B. Näf: Traum und Traumdeutung im Altertum

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Titel
Traum und Traumdeutung im Altertum.


Autor(en)
Näf, Beat
Erschienen
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorit Engster, Althistorisches Seminar, Georg-August-Universität Göttingen

Das Spektrum der neueren Forschung zur antiken Traumdeutung reicht von Analysen der Schriften einzelner antiker Autoren 1 über kulturgeschichtliche Untersuchungen 2 bis zu Arbeiten über spezielle Fragestellungen.3 Beat Näf legt den Schwerpunkt seiner Analyse auf die antiken Theorien zur Traumdeutung, die Rolle der Interpreten der Träume und deren Instrumentalisierung. Bewusst setzt er sich von nur auf die Träume selbst konzentrierten Darstellungen ab. Ihm geht es um Muster der Deutung, Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Dabei geht er chronologisch vor, seine sehr materialreiche Untersuchung wird so gleichzeitig zu einer Geschichte der antiken Literatur. Ausgehend von altorientalischen Texten (S. 19ff.) zeigt er eine Reihe von Konstanten bei der Instrumentalisierung von Träumen auf, beispielsweise als Inspiration für Dichter und als Mittel zur Selbstdarstellung der Herrschenden. Näf hebt bereits für den Alten Orient die schriftliche Fixierung der Traumerfahrungen - auf der Ebene der Herrscher wie durch Spezialisten - und eine hiermit verbundene Systematisierung der Träume hervor.

Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet Näf auch die Traumdeutung in Griechenland (S. 37ff.). So wird von ihm die Verwendung von Traumerzählungen zur Rechtfertigung dichterischer Tätigkeit und als literarisches Mittel thematisiert. Er konstatiert - im Unterschied zum Orient - früh eine Reflexion über den Charakter von Träumen sowie deren Diskussion in der Öffentlichkeit. Durchgehend wird von Näf die rationalere Beurteilung von Träumen der Verwendung in Tragödie oder Geschichtsschreibung gegenübergestellt. Bemerkenswert ist dabei seine Feststellung, dass Herodot hauptsächlich die Praktiken von Nichtgriechen oder Tyrannen schildert. Somit blieb das Verhältnis zur Traumdeutung durchaus zwiespältig. Man war sich bewusst, dass diese manipuliert werden konnten, zweifelte aber nie generell an ihrer Bedeutung. Dies galt auch für die meisten philosophischen Schulen, die die Möglichkeit der Traummantik bejahten, jedoch - je nach der vorgebrachten Erklärung für das Phänomen Traum - bestimmte Voraussetzungen für diese festsetzten. Eine neue Qualität der Traumdeutung konstatiert Näf für die Zeit des Hellenismus (S. 63ff.), als die orientalischen Zentren der Oneirokritik stärker in den Gesichtskreis rückten und Herrscherträume nun auch für den griechischen Bereich bedeutsam wurden. Ausführlich werden von ihm die Träume Alexanders und die Rolle von Träumen bei der Herrscherlegitimation thematisiert. Träume waren aber, wie Näf anhand von inschriftlich festgehaltenen Traumvisionen zeigt, zudem generell ein Weg der Kommunikation mit den Göttern.

Auch für Rom stellt Näf ein Interesse an Träumen bedeutender Persönlichkeiten wie ihre Thematisierung in der Literatur fest (S. 80ff.). Er notiert zwar eine gewisse Skepsis, aber auch die Nutzung von Traumberichten zur Selbstdarstellung (so etwa bei Cicero) und ihre Verwendung in der Literatur - als die Handlung gestaltendes Element (bei Vergil), zur Artikulation von Emotionen (bei Ovid), in spielerischer Weise (bei Lukian) oder als das geschichtliche Geschehen deutendes Element (bei Cassius Dio). Einen weiteren Schwerpunkt seiner Analyse stellt das Verhältnis der Herrschenden zu Träumen dar. Er unterstreicht die insbesondere von den Biografen und Historikern instrumentalisierte politische Brisanz von Traumberichten. Daneben kommt Näf aber auch immer wieder auf die gewissermaßen alltägliche Bedeutung von Träumen in der Gesellschaft zu sprechen, die Gesprächsthema der intellektuellen Oberschicht, Mittel der Selbstinszenierung und Objekt wissenschaftlicher Reflexion waren. Gleichzeitig spielten der Glaube an gottgesandte Träume und hier auch der Bereich des Aberglaubens und der magischen Praktiken eine wichtige Rolle. Eingehend diskutiert Näf die medizinische Bedeutung von Träumen (S. 114ff.): Sie wurden zum einen in ihrer Abhängigkeit von körperlichen Vorgängen gesehen und zum anderen als Mittel zur Diagnose auf dem Weg der so genannten Inkubation genutzt. Deren quasi institutionalisierter Charakter wird von Näf mit Bezugnahme auf die Angaben bei Aelius Aristides sowie Votive und Inschriften betrachtet. Überzeugend ist seine These, dass die relative Homogenität der bezeugten Träume auf die Determinierung durch bereits vorliegende Traumberichte und Konditionierung der Träumenden durch die Umgebung zurückführen ist.

Wiederholt analysiert Näf die Position der Traumdeuter und die sich stetig weiterentwickelnde Kategorisierung der Träume. Seiner Warnung, Artemidor und sein Werk zu überschätzen, ist sicherlich zuzustimmen (S. 124ff.). Der von Näf analysierte Aufbau des Werkes mit der Konzentration auf den persönlichen Hintergrund des Träumenden dürfte jedoch eine Besonderheit und maßgeblich für Erfolg wie Tradierung der Schrift gewesen sein. Problematisch ist die Annahme Näfs, dass es sich bei den Traumdeutern generell eher um Angehörige der oberen Schichten gehandelt habe (S. 128). Dieser von den literarischen Quellen vermittelte Eindruck ist wohl eher auf den Mangel an Zeugnissen für die Traumdeuter zurückzuführen, an die sich das einfache Volk wandte.

Bezüglich der Rolle der Traumdeutung im Judentum kontrastiert er die positive Schilderung eines Joseph oder Daniel mit der kritischen Distanz zumindest gegenüber fremden Praktiken der Traummantik (S. 129ff.). Wie er am Beispiel des Philon von Alexandria und des Flavius Josephus aufzeigt, waren die Traumberichte des Alten Testaments Gegenstand der literarischen Reflexion mit dem Ziel, es durch deren allegorisierende Auslegung besser zu verstehen. Wie etwa am Werk des Josephus zu sehen ist, wurde allerdings auch die Offenbarung durch Traumerscheinungen anerkannt.

Eingehend wird von Näf die Bedeutung der Traumdeutung im Christentum diskutiert (S. 132ff.), wobei er die Übernahme heidnischer Praktiken, aber auch innovative Entwicklungen wie eine neue Sprache und Bildlichkeit der Traumberichte feststellt. Gleichzeitig finden sich Äußerungen, dass sich in Träumen göttliche Macht manifestiere oder diese eine natürliche Funktion der menschlichen Seele seien, und Bedenken gegen Praktiken wie die Inkubation sowie Warnungen vor von Dämonen gesandten Träumen. Für die Spätantike konstatiert Näf das Weiterleben heidnischer Elemente und neue Erscheinungen wie Träume in Verbindung mit Reliquien (S. 142ff.).4 Näf stellt - mit Verweis auf die Rezeption des berühmten Traums Konstantins in der christlichen Literatur - ein steigendes Vertrauen in Traumerscheinungen fest, vermerkt zugleich aber auch eine Typisierung der Traumberichte und eine Furcht vor häretischen und unkontrollierten Träumen. Eingehend behandelt Näf die Darlegungen der Kirchenväter, von denen Träume teils als Weg der Erkenntnis, teils als natürliche körperliche Funktion gesehen wurden (S. 157ff.). Dabei wird von ihnen immer wieder der richtige Umgang mit Träumen angemahnt. So setzte Augustin die Hilfe Gottes als Maßstab für die Erkenntnis an und verhalf durch seine differenzierten Ausführungen insgesamt der Traumdeutung im Christentum zu größerer Bedeutung.

Anschließend an eine knappe Darlegung der Wertschätzung und Systematisierung der Träume im Neuplatonismus (S. 167ff.), diskutiert Näf das Spektrum der Urteile über die Traumdeutung im Mittelalter (S. 173ff.). Er betont insbesondere den Rückgriff auf die antiken Autoren, daneben aber auch die Entstehung volkstümlicher Praktiken, die sich von der antiken Überlieferung entfernten. Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Antike stellt Näf seit der Renaissance fest; das 19. Jahrhundert brachte dann die erste wissenschaftliche Beschäftigung mit der antiken Traumdeutung.5 Für das 20. Jahrhundert spricht Näf - unter ausführlicher Diskussion der Stellungnahmen von Freud und Jung - von einer "neue Kultur der Traumwahrnehmung" (S.187), da die Traumdeutung nicht mehr in der Hand von Eliten gelegen habe, und beschließt seine Untersuchung mit Verweisen auf die moderne Schlaf- und Traumforschung.

Näf gelingt es, ein sehr facettenreiches Bild der antiken Haltung zu Träumen zu entwerfen. Seine klare Darstellung bietet sowohl eine hervorragende Einführung in das Thema für ein breiteres Publikum, als auch eine alle relevanten Quellen diskutierende Analyse der antiken Traumerzählungen und der sich abzeichnenden Entwicklungslinien für den Fachmann. Abgerundet wird die Untersuchung durch eine reiche Bebilderung, die sowohl die antike Ikonografie als auch die Rezeption antiker Themen in der abendländischen Kunst mit einbezieht.

Anmerkungen:
1 Gnuse, Robert Karl, Dreams and Dream Reports in the Writings of Josephus, Leiden 1996; Gollnik, James, The Religious Dreamworld of Apuleius' Metamorphoses, Waterloo 1999.
2 Hermes, Laura, Traum und Traumdeutung in der Antike, Zürich 1996; Bouquet, Jean, Le songe dans l'épopée latine d'Ennius à Claudien, Brüssel 2001.
3 Weber, Gregor, Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike, Stuttgart 2000.
4 Vgl. hierzu die Untersuchung von Fögen, Marie, Die Enteignung der Wahrsager. Studien zum kaiserlichen Wissensmonopol in der Spätantike, Frankfurt 1993.
5 Vgl. bes. Büchsenschütz, Bernhard, Traum und Traumdeutung im Alterthume, Berlin 1868.

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