D. Hohrath; K. Gerteis: Kriegskunst

Titel
Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militaer und Aufklaerung im 18. Jahrhundert


Herausgeber
Hohrath, Daniel; Gerteis, Klaus
Reihe
2 Teile (= Aufklaerung, Jg. 11, Heft 2, und Jg. 12, Heft 1)
Erschienen
Anzahl Seiten
130 S.; 144 S.
Preis
je € 36,00
Gersmann, Gudrun

Es ist ungewoehnlich, Zeitschriftenbaende zu rezensieren. Wenn im vorliegenden Fall eine Ausnahme gemacht wird, so geschieht dies aus zwei Gruenden. Zum einen ist die "Aufklaerung" mit ihren Themenheften Sammelbaenden aehnlicher als einer herkoemmlichen Zeitschrift. Und zum anderen weisen die beiden zu besprechenden Baende auf eine grosse Luecke hin, die in der Aufklaerungsforschung klafft, und die es zu schliessen gilt. An den beiden Baenden sollte also kuenftig niemand achtlos vorbeigehen, der sich der Epoche der Aufklaerung widmet. Die vielfaeltigen, sowohl personellen als auch geistigen Verbindungen zwischen den Bereichen "Militaer" und "Aufklaerung" wurden bislang weitgehend uebersehen oder negiert, jedenfalls nicht mit wuenschenswerter Intensitaet untersucht. Dabei ging der Blick fuer die Wechselwirkungen verloren, die dem 18. Jahrhundert wesentlich selbstverstaendlicher vorkamen als heutigen Historikern, die, zumindest in Deutschland, nach der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges aus verstaendlichen Gruenden Militaer und Krieg eher stiefmuetterlich behandelten, nichts mit diesen Themen zu tun haben wollten, und - vielleicht - die als fortschrittlich angesehene Aufklaerung nicht mit dem als reaktionaer empfundenen Militaer in Verbindung bringen mochten. Auf diese Weise blieben wichtige Aspekte des Zeitalters der Aufklaerung unterbelichtet, worauf die beiden zu besprechenden Baende hinweisen wollen.

Hervorzuheben ist zunaechst der Aufsatz von Daniel Hohrath (Teil II, "Spaetbarocke Kriegspraxis und aufgeklaerte Kriegswissenschaften. Neue Forschungen und Perspektiven zu Krieg und Militaer im Zeitalter der Aufklaerung", 5-47), der einen umfassenden Ueberblick ueber die bisherige Forschung gibt und dabei immer wieder auf Desiderate und vielversprechende Fragestellungen aufmerksam macht. Seine Hinweise und Einsichten sind zu mannigfaltig, als dass sie hier alle aufgezaehlt werden koennten. Hohraths Forderung, zukuenftig vermehrt den Krieg selbst und nicht allein das Militaer als soziale Grossgruppe neben anderen zu untersuchen, ist zuzustimmen. Schliesslich wurden Armeen fuer diesen Zweck geschaffen: Krieg zu fuehren oder zumindest die Faehigkeit zur Kriegfuehrung zu demonstrieren. Doch auch die Sozialgeschichte des Militaers ist zu weiten Teilen noch ungeschrieben, beispielsweise fuer die militaerischen Mittelschichten, die Unteroffiziere und das subalterne Offizierskorps, die zwischen den Sichten "von oben" und "von unten" ein wenig beachtetes Schattendasein fuehren. Hohrath stellt die enge Einbindung des militaerischen Bereichs in die Gesellschaft fest, ebenso die intensive Teilnahme von Offizieren am aufklaererischen Diskurs. Leider sind fuer die Erforschung der Offiziersbildung im 18. Jahrhundert - wie in so vielen Bereichen - grosse weisse Flecken zu konstatieren. Zu untersuchen ist in jedem Fall neben dem von Offizieren produzierten militaerwissenschaftlichen Schrifttum die Wahrnehmung des Phaenomens "Krieg" in der aufklaererischen Publizistik, um dann eine Antwort auf die Frage suchen zu koennen, in welcher Weise sich die Aufklaerung in der Praxis auf die Armeen und die Kriegfuehrung auswirkte. Insgesamt stellt Hohraths Forschungsueberblick sowohl ein Plaedoyer zur Verbindung von Aufklaerungs- und Militaergeschichtsforschung als auch eine Basis fuer die praktische Umsetzung dieses Programms dar.

Die weiteren Beitraege in beiden Baenden sind schon zu diesem zweiten Bereich zu zaehlen. In ihnen wird anhand einiger Beispiele demonstriert, dass Hohraths Programm nicht etwa ein blutleeres Postulat ist, sondern tatsaechlich zu einer wechselseitigen Befruchtung fuehrt und damit zum Vorteil beider Forschungsrichtungen umgesetzt werden kann. Es wuerde hier zu weit fuehren, jede der fuenf weiteren groesseren Abhandlungen im einzelnen zu wuerdigen. Christiane Buechel untersucht die militaerischen Schriften des Fruehaufklaerers Johann Michael von Loen, der eine Reform des Offiziersstandes im aufklaererischen Sinne forderte (Teil I, "Der Offizier im Gesellschaftsbild der Fruehaufklaerung: Die Soldatenschriften des Johann Michael von Loen", 5-23). Auch in Michael Sikoras Beitrag "Ueber die Veredlung des Soldaten" (Teil I, Untertitel "Positionsbestimmungen zwischen Militaer und Aufklaerung", 25-50) stehen durch die Aufklaerung motivierte Erneuerungs- und Reformbestrebungen des Militaers im Mittelpunkt. Joachim Thielen analysiert zwei Schriften, die exemplarisch zeigen, dass aufklaererisches Gedankengut in der bayerischen Armee Verbreitung gefunden hat, dabei allerdings auch unterschiedlich bewertet wurde (Teil II, "Das Militaer, die Aufklaerung und ihre Gegner. Zwei Beispiele aus dem bayerischen Heer", 49-71). Insgesamt zeigen die drei Beitraege deutlich, wie sehr aufklaererischer Diskurs und Militaer im 18. Jahrhundert miteinander verwoben waren. Es lohnt sich daher, derartige Studien systematisch weiterzufuehren. Die drei Abhandlungen zeigen, wie fruchtbar die Auswertung von Publizistik und theoretischen Abhandlungen sein kann. Dies trifft auch fuer Harald Kleinschmidts Arbeit ueber den Wechsel von einem mechanistischen zu einem biologistischen Weltbild zu, der allgemein im 18. Jahrhundert zu beobachten ist, und der - wie anhand von Exerzierreglements und theoretischen Schriften gezeigt wird - genauso im militaerischen Bereich zu finden ist (Teil I, "Mechanismus und Biologismus im Militaerwesen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bewegungen - Ordnungen - Wahrnehmungen", 51-73, vgl. auch Teil I, 47 f.). Ein weiterer Beleg also dafuer, dass die Armee integraler Bestandteil der Gesellschaft und kein isolierter Fremdkoerper mit eigener Grammatik war.

Nach der Lektuere dieser Beitraege stellt sich allerdings im Anschluss an Hohrath die Frage, welche Auswirkungen denn das geschilderte Gedankengut auf die militaerische Praxis, auf den Alltag der Soldaten aller Ranggruppen in Krieg und Frieden hatte. Eine Antwort darauf zu geben, waere bei dem bisherigen Forschungsstand sehr gewagt, weshalb die Autoren gut daran taten, sie in der Regel zu vermeiden. Hier eroeffnet sich ein weites, weitgehend unbestelltes Arbeitsfeld.

Etwas aus dem Rahmen faellt der Beitrag von Wilfried Moench, der die Rezeption der Armeen des 18. Jahrhunderts und ihrer Handlungen im 19. und 20. Jahrhundert vor allem am Beispiel Reinhard Hoehns analysiert (Teil I, "Rokokostrategen. Ihr negativer Nachruhm in der Militaergeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts. Das Beispiel von Reinhard Hoehn und das Problem des moralischen Faktors", 75-97). Hier wird zwar wenig direkt ueber das 18. Jahrhundert ausgesagt, viel jedoch ueber die Gefahren einer unkritischen und ungeprueften Uebernahme der Ergebnisse der traditionellen Militaergeschichte. Sich auf diese zu verlassen, ohne eigene Grundlagenforschung mit modernen Fragestellungen zu betreiben, wuerde sicher in die Irre fuehren. Nebenbei: Die zutreffende Beobachtung Moenchs, dass militaerwissenschaftliches Gedankengut aus der Zeit vor 1945 in die Formulierung von Management- und Personalfuehrungstheorien eingeflossen ist, wuerde manchen Betriebswirtschaftler ueberraschen.

Berichte ueber militaergeschichtliche Tagungen und die Kurzvorstellungen des Arbeitskreises "Militaer und Gesellschaft in der Fruehen Neuzeit", des Tuebinger Sonderforschungsbereiches "Kriegserfahrungen, Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit" und eines Auswertungsprojektes einer Wiener Zeitung aus der Zeit des Siebenjaehrigen Krieges in Teil II runden das Bild ab. Hier wird deutlich, dass sich bereits eine Anzahl juengerer und aelterer Historiker daran gemacht hat, die Forschungsluecken im Bereich fruehneuzeitlicher Militaergeschichte zu schliessen. So kann diese Besprechung mit einem optimistischen Ausblick enden. Die beiden Baende der "Aufklaerung" resuemieren die bisherige Forschung, stellen Desiderate fest und demonstrieren die Bedeutung und Fruchtbarkeit der Untersuchung der Verbindung zwischen "Militaer" und "Aufklaerung". Neben der Klage ueber fehlende Untersuchungen steht also der Blick in die Zukunft, der die Aufgabe gestellt wird, die erkannten Desiderate einzuloesen.

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