Titel
Der Kindergarten. Seine Geschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart


Autor(en)
Konrad, Franz Michael
Erschienen
Freiburg 2004: Lambertus Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Caroline Hopf, Institut für Pädagogik, FAU Erlangen-Nürnberg

Seit den Ergebnissen der ersten PISA-Studie ist in Deutschland eine Debatte um eine stärkere Schulorientierung des Kindergartens entstanden. Auch in der Geschichte dieser Einrichtung sind widerstreitende Konzepte erkennbar, die mehr die freie und kreative Entfaltung des Kindes oder die intellektuelle Unterweisung sowie religiöse oder politische Elemente betonen. Einhergehend mit den sozialen Auswirkungen der einsetzenden Industrialisierung entstanden – ausgehend von Frankreich und England – seit dem Ende des 18. Jahrhunderts Ansätze einer institutionalisierten Kleinkindererziehung. Kleine Kinder sollten nicht unbeaufsichtigt sich selbst überlassen bleiben, während die Mutter in der Fabrik arbeitete, sondern während dieser Zeit versorgt, gepflegt und beschäftigt werden. Der drohenden Verwahrlosung sollte auf diese Weise vorgebeugt werden. Frauenarbeit war vielleicht nicht der ursächliche Auslöser für die Institutionalisierung der Kleinkindererziehung, sicherlich aber der Grund für ihre Verbreitung im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Die „Warteschulen“ älterer Prägung konnten diese Aufgabe nur unzureichend bewältigen. Zur ursprünglichen Bewahr- kam in den Einrichtungen öffentlicher Kleinkindererziehung am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts die Erziehungs- und auch Unterrichtsfunktion hinzu. Vor Einführung bzw. Durchsetzung der Schulpflicht war der Besuch einer solchen Anstalt im Kindesalter oft die einzige Möglichkeit, Lesen, Schreiben und Rechnen wenigstens rudimentär zu erlernen, so dass die Aufnahme dieser Elemente auch von sozialemanzipatorischem Interesse war. Die Anfänge einer pädagogischen Konzeption öffentlicher Kleinkindererziehung werden bei Friedrich Oberlin gesehen, bei dem die so genannten „Strickschulen“ einen Bestandteil umfassender sozialer Reformmaßnahmen bildeten. In Deutschland entwickelten sich aus den Bewahranstalten und unter Rezeption der Schriften des Engländers Samuel Wilderspin das Konzept der „Kleinkinderschule“, das durch Theodor Fliedner eine religiöse Prägung erhielt. Wichtige Impulse erhielt die Kleinkindpädagogik dann von Friedrich Fröbel, dessen Ideen für die Entwicklung des „Kindergartens“ prägend werden sollten und weitergetragen wurden von den Vertretern und vor allem Vertreterinnen der so genannten „Fröbel-Bewegung“. Nach und nach breitete sich die öffentliche Kleinkindererziehung im Laufe des 19. Jahrhunderts aus, getragen meist von Vereinen konfessioneller Prägung, wobei die historischen Namen konkreter Einrichtungen (Kindergarten, Bewahranstalt, Kleinkinderschule usw.) mit den jeweils vertretenen Konzepten häufig nicht übereinstimmten. Auch entstanden immer mehr Ausbildungsstätten für Kindergärtnerinnen.

Zunehmend griff der Staat mit Erlassen in den Bereich öffentlicher Kleinkindererziehung ein; kommunale Einrichtungen entstanden. Ab der Jahrhundertwende erhielt die Kleinkindererziehung Impulse aus der neu entstehenden Kinderpsychologie sowie aus Reformkonzepten wie der Montessori- und Waldorfpädagogik, die bis heute sowohl als geschlossene Reformkonzepte existieren wie auch Anknüpfungspunkte für die eklektizistische Übernahme einzelner Elemente in anderen Einrichtungen geben. Der nationalsozialistische Staat versuchte sich auch der öffentlichen Kleinkindererziehung zu bemächtigen, wurde dort aber insgesamt weniger einflussreich als etwa im Bereich der Schule. Dennoch wurden Reformeinrichtungen eliminiert und außerhalb konfessioneller Einrichtungen das pädagogische Konzept auf nationalsozialistische Propaganda sowie körperliche Ertüchtigung konzentriert. Nach 1945 knüpfte man in der BRD zunächst an die Zeit vor 1933 an. Im Zuge der Bildungsexpansion wurde der Besuch eines Kindergartens dann zum Bestandteil der Normalbiographie. Didaktische Ideen, z.B. der Situationsansatz, kamen zum Tragen, der Kindergarten wurde als Bildungseinrichtung verstanden, blieb aber Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe.

In der DDR wurde der Kindergarten so bedeutsam wie nie zuvor oder danach in der deutschen Geschichte. Ein flächendeckendes Angebot entstand, einerseits um die berufstätigen Mütter zu entlasten, andererseits um den sozialistischen Menschen zu erziehen. Abgesehen von den wenigen konfessionellen Einrichtungen bestimmten zentrale Bildungs- und Erziehungspläne die pädagogische Arbeit. Der Kindergarten war hier nicht Teil der Kinder- und Jugendhilfe, wie in der Bundesrepublik, sondern die Eingangsstufe des schulischen Bildungswesens.

Nach 1990 wurde die Kindergartenlandschaft in den neuen Bundesländern derjenigen in der Bundesrepublik angepasst, organisatorisch und bezogen auf das pädagogische Konzept. Die Chance, den Kindergarten in das schulische Bildungswesen zu integrieren, wurde nicht wahrgenommen; Bildungspläne wurden abgeschafft. Erst in jüngster Zeit setzt man sich erneut mit dem Gedanken eines Bildungsauftrages des Kindergartens und dem Sinn damit einhergehender Bildungspläne auseinander. Das Buch „Der Kindergarten“ von Franz-Michael Konrad gibt einen Überblick über die historische Entwicklung der pädagogischen Institution Kindergarten in den letzten 200 Jahren.

In insgesamt zehn übersichtlich gegliederten und in sich abgeschlossenen Kapiteln handelt der Autor die Geschichte der öffentlichen Kleinkindererziehung in Deutschland ab, an einigen Stellen ergänzt durch sinnvolle Verweise auf die Entwicklungen im Ausland. Nach der Schilderung der sozial-, pädagogik- und geistesgeschichtlichen Voraussetzungen öffentlicher Kleinkindererziehung in Deutschland um 1800 werden die Anfänge öffentlicher Kleinkindererziehung in Frankreich und England dargestellt; anschließend wird auf die Entwicklung in Deutschland am Anfang des 19. Jahrhunderts eingegangen und die wichtigsten Konzepte und Personen vorgestellt. Es folgt ein Kapitel zum Kindergarten Friedrich Fröbels und zur Fröbelbewegung, danach geht es um die weiteren Entwicklungen vom Kaiserreich über Weimarer Republik, Nationalsozialismus, BRD, DDR und Wiedervereinigung bis zur Gegenwart. Ein abschließendes Kapitel befasst sich mit der Entwicklung in den letzten fünfzehn Jahren und geht dabei auch auf aktuelle Probleme der öffentlichen Kleinkindererziehung ein, wie z.B. die Forderungen nach einer gezielteren Schulvorbereitung oder nach einer Akademisierung der Erzieherinnenausbildung auch in Deutschland. Die Darstellungsweise des Bandes ist sachlich, klar und verständlich und konzentriert sich darauf, einen Überblick zu geben. Jedes Kapitel geht zunächst auf den sozialgeschichtlichen Kontext des jeweils behandelten Zeitabschnittes ein, in dem die Entwicklungen der öffentlichen Kleinkindererziehung verortet werden können, dann auf die institutionelle Entwicklung der Kleinkindererziehung sowie auf die jeweiligen pädagogischen Konzepte, die Ausbildung des Betreuungspersonals, die Trägerstruktur und schließlich die quantitative Entwicklung der Anstalten. Am Anfang jedes Kapitels wird jeweils ein Gliederungsüberblick gegeben, der die Orientierung zusätzlich erleichtert, am Ende folgt eine kurze Zusammenfassung.

Deutlich werden insgesamt die Entwicklungslinien zunehmender Verbreitung, Institutionalisierung und Professionalisierung des kleinkindpädagogischen Bereichs im Verlauf seiner Geschichte, die mit dem öffentlichen Eingriff in die Kleinkindererziehung und der historisch gewachsenen diffusen Trägerstruktur verbundenen Probleme sowie die sozialgeschichtliche und gesellschaftspolitische Bedingtheit der organisationalen und konzeptionellen Gestalt pädagogischer Institutionen und ihrer Veränderungen. Der Aufbau des Buches ermöglicht es, den Text im Zusammenhang zu lesen, einzelne Kapitel herauszugreifen oder auch bestimmte Themenstränge zu verfolgen, wie z. B. die quantitative Entwicklung des Betreuungsangebots oder die zunehmende Professionalisierung des Erzieherinnenberufs. Dass bei einem Überblickswerk wie diesem an vielen Stellen nicht in die Tiefe gegangen werden kann, z. B. bei den einzelnen pädagogischen Konzepten, beim Zusammenhang von Fröbel- und Frauenbewegung oder bei den aktuellen Problemen liegt in der Natur der Sache. Der Band vermittelt keine neuen Forschungsergebnisse zur Thematik (im Gegenteil, denn z. B. wird das Kindergartenverbot auf die umstrittene These der Verwechslung von Friedrich und Karl Fröbel reduziert), sondern fasst vielmehr den bekannten und „kanonisierten“ Wissensstand zusammen.

Der Anhang enthält Hinweise auf Überblicksliteratur und Literatur zu ausgewählten Einzelaspekten, Quellensammlungen, Bilddokumentationen sowie auf Museen und Dokumentationszentren. Leider sind die Quellensammlungen zur Geschichte des Kindergartens wie die anderen Werke, auf die Konrad hier verweist, fast alle nicht mehr im Handel erhältlich; gerade die älteren Originaltexte sind oft auch über Bibliotheken nur schwer zugänglich. Man würde sich deshalb ausführlichere Auszüge aus den Quellentexten, auf die Bezug genommen wird, wünschen. Hier lässt das Buch Desiderate in der aktuellen Fachliteratur wie auch in der neueren Forschung deutlich werden.

Wegen seiner klaren und verständlichen Sprache, seinem fundierten Inhalt, seiner übersichtlichen Struktur und seines Preises ist dieses Taschenbuch besonders auch als Studienliteratur, sei es in Lehrveranstaltungen, zum Eigenstudium oder zur Prüfungsvorbereitung, geeignet. Es gibt einen schnellen, trotzdem zuverlässigen und facettenreichen Überblick über die Geschichte des Kindergartens in Deutschland und seiner Vorgängerinstitutionen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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