E. A. Zitser: The Transfigured Kingdom

Cover
Titel
The Transfigured Kingdom. Sacred Parody and Charismatic Authority at the Court of Peter the Great


Autor(en)
Zitser, Ernest A.
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 221 S.
Preis
$39.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Schneck, Bratislava

Ernst A. Zitser wagt sich pünktlich zum 300-jährigen Jubiläum der Gründung St. Petersburgs in seiner Monografie „The Transfigured Kingdom“ an eine Biografie von Peter dem Großen, in dem er mit erprobten Methoden der modernen Kulturgeschichtsschreibung die kulturellen Codes der Persönlichkeit des großen Herrschers zu entschlüsseln versucht.

Er analysiert in den 5 Kapiteln zunächst die inszenierte Machtergreifung Peters, und die Entmachtung seiner Schwester Sophie und die Saufgelage des jungen Zaren.Weiter geht es in die hohe Politik und in die hohe Religion, eine blasphemische Hochzeit eines treuen Dieners und schließlich werden wir Zeuge einer Wahrheit, von der der Leser schon immer ahnte, dass dies die eigentlich treibende Kraft im Ränkespiel der großen Politik war: die Impotenz des Cäsaren. Was bindet diese verstreuten Episoden nun zu einer Monografie zusammen, fragt sich da zuweilen der Leser? Ist es die feinsinnige Methode, Ereignisse als Symbole und Symbole als Ereignisse zu lesen, so dass „königliche Hochzeiten zu Werkzeugen der Geopolitik werden“ (S. 117) und Szepter nur durch ihre phallische Dimension (S. 32) wirklich verstanden werden können?

Der Autor macht es dem Leser nicht leicht – aber durch harte Arbeit wird dieser reichlich belohnt. Es geht um einige wirkliche Rätsel in der widersprüchlichen Persönlichkeit des Zaren und seines Schaffens, die der Autor entschlüsseln möchte. Die chronologische Reihenfolge der Geschichten ist dabei eher zufällig und könnte auch anders aussehen. Um eine klassische Biografie Peters handelt es sich also nicht. Im Zentrum des Anliegens und des Interesses des Autors steht es immer wieder, Macht in Sprache und Sprache in Macht zu übersetzen. Dafür bedient er sich der Texte im weitesten Sinne, die von Peter zurückgelassen worden sind – sei es in Kapitel 1 das „Manifest der Naryskins“ zur Legitimierung des „Coup d’Etat“ anno 1689; in Kapitel 2 das „Most Comical and All-Drunken Council“ zur Etablierung der neuen führenden Persönlichkeiten am Hof (in erster Linie natürlich auch des Zaren selbst) und zur Einübung ihrer neuen Spielregeln; in Kapitel 3 die Reise nach Solovki, um sich als Apostel zu inszenieren, und eine Münze, um den verräterischen Mazepa nach allen Regeln der symbolischen Kunst als Judas zu stigmatisieren und damit endgültig zu besiegen; in Kapitel 4 die Hochzeitspolitik und -praxis an Peters Hof; oder in Kapitel 5 die „Erklärung für meinen Sohn“ vor der Hinrichtung von Thronprinz Alexej. Diese Arbeit an den Texten, ihre Entschlüsselung und die sich ergebenden Rückschlüsse auf das Zusammenspiel von Macht und Kultur halten das Buch zusammen.

Dabei lässt Zitser in der Regel zunächst die Quellen sprechen. Der Erzählungsstrang ist danach nicht ganz dicht geknüpft. Zitser stellt Peters Taten mal in den Kontext der Bibel, mal in den des Hofes und auch mal in den „des Volkes“. Der Leser ist schließlich nach all dieser philologischen Kleinarbeit überrascht, in welcher Klarheit zum Schluss das – nicht ganz neue – Ergebnis ihm vor Augen steht: Peter war gar nicht so modern, wie man doch nur allzu gerne denkt. Aber Zitser behauptet dann doch noch etwas mehr und damit etwas wunderbar Neues: Nicht die Abstufung der Modernität Peters hat er im Blick sondern eine Dekonstruktion im Ganzen. Peter ist nicht „noch nicht ganz modern“ bezüglich Aspekt A oder „noch dem Mittelalter verhaftet“ bezüglich Aspekt B. Nein, Peter denkt in messianischen Kategorien. Also sind Peter und sein Projekt essentiell mittelalterlich (wie anschaulich durch den wunderbaren Buchumschlag illustriert wird). Zitser vermeidet die Worte Mittelalter oder Moderne wohlweislich und entschärft seine Analyse mit soziologischen Elementen: Vor allem Webers Konzept von Charisma wird dabei verwendet. Die Kernaussage seines Buches jedoch ist, dass es sich bei dem „Projekt“ Peters um ein „transfigured kingdom“ (vornehm der biblischen Sprache der Quellen entnommen) handelt – mit Peter im Zentrum des Geschehens als Zaren und Messias zugleich. Absolutismus und Moderne waren nach Zitser bei diesem (mittelalterlichen) Schaffen von Peter nur ein zufälliges Nebenprodukt - eben so wie bei den Protestanten und dem Kapitalismus. Und dieser Clou der Interpretation macht die Monografie von Zitser wahrlich lesenswert.

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