M. Matheus (Hg.), Pilger und Wallfahrtsstaetten

Titel
Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit.


Herausgeber
Matheus, Michael
Reihe
Mainzer Vorträge 4
Erschienen
Stuttgart 1999: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
134 S., 33 Abb.
Preis
€ 17,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anne-Katrin Ziesak

Der Band "Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit" vereint fünf Beiträge einer gleichnamigen Vortragsreihe, die das Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz 1998 veranstaltete. In ihm sollen die Grundlagen und Wandlungen des christlichen Wallfahrtswesens aufgezeigt und die Geschichte von Kultstätten und ihren Besuchern im heutigen Bundesland Rheinland-Pfalz beleuchtet werden.

Mit dem einleitenden Beitrag "Jerusalem, Rom und Santiago - Fernpilgerziele im Mittelalter" gibt Ludwig Schmugge einen souveränen Überblick über das mittelalterliche Pilgerwesen. Ausgehend von den religiösen Grundlagen, dem Wunsch, die Stätten aufzusuchen, an denen Christus auf Erden wandelte, und dem abendländischen Märtyrer- und Heiligenkult, erläutert er die Motive der Wallfahrer. Unter ihnen hebt Schmugge den Wunsch nach der Imitatio Christi, die Bitte um Hilfe in körperlicher und seelischer Not sowie das Streben nach Ablaß von den zeitlichen Sündenstrafen hervor. Der vollkommene Ablaß, den man zunächst nur am "Urpilgerort" Jerusalem, seit 1300 während der Heiligen Jahre aber auch in Rom und wenig später ebenso in Santiago erwerben konnte, trug denn auch wesentlich dazu bei, die Sonderstellung der drei peregrinationes maiores zu untermauern. Schmugge veranschaulicht seine Ausführungen durch die Berichte über zwei Jerusalemfahrten aus den Jahren 1426 bzw. 1525, in denen sich die Triebfedern Andacht und Abenteuerlust widerspiegeln. Ein Pilger vollzog nicht nur einen zentralen Akt des christlichen Glaubens - die Imitatio Christi - sondern er befreite sich gleichermaßen von seinen Sünden wie auch von den Sorgen des Alltags.

Ernst Dieter Hehl argumentiert in "Kreuzzug - Pilgerfahrt - Imitatio Christi" überzeugend gegen eine Interpretation der Kreuzzüge als bewaffnete Pilgerfahrten. Im Kern des Kreuzzugsgedankens sieht Hehl im 12. Jahrhundert den Heiligen Krieg, den Kampf für Gott und die Christenheit, verbunden mit einer Imitatio Christi, die darin bestand, das eigene Leben für den Nächsten einzusetzen und hinzugeben. Eine Pilgerfahrt dagegen kam nur dem eigenen Seelenheil zugute. Zwar forderte auch sie die Bereitschaft, Not und Elend auf sich zu nehmen, doch nicht den Einsatz des Lebens. Gerade im Märtyrergedanken aber erkennt Hehl den wichtigsten Unterschied zwischen der Spiritualität des Kreuzfahrers und der des Pilgers.

In "Fromme Deutungen der Heilsgeschichte. Wallfahrtsbilder in Mittelalter und Früher Neuzeit" geht Werner Freitag der Frage nach, welche Kriterien die besondere Qualität eines Wallfahrtsbildes ausmachten. Für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit spricht Freitag der Umtracht eine zentrale Position zu. "Erst aus dem religiösen Ritual erwuchs im Wechselspiel mit der Bildaussage, dem historischen Bezug der Reliquien und dem Wunder die wallfahrtsbildende Kraft" (S. 55). Die Kritik von Reformatoren und Humanisten an der Praxis der Bilderverehrung wurde vom Tridentinum aufgenommen und schlug sich im Versuch nieder, diese Frömmigkeitsform von anstößigen Elementen zu reinigen. Dazu zählte u. a. die Unterweisung der Gläubigen in zentralen Glaubensaussagen, die Katechese, sowie das Bemühen, objektive Kriterien für das wundertätige Bild zu finden. Im 17. und 18. Jahrhundert wurde daher das historische Argument, das hohe Alter eines Bildes, möglichst belegt durch Urkunden, zur Identifizierung von Wallfahrtsbildern herangezogen. "Die Kontinuität der Verehrung seit unvordenklichen Zeiten verlieh dem Wallfahrtsbild eine neue Legitimität" (S. 61). Im 19. Jahrhundert verloren die Wallfahrtsbilder ihre Aura. Sie erscheinen uns seitdem als Kunstwerk und Repräsentant einer gläubigen Vergangenheit.

Am Beispiel der "Wallfahrten der katholischen Kirche im 19. Jahrhundert" verdeutlicht Wolfgang Schieder den Wiederaufschwung der katholischen Kirchenreligiosität in dieser Zeit, der sich mit den Begriffen Bürokratisierung, Klerikalisierung sowie Emotionalisierung der Religion umschreiben läßt. Im Mittelpunkt von Schieders Darstellung stehen die Wallfahrten zum Heiligen Rock in Trier und hier besonders die Wallfahrt des Jahres 1844 - eine von der Trierer Kirchenführung organisierte und gesteuerte Massenbewegung der unteren Gesellschaftsschichten, die auch einem politischen Zweck diente. Die Indoktrinierung der Pilgermassen gegen liberale, demokratische und sozialistische Ideen zeitigte Erfolg: Während der Revolution von 1848/49 verhielt sich das katholische "Kirchenvolk" des Rheinlandes weitgehend ruhig.

Bei den Recherchen zu den "Mainzer Wallfahrten in Geschichte und Gegenwart" stieß Christof Feußner auf eine Fülle von Kultstätten. Sein Resümee jedoch fällt traurig aus: Die meisten Wallfahrten stagnieren, befinden sich im Abstieg oder sind bereits abgestorben. Als Gründe für diese Entwicklung benennt Fleußner u. a. die Konkurrenz durch die attraktionsreicheren Fernwallfahrten - gerade in unserer mobilen Zeit - sowie eine mangelnde Wallfahrtspflege von seiten der Mainzer Kirche: Es fehlt an Publikationen, die über die Mainzer Wallfahrten informieren und für sie werben; durch Zerstörung und Standortwechsel der Kultobjekte ging manche Wallfahrt ihres Inhalts verlustig; vielerorts wurde die Ausgestaltung des Wallfahrtstages reduziert; einige Kultstätten sind nur schlecht zugänglich, Votivgaben und -tafeln wurden beseitigt. Ein zentrales Problem der meisten Mainzer Wallfahrten sieht Fleußner im Verlust des Begegnungs- und Gemeinschaftsaspektes, wie er sich im gemeinsam zu bewältigenden Weg ausdrückte. "Wallfahrten sind aber ein Ausdruck einer ganzheitlichen Form des Glaubens. Die Reduzierung ... nur noch auf den Gottesdienst nimmt diesen das Eigentliche" (S. 130). Sie werden damit zu einer "unverbindlichen Tradition", sinnlos und letztlich beseitigt.

Wer sich, vom Titel "Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit" verleitet, eine erschöpfende Darstellung des Pilgerwesens erhofft, den wird der Blick in das Inhaltsverzeichnis enttäuschen. Den Leser erwarten dann allerdings fünf durchweg informative und anregende Beiträge zu zentralen Themen der Wallfahrtsforschung. Ein Wermutstropfen ist allerdings die Qualität der 33 Schwarz-Weiß-Abbildungen. Gerade im Aufsatz von Ludwig Schmugge sind einige Illustrationen derart kleinformatig und von so schlechter Qualität, daß auch mit viel gutem Willen kein Zusammenhang zwischen Text und Abbildung herzustellen ist.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension