S. Hanuschek/T. Hoernigk/C. Malende (Hgg.): Schriftsteller

Titel
Schriftsteller als Intellektuelle. Politik und Literatur im Kalten Krieg


Herausgeber
Sven Hanuschek; Therese Hoernigk/ Christine Malende
Reihe
Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 73
Erschienen
Tübingen 2000: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
339 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietrich, Gerd

Dieser lesenswerte Band analysiert die Schriftsteller als intellektuelle Figuren des öffentlichen Diskurses. Er dokumentiert eine Arbeitstagung aus dem Jahr 1996, eine Zwischenstation des DFG-Projekts zur Geschichte der deutschen PEN-Zentren. Als Zwischenprodukt ist er jedoch von erstaunlich solider Struktur, er liefert eine Fülle von methodischen und theoretischen Anregungen und historischem und empirischem Material. Zur Einleitung gibt Georg Jäger, gemeinsam mit Ernst Fischer Leiter des Projekts, einen Problemaufriß, worin er die theoretisch-methodischen Prämissen des Projekts, eine Phänomenologie des Intellektuellen und die Figur des Schriftstellers als Intellektueller in BRD und DDR umreißt.

In der ersten Sektion werden die Entstehung des Begriffs und der Theorie des Intellektuellen seit dem Ende des 19.Jahrhunderts vorgestellt. Manfred Gangl plädiert mit "Interdiskursivität und chassès.croisès. Zur Problematik der Intellektuellendiskurse in der Weimarer Republik" für eine Analyse der verschiedenen intellektuellen Diskurse und diskursiven Formationen anstelle der gängigen Darstellungskriterien von Rechts- oder Linksintellektuellen, Republikanern oder Antirepublikanern, Verfechtern oder Kritikern der Moderne. Er verspricht sich hiervon mehr für die Erfassung der politischen Kultur von Weimar als von der Analyse des politischen Engagements der Autoren. Michael Stark macht mit " 'Die jüdischen Intellektuellen': Antisemitischer Code und diskursive Interferenz" Anmerkungen zur Systematik und Historik der Intellektuellen-Diskurse der Weimarer Zeit. Es war die deutsch-nationale Ideologie, die die Ressentiments gegen Juden, Intellektuelle und Sozialisten im Feindbild des "jüdischen Intellektuellen" konzentrierte. Und wer heute "über das sozialistische Engagement von Schriftstellern und Intellektuellen diesseits und jenseits des 'Eisernen Vorhangs' politisch und moralisch richten will, darf über Auschwitz nicht schweigen." (S.55) Britta Scheideler zeigt mit "Albert Einstein: ein politischer Intellektueller?", daß dessen Intellektuellenrolle keineswegs eindeutig als links oder progressiv verortet werden kann und auch nicht primär politisch motiviert war. Sie entwirft ein "scheinbar widersprüchliches Bild von Einstein als Demokrat mit elitärem Selbstverständnis".(S.89) Denn seine Position als Intellektueller hing eng mit seinem Selbstverständnis als Wissenschaftler zusammen und war primär moralisch geprägt. Hauke Brunkhorst entwickelt mit "Kritiker des Intellektualismus. Die Rolle der Intellektuellen in der Demokratie" in einem weiten historischen Ansatz den Unterschied zwischen der großen "Geschichte des okzidentalen Intellektualismus", die mit dem "gewaltsamen Tode des Sokrates und der Verklärung dieses Todes" begann, und der viel kleineren "Geschichte der modernen Intellektuellen des 20.Jahrhunderts", die mit dem "Erfolg der Anhänger von Dreyfus und der Utopie des gesellschaftlichen Fortschritts" einsetzt.(S.94) Für die modernen Intellektuellen, Zola, Sartre, Rorty, Dewey gibt es keine Rolle oberhalb der Demokratie, Kritik ist ihre Handlung innerhalb der Gesellschaft. "Ihre Aufgabe ist es, die Kultur für immer wieder neue Interpretationen und überraschende Deutungen offen zu halten ... Denn die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist die einzige Substanz, auf die moderne Demokratien bauen können."(S.100/101) Joseph Jurt liefert mit " 'Les intellectuels': ein französisches Modell" einen historischen Abriß der sozialen Rolle des Intellektuellen seit der Erfindung des Begriffs. "Mit der Dreyfus-Affäre ist ein neues Modell der politischen Intervention entstanden, das für das ganze zwanzigste Jahrhundert wegweisend wird. Bei späteren kollektiven Mobilisierungen der Intellektuellen beruft man sich auf dieselben Werte, folgt man denselben Ritualen."(S.112) Jurt typologisiert die unterschiedlichen Positionen im literarischen Feld zum Ersten Weltkrieg, in der Zwischenkriegszeit, in der Zeit der deutschen Besatzung und in der Nachkriegszeit, von Zola contra Barrès, über Rolland, Barbusse, Gide, Malraux, Sartre und Foucault bis Bourdieu contra Levy, und die jeweils spezifischen Konzepte des Intellektuellen.

Die zweite Sektion widmet sich den Schriftstellern als Intellektuellen während des Kalten Krieges und ihren konkreten Rollen. In "Vom Exil zum 'Kongreß für kulturelle Freiheit'. Anmerkungen zur Faszinationsgeschichte des Stalinismus" analysiert Michael Rohrwasser vier Elemente der Anziehungskraft des Stalinismus auf westliche Schriftsteller: das Element der religiösen Heilserwartung, den Autor in der Rolle des politischen Strategen, die Aufwertung des Schriftstellers durch die Partei und die Anziehungskraft des (intellektuellen) Antiintellektualismus. Diese "mehrfache Aufladung der Rolle des Schriftstellers (ist) mit dem Kriegsende 1945 nicht abgeschlossen" (S.142). Sie wird von Rohrwasser an den Auseinandersetzungen um den I. Deutschen Schriftstellerkongreß 1947 und den Kongreß für kulturelle Freiheit 1950 exemplifiziert. In "Schriftsteller als kulturpolitische Kader: Auswirkungen der sowjetischen Präsenz auf das kulturelle Leben in der SBZ" beschreibt Anne Hartmann den Weg von der anfänglichen kulturpolitischen Offenheit, dem werbenden Programm sowjetischer Kulturoffiziere und der Personalunion von Künstlern und Politikern zur späteren Übernahme des sowjetischen Modells eines umfassenden Dirigismus und der neuerlichen Kluft zwischen Schriftstellern und Funktionären. "Doch die Intellektuellen machten ihr Wissen nicht publik. Es kam zur Ausbildung eines doppelten Bewußtseins ... Der Mythos des antifaschistischen Neubeginns erwies sich als haltbarer Kitt. Einerseits verloren die Intellektuellen an Macht, Einfluß und Möglichkeiten der Einrede, andererseits gehörten sie als Kader zu der über Herrschaftswissen verfügenden 'Kaste der Eingeweihten'." (S.171/172) In "Becher fuhr nicht nach Wroclaw" plädiert Ursula Heukenkamp für die "Historisierung der bisher vernachlässigten Bewertungsgrundlage des politischen Verhaltens dieser nach 1933 aus Deutschland vertriebenen Autoren".(S.175). Sie analysiert die Widersprüche von Bechers Konzept der nationalen Sendung wie seiner gesamtdeutschen Option und ebenso den Widerspruch zwischen dem Selbstverständnis als sozialistischer Autor und der Rolle als Auftragnehmer gelenkter Kulturpolitik. An Bechers Deutschlandbild und -dichtung läßt sich seine "geistige Biographie als Versuch der Erfüllung eines intellektuellen Heimat- und Heimkehrbedürfnisses beschreiben, das im Zuge des Kalten Krieges in die Krise geriet. Das politische Ansinnen scheiterte völlig; aber der poetische Ertrag ... ist damit nicht hinfällig." (S.188) In "Zur Vorgeschichte eines öffentlichen Briefwechsels zwischen Johannes R. Becher und Rudolf Peschel im Dezember 1950" stellt Christine Malende sehr detailliert die Kontakte zwischen dem Chef des Kulturbundes im Osten und dem Herausgeber der Deutschen Rundschau im Westen in den späten 40er Jahren dar, die trotz ihrer entgegengesetzten geistigen und weltanschaulichen Herkunft zunächst um eine gemeinsame Plattform für geistige Menschen bemüht waren, bald jedoch in den gegenseitigen Vorwürfen, öffentlichen Attacken und an den Fronten des Kalten Kriegs landeten. In "Die Intellektuellen und die Macht. Die Repräsentanz des Schriftstellers in der DDR" wendet sich David Bathrick gegen eine pauschale Verurteilung der deutschen Intellektuellen in Ost und West nach dem Ende der DDR, die von einer ahistorischen Position zeuge. Er stellt demgegenüber konkret historisch die sich verändernde Funktion der Schriftsteller innerhalb der politischen Strukturen des literarischen Lebens, die unterschiedlichen Entwicklungen und Funktionen der literarischen Öffentlichkeiten und die ästhetische Rolle der Institution Literatur in der DDR dar. In "PEN im Visier der Staatssicherheit" gibt Therese Hörnigk einen historischen und quellengesättigten Einblick in den monströsen Apparat der HA XX, dem auch die Bearbeitung des PEN oblag, und in die Personalakten prominenter, gleichwohl sehr differenziert zu beurteilender IM wie Hermann Kant, Paul Wien, Fritz Rudolf Fries u.a. Sie kennzeichnet die Stasi ebenso als Zensurinstanz, warnt aber implizit davor, die Aktenberge zu überschätzen, die allein "zum Kommentar und zur Illustration geschichtlicher Vorgänge" herangezogen werden können. In "Die Risiken des Dafürseins. Optionen und Illusionen der ostdeutschen literarischen Intelligenz 1945-1990" erklärt Wolfgang Emmerich zum einen die "Loylitätsfalle" Antifaschismus und die daraus resultierenden Haltungen der ersten, vorwiegend aus Exilierten bestehenden, wie der zweiten Generation der literarischen Intelligenz der DDR, die sich freiwillig, gläubig und affirmativ an das neue Staatswesen bandene und diese Bindung trotz wachsender Kritik und Distanz nicht aufgaben. Zum anderen umreißt er diese dilemmatische Situation an zwei signifikanten Beispielen: an Christa Wolfs und Volker Brauns Versuchen intellektueller Emanzipation. In "Der Fund for Intellectual Freedom: Ein Propagandamittel des Kalten Krieges?" gibt Sven Hanuschek zunächst die Gründungsgeschichte des FIF, seine Übergabe an den PEN sowie die Aktivitäten des deutschen FIF vor, um dann die selbstgestellte Frage dahingehend zu beantworten, daß die gutgemeinte, letztlich leerlaufende Unternehmung sang- und klanglos verging. "Der Fonds belegt paradigmatisch das Elend der Intellektuellen im Kalten Krieg: das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit; ein fatale Selbstüberschätzung; und mentalitätsgeschichtlich einen ... nicht mehr recht nachvollziehbaren selbstverständlichen Antikommunismus." (S.306) Mit "Zur Vorgeschichte des Hamburger Streitgesprächs deutscher Autoren aus Ost und West: Die Rezeption des Konzepts 'Engagement' in der BRD und in der DDR" von Helmut Peitsch endet der Band. Noch einmal werden am Beispiel des Hamburger Gesprächs von 1961 neue Forschungsergebnisse vorgestellt, wo die westdeutschen Schriftsteller in Konfrontation mit den ostdeutschen nachholten, was fünfzehn bis zehn Jahre früher in Frankreich und Italien diskutiert worden war. Wir lernen sowohl die Vorgeschichte wie die Rezeption der Hamburger Kontroverse als auch unterschiedliche Rezeptionen und Positionen einer "engagierten Literatur" kennen. Der Abschluß ist wie der Anfang und alle Beiträge dazwischen: fakten- und kenntnisreich, empirisch gesättigt wie theoretisch und methodisch anspruchsvoll. Das Konzept, die Figur des Intellektuellen als "ein diskursives Phänomen" (S.1) zu untersuchen, hat sich als tragfähig erwiesen.

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