C. Burhop: Die Kreditbanken in der Gründerzeit

Cover
Titel
Die Kreditbanken in der Gründerzeit.


Autor(en)
Burhop, Carsten
Reihe
Schriftenreihe des Instituts für bankhistorische Forschungen 21
Erschienen
Stuttgart 2004: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
279 S., 6 s/w Abb., 21 s/w Tab.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Detlef Krause, ZKV-Historische Dokumentation, Commerzbank AG

Statistische Arbeiten zu einzelnen Banken wie auch zur Rolle der Banken in der Volkswirtschaft haben eine lange Tradition in der bankhistorischen Literatur. In seinem Buch „Die Kreditbanken in der Gründerzeit“ legt Carsten Burhop eine bislang fehlende Bankenstatistik für die Jahre 1870 bis 1879 vor und vergleicht darüber hinaus – als Fallbeispiele – die Entwicklung mehrerer Banken in diesem Zeitraum.

Die Studie ist eine überarbeitete Fassung einer bei Hans Pohl in Bonn entstandenen Dissertation aus dem Jahr 2002. Burhop hat seine Untersuchung in vier Abschnitte gegliedert: Im ersten Teil behandelt er die Rolle von Banken in der Wirtschaft einschließlich der relevanten rechtlichen Aspekte, im zweiten Abschnitt analysiert Burhop die Bilanzentwicklung des Bankensektors, im dritten Kapitel steht der Vergleich einzelner Aktienbanken im Vordergrund und zuletzt widmet er sich dem Emissionsgeschäft.

Burhop gelingt es, ein sehr differenziertes Bild des Bankensektors in den 1870er-Jahren zu zeichnen. Während das Jahr 1879 als Endpunkt der Untersuchung aufgrund der konjunkturellen Entwicklung durchaus seine Berechtigung hat, wirft das gewählte Anfangsjahr 1870 allerdings Fragen auf. Der „Gründungsboom“ von Unternehmen setzte bereits 1866/67 ein und vor allem im süddeutschen Raum entstanden schon um 1869 mehrere Aktienbanken. Als entscheidenden Katalysator sieht Burhop die Novelle zum Aktienrecht vom 11. Juni 1870 an. Ohne dass die Bedeutung dieser Reform geleugnet werden soll, stellt sich doch die Frage, inwieweit die Novelle nur einen vorhandenen Trend verstärkte, sodass sich eher eine prozess- als eine ereignisorientierte Perspektive angeboten hätte.

Dessen ungeachtet führt Burhops betriebswirtschaftliche Methode zu einer nützlichen Bereicherung der bankhistorischen Forschung, wenn er beispielsweise auf den Leverage Effekt als Steuerungsinstrument des Verhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkapital eingeht. Bei der Ermittlung der Kreditbankenstatistik kann sich Burhop auf die sehr breite Datenbasis von 155 Banken stützen; leider lagen wohl nur für 14 Banken sowohl die Bilanzen als auch die Gewinn- und Verlust-Rechnungen vor. Die Aufarbeitung der zum Teil schwer zugänglichen Daten verdient hohe Anerkennung. Ebenso erfreulich ist, dass Burhop bei der Analyse konsequent für einzelne Bilanzposten absolute Zahlen nennt sowie die jeweiligen Bilanzquoten berechnet. Auf diese Weise kann er recht genaue Tendenzen aufzeigen, die als nützliche Folie für weitere Forschungen dienen können. Vor allem stützen seine Ausführungen die Vorbehalte der jüngeren Forschung gegenüber den Begriffen „Gründerkrise“ und „Große Depression“, denn insgesamt gesehen stieg im Zeitraum 1870 bis 1879 die Bilanzsumme aller Kreditbanken. Darüber hinaus nahm sogar die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Kreditbankensektors zu, sodass die „Gründerkrise“ eher eine Reaktion auf ein überhitztes Wachstum als den Beginn eines Abschwungs darstellte.

In den Fallbeispielen lassen sich aufgrund der vergleichenden Perspektive unterschiedliche Strukturen und Strategien der Banken aufzeigen. Bei dem gewählten Sample scheint es sich um diejenigen (Aktien-)Banken zu handeln, für die die beste Quellenlage vorlag, ohne dass dies explizit ausgeführt würde. Weshalb beispielsweise die im Emissionsgeschäft bedeutende Berliner Handels-Gesellschaft dem Schwerpunkt „Kontokorrent- und Wechselkreditgeschäft“ (Kapitel 3.3.2) zugeordnet wird, bleibt ebenfalls ungeklärt. Darüber hinaus unterbleibt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Kreditbank“. Die Bezeichnung „Aktien-Kreditbanken“ taucht zwar in der Statistik der Deutschen Bundesbank auf, aber die zeitgenössische Diskussion um Depositen- und Spekulationsbanken, d.h. um den Komplex Universalbankensystem, wird von Burhop kaum behandelt. Eine Folge seiner Begrifflichkeit ist nicht zuletzt die etwas kuriose Kapitelüberschrift „Das Emissionsgeschäft der Kreditbanken“.

Inhaltlich schildert Burhop die unterschiedlichen Gründungsvorgänge der Banken seines Samples, um dann einzelne Geschäftsfelder und ihre Expansion zu behandeln. Viele Details über sonst weniger bekannte Bankinstitute kommen auf diese Weise zu Tage. Als „erfolgreichste Bankgründung der Gründerjahre“ bezeichnet Burhop die Deutsche Bank, auch wenn deren Entwicklung anfangs nicht geradlinig verlief und sie ebenfalls Rückgänge in der Bilanzsumme zu verzeichnen hatte. Kennzeichnend waren insbesondere der Strategiewechsel von einer Außenhandelsbank zu einer inlandsorientierten Aktienbank, die recht mutige Übernahme liquidierender Institute, die innovative Einführung des Depositengeschäfts in Deutschland und sowie eine ansonsten eher vorsichtige Anlagepolitik. Burhops Untersuchung zeigt deutlich, dass praktisch alle Banken von der „Gründerkrise“ um 1873 betroffen waren – allerdings einige weniger und andere mehr, bis hin zum Scheitern. Seine Hauptthese lautet, dass vor allem junge und börsennahe Banken in der allgemeinen Wirtschafts- und Börsenkrise schwächelten, aber auch einige ältere Banken konnten sich dem „Spekulationsfieber“ nicht entziehen und mussten zum Teil empfindliche Einbußen hinnehmen. So überzeugend Burhop diese Zusammenhänge auch darstellt, so hätten Abweichungen noch eingehender interpretiert werden können. Warum etwa liquidierten auch Banken, die nicht im Börsengeschäft übermäßig engagiert waren? Generell verdeutlichen seine Ausführungen die nur begrenzten Möglichkeiten der bankhistorischen Forschung, den Kern einer „spekulativen“ Geschäftspolitik näher zu bestimmen; die Forschung bleibt im Wesentlichen auf die Einschätzung von Zeitgenossen sowie auf retrospektive Urteile angewiesen.

Der folgende Abschnitt über das Emissionsgeschäft zeugt von großer Kenntnis der Abläufe und der Techniken des Emissionsgeschäfts. Unterschiedliche Zweige wie Gründungen, Umgründungen und Anleihen werden von Burhop überzeugend, phasenweise aber etwas zu detailliert dargestellt. Auch hier hätte man sich eine einführende Übersicht zur Auswahl des Samples gewünscht. Sein Fazit lautet, dass Emissionsgeschäfte zwar hohe Gewinnchancen boten, aber auch erhebliche Risiken in sich bargen. Die Banken versuchten in der Regel, die Risiken durch verschiedene Techniken zu mindern, aber vor allem junge Institute liefen Gefahr, zu große Teile ihrer Aktiva in wenige, scheinbar gewinnträchtige Geschäfte zu investieren.

Dies war sicherlich ein Fehler, aber Burhop neigt dazu, diese Argumentation zu überdehnen. Denn er behauptet, dass die Banken die Anforderungen der modernen Theorie nicht erfüllten, z.B. bei der Fristentransformation. Kann ein solcher, aus der heutigen Volkswirtschaftslehre abgeleiteter Maßstab einen Vorwurf an historisches Handeln begründen? Hinzu kommt, dass seine Argumentation auf wackligen Beinen steht: Er selbst vermutet an einer Stelle, dass Kontokorrentkredite revolvierend an Kunden vergeben wurden. Jahrzehnte währende Bankverbindungen deutscher Unternehmen und das zumindest in einigen Bereichen geltende Hausbanken-Prinzip sprechen zudem ihr Übriges.

Fragwürdig erscheint ferner die im Schlusskapitel wiederholte These, dass die Bankleitungen in der Gründerzeit „ohne nennenswerte Kontrolle“ handelten. Burhop stützt sich vornehmlich auf den rechtlichen Zustand; er übersieht dabei jedoch, dass die geringen Teilnehmerzahlen auf den Generalversammlungen sehr wohl Chancen zu direkten Einflussnahmen boten. In manchen Fällen standen den Generalversammlungen sogar eigene Revisoren zur Verfügung. Tatsächlich haben während des Untersuchungszeitraums die Aktionäre etwa des Barmer Bank-Vereins, der Commerz- und Disconto-Bank, der Deutschen Nationalbank sowie der Internationalen Bank zum Teil erhebliche Änderungen der Statuten und der Geschäftspolitik durchgesetzt.

Einige Flüchtigkeitsfehler trüben zudem den Gesamteindruck. In einem Index für die Jahre 1870-79 wird offenbar die Deutsche Nationalbank mit der erst später entstandenen Nationalbank für Deutschland verwechselt. Im Tabellenteil des Anhangs fehlt bei „Vereinsbank“ vermutlich drei Mal der Namenszusatz. Als störend erweist sich schließlich, dass eine falsche Zählung im Inhaltsverzeichnis (nach S. 105) die Orientierung des Lesers erschwert. Dennoch bleibt festzuhalten: Auch wenn man sich zuweilen einen kritischeren Umgang mit dem Forschungsstand gewünscht hätte und das jeweilige Vorgehen noch stärker hätte akzentuiert und diskutiert werden können, sollten von dieser Arbeit – neben der Erweiterung des Wissens – aufgrund der breiten empirischen Basis, der Anwendung bankbetriebswirtschaftlicher Fragestellungen und der Einbeziehung rechtlicher Aspekte wichtige Impulse zur bankhistorischen Methodik ausgehen.

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