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Titel
Fixierte Natur. Naturabguss und Effigies im 16. Jahrhundert


Autor(en)
Klier, Andrea
Erschienen
Anzahl Seiten
204 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Pilaski, History of Art and Architecture, University of California, Santa Barbara

Der Abguss als mechanisches Verfahren der bildlichen Darstellung ist von einer in der Tradition italienischer Kunsttheorie stehenden Kunstgeschichtsschreibung, deren primäre Wertungskriterien künstlerische Erfindung und Kreativität waren, bisher nur marginal behandelt worden. Es ist daher ein Verdienst der vorliegenden Dissertation, die weit verbreitete Darstellungsform des Abgusses ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt zu haben. Andrea Klier untersucht dabei zwei zentrale Anwendungsbereiche dieser Technik: zum einen die Effigies als veristische Repräsentation Verstorbener im römischen Totenkult und im französischen Funeralzeremoniell des 15. und 16. Jahrhunderts, zum anderen die Reproduktionen von Reptilien, Amphibien und Schalentieren auf Tafel- und Schreibgerät des Nürnberger Goldschmieds Wenzel Jamnitzer und des Pariser Keramikers Bernard Palissy.

Durch die Verbindung dieser in vieler Hinsicht disparaten Gegenstandsbereiche möchte Klier „den Abguß als Verfahren in den Fokus [rücken], seine Effekte auf die Darstellung, die Art und Weise wie der abgegossene Gegenstand im Abguß vermittelt wird” (S. 10). Es geht, wie Klier betont, um die Wirkung auf den zeitgenössischen Betrachter. Als allgemeine These formuliert sie, dass „die politische Brisanz und kulturelle wie anthropologische Relevanz von effigies und Naturabguß [...] sich nicht aus einer per se magische Qualitäten fördernden lebensechten Darstellungsform [ergeben], sondern aus der Wirkung der ihr eigenen Ambivalenz innerhalb der politischen und kulturellen Verfaßtheit des jeweiligen gesellschaftlichen Systems” (S. 10).

Der Begriff der Ambivalenz bildet die Basis für die Grundthese der Arbeit, die die naturgetreue Darstellung nicht in ihrem Verismus aufgehen sieht. Das Abgussverfahren treibe vielmehr „eine Spannung zwischen Lebenstreue und Fixierung hervor, welche die Bildhaftigkeit des Dargestellten beständig untergräbt und in der Fixierung jene Negativität sichtbar werden läßt, gegen die sich das Bild als Bild stellt” (S. 10). Einfacher formuliert geht es darum, dass Effigies und Naturabguss zwar einerseits durch größtmögliche Naturtreue Lebendigkeit vorspiegeln, gleichzeitig aber unbewegt sind, was den illusionistischen Effekt der Objekte konterkariert. Die Unsicherheit des Betrachters, ob es sich um die Natur oder ein Bild handelt, sieht Klier durch diese „Ambivalenz” von Lebensechtheit und Fixierung bedingt.

In ihren Ausführungen zur politischen Brisanz und kulturellen Relevanz des Abgussverfahrens bedient Klier sich des anthropologischen Konzepts des Tabus. Im Fall der Funeraleffigies wird dieser Begriff auf den Tod des Königs bezogen, eine Interpretation, die auf der Tatsache aufbaut, dass der Thronfolger nicht an der Trauerprozession teilnehmen durfte, da er aufgrund seiner Heiligkeit von allen Dingen, die mit Toten zu tun haben, fernzuhalten war. Andererseits – und insofern kommt es Klier zufolge zu einer doppelten Tabuisierung des Königs (S. 49) – durfte der neue König aber auch nicht bei der Aufbahrung der Effigies anwesend sein. Diese repräsentierte die unsterbliche königliche Dignität und überbrückte das Interregnum, wie bereits Ernst Kantorowicz und Ralph Giesey dargelegt haben. Den Tabubegriff nun offenbar auf den potenziell staatsgefährdenden Zustand des Interregnums beziehend, stellt Klier die These auf, dass die Inszenierung der Effigies im Funeralzeremoniell „mit der rituell notwendigen Abwesenheit des Thronfolgers genau die Gefährdung des Königreichs, die durch sie ausgeschlossen werden sollte”, markiert (S. 49). Denn die Effigies garantiert zwar die Unsterblichkeit des Königtums, „droht” aber in ihrer Unbewegtheit gleichzeitig „mit der Gefährdung der Ordnung” (S. 51). Nun ist die Relevanz der Effigies im Funeralzeremoniell der französischen Könige durch die Arbeiten Kantorowicz’ und Gieseys, auf die Klier sich maßgeblich bezieht, bereits überzeugend belegt; der Erkenntnisgewinn, den Kliers Anwendung des Tabubegriffs auf diese Zusammenhänge gewährt, bleibt hingegen unklar.

Ambivalenz und Tabu bilden auch die grundlegenden Interpretamente in Kliers Beschäftigung mit dem Naturabguss. Da es sich bei den abgegossenen Tieren meist um Kleinreptilien oder Amphibien handelt, die einerseits als gefährlich und unrein empfunden wurden, gelegentlich aber auch mit Schutz und Heilung assoziiert sein konnten, wird ein ambivalentes Verhältnis der Zeitgenossen zu diesen Tieren postuliert. Davon ausgehend wird im Anschluss an Freuds These von der Bedeutung von Ambivalenzkonflikten für das Tabu (S. 128) die Berührung der auf Tafelgerät plazierten Abgüsse als Tabuverletzung beschrieben. Da die Tiere zudem vor dem Abguss in eine Bewegung suggerierende Position gezwungen wurden, konstatiert Klier hier eine Gewaltsamkeit der Inszenierung (S. 66), die „ein Verhältnis zur Natur offenbart, das unsicher bleibt und in der projizierten Aggressivität auf einen Mangel an Distanz verweist” (S. 129).

Nun ist die Unbewegtheit des Abgusses eine unvermeidliche Eigenschaft, zu deren Überspielung, wie Klier selbst bemerkt, die Lebensechtheit und die bewegten Posen der Artefakte dienen. Die zeitgenössischen Quellen sprechen durchweg von täuschender Naturtreue als Faszinosum dieser Objekte. Es ist zumindest diskutabel, ob die unvermeidliche Bewegungslosigkeit als „Erstarrung” empfunden und der Abguss damit als ambivalent erlebt wurde. Noch fragwürdiger ist es, von hier aus Rückschlüsse auf eine „projizierte Aggressivität” und das Erlebnis einer Tabuverletzung zu ziehen. Wenn Palissy davon spricht, dass seine Abgüsse so natürlich seien, dass ihnen nur die Bewegung fehle, um zur Natur selbst zu werden, so dient diese Bemerkung der rhetorischen Verstärkung des Anspruchs auf weitestgehende Naturähnlichkeit. Kliers Lesart, hier sei ein Eindruck der Erstarrung thematisiert, kann als Beschreibung zeitgenössischer Wahrnehmung kaum überzeugen (S. 103). In zeitgenössischen Quellen, besonders aus dem naturhistorischen Kontext, in dem der Abguss eine Rolle als dokumentarisches Verfahren spielte, wird das Ziel der lebensechten Naturimitation im Zusammenhang mit dem Streben nach der Überwindung der Grenze zwischen Kunst und Natur verhandelt. Es ist dieses naturphilosophische Problem, das in diesem Zusammenhang zentral erscheint. Umso problematischer ist es, dass Klier die zeitgenössische naturhistorische Reproduktionspraxis wie auch den naturphilosophischen Diskurs über die Fähigkeit der Kunst, die Natur nicht nur zu imitieren, sondern möglicherweise sogar zu ersetzen, vollkommen außer Acht lässt und sich auf kunsttheoretische Quellen beschränkt.

Zudem verbleibt Klier mit ihrer These, dass der Abguss nicht nur mechanische Reproduktion sei, sondern als bearbeitetes Objekt immer Spuren künstlerischer Phantasie und Kreativität zeige, selbst innerhalb des kunstkritischen Wertesystems, das Originalität und Erfindung zum Maßstab erhebt und daher von ihr für die Marginalisierung des Abgusses verantwortlich gemacht wird. Historisch aufschlussreicher wäre es gewesen, die universale Gültigkeit dieses Wertesystems für die Abgusspraxis in Frage zu stellen und diese im Lichte des aus der Antike tradierten weiteren Kunstbegriffs zu betrachten, der alles umfasst, was nicht Natur, sondern vom Menschen gemacht ist.

Auch das für den Abguss zentrale Problem der Repräsentation erfährt bei Klier keine überzeugende Analyse. Ihre Ausführungen zur Eucharistie-Problematik sind so allgemein wie unklar; sie laufen wiederum auf die Behauptung einer Ambivalenz hinaus, die wenig zur Präzisierung des Repräsentationsproblems im Hinblick auf die zeitgenössischen Wahrnehmungen beiträgt (S. 50f.). Hier wäre beispielsweise eine auf konkrete Rezipientenkreise fokussierte Betrachtung des Votivwesens und seiner Implikationen für die Wahrnehmung von Bildern aufschlussreicher gewesen.

Zum Umgang mit zeitgenössischen Quellen ist allgemein zu bemerken, dass Klier ihre Zitate überwiegend der Sekundärliteratur entnimmt. So bleibt nicht nur die Auswahl der Quellen, sondern selbst die der Zitate größtenteils im Rahmen des bereits Bekannten. Die postulierte Ausrichtung der Arbeit auf die zeitgenössische Rezeption bleibt so letztlich unerfüllt. Zum Teil ist dies dem weit gesteckten chronologischen Rahmen bei relativer Kürze des Textes geschuldet, was unvermeidlich zu einem Verlust an historischer Tiefenschärfe führt; zum anderen erscheint jedoch die Praxis problematisch, historische Objekte und zeitgenössische Quellen unter dem Blickwinkel moderner Theoriekonzepte wie Ambivalenz und Tabu zu interpretieren, ohne diese Begriffe und ihre Anwendbarkeit auf die in Rede stehenden Zusammenhänge vorab zu reflektieren. So erwecken die Analysen der Objekte häufig den Eindruck, dass hier moderne Wahrnehmungsweisen implizit als anthropologische Konstanten angenommen und auf die historischen Rezipienten übertragen werden, während gleichzeitig der Umgang mit moderner Theorie wenig durchdacht wirkt.

Positiv bleibt immerhin zu bemerken, dass Klier mit ihrer Untersuchung gezeigt hat, dass der Abguss eine wesentlich größere historische Relevanz besitzt, als von der traditionellen Kunstgeschichtsschreibung bislang zugestanden wurde.

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