Titel
Voices of Modernity. Language Ideologies and the Politics of Inequality


Autor(en)
Bauman, Richard; Briggs, Charles S.
Reihe
Studies in the Social and Cultural Foundations of Language 21
Erschienen
Anzahl Seiten
374 S.
Preis
£19.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Regina Bendix, Institut für Kulturanthropologie, Georg-August-Universität Göttingen

„Wir glauben, dass jeder, der sich kritisch mit der Moderne auseinandersetzen möchte, dieses Buch herausfordernd und wertvoll finden wird“ – so schreiben im Vorwort zu diesem Buch Richard Bauman, Professor für Kommunikationswissenschaft, Folklore und Anthropologie an der Indiana University in Bloomington, und Charles Briggs, Professor für Ethnic Studies an der University of California in San Diego. Nach mehr als dreizehn Jahren gemeinsamen Arbeitens an diesem Projekt, das aus der Auseinandersetzung zweier recht unterschiedlicher Intellekte mit Kerntexten von Bacon und Locke über Herder bis Boas hervorging, wäre den beiden Autoren die interdisziplinäre Leserschaft zu gönnen, die sie sich wünschen. Wer Baumans nüchternen Argumentationsstil kennt, wird sich ob der gelegentlich lockeren Formulierungen, die auf Briggs diskursiven Stil zurückzuführen sind, freuen.

Gemäß Baumann und Briggs hat sich das kritische Verständnis der Moderne auf Wissenschaft, Natur, Gesellschaft und Politik konzentriert. Ihre Studie befasst sich mit der „problematischen Konstruktion von Sprache und Tradition“, die sich in „hegemonialen, modernen Texten herausbildete und die Beziehungen sozialer Differenz festhalten“ (S. xiii). Sprache, Sprachkritik und die Verortung des Traditionsbegriffes – der Modernitätsdebatten als Schatten, Zwilling oder Motor begleitet – stehen also analytisch im Vordergrund. Das methodische Instrumentarium beziehen die Autoren einerseits aus ihren jeweils eigenen Arbeiten im Bereich von Rhetorik und Performanz 1, andererseits aus der linguistischen Pragmatik, die sich in den letzten 15 Jahren vermehrt Fragen der Sprachideologie und den diese stützenden, metadiskursiven Praxen zugewandt hat.2

Sprachkritik und Sprachbereinigung werden hier als zentrale Werkzeuge des Modernisierungsprozesses (und damit, im Gegenzug, auch des Provinzialisierungsprozesses) herausgearbeitet – Werkzeuge, die dem „bereinigten“ Sprechen Zugang zu Bildung und Macht eröffneten und den hybriden Sprachformen den Zugang zu Öffentlichkeit und Anerkennung verbauten. Das Begriffspaar „purification“ und „hybridization“ wird durchgängig eingesetzt, da es trotz wechselnder Blickwinkel die Haltung gegenüber der Aktionsfähigkeit von Sprache kennzeichnet. Dass „Bereinigung “ sowohl in modernen, kosmopolitischen und zukunftsweisenden Varianten daherkommt wie auch in der Form des Aufpolierens und Politisierens archaischer und ethnischer Sprachformen gehört mit zum Kräftespiel innerhalb von Modernisierungsbewegungen. Die Darstellung der mit ethnolinguistischer Akribie durchforsteten und dadurch neu gelesenen klassischen Texte soll die Geschichte, die Michel Foucaults Die Ordnung der Dinge zu erzählen begann, neu aufrollen und in ihrer breiteren Bedeutung erarbeiten, insbesondere mit dem Verständnis dafür, wie die Moderne ungerechte soziale Strukturen sprachlich zementierte. In dieser Zielsetzung sehen sich die Autoren in kritischem Bezug zu Bruno Latours Darstellung der Moderne – sie werfen Latour eine seinerseits zu einem gewissen Grade unreflektierte oder habituelle moderne Haltung vor, die Sprache nicht als autonome Agentur innerhalb von Modernisierungsprozessen anerkennen kann. Insbesondere Latours „We never have been modern“ (1993) wird für seine Unterbewertung der Macht von Sprache kritisiert, was den Wert seines Ansatzes für politische Analysen verringere (S. 65ff.).

Wichtig ist den Autoren ein Wegrücken von großen Modernisierungstheorien und stattdessen das Entdecken von Spezifika diskursiver Praxen: „Zu entdecken, wie Wissenschaft gemacht wurde, bedingt, dass man lernt, wie (und von wem) Luftpumpen bedient wurden; nachzuvollziehen, wie Tradition und Sprache in der symbolischen Konstruktion der Moderne geschaffen und mobilisiert wurden, bedingt die feinrastrige Untersuchung sowohl diskursiver, textlicher und traditionalisierender Praxen.“ (S. 17)

In sieben Kapiteln werden sodann Texte englischer, deutscher und amerikanischer Autoren untersucht. Die Auswahl wurde durch zwei Faktoren bestimmt: Die gewählten Autoren übten, gemäß Bauman und Briggs, tief greifenden Einfluss auf die Formierung eines breiten Fächerspektrums aus (Kulturanthropologie, Volkskunde/Folklore, Linguistik, Literaturwissenschaft, Soziologie sowie neue „Interdisziplinen“ wie Cultural Studies, Ethnic Studies, Science Studies und Gender Studies). Trotz des notwendigen Auswahlverfahrens sind sich die Autoren sicher, dass sie Stimmen gewählt haben, die die Sprachpolitik und damit zu erheblichem Grad die Sprachen der Politik beeinflussten, die soziale Differenz hervorbrachten und legitimierten.

Das Kapitel zu Francis Bacon und John Locke zeigt unter dem Titel „Sprache schaffen und Sprache für Wissenschaft und Gesellschaft sichern“ Bacons Groll gegenüber Sprache, die in seinem wegweisenden Wissenschaftsentwurf fast die Rolle des Bösewichts spielte: Moderne, wissenschaftliche Fakten sollten durch die (leider ebenfalls nicht vertrauenswürdigen ...) Sinneswahrnehmungen festgehalten werden und das Übersetzungsinstrument Sprache war für ihn, durch seine Tendenz zur Umschreibung, Metaphorik und Überschwang, höchst ungeeignet, um Natur wissenschaftlich abzubilden. Er verlangte daher, so die Autoren, dass Sprache „ihre Reflexivität verneine und so die Aufmerksamkeit auf die Natur und nicht auf sich selbst lenke“ (S. 24). Die Ironie, die Bacon selbst entging, liegt darin, dass in seiner Kritik der Rhetorik gleichzeitig ein rhetorischer Gegenentwurf vorlag. Locke dagegen betrachtete Sprache als einen zentralen Baustein für die Moderne. Englisch, nicht Latein war seine Sprache der Wissenschaft und der Politik, und zwar ein bereinigtes Englisch (das er durchgängig den hybriden, dialektalen und klassenspezifischen Sprachformen entgegenstellte), mit dem der moderne Mensch sich aus dem Provinzialismus befreien und ein kosmopolitisches Weltbild aufbauen konnte. Durch diesen Status als Hochsprache mit Weltsprachenambition initiierte Locke „eine diskursive Maschine zur Entprovinzialisierung. Individuen und ganze Bevölkerungsgruppen brauchten nur ihren Mund zu öffnen oder mit der Feder zum Schreiben anzusetzen, um einschätzen zu können, inwieweit sie im Versuch, sich zu deprovinzionalisieren, erfolgreich waren“ (S. 69).

Die Sicherung einer Vormachtstellung bedarf einer Geschichte und, in dem der Moderne zuzugesellenden politischen Nationalisierungsdrang, eine Aufwertung des Eigenen. Diese Prozesse verfolgen Bauman und Briggs zuerst anhand britischer Materialien. Im dritten Kapitel sind dies eine Auswahl so genannter „Antiquarians“ (John Aubrey, Henry Bourne, John Brand) und Philologen (Thomas Blackwell, Robert Wood, Robert Lowth). Johann Gottfried Herder, dem das 5. Kapitel gewidmet ist, kannte und stützte sich auf die Werke fast aller dieser Briten – und Bauman und Briggs’ Ziel, manche allseits bekannten Diskursstrategien aus der deutschen Sprachphilosophie weiter zurück zu verfolgen, wird hier deutlich. Die unterschiedlich gewichteten Projekte dieser Männer trugen gleichermaßen zur Etablierung eines metadiskursiven Regimes bei, welches Intellektuellen die Autorität verlieh, „Angelegenheit rund um Wissen, Geschmack und Wert zu beurteilen“ auf Grund eines Wissensstandes, der andern Gesellschaftsmitgliedern verschlossen blieb (S. 127). Die Fallstudie zu Hugh Blair und den Debatten rund um das vermeintlich gälische Epos Ossian (4. Kapitel) zeigt die Sprachpraxen dieses Regimes detailliert auf. Hier lässt sich die Spannkraft zwischen Moderne und Tradition fast archetypisch nachzeichnen: Blair entwickelte eine Authentizitätsrhetorik – die nur er als Wissenschaftler so beherrschen konnte – und fügte somit eine (sich erst einige Jahrzehnte nach Blair als partielle Fälschung entpuppende) Sammlung archaischer Epenfragmente in moderne Zielsetzungen ein. Was in den Mündern von „Hinterwäldlern“ zum Verschwinden verurteilt gewesen wäre, veredelte sich durch die Intervention des modernen Philologen. Blairs wissenschaftliche Dissertation machte aus dem hybriden Rest poetischer Sprache einen authentischen Quell gälischen Geistes. „Dass Blair selbst nichts über die Sprache noch über die Tradition, die Ossian repräsentieren sollte, wusste“, entbehrt nicht der Ironie und bezeugt die Macht moderner Diskursformen in der Gestaltung politischer Hierarchien (S. 162).

Für deutschsprachige LeserInnen dürften das 5. und 6. Kapitel geteiltes Interesse hervorrufen. Es werden hier Herders sowie Jacob und Wilhelm Grimms Schriften durchgearbeitet. Während die Beiträge Herders zur Geistesgeschichte und zur ideologischen Formierung des Nationalstaates hinlänglich bekannt sein dürften, liegt Bauman und Briggs (die diese Elemente für ein englischsprachiges Publikum noch einmal deutlich und hauptsächlich anhand von Originaltexten herausstreichen) daran, Herders Sprachpolitik als Fortsetzung und Kontrast zu den in den vorherigen Kapiteln dargestellten modernen Impulsen darzustellen. So wird Herders Sprachprogramm einerseits mit demjenigen von Locke kontrastiert, andrerseits wird deren beiderseitiger Beitrag zum Begriff der Öffentlichkeit bewertet (mit beiläufiger Kritik am Habermasschen Öffentlichkeitskonzept, in welchem Herder gar keine Rolle spiele (S. 194ff.)). Obwohl Locke und Herders Sprachideologien letztendlich zwei sehr unterschiedliche Modernen visualisieren, arbeiten beide mit Mechanismen der Exklusion: „Lockes aufklärerischer Blick beinhaltet einen klaren Bruch mit der Vergangenheit und einen rigorosen Bereinigungsprozess, der Sprache von ihrer Verbindung zu Natur und Gesellschaft löst und alle Dimensionen von Tradition und traditioneller Übermittlung ausrottet. [...] Im Kontrast hierzu macht Herders Vision Sprache modern, indem die Verbindung zu Vergangenheit und die vernakularen Anlehnungen an das Kollektiv wiederbelebt wurden.“ Lockes rational-fundierte, sprachlich bereinigte, kosmopolitische Moderne war für Herder zu steril und eine „Verarmung menschlicher Existenz“; er setzte sich für eine hybride Moderne ein, die sich aus der Vergangenheit nährt und sich gleichzeitig von ihr entfernt (S. 196f.).

In der Arbeit der Brüder Grimm (Kapitel 6) sehen Bauman und Briggs sodann einen Zusammenfluss dieser alternativen Modernen: Die rational fundierte, wissenschaftliche Textedition (qua Textproduktion!), welche auch den Editionsprozess der Kinder- und Hausmärchen zunehmend prägte, basiert auf Enttextualisierungspraxen mit universalistischem Anspruch. Gleichzeitig war das Märcheneditionsprojekt aber ein provinzialisierendes Unternehmen. Bürgerliche Leser sollten eine Verbindung zwischen sich und historisch und sozial spezifischen Welten erkennen. Für Bauman und Briggs baut dieses nationale Sprachprojekt auf kosmopolitischem Selbstverständnis auf, errichtet aber gleichzeitig eine provinzielle Sichtweise auf „Differenz“, die dann – was die darauf folgende Geschichte der nationalen und ethnischen Märcheneditionen, die bis in die Gegenwart hineinreicht, zur Genüge beweist – beliebig und weltweit angewandt werden konnte.

Das 7. Kapitel stellt Henry Rowe Schoolcraft vor, als erstes amerikanisches Beispiel aber auch als weiteres Element in der Historie der Rolle von Sprache bzw. metasprachlichen Ideologien in der Zementierung von Moderne. Schoolcraft arbeitete v.a. mit nordamerikanischen indigenen Erzähltexten (und bräuchte man jetzt hier den Begriff „Indianermärchen“, so würde man bereits einen Beweis liefern für die sprachlichen Differenzkonstrukte, die sich trotz dekonstruktivistischer Bemühungen halten). Wesentlich an diesem Fallbeispiel ist die Weggabelung, die sich abzeichnete für den westlichen Umgang mit fremdkulturellen Sprachzeugnissen. Während literarische Autoren um die Mitte des 19. Jahrhunderts indianisches Material frei adaptierten oder, in der Formulierung von Bauman und Briggs, enttextualisierten (am berühmtesten ist hier Longfellows Gedicht „Hiawatha“), verzeichnete Schoolcraft, der mit original sprachlichem Material arbeitete, mehr Erfolg auf der rational-wissenschaftlichen Linie. Er platzierte seine Übersetzungen und Editionen als „ethnologische Daten“ – so sind also auch hier alternative Modernen und Sprachpraxen nebeneinander aufzufinden.

Das 8. Kapitel schließlich befasst sich mit Franz Boas und auch dieses Material dürfte Basis zu weiterer Diskussion bieten.3 Boas’ Auseinandersetzung mit und seine (seither stark debattierte und kritisierte) Alternative zu Herders Konzept der innigen Verbindung von Sprache und Kultur werden in acht Punkten referiert. Boas’ modernes Insistieren auf der Wissenschaftlichkeit (und damit Wertigkeit) seiner sich etablierenden Disziplin Kulturanthropologie beeinflusste und untergrub, so argumentieren Bauman und Briggs, letztendlich seine bestbekannte politische Ideologie – seinen Einsatz gegen Rassismus. Nachgezeichnet wird dies z.B. an Boas’ Umgang mit seiner Hauptgewährsperson, George Hunt: Hunt bleibt Teil „des Anderen“, seine Arbeiten ermangeln des wissenschaftlichen Standards und Boas betrachtet und kommentiert sie mit starken Vorbehalten. Hieraus lässt sich dann Boas eigene Befangenheit in Sprach- und Denkpraxen ableiten, die ihm seine Verpflichtung an ein modernes, wissenschaftliches Projekt abverlangte. Aus den Einzelaspekten der Darstellung von Boas gelangen die Autoren zur Schlussfolgerung – bei aller tiefen Bewunderung für Boas –, dass Boas eigene Sprachpraxis ein Kulturkonzept unterstützte, in welchem eine Politik der Differenz zum vornherein eingeprägt war. Das kosmopolitische Projekt, das seine Anthropologie zu sein hoffte, wurde durch das von ihr verwendete Kulturkonzept erheblich untergraben.

Den größeren Rahmen dieser dichten Studie sehen Bauman und Briggs in der postkolonialen Kritik europäischer Dominanz in Wissenschaft und globaler Wirtschaft. Durch die sorgfältige Analyse wegweisender Texte bzw. Männer der westlichen Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie mit fast exklusivem Augenmerk auf deren Sprachideologie hoffen sie, einen Beitrag zur Provinzialisierung Europas im globalen Diskursfeld zu leisten.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Bauman, Richard, Verbal Art as Performance. Prospect Heights 1986; Briggs, Charles, Competence in Performance. The Creativity of Tradition in Mexicano Verbal Art. Philadelphia 1988; Briggs, Charles (Hg.), Disorderly Discourse. Narrative, Conflict, and Inequality. Oxford Studies in Anthropological Linguistics 7, New York 1996.
2 Vgl. Woolard, Kathryn, Schieffelin, Bambi B., Language Ideology, in: Annual Review of Anthropology 23 (1994), S. 55-82.
3 Eine frühere Version dieses Arguments wurde bereits vorgestellt in Briggs, Charles, Linguistic Magic Bullets in the Making of a Modernist Anthropology. in: American Anthropologist 104,2 (2002), S. 481-498.

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