H. Wiesflecker: Oesterreich im Zeitalter Maximilians I...

Titel
Österreich im Zeitalter Maximilians I.. Die Vereinigung der Länder zum frühmodernen Staat. Der Aufstieg zur Weltmacht


Autor(en)
Wiesflecker, Hermann
Erschienen
München 1999: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
558 S.
Preis
€ 44,80
Roll, Christine

Hermann Wiesflecker, der nun eine Geschichte Österreichs im Zeitalter Maximilians I. vorlegt, kann sicher als einer der besten Kenner dieses Kaisers gelten; er ist ja nicht nur Autor einer fünfbändigen Maximilian-Biografie, sondern hat ebenso mit der Bearbeitung der "Wiesflecker-Maximilian-Regesten" (einer im Rahmen der Regesta Imperii veranstalteten Publikation) sowie mit der Betreuung zahlreicher Grazer Dissertationen ganz erheblich dazu beigetragen, dass unsere Kenntnisse über den Kaiser und seine Politik heute auf einer verlässlicheren Grundlage stehen als zuvor.

Im Unterschied zu der recht streng der Chronologie folgenden Maximilian-Biografie liegt dem hier anzuzeigenden Buch eine überwiegend systematische Gliederung zugrunde. Das zentrale Thema Wiesfleckers ist hier die Schaffung des "österreichischen Gesamtstaats" durch Maximilian I. Die Darstellung besteht aus sieben Kapiteln sehr unterschiedlichen Umfangs. Auf ein vergleichsweise knappes einleitendes Kapitel ("I. Anbruch der Neuzeit. Charakter der Zeitenwende", 11-25) folgt unter der Überschrift "Die österreichischen Länder und der Gesamtstaat" (Kap. II, 26-220) bereits das bei weitem umfänglichste Kapitel: In sechzehn Abschnitten wird die Entstehung und Entwicklung der einzelnen österreichischen Länder geschildert; und zwar nicht nur, wie sonst üblich, die Geschichte der Länder des heutigen Österreichs mit den Vorlanden und Burgund, sondern auch - und darin liegt ein großes Verdienst dieses Buchs - der heute zu Italien, Kroatien oder Slowenien gehörenden Herrschaften, wie etwa Krain, Triest, Görz und Pordenone, von denen jedenfalls die deutsche Geschichtswissenschaft nur selten Kenntnis nimmt. Durch die Beigabe einer Landkarte hätten die Ausführungen freilich noch erheblich gewinnen können. Auf dieses - mehr als ein Drittel des Buchs umfassende - Kapitel folgt die Darstellung der "Entwicklung des frühmodernen Staates. Verfassung und Verwaltung" (Kap. III, 221-274), im wesentlichen die Geschichte der maximilianeischen Reformmaßnahmen im Bereich der Finanzen, des Militärwesens und der allgemeinen Verwaltung. Daran schließt sich ein "Gesellschaft und Wirtschaft um 1500" überschriebenes Kapitel an (Kap. IV, 275-342), in dem sowohl das Hofleben, der österreichische Adel und die neuen Beamten als auch die wirtschaftliche Entwicklung mit Handwerkern, Kaufleuten, Unternehmern und Bauern, mit Stadt, Frühkapitalismus, Löhnen und Grundherrschaft zur Sprache kommen. Als fünftes folgt dann das andere Hauptkapitel des Buchs: "Der Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltmacht" (343-396). Von der burgundischen Erbschaft Maximilians geht es hier - über seine Nachfolge im Reich, die spanische Heirat seines Sohnes Philipp, die Kriege in und um Italien sowie die Kaiserproklamation - bis hin zur Nachfolge Karls V. und Ferdinands I. in Spanien und in allen Herrschaften Maximilians. Kaum weniger ausführlich behandelt Wiesflecker im vorletzten Kapitel "Das geistige und religiöse Leben um 1500" (Kap. VI., 397-441), und zwar besonders Humanismus und Renaissance sowie die österreichische Kirche vor der Reformation. Abgeschlossen wird die umfangreiche Darstellung durch ein Kapitel über "Maximilians Tod. Ideen und Wirklichkeit seiner Politik. Reichsteilung zwischen Österreich und Spanien" (Kap. VII, 442-458). Ihre formale Abrundung findet sie in den nach Kapiteln geordneten Anmerkungen zum Text, einem reichhaltigen Verzeichnis der gedruckten Quellen und Literatur sowie in einem Personen-, Orts- und Sachregister.

Wie schon aus der Maximilian-Biographie erfährt man auch aus diesem Buch Wiesfleckers wieder zahlreiche interessante Details, zum Beispiel über die innere Staatenbildung der Habsburger Monarchie, und zwar nicht bloß aus der Zeit Maximilians selbst, sondern auch aus den folgenden, vor allem aber den vorangehenden Jahrhunderten; unterschiedliche und parallele Entwicklungen der einzelnen Länder werden so recht gut deutlich. Aus der Unzahl von Quellen, die Wiesflecker durchgearbeitet hat, erfährt man zudem vieles aus dem adligen und bäuerlichen Alltag, dazu spannende Interna aus der Finanzpolitik und der Diplomatie des Kaisers, überhaupt über die Personen in seinem Umkreis sowie über seine Pläne und Träume. Wiesflecker ist immer da gut, wo er erzählen kann. Leider aber gibt ihm dieses Buch dazu nur selten Gelegenheit; so ist das Kapitel über den Aufstieg Habsburgs zur Weltmacht ungleich stärker als die eine konsequente Disposition erfordernden Strukturkapitel.

Nun fallen kritische Äußerungen über das Werk eines verdienstvollen Historikers gerade einer Nachwuchswissenschaftlerin nicht eben leicht. Gleichwohl gebietet die wissenschaftliche Redlichkeit, bei allem Respekt vor der Lebensleistung Wiesfleckers nicht nur auf die Stärken des Buchs, sondern auch auf seine leider nicht wegzudiskutierenden Defizite hinzuweisen. Zunächst einmal hätte das Buch ein sorgfältigeres Lektorat verdient gehabt; eine gründliche Abschlusslektüre hätte - neben manchen ärgerlichen, vor allem sprachlichen Nachlässigkeiten - wohl auch die häufigen Redundanzen verhindern können. Vielleicht hätte eine solche kritische Lektüre auch bemerkt, dass Quellenzitate und wichtige Feststellungen wie Behauptungen des Autors vielfach nicht mit der wünschbaren Sorgfalt dokumentiert sind. Ganz unerklärlich sind der Rezensentin manche sachlichen Irrtümer, die jemandem wie dem kenntnisreichen Wiesflecker bislang nicht unterlaufen sind. Dass der Schwäbische Bund "durch Jahrhunderte" der Friedenswahrung gedient habe (27), dass ein wichtiges Anliegen der Reformvorhaben des Kaisers die "Ressortteilung" gewesen sei (239), dass sich das spanische Weltreich "nach dem Muster eines reformierten burgundisch-österreichischen Föderalismus" organisiert habe (29), und dass die Habsburger "die österreichische Landeskirche" (sic!) seit den Tagen Rudolfs IV. beherrscht hätten (226), stimmt eben einfach nicht; mit der Darstellung der Verhältnisse im einzelnen (vor allem 84-92, 421-430) ist die zuletzt genannte Behauptung denn auch überhaupt nicht in Einklang zu bringen. Des Weiteren verwundert der zum Teil erstaunlich unreflektierte Umgang mit Begriffen, die an sich - und ganz unbestritten - für bestimmte historische Sachverhalte reserviert und in ihren jeweiligen Zusammenhängen von erheblicher Aussagekraft sind. So spricht man für das 15./16. Jahrhundert üblicherweise nicht von "mittelständischer Wirtschaft" (237); und in den Verwaltungsreformen Maximilians den Auslöser einer "der fortschrittlichsten Revolutionen" der österreichischen Verfassung und Verwaltung sehen zu wollen (231), wird weder den Verwaltungsreformen noch dem Revolutionsbegriff gerecht. Was aber Wiesflecker veranlasst haben mag, in der - im Grunde doch nur durch dynastische Zufälle erfolgten - Verbindung Österreichs mit Burgund und Spanien sowie mit Böhmen und Ungarn "eine neue Translatio Imperii" zu sehen, bleibt vollends rätselhaft. Zu dieser Terminologie mag vielleicht passen, dass er die Teilung der Länder zwischen Karl V. und Ferdinand I. wiederum als "Reichsteilung zwischen Österreich und Spanien" begreift; eine derartige Überhöhung der habsburgischen Staatenbildungen dürfte allerdings einer Annäherung an die historischen Vorgänge eher im Wege stehen.

Weiterführende Auseinandersetzungen mit anderen Positionen der Forschung sowie mit umstrittenen - oder überhaupt nach wie vor offenen - Fragen über Kaiser Maximilian und seine Zeit wird man indessen auch in diesem Buch Wiesfleckers nicht finden. Seine oftmals erstaunliche Apodiktik, mit der er Sachverhalte vorträgt, übernimmt ein Stück weit die Funktion solcher Diskussionen, doch kann sie wohl nur nachvollziehen, wer die Forschungsgeschichte beinahe genau so gut kennt wie Wiesflecker selbst. Mitunter allerdings bekämpft er Forschungsmeinungen, die so und heute von ernst zu nehmenden Historikern gar nicht mehr vertreten werden; es muss z.B. nicht mehr bewiesen werden, dass die burgundische Verwaltung für die maximilianeischen Reformen das Vorbild abgegeben haben. An einer Stelle indessen nimmt Wiesflecker die Herausforderung der Forschung wirklich offen an: Die Verwaltungsreformen des Kaisers könnten nicht als "Beispiel der Inkonsequenz und Kopflosigkeit Maximilians hingestellt werden" (249)! Leider aber wird auch dem nur die gegenteilige Behauptung entgegengestellt - unter Hinweis auf den "Gesamtstaat" als präsumtives Ziel Maximilians -, leider werden auch hier die Argumente der anderen Position nicht erörtert. Dabei kann doch die Frage, wie planvoll respektive sprunghaft Maximilians Politik gewesen ist, keineswegs als abschließend beantwortet angesehen werden; schon deshalb nicht, weil weder seine Handlungsspielräume noch seine Vorstellungen von diesen Möglichkeiten hinreichend geklärt sind. Zudem sollte wenigstens erwogen werden, dass gerade dieser Kaiser voller innerer Widersprüche gewesen ist, die sich einer Auflösung in der Historiographie - vielleicht überhaupt - verschließen. Vor allem aber erscheint es schwierig, Maximilian so eindeutig mit der Schaffung des "österreichischen Gesamtstaats" zu identifizieren. Hier geht es nicht darum, ob in einer Geschichte Österreichs zur Zeit Maximilians die erst Jahrhunderte später an Österreich gefallenen geistlichen Fürstentümer Salzburg und Aquileia mitbehandelt werden sollen oder nicht. Wirklich problematisch ist vielmehr, dass das Verhältnis dieses "Gesamtstaats" zum Reich in diesem Buch keinen Platz gefunden hat. Entsprechend ist vom Reich selbst denn auch höchstens als jenem Gebilde die Rede, das nicht regierbar (23) und Maximilian im Wesentlichen hinderlich gewesen sei. Zwar stellt Wiesflecker eingangs in Aussicht, er wolle mit seinen Quellen "das Geschichtsbild Österreichs und seiner Beziehungen zum Reich und zur europäischen Staatenwelt auf ganz neue Grundlagen" stellen (9), doch löst er dieses Vorhaben nicht ein. Dass sich Kaiserkrone und -würde Maximilians allein von diesem Reich herleiten, scheint dabei vollends keine Rolle zu spielen. Man kann das Reich im Rahmen einer österreichischen Geschichte natürlich derart ausblenden, wie es hier geschieht, wohlgemerkt: im Unterschied zur Maximilian-Biografie. Doch sowohl Österreich als auch Maximilian I. selbst erfasst man so eben nur zur Hälfte.

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