D. Döring u.a. (Hgg.): Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld

Cover
Titel
Die Universität Leipzig und ihr gelehrtes Umfeld 1680-1780.


Herausgeber
Döring, Detlef; Marti, Hanspeter
Reihe
Texte und Studien 6
Erschienen
Basel 2005: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
508 S.
Preis
€ 77,35
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Miethke, Mittelalterliche und Neuere Geschichte, Universität Heidelberg

Die schweizerische „Arbeitsstelle für kulturwissenschaftliche Forschungen“, die – außergewöhnlich für geisteswissenschaftliche Institute – privat finanziert wird, hatte sich mit der Tagung, die diesem Sammelband zugrunde liegt, ein Thema gesetzt, das durchaus im Trend der jüngeren Bemühungen der frühneuzeitlichen HistorikerInnen um die Bildungs- und Universitätsgeschichte der Aufklärungszeit liegt. Insbesondere Leipzig, das seit dem Mittelalter zu den „großen“ Universitäten Deutschlands zählt, stand dabei häufig im Fadenkreuz der Fragen. In der Tat bietet sich diese Universität als exemplarischer Fall einer kontinuierlichen Entwicklung einer Institution über die Jahrhunderte seit ihrer Begründung (1409) bis heute als Gegenstand einer „weitgespannten Wissenschafts- und Bildungsgeschichte“ geradezu an. Gleichwohl betonen die Herausgeber (S. 8) glaubhaft, dass es wegen „mattherziger Förderung“ und eines „fehlenden Vorlauf[s] der Forschung“ kein „rasches Voranrücken der Arbeit“ geben werde.

Mit den vorliegenden „kleineren Beiträgen“ sollen „sozusagen Bausteine für spätere größere Übersichtsdarstellungen“ vorgelegt werden. Der Band befasst sich mit dem späten 17. und dem 18. Jahrhundert, einer Zeit, die bisher in dem Cliché eines Gegensatzes von Barockscholastik und Aufklärung eingefangen war. Namen, wie z.B. Christian Thomasius, Johann Christoph Gottsched oder auch Adam Rechenberg bilden nur die allseits sichtbaren Leuchttürme und Exzellenzcluster. Das Buch will vor allem prosopografisch Fundamente legen, um einem differenzierten Bild des Universitätslebens in einer politisch unruhigen und dramatisch bewegten Zeit vorzuarbeiten. Die Beiträge sind allesamt stark materialgesättigt, personenorientiert, basieren auf z.T. ungedrucktem Material und liefern ein farbenreiches Bild von den behandelten Personen und ihren Bestrebungen, von Meinungskämpfen, Traditionsverhaftung und neuem Aufbruch. Ein umfängliches Personenregister von nicht weniger als 22 doppelspaltigen Seiten (S. 487-508), das nur die Namenseinträge ohne nähere Erläuterungen enthält, umfasst schätzungsweise mehr als 800, meist in die Berichtzeit gehörende Namen. Dabei haben sich die Herausgeber bemüht, jeden Fischzug nach prosopografischen Daten durch vorgegebene Frageraster im Voraus ein wenig zu ordnen und so das Buch nicht zu einem reinen Telefonverzeichnis werden zu lassen.

Detlef Döring (S. 11-48) geht vor allem dem universitären Umfeld der selber nicht an der Universität tätigen Intelligenz in der Messe- und Druckerstadt Leipzig nach, wobei Naturalienkunde, Apotheken, ärztliche Praxis und bibliothekarische Sammelleidenschaft farbig beleuchtet werden. Hanspeter Marti (S. 55-95), der sich dem Bild des Gelehrten in Leipziger philosophischen Dissertationen im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert widmet, fördert dabei freilich keine grundstürzenden Umbrüche zu Tage. Günther Mühlpfordt (S. 111-186) sieht die Leipziger Rektoren „zwischen Tradition und Innovation“, wobei dem Rezensenten Nützlichkeit, Trennschärfe und Sinn der getroffenen Unterscheidung zwischen „Frühaufklärung“, „mittlere oder Hochaufklärung“ und „Spätaufklärung“ – selbstverständlich jenseits einer rein chronologischen Differenzierung – nicht recht einleuchtend geworden ist. Hervorzuheben ist aber die farbige Darstellung der Faktionskämpfe und der abwechslungsreichen Rektoratspolitik der jeweils einsemestrigen relativ kurzlebigen, aber häufig in rhythmischer Folge mehrfach (fünf-, ja acht- oder neunmal im Abstand von jeweils mindestens drei Semestern) wahrgenommenen Amtszeiten einzelner Rektoren. Ulrich Johannes Schneider (S. 195-211) stellt die Arbeit an Zedlers Universal-Lexikon in ihrem personellen und praktischen Bezügen vor. Rüdiger Otto (S. 215-314) wendet sich in dankenswerter Ausführlichkeit den frühen wissenschaftlichen Zeitschriften zu, insbesondere den „Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen“, ihrem Hauptautor und den Herausgebern, der Informationsbeschaffung und -vermittlung, ihren Konkurrenten andernorts, ihren methodischen Verdiensten und deren Grenzen.

Im Folgenden werden exemplarische Ausflüge in die einzelnen Fakultäten unternommen. Bei den Theologen geht zunächst Dietrich Blaufuß (S. 329-352) anhand von universitären Studienführern den Wirkungen des Pietismus Speners für die Unterrichtspraxis der Leipziger Theologen nach, während Klaus vom Orde (S. 359-377) an den „pietistischen Unruhen“ in Leipzig die Anfänge der „Bewegung“ des Pietismus und die Beziehungen des jungen August Hermann Franke zu Philipp Jakob Spener in einer lesenswerten Miniatur vorstellt. Reimar Lindauer-Huber (S. 379-400) wendet sich der lateinischen Philologie und damit der Philosophischen Fakultät zu, indem er Horazrezeption und -nachahmung in dem halben Jahrhundert zwischen 1670 und 1730 untersucht. Urs Borschung (S. 409-439) wertet den Briefwechsel des Leipziger Mediziners Christian Gottlieb Ludwig mit dem Berner Arzt und Göttinger Professor Albrecht von Haller aus. Erneut wird hier die Gelehrtenkorrespondenz als Kommunikationsmittel und Zeitspiegel anschaulich. Zwei Arbeiten widmen sich sodann der Juristischen Fakultät. Stephan Wendehorst (S. 447-454) stellt die Auffassungen der Leipziger Dissertation von 1750 eines Friedrich Platner (eines späteren Ordinarius der Juristischen Fakultät in Leipzig, †1770) zum Fremdenrecht – und d.h. hier zur Rechtsstellung der Juden – eingehend vor. Mit guten Gründen wird die Dissertation als Seiten- und Gegenstück zu Christian Wilhelm Dohms berühmter Abhandlung zur „bürgerlichen Verbesserung der Juden“ (von 1781) aufgefasst, die Dohms Emanzipationsfanfare einen wichtigen Kontrast gibt. Wolfgang Rother (S. 459-480) untersucht die Strafrechtsreformbestrebungen des Lehrers und „Praeses“ der Dissertation Platners, Karl Ferdinand Hommel, im Zusammenhang der Wirkungen der Strafrechtsreformvorstellungen des Cesare Beccaria nördlich der Alpen.

Vielleicht wäre ein geschlossener Überblick in die institutionellen Rahmenbedingungen des universitären Lebens in Leipzig in der fraglichen Zeit hilfreich gewesen, der „Nationen“, Rektorat, Dekanat, Fakultäten, Ordinarienwesen, die Funktion von Dresdener Konsistorium und Regierung, etc. im Zusammenhang vorgestellt hätte. Hier wird all das an verschiedenen Stellen abrissartig und ausschnitthaft in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Anschaulichkeit nachgeholt. Jedoch wird den LeserInnen insgesamt ein wahrhaftig bunter Strauß präsentiert. Es ist dem Buch hoch anzurechnen, dass seine Beiträge sich einer schematischen Verrechnung weitgehend entziehen, dass sie dem Einzelfall und dem konkreten Befund verpflichtet bleiben und Verallgemeinerungen nicht krampfhaft suchen. Das Leben an der Leipziger Universität am Ende des Ancien Régime wird dadurch für geduldige LeserInnen nur um so lebendiger.

Störend ist die dem Verlag Schwabe zuzuschreibende Art der Präsentation, die einerseits jedem Beitrag gesondert eine ausführliche Bibliografie beigibt, während die Fußnoten nur abgekürzte Nachweise enthalten. Das bringt wenig oder keine Platzersparnis, da sehr viele Titel nur ein einziges Mal zitiert werden. Die LeserInnen sind jedoch stets zum eifrigen Blättern gezwungen, wenn er einen Nachweis verifizieren will. Andererseits erscheint Referenzliteratur in mehreren Beiträgen und wird demnach immer wieder aufgeführt. Die herkömmliche Methode der exakten Fußnotennotation und der abgekürzten Wiederholung ist m.E. bei weitem diesem pseudoexakten Vorgehen vorzuziehen.

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