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Titel
Metapher und Experiment. Von der Virusforschung zum genetischen Code


Autor(en)
Brandt, Christina
Reihe
Wissenschaftsgeschichte
Erschienen
Göttingen 2004: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susan Splinter, Staatliche Museen Kassel

„Durch Formieren, Stabilisieren und Etablieren von Begriffen und Begriffssystemen werden gewissermaßen die Weichen für die Richtung gestellt, in der weitere Forschung stattfindet.“1 Das, was Friedrich Steinle hier konstatiert, hat Christina Brandt in ihrer Arbeit ausführlich untersucht. Sie fragte nach der „Relation und Interaktion von materiellen […] und sprachlichen Praktiken der Wissensgewinnung“ (S. 11) am Beispiel der Informations- und Schriftmetaphern in der Molekularbiologie. An der Erforschung des Tabakmosaikvirus zwischen den 1930er- und 1960er-Jahren in Deutschland zeigt sie, inwieweit sich Metaphern und Experimentalanordnungen gegenseitig beeinflussten. In der 2002 von der Technischen Universität Braunschweig angenommenen Dissertation wird dem Zusammenhang zwischen der Disziplingenese der Molekularbiologie und der Verwendung der Begrifflichkeiten von Information, Code und Schrift nachgegangen.

Nach der Einleitung wird im zweiten Kapitel ein kursorischer Überblick über die Metapherntheorie geboten. Die einzelnen Positionen der Metapherntheorien werden auf ihre Implikationen für die Wissenschaftsgeschichtsschreibung beleuchtet. Dabei berührt Christina Brandt erkenntnistheoretische Fragen, zum Beispiel die nach der Rolle der Sprache bei der Wissensproduktion. Unklar an diesem Kapitel bleibt, nach welchen Prinzipien die besprochenen Ideen ausgewählt worden und wie sie für die Arbeit nutzbar gemacht werden sollen. Erst gegen Ende des Kapitels wird deutlich, welche Vorgehensweise Brandt wählt, in dem sie dafür plädiert, die Textualität der Metaphern anzuerkennen. Aus diesem Grund sollen die Metaphern als Textelemente ernst genommen werden und ihre Gebrauchsweisen und Bedeutungen als solche untersucht werden. In einem zweiten Schritt soll davon ausgehend gezeigt werden, wie Metaphern die Labortätigkeit beeinflussen.

Im dritten Kapitel wird der Beginn der Virusforschung in den 1930er- und 1940er-Jahren nachgezeichnet. Mit der Kristallisation des Tabakmosaikvirus durch Wendell Stanley 1935 wurde klar, dass es sich um ein Makromolekül handelt. Daraus resultierte die Diskussion, inwieweit diese molekulare Sichtweise chemische und physikalische Untersuchungen von biologischen Phänomenen ermöglichen. Damit verbunden war die Frage, was als lebend bzw. unbelebt zu gelten hat. In Berlin-Dahlem entstand eine Arbeitsstätte für Virusforschung, deren Mitarbeiter das Tabakmosaikvirus als Wirkstoff bezeichneten und damit an die bisherigen Fragestellungen der Biochemie in Deutschland anknüpften, die in Berlin-Dahlem bearbeitet wurden. Im Laufe der 1940er-Jahre wurde durch neue experimentelle Methoden am Tabakmosaikvirus aus dem „pathologischen Eiweisskörper“ (S. 78) ein Objekt, an dem man Genstrukturen studieren konnte. Mit der Verwendung neuer Experimentalmethoden veränderte sich sowohl Methode als auch Blick auf das Untersuchungsobjekt. Über die Frage nach den strukturellen Verhältnissen von Nukleinsäure und Protein gelangte man zur Genforschung. Dabei verwendeten Forscher Bilder und Metapher aus dem Bereich der Drucktechnik, um die Reproduktion zu veranschaulichen.

Im vierten Kapitel untersucht die Autorin Wolfhard Weidels Texte zur Popularisierung der Virusforschung auf die Verwendung der Metaphorik Chiffre. Damit versuchte man die Erklärungslücke zu schließen, die sich bezüglich der Reproduktion des Tabakmosaikvirus’ auftat. Es ist offensichtlich, dass durch die Metaphorik ein epistemologischer und sprachlicher Zusammenhang hergestellt wurde. Die Schriftmetaphorik – Chiffre, Code, Morsealphabet – zeugt von der Hoffnung, Zugang zu den Grundfragen des Lebens zu finden, in dem man den Code knackt und lesen kann. Damit wird mit der benutzten Metapher auch eine Vision entwickelt, die die Möglichkeiten der Wissenschaft aufzeigen soll. Die parallele Verwendung der Metaphern Information und Rückkoppelung belegt die Bezugnahme auf kybernetische Vorstellungen.

Im fünften Kapitel wird gezeigt, dass die Ribonukleinsäure die Trägerin der genetischen Spezifität des Tabakmosaikvirus ist. Damit wurde die in der Forschung zum Tabakmosaikvirus dominierende Meinung, dass das Protein Träger der genetischen Information sei, überwunden. Das Tabakmosaikvirus wurde als Untersuchungsobjekt für die Frage benutzt, wie aus der DNA als genetisches Material Protein synthetisiert wird. Dadurch verschieben sich die Fragestellungen von Untersuchungen der Virusspaltstücke hin zur Proteinsynthese. Dabei wird die DNA zu einem Informationsspeicher. Die Neuausrichtung der Forschung erklärt Brandt mit dem Konzept der vernetzten Experimentalsysteme von Hans-Jörg Rheinberger, wobei sie gleichzeitig die Kuhnsche Vorstellung vom Paradigmenwechsel zurückweist. Des weiteren kam es zu einer Neukonzeption des Virusaufbaus. Das Tabakmosaikvirus besteht aus Proteinscheiben um einen Nukleinsäurekern. Nun rückten die Biochemie des Virus und die Genetik ins Zentrum der Forschung. Ausgehend von den schon in den 1930er- und 1940er-Jahren verwendeten Metaphern aus der Druck- und Prägetechnik wurden jetzt Begriffe, wie Buchstabe und Text benutzt und die molekulare Kombinatorik durch Buchstabenanordnung veranschaulicht. Die Metapher Information wurde in den 1950er-Jahren hauptsächlich als Schlag- und Modewort verwendet. Brandt kann sehr schön deutlich machen, woher Gerhard Schramm, einer der Tübinger Hauptakteure, seine Kenntnisse, Ideen und Ansichten bezog und in welches Gedankennetzwerk er eingebunden war. Dabei wird außerordentlich augenscheinlich, in welchem Maße Molekularbiologie und informationstheoretische Überlegungen ineinander greifen.

Im sechsten Kapitel erfährt man, wie die Metaphern von Schrift, Code und Information ein semantisch und konzeptionell leitender Begriff werden. Jedes einzelne Nukleotid ist für die Übertragung der genetischen Information nötig, womit der Begriff der Information zur Entität wird. An Tabakmosaikvirus-Mutanten werden Aminosäuresequenzen untersucht, in der Hoffnung, Aufschlüsse über den genetischen Code zu erhalten. Dabei verschiebt sich die Metapher Code: Bezeichnet sie erst die Korrelation zwischen Nukleinsäure und Eiweiß, dient sie nun dazu, den Ablesemodus zu beschreiben. Kommafreie Codierung nannte Francis Crick die Tatsache, dass eine Base Bestandteil nur einer codierenden Einheit (Triplett) ist. Mit der Erforschung der Relationen zwischen den Basen-Triplets, die den kommafreien Code bildeten, und den Aminosäuren wurden zahlreiche Arbeiten vereint, die nun alle die Auflösung des genetischen Codes und der Mechanismen der Proteinbiosynthese als Prozess der Informationsübertragung zum Ziel hatten. Plötzlich tauchten in vielen Arbeiten die Begriffe Code, Information, genetische Schrift auf. Die Vorstellung von einer Codierung gab neue Impulse für Experimente und stand im Zentrum der experimentellen Praxis. Nachdem die Schriftmetaphorik lediglich der Illustration diente, wurde der Begriff genetischer Code eine experimentelle und ontologische Kategorie.

Nur zwei Kleinigkeiten sind kritisch anzumerken: Sprachlich hätte man sich eine Überarbeitung der Arbeit gewünscht, da die Sätze teilweise zu lang und dadurch schwer verständlich sind. Für Laien und Fachfremde wäre ein Exkurs über molekularbiologische Prozesse für das Verständnis der untersuchten Sachverhalte hilfreich. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass es Christina Brandt gelingt, literaturtheoretische, politikhistorische und wissenschaftsgeschichtliche Argumente und Fakten miteinander zu verknüpfen und so eine Kulturgeschichte der molekularbiologischen Experimentalpraxis zu schreiben.

Anmerkungen:
1 Steinle, Friederich, Explorative Experimente. Ampère, Faraday und die Ursprünge der Elektrodynamik, München 2005, S. 319.

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