K. Blaschke u.a. (Hgg.): Universitäten und Wissenschaften

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Titel
Universitäten und Wissenschaften im mitteldeutschen Raum in der Frühen Neuzeit. Ehrenkolloquium zum 80. Geburtstag von Günter Mühlpfordt


Herausgeber
Blaschke, Karlheinz; Döring, Detlef
Erschienen
Anzahl Seiten
329 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Friedrich, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Der hier anzuzeigende Sammelband beinhaltet Referate und Ansprachen anläßlich der Feierlichkeiten zu Günter Mühlpfordts 80. Geburtstag sowie zum 60. Jahrestag seiner Promotion im Jahr 2001. Neben sechs Aufsätzen stehen ein Grußwort von Thomas Bremer, der die Diamantene Doktorurkunde überreichte, eine Laudatio von Karlheinz Blaschke und die persönlichen Abschlussbemerkungen des Jubilars. Beinahe die Hälfte des Bandes bestreiten die Aufsätze von Ulrich Rasche (Die Jenaer Rektoratsrechnung von Caspar Sagittarius aus dem Sommersemester 1683) und Detlef Döring (Die Deutsche Gesellschaft zu Leipzig und die von ihr vergebenen Auszeichnungen für Poesie und Beredsamkeit 1728-1738. Ein frühes Beispiel der Auslobung akademischer Preisfragen).

Rasches wegweisender Artikel, dem eine Edition der besprochenen Quelle beigefügt ist, weist auf eine schwerwiegende Forschungslücke der frühmodernen Universitätsgeschichte hin: Die wirtschaftlichen Strukturen und Probleme einer frühneuzeitlichen Universität. Hier bietet eine der wenigen überlieferten Rektoratsrechnungen der Universität Jena aus der Zeit vor 1800 einen Einblick, anhand derer Rasche auch allgemeinere und längerfristige Entwicklungen diskutiert. Dass eine vermeintlich so spröde Quelle wie eine schlichte Rechnung von allgemeiner Relevanz für wirtschafts- und lokalgeschichtliche sowie prosopografische Forschungen sein kann, wird insbesondere aus der mustergültigen Edition deutlich, in der detailliert Personen, Maße und Gewichte und lokale Bezüge nachgewiesen werden.

Dörings Beitrag beschäftigt sich mit einer zentralen Praxis der aufgeklärten Gelehrtenrepublik, den akademischen Preisfragen. Zunächst korrigiert Döring anhand von mehr als 20 Preisfragen, die die Deutsche Gesellschaft in Leipzig in den 1720er und 1730er-Jahren auslobte, die gängige Forschungsmeinung, der zufolge diese westeuropäische Wissenschaftspraxis zuerst in Berlin übernommen wurde (S. 188). Vielleicht noch bedeutsamer als diese Korrektur ist freilich der Vorschlag, die Entwicklung der akademischen Preisfrage auf Strukturen und Praktiken zurückzuführen, die tief in der Kultur des gelehrten Späthumanismus verankert waren. Aktualisierte antike Vorbilder des Dichterwettstreits, der hohe Stellenwert des Gelegenheitsschrifttums, das herrscherpanegyrische Schultheater, der Zusammenschluss von Schülern und Studenten zur Übung spontaner Rede und Diskussion – all diese Erscheinungen, die direkt im Milieu des gelehrten protestantischen Schulwesens wurzelten, ließen die akademische Preisfrage als plausible Form wissenschaftlichen Wettbewerbs erscheinen und dürften die frühen Auslobungen direkt beeinflusst haben. Nicht nur hinsichtlich der Form, sondern auch bezüglich der Inhalte (v.a. die zentrale Rolle des Herrscherlobs) kann Döring die frühen Preisfragen aus Leipzig an den institutionellen und bildungsgeschichtlichen Kontext Mitteldeutschlands zurückbinden.

Auch die anderen Beiträge behandeln Aspekte der Universitäts- und Bildungsgeschichte Mitteldeutschlands. Den Auftakt hierzu bildet Thomas Töpfers Beitrag „Landesherrschaft – fürstliche Autorität – korporative Universitätsautonomie. Die Anfänge der Universität Wittenberg 1502-1525“. Aufbauend auf einer Fragestellung von Peter Baumgart 1 untersucht Töpfer, inwieweit im frühen 16. Jahrhundert angesichts der zunehmenden Einbettung der Universitäten in landesherrliche Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen (noch) von einer korporativen Autonomie die Rede sein kann. Insgesamt kommt Töpfer dabei zu einer sehr kritischen Beurteilung von Interpretationen, die hinter der Wittenberger Universitätsgründung „staatliches“ Handeln in einem (früh-)modernen Sinn vermuten (S. 35). Andererseits versucht Töpfer plausibel zu machen, dass es unter Umständen gerade die Universität selbst war, die sich von einer engeren und unmittelbareren Anbindung an den Landesherrn Vorteile versprach. Insgesamt erscheint die erste Phase der Wittenberger Universitätsgeschichte bis in die frühe Reformationszeit hinein als eine Periode, in der die neugegründete Anstalt noch nicht in modernem Sinne einer klar organisierten obrigkeitlichen Durchdringung ausgesetzt war. Dies, so Töpfer, habe sich erst in den 1530er-Jahren geändert.

Ulman Weiss rückt in seinen „Beobachtungen zum Bildungsstreben Langensalzaer Bürger im 15. und im 16. Jahrhundert“ verstärkt die Konsumenten von Bildung in den Blick. Er bietet zunächst einen knappen Überblick über die städtischen Ausbildungsmöglichkeiten (einschließlich eines Exkurses zur Mädchenerziehung), wendet sich dann aber insbesondere den auswärtigen Optionen der Langensalzaer Bürger zu. Analysiert werden die Zugangschancen und -möglichkeiten zur Fürstenschule in Pforta sowie die wechselnden Vorlieben für die drei Universitäten Leipzig, Wittenberg und Jena. Über die vielfältigen Details zu den einzelnen Institutionen und zu den Bildungsoptionen der Bewohner einer thüringischen Kleinstadt hinaus zeigt Weiss‘ Beitrag eindringlich, in welchem Rahmen Möglichkeiten bestanden, den kleinstädtischen Rahmen zu verlassen. Aufschlussreich ist zudem die Frage, was eine Kleinstadt wie Langensalza davon hatte, ihre Bürger beim auswärtigen Studium zu unterstützen? Hier zeigt sich, dass die Bürger mit bemerkenswerter Konstanz zumindest für eine Weile wieder in ihre Heimatstadt zurückkehrten und dort mit ihrem neu erworbenen Wissen wirkten.

Andreas Kleinerts Aufsatz „Johann Daniel Titius (1729-1796). Facetten eines Wittenberger Gelehrten im Zeitalter der Aufklärung“ rückt einen heute weitgehend vergessenen, aber durchaus typischen Gelehrten der Aufklärung in Mitteldeutschland ins Zentrum. In dem Überblick über Leben und Werk erscheint Titius als Professor, der nicht nur in seinem Fach Physik wirkte, sondern daneben auch als Übersetzer französischer Literatur (Montaigne, Rousseau) und als theologischer Autor Beachtung verdient. Daneben werden seine Beziehungen zu Euler und seine astronomischen Errungenschaften (Titius-Reihe der Planetenabstände) hervorgehoben.

Gerhard Lingelbach schließlich („Das Wirken Jenaer Rechtsgelehrter für ein modernes bürgerliches Recht“) hebt insbesondere auf die juristische Rezeption der Philosophie Kants in Jena zu Beginn des 19. Jahrhunderts ab. Ausführlicher besprochen werden in diesem Zusammenhang die Werke von Gottlieb Hufeland, Paul Johann Anselm Feuerbach und Anton Friedrich Justus Thibaut. In einer manchmal etwas wenig zugespitzten Argumentation arbeitet Lingelbach die Position der Jenaer Juristen zwischen einer vernunftgeleiteten Gestaltung des Rechts im Gefolge Kants und den umwälzenden Veränderungen im Gefolge der Französischen Revolution heraus.

Am Ende des Bandes stehen die ausgreifenden Schlusserwägungen des Jubilars. Im Rückblick und Rückgriff auf zahlreiche eigene Arbeiten und in Anknüpfung an die versammelten Aufsätze fasst Mühlpfordt seine Überlegungen zur mitteldeutschen Bildungs- und Kulturgeschichte zusammen. Diese abschließenden, kreisenden Bemerkungen dokumentieren das Anliegen, die Bildungs- und Universitätsgeschichte eines geografischen Raums als zusammenhängendes Phänomen zu begreifen, das von internen Verschiebungen und Abhängigkeiten, gemeinsamen Bedingungen und alternativen Entwicklungsgängen, vergleichbaren Möglichkeiten und doch unterschiedlicher Chancennutzung geprägt war. Hier ist das emphatische Bemühen unverkennbar, die zentrale Bedeutung Mitteldeutschlands als „Kulturherd“ von europäischer oder gar globaler Rolle zu verdeutlichen. Vieles ließe sich an diese Bemerkungen anschließen. Gefragt werden könnte zunächst danach, ob und inwiefern sich Mitteldeutschland als Kulturlandschaft in seinen Bedingungen und Möglichkeiten mit anderen, ähnlich zentralen Gegenden Europas – Oberitalien, Oberdeutschland und Schweiz, Niederlande – vergleichen lässt und inwiefern die von Mühlpfordt angeführte „Kausalität der mitteldeutschen Bildungslandschaft“ (S. 275ff.) typisch und einzigartig ist. Ferner gälte es, gewissermaßen in Umkehrung der Forderung nach einer „Wirkungsgeschichte“ Mitteldeutschlands als einer Geschichte seiner „Ausstrahlung“ (S. 266), die Frage nach entscheidenden und dauerhaften externen Einflüssen und Anregungen zu stellen. Schließlich ließe sich über manche Einzelbeobachtung diskutieren, etwa über die feingliedrige Differenzierung und Bezeichnung der neuen religiösen Bewegungen des 16. Jahrhunderts als „14 Reformationen“ (S. 280f.).

Am Ende steht ein positives Fazit: Hier sind durchweg sehr lesenswerte, zum Teil wichtige Beiträge versammelt, die thematisch eng genug bei einander stehen, um ein kohärentes Ganzes zu ergeben. Gerade letzteres ist für akademische Sammelbände ja nicht immer selbstverständlich. Ohnehin ist der Rahmen, der die Aufsätze verbindet, in der Person und im Werk Günter Mühlpfordts greifbar. Ein Sammelband, dessen Anschaffung sich lohnt, wo immer Interesse für Bildungs- und Universitätsgeschichte besteht.

Anmerkung:
1 Baumgart, Peter, Universitätsautonomie und landesherrliche Gewalt im späten 16. Jahrhundert. Das Beispiel Helmstedts, in: Zeitschrift für historische Forschung 1 (1974), S. 23-53.

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