Cover
Titel
Die Reformation. Voraussetzungen und Durchsetzung


Autor(en)
Mörke, Olaf
Reihe
Enzyklopädie deutscher Geschichte 74
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
174 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Langensteiner, Historisches Institut, Universität Stuttgart

Die Erforschung der Reformation hat unverändert Konjunktur in der Geschichtswissenschaft. Seit der als Katalysator wirkenden wegweisenden Studie von Bernd Moeller über die städtische Reformation 1 hat sich die Reformationsforschung im Einklang mit der Entwicklung des Gesamtfachs zunehmend sozial- und kulturgeschichtlichen sowie historisch-anthropologischen Fragestellungen zugewandt, die zu einer Vielzahl neuer Erkenntnisse und fruchtbringender Diskurse geführt haben. Angesichts dieser Entwicklung, die sich auch an einer Flut neuer Publikationen festmachen lässt, mutet das Vorhaben, den ereignis- und strukturgeschichtlichen Verlauf der Reformation in Kombination mit einem Überblick über die Geschichte ihrer Erforschung samt aktueller Tendenzen darzustellen, wahrlich als herkulische Aufgabe an. Olaf Mörke hat dieses schwierige Unterfangen – soviel sei vorweg genommen – durchaus erfolgreich bewältigt.

Das Werk gliedert sich gemäß dem in der Reihe üblichen Aufbau in einen darstellenden Teil, einen Forschungsüberblick und eine bibliografische Auflistung der wichtigsten Quellen und Literatur zum Thema. Mörke begrenzt den Untersuchungszeitraum aus darstellungstechnischen Gründen auf die Jahre von 1517 bis 1555, verweist jedoch gleichzeitig eindringlich darauf, dass sich der Gegenstand Reformation nicht an derartigen Zäsuren, wie sie in diesem Fall die Ablassthesen Luthers und der Augsburger Religionsfrieden bilden, festmachen lasse, sondern von einem „Nebeneinander unterschiedlicher Deutungsmuster von Zeitstrukturen“ (S. 2) auszugehen sei. Räumlich bezieht sich die Studie auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation als einen sich „verdichtende[n] politisch-institutionelle[n] Kommunikationsraum“ (S. 4), wobei Oberitalien, Böhmen und die Niederlande, die ja ebenfalls dem Reichslehensverband angehörten, ebenso außen vor bleiben wie der gesamteuropäische Zusammenhang – was man bedauern mag, aber durch den knappen Zuschnitts des Bandes gerechtfertigt ist.

Der verlaufsgeschichtliche Teil, überschrieben mit „Der Ereigniskomplex Reformation – Die Begegnung von Theologie, Politik und Gesellschaft (1517-1555)“, ist chronologisch aufgebaut und gliedert sich in vier Phasen. Die erste, die Mörke von 1517 bis 1525 ansetzt, stellt die Personen Luthers und Zwinglis und ihre theologischen Konzepte vor, um anschließend auf deren Rezeption innerhalb verschiedener gesellschaftlicher Gruppen sowie auf die zunehmende reichspolitische Dimension der „causa Lutheri“ einzugehen. Die zweite Phase (1525-1530) setzt mit dem Bauernkrieg ein, der als „Verbindung von Agrarkonflikt und Reformationskonflikt“ (S. 35) interpretiert wird, zeichnet dann die Verschärfung der reichspolitischen Gegensätze bis hin zum Augsburger Reichstag von 1530 nach und beleuchtet die gleichzeitig erfolgende allmähliche Institutionalisierung des neuen Glaubens. Die Formierung konfessioneller Blöcke, wie sie sich im Schmalkaldischen und im Nürnberger Bund abzeichnete, die Erfolglosigkeit theologischer und politischer Ausgleichsversuche und die Eskalation des Konflikts im Schmalkaldischen Krieg stehen im Zentrum der dritten Phase von 1531 bis 1548. Die vierte Phase (1552-1555) stellt schließlich in aller Kürze den Weg vom Fürstenkrieg über den Passauer Vertrag bis hin zum Augsburger Religionsfrieden dar. Abschließend wird unter der Überschrift „Die Reformation als Prozess“ (S. 64) versucht, die Kohärenz der Handlungsfelder Theologie/Glauben, Politik und Gesellschaft aufzuschlüsseln und Gewichtsverschiebungen zwischen diesen Feldern nachzuweisen.

Dies lenkt den Blick auf die Problematik des enzyklopädischen Überblicksteils. Mörke gibt sich nicht damit zufrieden, eine bloße Darstellung bekannten Wissens zu geben, sondern probt zuweilen den Spagat hin zur Akzentuierung verschiedener Forschungsthesen. So wird beispielsweise der Begriff des „Kommunikationszusammenhang[s]“ (S. 5) zur Charakterisierung der Reformation eingeführt; auch in der Folge blitzen hin und wieder kommunikationsgeschichtliche Interpretationsmuster auf, ohne freilich mit letzter Konsequenz entfaltet zu werden. Womöglich wäre es sinnvoller gewesen, derartige noch mitten in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung stehenden Deutungsansätze ausschließlich auf den Forschungsteil zu beschränken.

Der Forschungsüberblick beschäftigt sich seinerseits mit relevanten historiografischen Strömungen der Vergangenheit und der Gegenwart, kommt aber selbstverständlich um gewisse Schwerpunktsetzungen und Einschränkungen nicht herum. Mörke gesteht ein, dass Themenfelder wie die Frage nach dem Einfluss der Reformation auf die Geschlechterverhältnisse oder nach der langfristigen Wirkung der Reformation auf die Entwicklung der strukturellen Verfasstheit des Reichs weitgehend unberücksichtigt bleiben mussten (S. 70).

Einen ersten Komplex innerhalb des Forschungsüberblicks bildet die Frage nach Periodisierung und Epochencharakter der Reformation. Beginnend bei Leopold von Ranke, werden die historiografischen Traditionslinien herausgearbeitet – vor allem der Antagonismus zwischen einem Kontinuitätsmodell, das die Reformation in einen langfristigen Modernisierungsprozess eingebunden sieht, und einem Zäsurmodell, das den umbruchhaften Charakter der Reformationen hervorhob. Daran anschließend referiert Mörke aktuelle Konzepte wie etwa die von Berndt Hamm entworfene „normative Zentrierung“ 2, die auf Distanz zu dieser Dichotomie gehen und stattdessen die Multivalenz der Reformation, der sowohl Kontinuität als auch Wandel innewohnte, herausstreichen.

In einem zweiten Block geht der Autor auf die Forschung zu den gesellschaftlich-politischen Strukturen der Reformationszeit ein. Er hält sich hierbei an das hinlänglich bekannte Unterteilungsschema Stadt, Land (bzw. Volk), niederer Adel und Fürsten, wobei es ein wenig verwundert, dass Mörke den meisten Platz ausgerechnet der städtischen Reformation einräumt, die im Anschluss an Moeller zwar im Mittelpunkt vieler innovativer Forschungsansätze stand, seit einigen Jahren aber doch ein wenig an den Rand gerückt ist. Hier wäre es wünschenswert gewesen, eher dem Adel, dessen generelle Erforschung sich in jüngster Zeit mehr und mehr als eigenständiger Forschungszweig zu etablieren beginnt, etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Sehr gelungen und ausführlich ist dagegen der dritte Abschnitt über die kultur- und kommunikationsgeschichtlichen Aspekte der Reformation. Mörke spannt den Bogen hierbei von der Laienfrömmigkeit über den Antiklerikalismus bis hin zu Medien und Öffentlichkeit und verbindet dies mit wirkungs- und mentalitätsgeschichtlichen Überlegungen. Insgesamt gesehen bietet das Forschungskapitel einen guten Einstieg, um sich einen Überblick über die weit verzweigte Reformationsforschung zu verschaffen; für tiefer gehende Einblicke ist man dagegen bei dem Band von Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann besser aufgehoben. 3

Abgerundet wird das vorliegende Werk von einer 319 Titel umfassenden Auswahlbibliografie. Hierbei kann es sich natürlich nur um eine nach dem subjektiven Urteil des Verfassers vorgenommene Selektion handeln, die gleichwohl sehr hilfreich sein kann, da sie, von einigen Ausnahmen abgesehen, zumindest die wichtigsten einschlägigen Werke aufführt. Die thematische Untergliederung, die sich an der Kapitelfolge des Forschungsteils orientiert, ist sinnvoll, wenngleich sich über die Einordnung mancher Werke streiten ließe, die sich aufgrund ihrer überlappenden Themenfelder einer eindeutigen Zuordnung entziehen.

Abschließend betrachtet, bietet Olaf Mörkes Werk eine gut nutzbare Einführung in die mit dem Begriff „Reformation“ verbundenen Geschehnisse und Strukturen samt ihrer Deutung durch die Forschung, die sich auf dem Markt der in großer Zahl vorhandenen Einführungen ins Reformationszeitalter zweifellos ihren Platz erkämpfen wird. Allerdings bleibt die Frage offen, ob der Band tatsächlich einen substanziellen Mehrwert gegenüber den bereits vorliegenden Werken bietet oder ob hiermit nicht einfach eine Lücke im Themenspektrum der EDG-Reihe geschlossen werden sollte. Kritisch bleibt auch noch anzumerken, dass der Autor an manchen Stellen dazu neigt, eigentlich leicht verständliche Sachverhalte in komplizierte fremdwortbehaftete Schachtelsätze zu verpacken, was gerade für Studierende im Grundstudium die Arbeit mit dem Buch erschweren kann. Den positiven Gesamteindruck schmälert dies jedoch nur unwesentlich.

Anmerkungen:
1 Moeller, Bernd, Reichsstadt und Reformation, Berlin 1987.
2 Vgl. Hamm, Berndt, Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: ZHF 26 (1999), S. 163-202.
3 Ehrenpreis, Stefan; Lotz-Heumann, Ute, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch