Cover
Titel
Das Deutsche Kaiserreich.


Autor(en)
Frie, Ewald
Reihe
Kontroversen um die Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
147 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Armin Owzar, University of California, San Diego (UCSD)

Bis heute ist das deutsche Kaiserreich vielen Deutschen Orientierungspunkt nationaler und staatlicher Selbstbeschreibung. Generationen von Historikern haben sich bei der Beschäftigung mit der Geschichte des ersten deutschen Nationalstaates denn auch implizit oder explizit mit den Nachwirkungen der fundamentalen, sich zwischen 1871 und 1914/18 vollziehenden Prozesse auseinandergesetzt – wobei es seit 1945 vor allem darum ging, das deutsche Kaiserreich und das sogenannte Dritte Reich in Beziehung zu setzen. Dementsprechend viele Kontroversen haben stattgefunden, Kontroversen, in denen sowohl allgemeine Geschichtsbilder als auch methodische Herangehensweisen verhandelt wurden. Umstritten war das Kaiserreich von Anfang an – und ist es auch heute noch. Gleichwohl liegen bislang nur vergleichsweise wenige Publikationen vor, die über diese Forschungskontroversen informieren.1 Insofern ist es zu begrüßen, dass Ewald Frie mit seinem in der Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ erschienenen Band einen Beitrag zur Historiographie-Geschichte des Kaiserreichs beisteuert.

Ausgewählt hat der in Tübingen lehrende Autor acht Debatten, darunter vier zur Außenpolitik: zur Gründungsgeschichte des kleindeutschen Reiches, zu Bismarcks Kolonialpolitik, zum Rückversicherungsvertrag und zur Fischer-Kontroverse – sowie vier zur Innenpolitik: zur „inneren Reichsgründung“, zur deutschen Monarchie unter Wilhelm II., zu den sozialmoralischen Milieus und zur Modernität des wilhelminischen Reiches (hier wird auch die im Sachregister nicht eigens aufgeführte Sonderwegsdebatte überraschend kurz thematisiert). Eingerahmt werden diese acht Abrisse von einem einleitenden, allgemein gehaltenen und chronologisch gegliederten Kapitel zur Historiographie-Geschichte des Kaiserreichs (S. 1-14) und einem Ausblick, der sich möglichen künftigen Tendenzen der Forschung zuwendet (S. 118-123). Abgerundet wird das ganze durch eine den einzelnen Kapiteln entsprechend geordnete Bibliographie, die 468 Titel (ausschließlich Forschungen, keine Quelleneditionen) enthält.

Allein der äußere Rahmen (nur 123 Textseiten) hat den Autor zur Auswahl gezwungen – und Auswahl ist natürlich immer auch mit Verzicht verbunden. Über die zugrundeliegenden Entscheidungen lässt sich diskutieren, etwa ob der Rückversicherungsvertrag (S. 56-69) tatsächlich so ausführlich hätte dargelegt werden müssen und nicht vielleicht doch neuere transnational und komparatistisch ausgerichtete Ansätze hätten thematisiert werden sollen. Doch ist es Frie anzurechnen, dass er den Leser an seinen Entscheidungen teilhaben lässt. Er macht die Kriterien transparent, die für ihn die Relevanz der behandelten Kontroversen begründen. Sie müssen a) einen zeitlich und räumlich bestimmbaren „Brennpunkt“ haben, b) „bedeutsam sein“ (oder zumindest als bedeutsam wahrgenommen worden sein), c) den „Blick auf größere Epochen der Kaiserreichgeschichtsschreibung freilegen“ (also auch an ältere Forschungsansätze anknüpfen) und damit d) einen „Überblick über die Geschichte und über die Geschichtsschreibung zum Deutschen Kaiserreich ermöglichen“ (S. 18f.). Auffällig ist bei der diesen Prämissen folgenden Auswahl, dass sich Frie weitgehend auf politische Fragen beschränkt hat. Soziale und geschlechtergeschichtliche, aber auch mentalitäts- und verhaltensgeschichtliche Aspekte werden nur beiläufig thematisiert, obwohl Frie bereits zu Beginn des Buches darauf hinweist, dass sich im Kaiserreich „die Erfahrungen, Lebensweisen, politischen und gesellschaftlichen Orientierungen zweier Jahrhunderte“ verdichteten: die älteren Zeitgenossen hatten schon unter Napoleons Herrschaft gelebt; viele der Jüngeren sollten Hitlers „Drittes Reich“ erleben.

Nach einem allgemeinen Überblick über die Historiographie handelt Frie die acht Kontroversen auf jeweils durchschnittlich zwölf Seiten ab, wobei er Redundanzen geschickt zu vermeiden versteht. Nicht nur fasst er den Forschungsstand prägnant zusammen und gibt die Argumente der Kontrahenten sehr ausführlich wieder. Er kontextualisiert auch die jeweiligen Standpunkte der Historiker – und trägt damit zu einer Historisierung der Disziplin bei. Treffend weist er etwa im Zusammenhang mit den in den 1970er-Jahren geführten Debatten darauf hin, dass es dabei nicht nur „um die hehre Wissenschaft“ ging, sondern auch „Fragen der (partei)politischen Präferenzen und der (Neu-)Verteilung von Wissenschaftsressourcen (Fördermittel, Stellen) […] unter- und hintergründig stets mitverhandelt“ wurden (S. 53).

Das ganze erfolgt in einer angemessenen Sprache. Frie verfügt über das Talent, selbst höchst polemisch ausgetragene Kontroversen mit einer Leichtigkeit zu präsentieren, die einen über die ehemaligen Grabenkämpfe fast schmunzeln lässt. Kurzum: Beim vorliegenden Band handelt es sich um eine ebenso ausgewogene und informative wie flüssig geschriebene Einführung in die Kontroversen zum Kaiserreich, eine Einführung, die für Studierende aller Semester, sowohl Erstsemester als auch Examenskandidaten zu empfehlen ist.

Anmerkung:
1 Siehe auch Hans-Peter Ullmann, Politik im Deutschen Kaiserreich 1871-1918 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 52), München 1999.

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