des Historischen Museums und hauptsächlich verantwortlich für diese Ausstellung, über Idee und Konzeption einer Ausstellung, in deren Mittelpunkt eine Urkunde -"Flachware", wie es im Jargon heißt - steht und erläutert die Probleme einer räumlichen Umsetzung und Inszenierung der inhaltlichen Vorstellungen. Die ausstellungsdidaktischen Überlegungen, die er darlegt, sind überzeugend: Der Zugang soll über Personen gefunden werden- Ernst August und Sophie - und ihnen zugeordnete Themen werden als "männlicher" bzw. "weiblicher" Wegeverlauf auf das Zentrum, die Urkunde als Ausdruck der Anwartschaft auf die englische Krone, ausgerichtet, während gesellschaftliche, wirtschaftliche Bereiche und Zeitumstände peripher stützend angeordnet sind. Er selbst sagt zu den folgenden Spezialaufsätzen, daß diese sehr unterschiedlich sind und von traditionellen Ansätzen über moderne Sichtweisen und zugespitzte Überblicksdarstellungen bis zu fundierten Detailforschungen reichen. Dieser Feststellung sei im folgenden etwas genauer nachgegangen.

Carl-Hans Hauptmeyer spricht von "Mittelmäßigkeit als Chance. Kurhannover im 18. Jahrhundert". Es handelt sich hier um eine überspitzte Überblicksdarstellung aus politologisch-wirtschaftshistorischer Sicht, die Forschungskontroversen aufnimmt und auf dem zur Verfügung stehenden Raum so knapp zusammenfaßt, daß der Laie vermutlich wenig versteht und der Fachkenner gegen schiefe Vereinfachungen protestieren muß. Es handelt sich dabei einmal um das Erklärungsmuster von Peripherie und Zentrum, das - wenn überhaupt - nur mit Vorsicht und differenzierend auf das Hannover des 18. Jahrhunderts angewandt werden könnte; zweitens wird die schwierige Frage nach den langfristigen Folgen der Personalunion für Hannover aufgegriffen. Sie ist in der Forschung keineswegs eindeutig beantwortet und über die hier angedeutete Tendenz, Hannover als "Halbperipherie" im Schatten der übermächtigen Weltmacht Großbritannien benachteiligt und in Mittelmäßigkeit zurückbleibend darzustellen, ließe sich mit wenigen Hinweisen zumindest relativieren. Im einzelnen könnte noch viel kritisch eingewandt werden. Das kann hier nicht geschehen. Es zeigt aber, daß ein notwendig knapper Essay zu einer Ausstellung der ungeeignete Ort für derart schwierige und kontroverse Theorien und Interpretationen ist.

Die beiden folgenden Aufsätze von Christine van den Heuvel über das Herrscherpaar - eine Ehe mit Kalkül und Fortune - und von Thomas Schwark über den innerfamiliären Streit über der Einführung der Primogenitur - Fortschritt oder Unrecht? - sind u.a. wegen ihres Zugangs über Personen zu historischen Problemen für den Leser eingängiger. Die Ausführungen von Christine van den Heuvel sind klar und informativ und werden lebendig vor allem durch die treffenden wörtlichen Zitate aus der Korrespondenz Sophies, die diese bedeutende Frau anschaulich charakterisieren. (Übrigens wäre ihr Altersporträt als Kurfüstinwitwe, vermutlich etwa in dem Alter, als sie die Urkunde zur englischen Thronfolge in Empfang nahm, das im Band abgebildet ist, auf der Vorderseite des Bandes aussagekräftiger gewesen als das glatte, idealisierte höfische Jugendbildnis.)

Thomas Schwarks Darstellung des Streites der Söhne bei Einführung des Erstgeburtsrechts als Voraussetzung für die Erlangung der Kurwürde ist anschaulich, spannend und dazu noch originell und neu in der Deutung des Verhaltens der (damals noch) Herzogin Sophie. Dramatisch und wie ein Roman zu lesen der Aufruhr im Schloß, dann die präzisen politischen Hintergrundinformationen und darauf folgend die Analyse der Primogenitur als Element moderner Staatlichkeit, die innerfamiliär bei den zurückgesetzten Söhnen und der mit ihnen sympathisierenden Mutter auf Opposition stieß. Schwark stellt dar, daß hinter den Kontrahenten zwei gegensätzliche Rechts- und Staatsauffassungen standen: hinter Ernst August und seinen juristischen Beratern die neuzeitliche Auffassung vom souveränen Monarchen und wohl organisierten Staatswesen, wie sie von Samuel Pufendorf gelehrt wurde - hinter den rebellierenden Söhnen und der Mutter ältere traditionelle Wertvorstellungen von gleichmäßig-gerechter Behandlung, wie sie vor allem in protestantischen Dynastien weiter gepflegt wurden. Hatte man bisher- durch Briefzitate Sophies eindrucksvoll belegt- immer die mit den benachteiligten Söhnen mitleidende Mutter gesehen, so gelingt es Schwark, zu einer interessanten neuen Sicht vorzudringen. Schwark sieht in Sophies Verhalten, das für sie sehr gefährlich war - sie wurde streng verhört, zeitweise in ihren Gemächern isoliert und einer der Verschwörer wurde enthauptet - , das bemerkenswerte politische Handeln einer frühneuzeitlichen Fürstin, die aus konfessionellen, in ihrer familiären Herkunft und Erfahrung begründeten Motiven Vorstellungen verteidigte, die ihren Nachkommen schließlich die englische Krone einbrachten.

Annette von Stieglitz geht den Stationen zur Erlangung der Kurwürde durch Ernst August und Georg Ludwig nach und faßt die Beseitigung der vielfältigen Widerstände mit politischen, militärischen, diplomatischen und finanziellen Mitteln unter dem Resumée Schnaths vom "teuersten Hut des Reiches" zusammen, ohne die sich aufdrängende Frage zu beantworten, ob dieser Hut zu teuer war.

Gerd van den Heuvel, Historiker und ausgewiesener Leibnizkenner, äußert sich zur Rolle von Leibniz in der Politik Hannovers. Sein Urteil: "Theorie ohne Praxis" meint: der Universalgelehrte Leibniz war auf politisch-diplomatischem Feld nicht ohne Grund wenig erfolgreich. Seine Stellung im höfisch-barocken Zeremoniell stand in großem Kontrast zu seinem Rang in der europäischen Gelehrtenwelt, aber sein Geltungsdrang verführte ihn immer wieder, auch eine politische Rolle zu spielen, für die ihm die Wirkungsmöglichkeiten fehlten. Dieses Urteil trifft zweifellos zu, erstaunt aber in seiner negativen Färbung auch hinsichtlich der Charakterbeurteilung von Leibniz. Vielleicht geht ein Leibnizforscher hier in der Furcht vor Heldenverehrung einen Schritt weiter, als gerechterweise vertretbar.

Anne-Katrin Henkel und Andreas Litzke informieren über höfische Kultur und Musik als Instrumenten der Machtdemonstration. Sie bewegen sich damit auf einem Forschungsfeld, das in den letzten Jahren zunehmend ins Blickfeld trat und gegenüber der älteren bürgerlichen Sicht stärker die barocke Inszenierung von Macht durch Zeremoniell verstehen gelehrt hat.

Andreas Fahl zeichnet in seinem Beitrag nach, wie der Übergang zum stehenden Heer in Braunschweig-Lüneburg seit der Mitte des 17. Jahrhunderts als ein Pfeiler des modernen = absolutistischen Staates sich vollzog und welche gesellschaftlichen Folgen sich daraus ergaben. Dieser Aufsatz dürfte gerade interessierten historischen Laien die Augen dafür öffnen, wie stark unsere Vorstellungen von Militär und Gesellschaft historisch geprägt und damit wandelbar sind und wie sehr sie durch nationale Ideologisierung der Politik seit der Französischen Revolution sich geändert haben.

Bettina Asch fragt nach dem Leben der Menschen um 1700, einem Leben, das sich für die meisten auf dem Land und in ländlich geprägten Verhältnissen fern der Höfe abspielte, dabei aber weit entfernt war von bukolisch-idealisierten Zuständen. Mit Recht weist sie auf die auch dort vorhandenen großen sozialen und ständischen Unterschiede in wirtschaftlicher und rechtlicher Stellung hin und schildert anhand eines juristischen Konfliktfalles von 1725 um Steuerzahlung, wie mündlich tradiertes Gewohnheitsrecht und die steigenden Ansprüche des absolutistischen Staates aufeinandertreffen konnten, ohne daß der scheinbar Stärkere aus diesem Prozeß als Sieger hervorgehen mußte.

Der vornehmen Welt der dem Hof nahestehenden Stadtbewohner wendet sich Bernd Adam zu, indem er das ehemalige Haus Leinstraße 19 in Hannover mit seiner Bau- und wechselnden Funktionsgeschichte untersucht. Gebaut 1690, also noch im Herzogtum Hannover kurz vor Erlangung der Kurwürde von einem bürgerlichen Hofmusiker, wird es nach 1710 zum Gesandtenhaus umgebaut, um angemessene Unterbringung für hochrangige Standespersonen z.B. aus Großbritannien zu schaffen. Als vier Jahre später mit Eintreten der Personalunion diese Funktion wegfällt, kann Georg II. 1740 seiner Mätresse Amalia Sophie von Wallmoden das Stadtpalais als Wohnsitz und gewissermaßen als "Witwensitz" mit Lusthaus auf dem Reitwall schenken. Ihr Sohn, der danach mit seiner großen Familie hier lebt, hat noch in der zweiten Jahrhunderthälfte in der des Herrschers beraubten Residenzstadt gesellschaftlich eine große Rolle gespielt. Adam versteht es kenntnisreich, in Architektonik und Ausstattung die Funktionen des Hauses und die ständische Hierarchie seiner Bewohner bis in kleinste Details aufzuweisen.

Zum Schluß interpretiert Sebastian Küster eine gegenständliche Quellengattung, die von Historikern meist zu wenig beachtet wird, aber gerade im Barock eine neue Blütezeit erlebte und insbesondere für Fragen von Machtdemonstration und fürstlicher Selbstdarstellung von überaus großer Bedeutung war: Medaillen. Er wählt vier Beispiele aus, an denen sich die hannoversche Politik und Geschichte dieser Zeit fassen läßt : die Medaille Ernst Augusts von 1687; die 1693 geprägte Medaille zum Erwerb der 9. Kur; die Medaille von 1702 zum Act of Settlement und die von 1714 zur Krönung Georg Ludwigs als Georg I. von Großbritannien. Diese Quellenstücke, besonders ausstellungsgeeignet und hier in guten Abbildungen präsentiert, lassen den barocken Zeitstil im Gefolge der ludovizianischen staatlichen Medaillenpropaganda exemplarisch hervortreten und zeigen, mit welchem politischen Machtanspruch und Selbstverständnis dies Welfen erfolgreich auftraten.

Gerade die beiden letzten Essays tragen zur Anschaulichkeit und Farbigkeit des Bandes bei, der bei allen Unterschieden insgesamt ein breites und attraktives Spektrum abdeckt.

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