Titel
Albert Ballin. Der Reeder des Kaisers


Autor(en)
Straub, Eberhard
Erschienen
Berlin 2001: Siedler Verlag
Anzahl Seiten
270 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Jakobs, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf

Eberhard Straub beschreibt in der Biografie Albert Ballins (1857 - 1918) drei Geschichten von Erfolg und Erfolgreichen und ihrem Ende in der Katastrophe des Ersten Weltkrieges.

Die Geschichte Albert Ballins (1857 - 1918), der sich aus kleinsten Verhältnissen hochgearbeitet hatte und schließlich Gebieter über ein Handelsschiff-Imperium wurde. Damit verbunden ist die Wirtschaftsgeschichte Hamburgs und des Deutschen Kaiserreiches, deren Erfolg ohne Albert Ballin so nicht hätte stattfinden können. Albert Ballin wurde 1857 als dreizehntes Kind eines jüdischen Kaufmanns geboren. Er starb am 9.November 1918 als Generaldirektor der HAPAG. Diese 61 Jahre beschreibt Eberhard Straub in einer gefälligen, streckenweise brillanten Sprache, die man zuweilen im Feuilleton der FAZ vermisst. Der Aufstieg Ballins vom Nobody zum Homo novus in der verstaubten und versnobten Patriziergesellschaft Hamburgs gelang über eine Agentur für Auswanderer und die Gründung einer kleinen Transatlantik-Linie. Ballin wurde der großen HAPAG schließlich lästig, so dass sie seine Linie übernahm. Auf diese Weise fand Albert Ballin 1886 Zugang in die feine Hamburger Gesellschaft. Die HAPAG übertrug ihrem Angestellten leitende Aufgaben, ab 1888 als Mitglied des Vorstandes, 1896 als Generaldirektor. Ballin verstand es durch geschicktes und - wenn nötig - rücksichtsloses Vorgehen, die HAPAG zur größten Reederei neben dem Norddeutschen Lloyd aufzubauen. Sein Mentor, Carl Laeisz, Vorsitzender des Aufsichtsrates, unterstützte ihn in diesen Bemühungen. "Die Welt ist mein Feld" wurde zu Ballins und der HAPAG Motto. In der Tat vermochte es Ballin, aus der provinziellen HAPAG ein weltumspannendes Unternehmen zu schmieden. Er war damit einer jener Menschen, denen das neu gegründete Kaiserreich Möglichkeiten bot; diese verstand er zu nutzen. Doch aus der Charakterisierung Albert Ballins liest man nicht nur die Erfolgsgeschichte. Eberhard Straub gelingt es, auch die Ambivalenz, ja die Janusköpfigkeit Ballins darzustellen. Sein Urteil bleibt indes milde, gar entschuldigend, wo im Grunde keine Entschuldigung angebracht wäre, sondern eine schonungslosere Beurteilung eines Managers, dem durchaus der Vorwurf des Opportunismus zu machen ist. Albert Ballin war ein Wirtschaftsimperialist, ein Nationalist und Patriot sowie ein Verehrer Wilhelms II. Was ihm und seinem Unternehmen nutzte, setzte er durch. Er verhalf seiner Reederei mit dem Luxustourismus zu nie gekannter Größe. Ebenso wuchsen die Schiffe und die auf ihnen dargebotene Prachtentfaltung. Ballin gehörte zu den Befürwortern einer starken deutschen Hochseeflotte - wovon er später nichts mehr wissen wollte - und befand sich damit in allerbester Gesellschaft. Dass Deutschlands Zukunft auf dem Meer liege, konnte nur seinen Beifall erhalten, war er es doch, der diese Zukunft würde ermöglichen und damit an Prestige und Einfluss gewinnen können. Prestige und Einfluss hatte er in der "guten" Gesellschaft Hamburgs nicht. Zwar gehörten Laeisz und Woermann zu den Gästen seines Hauses, aber selbst diese waren nicht "von Geblüt". Nachdem Albert Ballin Kanzler, Fürsten und sogar den Kaiser in seinem Hause bewirtet hatte, wollte der alteingesessene Hamburger Geldadel nicht nachstehen. Ballin durfte empfangen, wurde seinerseits aber nie als Gast begrüßt.

Albert Ballin hatte bald einen Status erreicht, in dem er nicht mehr auf das Wohlwollen der Hamburger Patriziergeschlechter angewiesen war. Seine gesellschaftliche Stellung wuchs über Hamburg hinaus in das Reich. Er berief 1899 den Sohn des Reichskanzlers, Philipp Ernst von Hohenlohe-Schillingsfürst, in den Aufsichtsrat der HAPAG, der als Verwandter der Kaiserin Viktoria Auguste Möglichkeiten eröffnete, auf indirekten Wegen der HAPAG nützlich zu sein. Ein weiterer Adliger, Arndt von Holtzendorff, wurde nach einigen Jahren "Gesandter" der HAPAG in Berlin und mit seinen überaus guten Beziehungen zum Marinekabinett einer der wichtigsten Vertrauten Ballins. Ballin avancierte zu "des Kaisers Hofozeanjuden", wie Maximilian Harden seinen Freund nannte.

Ballin war ein schwieriger Mensch. Seine Ausbrüche waren gefürchtet. Ingenieure und Techniker behandelte er mit Geringschätzung, seine Kapitäne sah er nur als Erfüllungsgehilfen. Selbst gegenüber Freunden und Partnern wurde er ausfällig. Dabei war er nicht gewohnt, Kritik zu ertragen. Er galt als Despot, der es nicht scheute, die Werftarbeiter zu bändigen, indem er Ihnen mit Rauswurf drohte, wenn sie mit Gewerkschaften oder sozialdemokratischen Ideen liebäugelten. Seine Kollegen im Vorstand der HAPAG, Merck und Schinkel, kritisierten Ballins expansiven Drang als uferlos und größenwahnsinnig, doch dieser ließ sich kaum beeindrucken.

Ballin war ein Faktor, mit dem auch der Kaiser rechnete. Die pompösen Empfänge, die Ballin für Wilhelm II. ausrichtete, führten dazu, dass sich der Kaiser Ballin zuwandte. Ballin war dabei keineswegs einer unter vielen, wie Straub schreibt, sondern, wie er selbst formuliert, "als Günstling des Kaisers geschätzt und notwendig". Eberhard Straub benutzt das Wort vom "Fisch im Wasser", der mit der Strömung mitschwimmen müsse, um nicht aus der Nähe des Kaisers abgetrieben zu werden. Dieses trifft bei allem Handeln den Kern der Sache. Ballin legte sich nie fest bei allem, was er tat und sagte. Bernhard von Bülow mochte er zuerst nicht. Als dieser dann Karriere machte, suchte er seine Freundschaft. Albert Ballin nahm mehr und mehr Einfluss: in der Eulenburg-Affäre, die von seinem Freund Harden ausgelöst wurde, in der Daily-Telegraph-Affäre, die seine Doppelzüngigkeit deutlich werden ließ. Albert Ballin ging es um Einfluss, dezent, aber wirksam im Hintergrund. Seiner Überzeugung zufolge richtete sich Politik nach der Wirtschaft. Danach versuchte er auch im Reichstag, für die HAPAG Einfluss zu gewinnen, was nicht recht gelang. Das Ziel, Gewinn und Macht zu steigern, war Ballins Priorität. In der Auseinandersetzung mit England ging er dabei so eigensinnig und dilettantisch vor, wie die Reichsregierung selbst, die den Platz an der Sonne erreichen wollte, ohne jedoch Rücksicht auf andere zu nehmen. Hier beginnt der Abstieg, sowohl des Reiches als auch Ballins. Beide sind gekennzeichnet von Hybris und Egozentrik. Ballin stellte sich gerne als die Unschuld dar, die er gewiss nicht war. Es gelingt Eberhard Straub hervorragend, die Widersprüchlichkeiten aufzuzeigen, die Ballin verkörperte und deren Ursachen bei ihm selbst lagen. Uneinsichtigkeit und rücksichtsloses Vorgehen trugen Ballin den Vorwurf ein, die Welt zu Deutschlands Feind gemacht zu haben. England sah in Ballins Vorgehen eine Bedrohung seiner Machtstellung auf dem Meer. Ballin teilte mit der Reichsregierung die Illusionen, England doch noch an die Seite Deutschlands bringen zu können, wenn nötig durch Erpressung. Politisch war Ballin blind und wankelmütig. Seine Einschätzung englischer Politik war auf den naiven Glauben gegründet, England ließe sich Dinge bieten, die er selbst niemals akzeptiert hätte. Er glaubte an englische Neutralität im Kriegsfall. Als der Krieg ausbrach, befürwortete er den U-Boot-Krieg, um England zu der Einsicht zu bringen, dass es besser sei, mit Deutschland zusammenzugehen. Nach dem Scheitern des U-Boot-Krieges wollte er von seiner Befürwortung nichts mehr wissen. Ballin verhielt sich wie das berühmte Fähnchen im Wind. Als das Ende nahte, war auch das des Reeders gekommen. Sein Lebenswerk zerstört zu sehen ohne die Chance des Wiederaufbaus und seiner Weltgeltung beraubt, nahm er eine Überdosis Beruhigungsmittel, an deren Wirkung er am 9. November 1918 verstarb.

Eberhard Straub ist vor allem im zweiten Teil seines Buches eine spannende Darstellung des Lebens Albert Ballins, der politischen Konstellationen und wirtschaftlichen Zusammenhänge des Kaiserreiches gelungen. An manch einer Stelle wünschte man sich genauere Hintergrundinformationen. Fußnoten mögen dem einen oder anderen lästig erscheinen, doch sei die These gewagt, dass sie hier durchaus bereichernd gewirkt hätten, ohne abschreckend zu sein. H. A. Winklers Dictum: "Ich sehe in der Erzählung keinen Gegensatz zur Erklärung, sondern deren angemessene Form."(Der lange Weg nach Westen, Bd. 1, München 2000, S. 3) hat mit diesem Buch eine schöne Bestätigung erhalten.

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