P. Godman: Die geheime Inquisition

Titel
Die geheime Inquisition. Aus den verbotenen Archiven des Vatikans. Aus dem Englischen von Monika Noll und Ulrich Enderwitz


Autor(en)
Godman, Peter
Erschienen
München 2001: List Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 23,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Decker

Es war wohl das erste Mal, dass das Buch eines Historikers in großer Aufmachung in der BILD-Zeitung angepriesen wurde 1. Doch Peter Godman dürfte die sensationelle Meldung mit gemischten Gefühlen gelesen haben. Denn der "Rezensent" des Boulevard-Blattes schwelgte, statt das Buch zu lesen, in den Jahrhunderte alten Klischees von der machtbesessenen, grausamen Inquisition, deren Ketzerprozessakten in "einem düsteren Palast, einst Hauptquartier der Inquisition," aufbewahrt würden (Originalton Godman S.15: "überhaupt nicht finsterer Bau"). In Wirklichkeit ist Godmans Werk hervorragend geeignet, sowohl einem breiteren Publikum als auch der Fachwelt neue, fundierte Einblicke in die Geschichte der neuzeitlichen, 1542 gegründeten römischen Inquisition, der Kardinalskongregation der "Heiligen und Universalen Inquisition", und ihrer 1571 entstandenen Schwester, der Kongregation für den Index der verbotenen Bücher, zu geben. Godman erhielt erstmals 1996, zwei Jahre vor der offiziellen Öffnung, Zugang zum Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre, das die Bestände des Heiligen Offiziums, der Indexkongregation und der Inquisition in der toskanischen Diözese Siena umfasst.

Anders als Titel und Untertitel es ausdrücken, legt der Tübinger Professor für lateinisches Mittelalter und Renaissance den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Geschichte der päpstlichen Bücherverbote bis zur Auflösung der zuständigen Kongregation 1917 und dem Ende des Index 1966. Die neu erschlossenen Quellen sind die Sitzungsprotokolle der Indexkongregation und vor allem die internen Gutachten der Zensoren zu den inkriminierten Werken. Der aus Neuseeland stammende Autor, "ein nichtpraktizierender Atheist" (S. 17, Klappentext: "bekennender Nichtgläubiger"), geht von der erkenntnisleitenden These aus, dass das "Mitgefühl für die Opfer des heiligen Offiziums - jenes Mitgefühl, das die überlieferte Geschichte der Institution beherrscht und ihr Bild schwarz eingefärbt hat - uns nicht von der Aufgabe entbindet, die Richter zu verstehen" (S. 32). Diese Perspektive, die das im Wesentlichen chronologisch aufgebaute Buch beherrscht, lässt die "Schwarze Legende" weit hinter sich, ohne in das entgegengesetzte Extrem zu verfallen. Hierbei gelingen Godman anschauliche biographische Skizzen namhafter Vertreter der Kurie. Seine "Helden" sind Kardinal Robert Bellarmin (+ 1621), dem Godman vor einem Jahr eine auch dank eines ausführlichen Quellenanhangs sehr wertvolle Monographie gewidmet hat 2, und der Reformpapst Benedikt XIV. (reg. 1740-1758). Ihnen werden Hardliner wie der spanischstämmige Zensor Francisco Peña (+ 1612) und der Kardinalinquisitor Francesco Albizzi (+ 1684) gegenüber gestellt. Trotz einer Reihe von Lichtgestalten herrschen somit Grautöne vor. Godman wird nicht müde, die oberflächliche, engstirnige Arbeit vieler Bücherzensoren besonders von der zweiten Hälfte des 17. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zu schildern, im Umgang mit den Werken von Descartes, Leibnitz, Montesquieu usw. Sein Fazit lautet: "Das dunkle Geheimnis der Römischen Inquisition war, dass sie gar keines hatte. Kein finsterer Plan zur Machtergreifung, kein gewaltiges Repressionsprogramm trieb die Führer und Vertreter des Heiligen Offiziums an. Diese Bastion der Rechtgläubigkeit in der katholischen Kirche darf mit totalitären politischen Systemen nicht verglichen werden" (S. 335). "Weder Klerikalismus noch Antiklerikalismus, weder katholische Apologeten noch antikatholische Polemik bringen beim Versuch, das komplexe Phänomen der Römischen Inquisition auszuloten, den geringsten Nutzen" (S. 365).

Fachleute überrascht dieses Ergebnis nicht, da schon vor dem Stichjahr 1998 die Erforschung der römischen Inquisition dank der Aufarbeitung gedruckter Quellen und der zahlreichen lokalen Archive enorm aufgeblüht war 3. Aber bis sich diese neuen Erkenntnisse in der breiten Öffentlichkeit bis hin zum Religions- und Geschichtsunterricht durchsetzen, sind noch erhebliche Widerstände zu überwinden, zumal weiterhin Bücher auf den Markt kommen, deren Verfasser fehlende Kenntnisse durch Schwarz-Weiß-Denken ersetzen 4. Um so willkommener muss ein Werk wie das hier vorgestellte sein, denn bei aller Quellennähe dürfte es auch für die "gebildeten Laien" lesbar sein, dank seines lockeren, nicht selten essayhaften Stils, der Beschränkung in der Zahl der dargestellten Persönlichkeiten und angesichts der erzählerischen Elemente, darunter manch schöne Anekdote. Die Orientierung im Text wird durch ein kombiniertes Sach- und Personenregister erleichtert. Man vermisst allerdings jede Illustration durch Abbildungen.

Inhaltlich ist nur schwer nachvollziehbar, dass Godman die Haltung Roms bei den Hexenverfolgungen lediglich gestreift hat, "dieses abgedroschene Thema der Inquisitionsforschung" (S. 21). So "abgedroschen" ist dieser Gegenstand zumindest bei der Erforschung der römischen Inquisition noch gar nicht, denn durch die neuen Quellenbestände in Rom, die dem Rezensenten ebenso wie Godman schon seit dem Herbst 1996 offen stehen, ergeben sich neue und tiefere Einsichten als zuvor, die sich an spannenden Fallbeispielen illustrieren lassen. Zum Beispiel den 15 "Hexenkindern" aus dem schweizerischen Graubünden, die 1654 durch die "bestialis executio" eines weltlichen Gerichts, das Ausblutenlassen durch Aufschneiden von Adern, getötet worden wären, wenn Rom sie nicht außer Landes gebracht und ihnen bei dem Inquisitor in Mailand Obdach und Seelsorge geboten hätte. An diesem Beschluss und an dem offiziellen Druck der römischen Hexenprozess-Instruktion 1657, die - schon um 1600 verfasst - den Hexenverbrennungen im Machtbereich der Inquisition ein Ende machte, war ebenjener Albizzi beteiligt, der in Deutschland mit Entsetzen die lodernden Scheiterhaufen kennen gelernt hatte und voll des Lobes war für die Werke der deutschen Prozesskritiker Friedrich Spee und Adam Tanner 5. Godmans Charakterisierung des "mächtigste[n] Kardinal-Inquisitor[s] des 17. Jahrhunderts nach Bellarmin" (S. 166), "Albizzi sah überall nur Abweichung, für den Reiz neuer Ideen hatte er keinen Sinn" (S. 175), mag für dessen Haltung im Jansenismus-Streit zutreffen, kennzeichnet aber die Gesamtpersönlichkeit nur einseitig. Auch der dogmatische Francisco Peña äußerte sich in einem Gutachten über ein Buch des Rostocker Hexenprozesskritikers Georg Gödelmann anerkennend über dessen Thesen, wenngleich er dessen Polemik gegen die römische Kirche nicht durchgehen lassen konnte 6. Umgekehrt ist Godman entgangen, dass der von ihm hochgelobte Benedikt XIV. 1744 mit der Bulle "Ab Augustissimo" die Verordnungen seiner Vorgänger seit 1677, worin die Todesstrafe für Hostienmissbrauch zu magischen Zwecken auch schon bei Ersttätern vorgeschrieben worden war, bestätigte und die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten dabei noch einschränkte. Dabei berief sich der Papst ausdrücklich auf seine Erfahrungen als früherer Konsultor der Heiligen Offiziums. Die Beurteilung der Inquisition wird also noch vielschichtiger ausfallen als bei Godman, der trotz seiner grundsätzlich einfühlsamen Haltung doch, besonders gegenüber Einzelpersönlichkeiten, zu starken Urteilen neigt. Dann kommt es auch zu einem Fehler wie dem (S. 358), dass Maria Stuart für die katholische Restauration in England unter dem Einfluss von Papst Paul IV. (1555-1559) verantwortlich gemacht wird statt richtig Maria Tudor ("Maria die Katholische"), die Tochter König Heinrichs VIII.

Etwas differenzierter wünschte man sich auch den Niedergang des Index im 19. und 20. Jahrhundert dargestellt. Hier wäre zu betonen, dass das Bücherverbot ein stumpfes Schwert wurde, als dem Papsttum seit der Aufklärung auch in katholischen Ländern und nach den Umwälzungen um 1800, spätestens aber seit dem Ende des Kirchenstaates 1870 die weltlichen Machtmittel zu seiner Durchsetzung entzogen waren und es dann nur noch als Disziplinierungsmittel gegen die eigenen Theologen eine begrenzte Wirkung zeigte. Spürsinn bewies aber Godman, als er den kurieninternen Auseinandersetzungen um die Beurteilung von Graham Greenes Roman "Die Kraft und die Herrlichkeit" nachging. Sie lassen verstehen, wieso Papst Paul VI. ein Jahrzehnt später den Index abschaffte und das Heilige Offizium reformierte. Der amerikanische Jesuitenpater Stephen Schloesser hat vor kurzem "The Story of Graham Greene and the Holy Office" nur aus dem Greene-Nachlass dargestellt 7. Godman profitierte dagegen von einer Sondergenehmigung Kardinal Ratzingers, die ihm hier auch über das Stichjahr 1903 hinaus die Akte zugänglich machte. Es ist zu hoffen, dass auch weitere wichtige Fälle des 20. Jahrhunderts Bearbeiter finden und deren Benutzungsanträge positiv beschieden werden - man denke etwa an die geistige Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, z.B. wie Alfred Rosenbergs "Mythus des 20. Jahrhunderts" auf den Index kam oder wie das Dekret des Heiligen Offiziums gegen die "Euthanasie" am 1. Dezember 1940 von Papst Pius XII. in der Sprache, nicht in der Sache abgeschwächt wurde.

Das letzte Kapitel schlägt den Bogen in die Gegenwart, als Johannes Paul II. am 12. März 2000 im Petersdom feierlich um Vergebung für die Fehler und Versäumnisse der Kirche bat und Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation davon sprach, dass "auch Menschen der Kirche im Namen des Glaubens und der Moral in ihrem notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit mitunter auf Methoden zurückgegriffen haben, die dem Evangelium nicht entsprechen" (S. 361). Godman spürt hieraus immer noch "einen Hauch von inquisitorischer Dialektik", indem er das Spannungsverhältnis von theologischem und geschichtswissenschaftlichem Wahrheitsanspruch umkreist und dann zu einem interessanten Lösungvorschlag kommt: "Wenn Geschichte und Theologie einander ergänzen, dann folgt daraus, dass Historiker und Theologen eine gemeinsame Zielsetzung haben. Sie besteht darin, die Römische Inquisition zu verstehen, nicht über sie zu richten. Das Verstehen muss sich (zumindest teilweise) auf die Quellen in den Archiven stützen. Solange diese nicht vollständig ausgewertet sind, darf die Kirche zu keinem abschließenden Urteil kommen" (S. 363). Hinzuzufügen wäre die Frage, ob die Geschichtswissenschaft hier und bei anderen Kontroversen von politisch-weltanschaulicher Relevanz ein endgültiges Urteil fällen kann und wird.

Anmerkungen:
1 Bild-Zeitung, 21. 3. 2001. http://www.bild.de/service/archiv/2001/mar/21/?body=aktuell/papst/papst.html (Link nicht mehr aktuell; Anm. d. Red. vom 10.12.2002)
2 Peter Godman, The saint as censor. Robert Bellarmine between inquisition and index. Leiden/Boston/Köln 2000.
3 Siehe meine Rezension des Buches von John Tedeschi, Il Giudice e l'Eretico. Studi sull'Inquisizione romana: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/buecher/dera1198.htm
4 Zum Beispiel Michäl Baigent/Richard Leigh, Als die Kirche Gott verriet. Die Schreckensherrschaft der Inquisition, Regensburg 2000.
5 Näheres bei Rainer Decker: Hintergrund und Verbreitung des Drucks der römischen Hexenprozess-Instruktion (1657). In: Historisches Jahrbuch 118 (1998) S. 277-286; ders.: "Ihre Prozessführung verstößt auch gegen das Naturrecht" - Wie die römische Inquisition 15 Bündner Hexenkindern das Leben rettete. In: Bündner Monatsblatt. Zeitschrift für bündnerische Geschichte und Landeskunde 1999 Heft 3 S. 179-191 (Volltext: http://homepage.victorvox.de/decker/Hexenkinder.html); ders.: Spee und Tanner aus der Sicht eines römischen Kardinal-Inquisitors. In: Spee-Jahrbuch 6 (1999) S. 45-52, (Volltext: http://homepage.victorvox.de/decker/Tanner.html).
6 Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Indice, Protocolli M Bl. 156r, noch deutlicher Bl. 151r.
7 Stephen Schloesser, 'Altogheter Adverse'. The Story of Graham Greene and the Holy Office. In: America, 11. November 2000 (Volltext: http://www.americapress.org/articles/schloesser.htm; frdl. Hinweis von YuryWinterberg).

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