Cover
Titel
Die Mommsens. Von 1848 bis heute - die Geschichte einer Familie ist die Geschichte der Deutschen


Autor(en)
Köpf, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
405 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ziepa, Technische Universität Berlin

Peter Köpfs flüssig und unterhaltsam geschriebenes Buch über die Geschichte der Familie der Mommsens spiegelt rund 150 Jahre deutscher Geschichte wider, wobei die Schwerpunkte auf den Verwicklungen der Mommsens während und nach dem Nationalsozialismus liegen. Auch wenn das Buch nicht wissenschaftlich geschrieben ist und sich an eine breitere Leserschaft als die Historiker wendet, beruht es auf einer profunden Quellenbasis, über die das reichhaltige Verzeichnis Auskunft gibt (S. 400f.).

Ausgangspunkt ist natürlich der Begründer der Dynastie, Theodor Mommsen, aus dessen Schatten zu treten keinem der Nachfahren gelang. Seine republikanische und demokratische Grundhaltung in Verbindung mit einem gesunden Misstrauen gegenüber Deutschland sind die Messlatte für alle folgenden Mitglieder der Familie (S. 6). So stehen im Mittelpunkt des Buches die Handlungen des überzeugten Nationalsozialisten Ernst Wolf, des Emigranten (Theodor) Ted und des ambivalenten Wilhelm Mommsen.

Neben den einzelnen Lebenslinien der beschriebenen Familienmitglieder der Mommsens zeichnet Köpf damit ein Bild Deutschlands nach. Dabei geht es ihm weniger darum, eine geschlossene Familiengeschichte zu schreiben, als vielmehr die Alternativen aufzuzeigen, welche sich für die Handelnden auftaten, und wie sie sich entschieden. Damit wird auch die Frage von personellen Kontinuitäten nach dem Ende des Nationalsozialismus aufgeworfen und diskutiert. Ein weiterer zentraler Punkt ist der Umgang Hans Mommsens mit der Vergangenheit des Vaters, und Köpfs Buch berührt damit auch die Frage des Umgangs der Historiker mit der eigenen Vergangenheit.

Ernst Wolf steht stellvertretend für den Karrieristen, der trotz seiner Verstrickungen in das NS-Regime auch nach dem Krieg weiter im Geschäft blieb und eine zweite Karriere als erfolgreicher Manager machte, ebenso wie sein Vetter Wolfgang A., der als Archivar im Baltikum auf Beutezug ging und dies als Rettung von Archivgut vor der Zerstörung durch den Krieg bezeichnete (S. 218). Ein völlig anderes Schicksal erlitt Ted Mommsen, der Deutschland aus politischen Gründen verließ und sich in den USA einen Ruf erarbeitete, an den Verwerfungen der Geschichte aber letzten Endes zerbrach und 1958 Selbstmord beging. Der weitaus interessanteste Aspekt des Buches betrifft jedoch Wilhelm Mommsen – nicht nur, weil Köpf an seinem Beispiel das Bildungsbürgertum vor und während des Nationalsozialismus beleuchtet, sondern auch und vor allem, weil der Historiker außerdem exemplarisch für die Verstrickungen von Universitätsprofessoren während des so genannten Dritten Reiches steht. Köpfs Buch stellt somit einen weiteren Beitrag zur Aufarbeitung der Rolle der Geschichtswissenschaftler im Nationalsozialismus dar.

Köpf geht hierbei der Frage auf den Grund, ob Wilhelm sich mit dem Regime gemein gemacht oder, wie es sein Sohn Hans Mommsen ausdrückt, immer in Distanz zu der Ideologie befunden habe. Aber waren es wirklich nur ein paar verfängliche Vorträge vor Wehrmachtssoldaten, die nicht auf der Linie des Regimes lagen, wie es Hans Mommsen über die Tätigkeit des Vaters ausdrückt, oder hatte der Enkel Theodor Mommsens Grenzen überschritten und war mehr als nur ein Mitläufer, der aus Sorge um seine Familie die Anstellung nicht aufgab? (S. 167). Köpf beschreibt hier detailliert, wie Wilhelm Mommsen seine universitäre Laufbahn vorantrieb und sich tiefer in das Regime verstrickte, als er es vielleicht selbst wahrhaben wollte. Wilhelm Mommsen war ein typischer Vertreter des nach dem Ende des Ersten Weltkriegs orientierungslosen Bildungsbürgertums, welches anfällig für antidemokratische Lösungsmodelle war und sich partiell mit der Politik des Nationalsozialismus identifizieren konnte, sich aber gleichzeitig selbst immer als regimekritisch betrachtete. Dieser Mangel an Selbstreflexion und das fehlende Eingestehen der eigenen Verantwortung waren es auch, was Wilhelm Mommsen dazu verleitete, gegen seinen Entnazifizierungsbescheid Widerspruch einzulegen, da er sich als zu Unrecht belastet ansah (S. 281). Die Folgen waren eklatant, denn er verlor seine Professur und konnte im Gegensatz zu vielen anderen weitaus belasteteren Historikern keine Karriere in der Bundesrepublik machen.

Köpf zeigt detailreich auf, wie Wilhelm sich gegen die seiner Ansicht nach verleumderischen Angriffe zur Wehr setzte und sich damit nur noch angreifbarer machte. Ein weiterer Aspekt, den sein Sohn Hans Mommsen nicht wahrhaben will. Die Auseinandersetzung zwischen ihm und Köpf über die Einordnung von Wilhelm zieht sich wie ein roter Faden vom Prolog bis zum Epilog und trägt dazu bei, dass das Buch jederzeit lesenswert bleibt.

Etwas überspitzt könnte man sagen, außer Theodor Mommsen verblassten alle behandelten Familienmitglieder vor dem Hintergrund der Analyse der Rolle Wilhelms im Nationalsozialismus und der persönlichen Auseinandersetzung zwischen Köpf und Hans Mommsen über eben diese. Es ist regelrecht zu spüren, wie die Feder spitz wurde bei der Diskussion. Auffällig dabei ist, dass Hans Mommsen an seinen Vater aus nachvollziehbaren Gründen nicht die gleichen Maßstäbe für die Beurteilung der Verantwortung eines Geschichtsprofessors anzulegen scheint, wie man es von ihm sonst gewohnt ist. Aber es hat mehr als 50 Jahre gebraucht, bis die Historiker überhaupt bereit waren, sich offen und schonungslos mit ihrer Geschichte während des Nationalsozialismus zu beschäftigen 1. Bis vor kurzem war die Bereitschaft, die eigenen Lehrer kritisch zu hinterfragen bzw. dies auch öffentlich zu tun, schlichtweg nicht vorhanden. Vor diesem Hintergrund verwundert die Haltung Hans Mommsens – zumal seinen eigenen Vater betreffend – kaum.

Anmerkung:
1 Haar, Ingo, Historiker im Nationalsozialismus. Deutsche Geschichtswissenschaft und der “Volkstumskampf“ im Osten, Göttingen 2000.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension