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Titel
Five Empresses. Court Life in Eighteenth-Century Russia


Autor(en)
Anisimov, Evgenii V.
Erschienen
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Kusber, Historisches Seminar Abteilung VI: Osteuropäische Geschichte, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Evgenii Anisimow ist sicher einer der profiliertesten Kenner der politischen Geschichte des 18. Jahrhunderts. Schon Mitte der achtziger, als man in der Sowjetunion die petrinische und katharinäische Epoche vornehmlich unter der Fragen traktierte, ob denn der Absolutismusbegriff auf Russland zuträfe und was eigentlich Peter I. und Katharina II zur Größe des zaristischen Imperiums beigetragen hätten, wandte sich Anisimow den weniger analysierten Regierungen Annas (1730-1740) und Elisabeths (1741-1761) in zu Standardwerken avancierten Büchern vor. Seitdem hat er zahlreiche Detailstudien und größere Darstellungen vorgelegt. „Schenschtschiny na rossijskom prestole“, ein russisches Buch Anisimows aus dem Jahre 1997, ist für die englische Übersetzung, die Kathleen Caroll in einem Plauderton besorgte, der dem Original durchaus angemessen ist, nur wenig überarbeitet worden. Wie bei seiner Erstpublikation in Russland ist auch jetzt die Zielgruppe weniger das Fachpublikum als eine breitere Leseöffentlichkeit. Schon die Kapitelüberschriften zeigen an, dass der Leser informiert und unterhalten werden soll:

In „The Cinderella from Livland“ wird der Lebensweg litauischen Bauernmagd Marfa Skawronskaja an der Seite Peters des Großen nachgezeichnet. Als Katharina I. folgte sie ihrem Mann 1725 kurzzeitig auf dem Thron, wurde aber nicht erst zu diesem Zeitpunkt politisch aktiv: Kennzeichen des 18. Jahrhunderts war nicht nur am Hof Peters des Großen, dass sich Politische Willensbildung und Entscheidungsfindung bei Hofe, in Vorzimmern oder gar in Schlafzimmern von Herrscherinnen und Herrschern vollzog. Katharina wird uns in diesem Sinne als eine nicht nur Peter I. liebende, sonder auch über eigene Netzwerke verfügende, zielstrebige Person vorgestellt, die vor ihrem biographischen Hintergrund sehr schnell lernte, den politischen Raum „Hof“ zu nutzen, sei es für die Interessen ihres Mannes, ihrer Nachkommen oder ihrer selbst.

In „The Poor Relative, who became empress“ schildert Anisimow das Leben und die Herrschaft der Kaiserin Anna, die 1730 in einer Situation zum Zarin erheben wurde, die oft in der Historiographie als verpasste Chance der russischen Geschichte begriffen wird. So auch hier: Der Verfasser beschreibt die widerstreitenden Konzepte der alten, herrschernahen Oligarchie und verschiedener Adelsgruppen, die sich in Moskau zur Krönung versammelt hatten, die Herrschaft der neuen Regentin durch Wahlkapitulation zu begrenzen suchten und durch ihre partikularen Vorstellungen scheiterten. Anna, eine Nichte von Peters älterem Halbbruder Ivan (V.), von Peter selbst wohl nur als Schachpuppe seiner Heiratspolitik gesehen, begnügte sich im Verlaufe ihrer Herrschaft in immer stärkerem Masse damit, die Idee der Autokratie zu verkörpern, durch ihre Unterhaltungssucht, den Hof zu neuer Blüte zu führen, das Regieren aber der Elite, und nicht nur ihren Favoriten, wie es das ältere Klischee von der Deutschenherrschaft wissen will, zu überlassen.

“The Secret Prisoner and her Children” schildert das Schicksal von Annas Nichte Anna Leopol’dovna und ihrer Familie. Anna als Regentin für ihren wenige Monate alten Sohn Ivan (VI.) eingesetzt, gilt Anisimow im Gegensatz zu den anderen „Herrscherinnen auf dem russischen Thron“ als Beispiel für eine Person, die zwar eine Vorstellung von autokratischer Macht besaß, aber im Spiel der Kräfte des Hofes nicht in der Lage war, diese auch nur ansatzweise zu gewinnen. Das Aufbauen einer Hausmacht, das Arbeiten mit Hof- und Regierungsinstitutionen waren ihr fremd, und so war der baldige Sturz durch Elisabeth, die Tochter Peters und Katharinas I., von einer gewissen Konsequenz. Anna Leopol’dovna und ihrer Familie brachten Jahre in Verbannung und Gefangenschaft zu. Ivan (VI.) endete 1764 in der Festung Schlüsselburg, in der Verbannung geborene Töchter, die erst unter Paul I. das Land verlassen durften, beschlossen ihr Leben in Dänemark.

“The Russian Aphrodite” schildert den Lebensweg der Zarin Elisabeth (1742-1761), die lange Jahre warten musste, bevor sich ihr die Gelegenheit zum Griff nach der Zarenkrone bot. Elisabeth, hoch zu Pferde in Gardeuniform, als Herrscherin niemals das gleiche Kleid zweimal tragend – diese bekannten Klischees dürfen in der Darstellung nicht fehlen. Doch Anisimow schildert anhand der Herrschaft Elisabeths auch detailreich das Funktionieren der Petersburger Autokratie im 18. Jahrhundert. Elisabeth regierte aktiver als etwa Anna, entwickelte jenseits der Wahrung ihrer eigenen Identität politikleitende Vorstellungen, was für sie die Größe Russlands ausmache. In diesem Sinne leitete sie ihre teils sehr tüchtigen Parteigänger - die Rasumowskijs oder die Schuwalows etwa – an, ihre vagen, aber doch vorhandenen Vorstellungen für Wissenschaft, Bildung und Kunst ihre Reiches und natürlich der Großmachtpolitik nach außen zur Geltung zu bringen.

“The Sovereign of the North” - diese Selbstbezeichnung Katharinas II. zeigt für Anisimow an, dass es sich erstmals um eine Herrscherin handelt, die ihre Regierungsgewalt bis ins Detail auszuüben gedachte, und die ihre teils hochbegabten und befähigten Favoriten, z.B. Grigorij Potemkin, konsequent in ihr Herrschaftssystem einbaute. Katharina, die anhaltinisch-zerbstische Prinzessin, die mit dem Enkel Peters des Großen Peter (III.) verheiratet war und die unglückliche Ehe als politische Lehrzeit begriff, zögert e nicht ihren Mann mit Hilfe der Garden zu stürzen. Seit 1762 nutzte sie ihre rechtlich prekäre Situation – immerhin hätte sie auch die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn Paul ausüben zu können -, um Machtanspruch mit aufgeklärter Programmatik zu verbinden. Anisimov zeigt in diesem mit über hundertzwanzig Seiten umfangreichsten Kapitel des Buches Katharina als unermüdliche Propagandisten ihrer selbst, um die europäische Öffentlichkeit von sich und von Russland zu überzeugen, er zeigt sie in einem souveränen Umgang mit ihren Favoriten, denen es nie gelang, den Blick für das, was sie für vordringlich hielt, trüben zu können.

Ewgenij Anisimow lässt seine Leser ohne eine zusammenfassende und einordnende Betrachtung zurück, was seine Skizzen als Gesamtschluss zulassen über Russland, das 18. Jahrhundert, die Entwicklung der Kultur des Hofes, über die Funktion von Favoriten, über das Verhältnis politischen Institutionen und handelnden Individuen. Es fehlt eine Erörterung über den Zusammenhang zwischen dem petrinischen Thronfolgegesetzes und den viel und auch bei Anisimow nicht immer klischeefrei geschilderten Palastrevolutionen des 18. Jahrhunderts. Das grundsätzliche Problem der Sukzession scheint lediglich bei der Thronbesteigung Katharinas I. einmal auf. So schildert er – auf einer übrigens lange bekannten und gedruckten Materialgrundlage (vor allem die einschlägigen Bände der Kaiserlichen Historischen Gesellschaft und der Zeitschrift „Russkaja starina“) und unter Hintanstellung der jüngeren internationalen Forschung – seine Heldinnen anschaulich und eigentlich durchweg mit Sympathie; er verbindet solide Unterhaltendes mit Fakten- und Detailreichtum. Den Fachleuten mag sein Buch mit seinem stark individualisierenden Zugang verdeutlichen, das Strukturen stark abhängig von den Personen sind, die sie generieren und ausfüllen. Zurück bleibt der Leser vor allem mit einer Frage: In welche Relation setzt Anisimow Hofleben und Herrschaft mit der Provinz des Zarenreiches? Auch Anisimows populär gehaltenes Buch verweist eindrücklich auf die noch zahlreichen Forschungsfelder zur Geschichte des Zarenreiches im 18. Jahrhundert.

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