A. M. Idel: Tierschutzaspekte bei der Nutzung unserer Haustiere fuer die menschliche Ernaehrung

Titel
Tierschutzaspekte bei der Nutzung unserer Haustiere für die menschliche Ernährung und als Arbeitstier im Spiegel agrarwissenschaftlicher und veterinärmedizinischer Literatur aus dem deutschsprachigen Raum des 18. und 19. Jahrhunderts. Diss. med. vet. FU Berlin, 1999


Autor(en)
Idel, Anita Maria
Reihe
Aus der Tierärztlichen Ambulanz Schwarzenbek des Fachbereichs Veterinärmedizin der Freien Universität Berlin, Journal-Nr. 2272
Erschienen
Anzahl Seiten
14 Abb, 253 S.
Preis
ISBN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Jacobeit

Nur einmal findet man in dieser faktenreichen Untersuchung eine Assoziation zum Thema "Rinderwahnsinn" unserer Tage, aber die Vorstellungen davon sind dem Leser stets gegenwärtig, wenn er sich in die Fülle der Zitate aus der agrarwissenschaftlich- veterinärmedizinischen Literatur des 18./19. Jahrhunderts eingelesen hat:. Die bedrängende und allen hygienischen Regeln gröblichst widersprechende Fülle in den Boxen der Schweineställe, die rüden Behandlungen des Rindviehs, ob im Stall oder auf dem Transport in die Schlachthöfe, sind nicht weniger grässlich als entsprechende Schilderungen aus dem 18. / 19. Jahrhundert. Wenn man will, ist "Tierquälerei" in jenem Zeitraum der eigentliche Oberbegriff für das, was Anita Maria Idel in wissenschaftshistorischer und interdisziplinärer Weise darstellt.

Sie tut dies unter einem zunächst etwas ungewöhnlichen methodischen Ansatz, indem sie meist zu bestimmten Sachbezügen entsprechende zeitgenössische Literaturzitate in chronologischer Folge fast aneinanderreiht und eigentlich erst am Schluss mit einem ausgewogenen Kapitel "Diskussion" (S. 187-218) Bilanz zieht. Was in diesem Buch entstanden ist, kommt einem Thesaurus gleich, der eine unmittelbare Auswertung auf hohem fachlichen Niveau erfährt.

Nach einem Kapitel über "Forschungsstand, Quellenlage und Methode" (S. 4-15) sowie einem weiteren "Zum Wissensstand über die Tiernutzung und Tierhaltung von ihren Anfängen bis zur Neuzeit" (S. 16-44) folgen die beiden Sachkapitel "Das Schwein" (S. 45-105) und das "Arbeitstier" (Ochse, Kuh, Pferd, Hund) (S. 106-186).

Diese Sachkapitel sind zwar zutreffend, aber doch so detailliert gegliedert, als dass man sie im Rahmen einer Rezension einzeln behandeln könnte. Gleichwohl erlaubt diese Differenzierung die Möglichkeit, wahrzunehmen und zu erkennen, mit welchen Problemen der Haltung und Nutzung von Schwein, Rind und Pferd sich Bauer, Gutsherr, Pächter, Inspektor, aber ebenso die Angehörigen der "unterbäuerlichen" Schichten beschäftigen mussten, um letztlich - auch und gerade im 18./19. Jahrhundert - rentabel zu wirtschaften. Das bedeutete u.a. Tierhaltung und Anbauwirtschaft aufeinander abzustimmen, also für eine halbwegs ausreichende Mistdüngung durch das eigene Vieh zu sorgen, aber umgekehrt dem Vieh das notwendige Grünfutter und wohl auch Getreide zur Verfügung zu stellen. Daraus ergaben sich zeitweilige Notwendigkeiten, die eine oder andere Tiernutzung zu favorisieren, wenn es beispielsweise um intensiveres Düngen des Ackerbodens ging. Dann war das Aufkommen von Stallmist so wichtig, dass der Begriff "Mistvieh" zu einem geflügelten Wort wurde. Andererseits litt das Vieh in der kalten Jahreszeit oft so sehr unter Hunger, dass es im Frühjahr als zu entkräftet am Schwanz aus dem Stahl gezogen und auf die Weide gefahren werden musste, um sich dort vielleicht zu erholen: sogenanntes Schwanzvieh. Dieses eine Beispiel unter vielen anderen möglichen muss hier genügen.

Unter den zeitgenössischen sozioökonomischen und soziokulturellen bzw. allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen eine generelle Lösung zu finden, musste fast als nicht machbar erscheinen, wenn man nur an die Beschränkungen durch die Dreifelderwirtschaft oder an die feudalen Bindungen der dörflichen Untertanen an Guts- oder Grundherren denkt. Hier konnten erst ganz allmählich Änderungen durch die Bestrebungen der agrarwirtschaftlichen Aufklärung und die folgenden Agrarreformen eintreten, die fast ein Jahrhundert und länger dauerten. Das aber betraf nicht nur die des Lesens, Schreibens und Rechnens noch weit unkundigen Bauern, sondern auch die "Hausväter"-, "Hausmutter"-Literaten, andere aufgeklärte Agrarschriftsteller, die Agrarreformer selbst, ebenso Landwirtschaftsökonomen oder die zahlreichen, experimentierfreudigen Landpfarrer. Sie vertraten und verbreiteten ihr durch Schriftenstudium, eigene Feldforschungen usw. erworbenes Erfahrungswissen, und das war erklärlicherweise - wie die Hinweise der Autorin zeigen - recht unterschiedlich. Es gab also noch keine eindeutigen Erklärungen, gar gebilligte Maßnahmepläne u.a., so dass das allseits mündlich-gedächtnismäßig verbreitete Traditionelle noch lange Zeit überwog. Bei der großen Anzahl der von der Verfasserin vorgestellten Möglichkeiten einer zu rationalisierenden Landwirtschaft liegt in diesen Zusammenhängen der eigentliche Schlüssel für Erklärung und Lösung der zahlreichen Probleme zwischen Dreifelder- und einer rationalisierten Landwirtschaft nach den Vorbildern von Thaer, Thünen, Schwerz und anderen Reformern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit Recht verweist I. mehrfach auf die Volkskunde, die sich mit bis weit ins 20. Jahrhundert reichenden Untersuchungen agrarisch-dörflicher Traditionen beschäftigt habe, ohne die Umbruchszeiten in eine moderne Landwirtschaft bzw. das Verhalten der agrarischen Bevölkerung in der Moderne konkreter, weil notwendig, zu untersuchen und darzustellen. Denn hieraus ergäben sich wesentliche Ansatzpunkte für Erklärungen, etwa zu den inhumanen Verhaltensweisen gegenüber der ländlichen Tierwelt, die vielfach in Tierquälereien ausartete (und ausartet), worüber bereits die literarischen Quellen des 18./19. Jahrhunderts voller Empörung berichten usw. usf.

Es geht der Autorin - als Veterinärmedizinerin - um eine ausgewogene, wohl auch ökologisch bestimmte Landwirtschaft und deren Wurzeln bzw. Geschichte; manches erinnert dabei an Grundsätze der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Doch das ist von der Agrarwissenschaft allein nicht zu leisten, sondern erfordert die Kooperation mit anderen Disziplinen, darunter auch solchen der Geistes-, Gesellschaftswissenschaften. In diesem Sinne ist die vorliegende Arbeit ein beachtenswerter Ansatz zu einem interdisziplinären Forschungsangebot über das 18./19. Jahrhundert hinaus und in sachlicher Erweiterung.

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