Titel
Henry IV. of Germany 1056-1106.


Autor(en)
Robinson, Ian S.
Erschienen
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
£ 43.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hillen, Christian

Noch ein Buch über Heinrich IV.? Man sollte doch eigentlich annehmen, dass es über eine der bekanntesten und umstrittensten Gestalten des deutschen Mittelalters genügend Literatur gibt, um damit ganze Bibliotheken füllen zu können. Immerhin ist sein fast schon sagenumwobener "Gang nach Canossa" mittlerweile geradezu sprichwörtlich geworden 1. Ohne Zweifel gibt es diese Literatur auch, aber ein genauerer Blick macht doch recht schnell deutlich, dass wissenschaftliche Biographien dieses überaus bemerkenswerten Vertreters des salischen Königshauses gar nicht so zahlreich vorhanden sind. Hauptsächlich hat sich die Forschung mit einzelnen Aspekten der Herrschaft des Salierkaisers auseinandergesetzt, besonders natürlich mit seinem Verhältnis zu Papst Gregor VII. Die letzte größere deutschsprachige Biographie ist die 1979 von Eugen Boshof verfasste, die 1990 in zweiter überarbeiteter Auflage erschienen ist 2. Nun hat sich also der am renommierten Trinity College in Dublin lehrende Professor für mittelalterliche Geschichte I. S. Robinson dieser Persönlichkeit angenommen und die erste englischsprachige Biographie Heinrichs IV. vorgelegt.

Wie bei Biographien mittelalterlicher Herrscher üblich und durch die Quellenlage bedingt, handelt es sich hauptsächlich um eine politische Geschichte Heinrichs und seiner Zeit. Er beginnt sein Werk mit einer kurzen Übersicht über die Eigenarten der historischen Entwicklung Deutschlands im 11. Jahrhundert. Sie richtet sich besonders an Leser des englischsprachigen Marktes, die sich bisher hauptsächlich mit der englischen oder - unter amerikanischen Mediävisten durchaus weit verbreitet - mit der französischen Geschichte des Mittelalters auseinander gesetzt haben.

In nahezu chronologischer Folge handelt Robinson dann die Lebensgeschichte Heinrichs IV. mit all ihren bekannten Irrungen und Wirrungen sehr detailliert, kenntnisreich und immer nahe an den Quellen ab. Eine zentrale Stellung nimmt dabei naturgemäß die Auseinandersetzung mit der römischen Kirche im Allgemeinen und mit Gregor VII. 3 im Besonderen ein. Aber auch die Minderjährigkeit, die Sachsenkriege und die Konflikte mit Heinrichs Söhnen kommen ausführlich zur Sprache. Eine Würdigung der Persönlichkeit des Kaisers stellt Robinson an den Schluss seiner Ausführungen. Dies ist ohnehin eine Frage, bei der sich Mediävisten schwer tun, denn fast immer lassen sie die Quellen im Stich: Selbstzeugnisse gibt es keine (oder so gut wie keine), Schilderungen anderer sind tendenziös und von den jeweiligen Interessen des Autors geprägt. Nicht einmal einen Eindruck von der äußeren Gestalt der Person kann man gewinnen, da bis ins späte Mittelalter hinein alle Darstellungen stark stilisiert, typisiert und ihrer Individualität beraubt sind. So bleibt auch Robinson im Fall Heinrichs IV., dessen Persönlichkeit bereits bei den Zeitgenossen im Zentrum heftiger Auseinandersetzungen stand, was sich in einer Fülle sich gegenseitig widersprechender Beschreibungen seines Charakters äußerte, oftmals nichts anderes übrig, als resigniert festzustellen, dass nichts festzustellen ist.

Alles in allem kann man als deutscher Mediävist Robinsons Buch gelassen zur Kenntnis nehmen. Es handelt die Geschichte Heinrichs IV. in solider und gekonnter Weise, in klarer, schnörkelloser Sprache ab. Hierin liegt dann aber zugleich auch das größte Manko des Buches, denn Neues fördert Robinson auch nicht zu Tage. Schon Gerd Althoff hat in seiner Rezension in der FAZ festgestellt, dass er sich auf den "Pfaden bewegt, die die deutsche Mediävistik seit langem ausgetreten hat"4. Man kann leider nicht umhin diesem Urteil auch an dieser Stelle beizupflichten. Nicht unwesentlich zu dem Eindruck der Konventionalität beigetragen haben dürfte die Tatsache, dass Literatur im wesentlichen nur bis 1991, der letzten großen Veröffentlichungswelle im Zusammenhang mit der Salierausstellung in Speyer, wahrgenommen wurde. Dies trifft besonders auf Althoffs eigene Studien ab etwa Mitte der neunziger Jahre zu rituellen und inszenierten Handlungen zu, die Robinson demnach nicht mehr berücksichtigt hat. Eine Untersuchung gerade auch des berühmten Canossa-Ganges entlang der Linien der Althoff'schen Forschungen hätte man sich recht ertragreich vorstellen können. Merkwürdig auch, dass eine der ausgewiesensten Kennerinnen der Epoche, Uta Renate Blumenthal, nicht im Literaturverzeichnis erscheint. Ihr Buch zum Investiturstreit gehört schließlich geradezu zu den Standardwerken zu diesem Thema 5.

Für englische oder amerikanische Studenten, die an die deutsche Geschichte dieser Zeit herangeführt werden sollen, ist Robinsons Werk auch aus anderen Gründen nicht ganz unproblematisch. Denn gerade Leser ohne oder mit nur geringen Vorkenntnissen dürften die 15-seitige Einleitung in die Probleme der mittelalterlichen deutschen Geschichte zu knapp finden. Hier fehlen ausführlichere Darstellungen der Entwicklung der königlichen Kanzlei oder der Entstehung der Ministerialen, einer sozialen Gruppe oder Schicht, die es in dieser Form nur im Reich gegeben hat. Auch ein etwas umfassenderer Blick auf die Reformbewegungen und die Entstehung des Gedankens der ‚libertas ecclesiae', die ganz entscheidend zum Verständnis der Konflikte zwischen Papst und Kaiser gehören, wäre wünschenswert gewesen.

Ob das Buch gerade bei dieser Käuferzielgruppe zu einem Verkaufsschlager wird, ist jedoch zu bezweifeln, denn der Preis von 43 £ oder über 180 DM scheint für ein Buch von knapp 400 Seiten doch reichlich überzogen.

Trotzdem hat Robinsons Biographie Heinrichs IV. das Verdienst, nun der englischsprachigen Mediävistik den Zugang zu einem wichtigen Kapitel der deutschen Geschichte des Mittelalters zu erleichtern und immerhin einen Einstieg zu bieten.

Anmerkungen:
1 Zu dem Bismarck-Zitat vgl. Lothar Gall, Bismarck. Der Weiße Revolutionär. Berlin 1997 (2. Aufl.), S. 564-565.
2 Eugen Boshof, Heinrich IV. Herrscher an einer Zeitenwende, Göttingen 1990 (2. Aufl.).
3 Zur neuesten Literatur zu Gregor siehe die Rezension von Martina Hartmann über Uta Renate Blumenthal, Gregor VII. Papst zwischen Canossa und Kirchenreform (Gestalten des Mittelalters und der Neuzeit, Darmstadt 2001, in H-Soz-U-Kult, 20. Juni 2001: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensio/buecher/2001/hama0601.htm.
4 Gerd Althoff, Böser Mann, böser Mann, in: FAZ v. 22. Jan. 2001, S. 53.
5 Uta-Renate Blumenthal, Der Investiturstreit, Stuttgart u. a. 1982.

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