K. Buchenau: Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien

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Titel
Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945-1991. Ein serbisch-kroatischer Vergleich


Autor(en)
Buchenau, Klaus
Reihe
Balkanologische Veröffentlichungen 40
Erschienen
Wiesbaden 2004: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
484 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rayk Einax, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

„Die Kriege im früheren Jugoslawien waren weder Glaubens- noch Religionskriege. Die Glaubensgemeinschaften sind vielfach instrumentalisiert worden und hatten dieser Instrumentalisierung nichts entgegenzusetzen. Man kann nicht sagen, dass sie für den Krieg verantwortlich waren. Aber für den Frieden werden sie zu einem großen Teil verantwortlich sein.“ Mit diesen Worten schließt Thomas Bremer, ausgewiesener Osteuropa-Kirchenhistoriker aus Münster, seine konzise Überblicksdarstellung zu den Religionen im ehemaligen Jugoslawien.1 In der bislang unikalen deutschsprachigen Buchveröffentlichung zu diesem Thema konnten die wichtigsten (kirchen-)geschichtlichen Ereignisse sowie die interreligiösen Beziehungen im sozialistischen Jugoslawien lediglich gestreift werden. Klaus Buchenaus Studie „Orthodoxie und Katholizismus in Jugoslawien 1945-1991“ untersucht nun eben diesen Themenkomplex gründlicher, und betritt somit gewissermaßen Neuland.

Es ist nicht überraschend, dass Buchenau die beiden größten Religionsgruppen, d.h. die serbisch-orthodoxe und die kroatisch-katholische Konfession und ihre jeweiligen Kirchenstrukturen als Vergleichsgegenstände gewählt hat. In Anbetracht der blutigen Sezessionskriege innerhalb Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre beleuchtet der Autor das Verhältnis der beiden Religionsgemeinschaften zu nationalen Diskursen und ihr Einflusspotential auf politische Entscheidungsprozesse in den Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg. Diese Konflikte ließen sich Buchenau zufolge ohne nähere Erkenntnisse über die religiösen Gemeinschaften in sozialistischen Systemen nicht hinreichend erklären. Dem will er mit der Erforschung der Rolle von katholischer und orthodoxer Kirche im gesellschaftlichen Leben „als national-politische Institutionen“ (S. 12) und deren offensichtlichen Widersprüchen zu den Intentionen von Titos Religionspolitik Rechnung tragen.

Buchenau stützt sich vorwiegend auf umfangreich ausgewertetes Archivmaterial, Kirchenpublikationen und die nach wie vor grundlegenden Arbeiten serbischer oder kroatischer Autoren. Darin seien zuallererst jene Instrumentalisierungsversuche der Glaubensgemeinschaften durch den Staat und das konservative Beharren des Klerus sowie der Rekurs auf lange im Verborgenen kultivierte „nationalreligiöse, patriarchal-antiurbane Ideologien“ (S. 12) zum Ausdruck gekommen, die erst in den 1980ern öffentliche Verbreitung finden durften und konnten. Der Autor will Beziehungsgeschichte durch die Zusammenführung verschiedener Darstellungsformen, die v.a. religionssoziologische, theologische und ethnologische Aspekte beleuchten. Die Beschränkung auf die kroatisch-katholische Kirche und der weitgehende Verzicht auf die Betrachtung der makedonisch-orthodoxen Kirche ist hierbei nachvollziehbar. Da die Rolle islamischer Glaubensgemeinschaften eine eigene Monografie rechtfertigen würde, konnte sie nur marginal Berücksichtigung finden. In den Fokus rücken somit unmittelbar die serbische und die kroatische Teilrepublik, hinzukommen einige Exkurse in die bosnisch-herzegowinischen Diözesen. „Die Begrenzung auf den serbokroatischen Sprachraum ist sinnvoll, weil hier der Faktor Religion zentraler Bestandteil des jugoslawischen nationalen Grundproblems war, was sich dann in den Auflösungskriegen auch gezeigt hat.“ Vor allem hier habe die eigene Konfessionszugehörigkeit als „Identitätsanker“ in den politischen Kämpfen des 20. Jahrhunderts eine bedeutsame Funktion ausgeübt (S. 13).

Einen wichtigen Quellenfundus für die Analyse waren die Bestände der „Bundeskommission für religiöse Angelegenheiten“ (SKVP) bzw. ihrer Dienststellen in den Republiken. Dabei war aber eine Akteneinsicht nur bis zum Jahre 1971 möglich. In anderen staatlichen und in den zentralen kirchlichen Archiven blieb dem Autor die Akteneinsicht ganz verwehrt. Für die Zeit danach musste er sich (vorläufig) mit der Auswertung der Kirchenpresse begnügen. Auch wenn die Empirie unter diesen unfreiwilligen Beschränkungen leidet, ist Buchenau zuversichtlich, beide Gattungen aussagekräftig verbinden zu können, „da sich aus den Quellen des ersten teils der Rahmen für den Diskurs des zweiten Teils ableiten lässt“ (S. 33). Ergänzt durch Zeitzeugeninterviews möchte er sich der Hauptfrage seiner Untersuchung nähern: Wie bzw. inwieweit können die nationalen und religiösen Mobilisierungen der 1980er und 1990er-Jahren mit dem Einfluss des sozialistischen Staates auf die behandelten Konfessionen erklärt werden? Dem Autor erscheint der Vergleich zweier so verschiedener Religionsgemeinschaften – ihr gesellschaftliches Potential, ihre Autonomie und ihre Ausnutzung von Spielräumen – unter den Bedingungen EINES, wenn auch stark föderalisierten Staates als überaus vorteilhaft; die Frage nach ihrem Beitrag zum gewaltsamen Ende Jugoslawiens evident.

Ein historisches Einführungskapitel macht den Leser mit der Rolle beider Religionen bei der jeweiligen Nationsbildung, der sozialen Stellung des Klerus, dem konfliktreichen Verhältnis im Zwischenkriegsjugoslawien sowie den traumatischen Ereignissen im „Unabhängigen Staat Kroatien“ bzw. im allgegenwärtigen Partisanenkrieg vertraut.

Die rechtlichen und institutionellen Grundlagen zwischen den Kirchen und dem Staat stehen im Mittelpunkt des anschließenden Kapitels. Der Zeitraum von 1945 bis 1991 wird schematisch in vier Zeitabschnitte untergliedert: 1. Die Zerstörung der alten Ordnung zwischen Kirche, Staat und Gesellschaft in den unmittelbaren Nachkriegsjahren, als nicht zuletzt die Agrarreform die Grundlage für massive Repressalien gegen Kirchenangehörige und die Requirierung ihres Besitzes bildete. Weiterhin wurden zahlreiche v.a. katholische Geistliche formal als Kriegsverbrecher und Unterstützer der kroatisch-faschistischen Ustaša-Bewegung verurteilt. 2. Die Errichtung des neuen Herrschaftssystems in den Jahren 1953-1973. 3. Die Systemstabilisierung zwischen 1973 und 1980, dem Todesjahr Titos. Und 4. schließlich die Verfallsphase von 1980 bis 1989. Hierbei unterstreicht der Autor, dass er dieser Unterteilung nicht stringent folgt, denn in allen vier Perioden gab es indes übergreifenden Konflikte, entweder zwischen dem jugoslawischen Staat und den Kirchen, den Konfessionen untereinander oder sogar innerhalb einer Glaubensgemeinschaft. Auf die Ereignisse 1990/91 geht er gar nicht weiter ein.

Der nächste Abschnitt ist dem institutionellen und soziologischen Vergleich beider Glaubensgruppen hinsichtlich ihrer Angehörigen, des Klerus, staatlich initiierter Priestervereinigungen, ihren Finanzmitteln, ihrer Selbstverwaltung und ihren Einflussmöglichkeiten auf die jeweiligen national-religiösen Auslandsgemeinden vorbehalten.

Ein weiteres Kapitel skizziert die „ideologische Entwicklung“, d.h. die religiös-ideologischen bzw. publizistischen Auseinandersetzungen im katholisch-orthodoxen Dialog sowie mit den „marxistischen“ (Staats-)Theoretikern. Hierbei habe sich vor allem der serbisch-orthodoxe Klerus im ständigen Zwiespalt zwischen den angeblich mit dem Vatikan konspirierenden kroatischen Kirchenoberen und der atheistischen Staatspolitik befunden.

Abschließend folgt die Darstellung der Rolle der Kirchen im Staatszerfallsprozess der 1980er-Jahre. Buchenau fragt hierbei explizit nach der Adaption der nationalen oder gar nationalistischen Konzepte durch die Kirchen, und danach, welche Art von Nationalismus letztlich vertreten worden sei. Wie wurde mit Kritikern innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft bzw. Nation umgegangen, und wie mit dem zunächst nur konfessionell Anderen? Obwohl lediglich ein punktueller Vergleich möglich erscheint, vertritt der Autor die These, dass die zum Verfall führenden Ereignisse gar nicht überraschend über die beteiligten Kleriker hereingebrochen sein können, da sie die radikalisierte und öffentlich ausgetragene Fortsetzungen von bereits existierenden Konflikten und Problemen gewesen waren.

Alte, national verklärte Narrative, wie z.B. der traumatisch behaftete Kosovo-Mythos seien mit Beginn der krisenhaften Ereignisse von 1981 auch innerhalb der serbisch-orthodoxen Kirche wieder virulent geworden, als verstärkt kirchliche Aufrufe für die Verteidigung des Kosovo im nationalen wie religiösen Kampf veröffentlicht wurden. Zu den schlimmsten Auswüchsen habe gezählt, dass unter den Schlagworten „Genozid“, „heiliger Kampf“ u.a. im weiteren Verlauf auch Verschwörungstheorien zwischen Papst, kroatisch-katholischer Kirche und alten wie neuen Ustase, vereint im Hass gegen den orthodoxen Glauben, wieder salonfähig gemacht wurden. Damit habe man auch die angsterfüllte Erinnerung an die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs paraphrasiert und revitalisiert. Auch wenn sich die serbisch-orthodoxen Würdenträger von Slobodan Miloševic und dessen populistischen Kurs zunächst Unterstützung und ein freies Betätigungsfeld versprachen, seien Klerus und Glauben unter ihm zwar instrumentalisiert, die Kirchenpolitik aber kaum liberalisiert worden.

Bis 1980 habe unterdessen in der kroatischen Teilrepublik wohl eher taktische Zurückhaltung geherrscht. Der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ) des späteren Präsidenten Franjo Tudjman sei es hernach gelungen, das katholische Milieu größtenteils für ihre Politik einzuspannen. In propagandistischer Manier seien nun die serbischen Bewohner der kroatischen Republik zum Adressaten von Verdächtigungen geworden und die kroatischen Weltkriegsopfer, getötet durch nationalserbische Freischärler oder Tito-Partisanen, habe man umgehend vereinnahmt.

Zusammenfassend unterstreicht Buchenau nochmals die enge Zusammenarbeit kirchlicher und politischer Eliten im nationalen Diskurs der 1980er und 1990er-Jahre und die „bedeutende Rolle der Kirchen in der nationalen Mobilisierung“ (S. 435). Nicht zuletzt diese hätten sich vielfach nationalistisch-einseitigen und opferzentrierten Mythen verschrieben, und damit – wenn auch nicht alleine und ausschließlich – am Untergang des jugoslawischen Staatswesens mitgewirkt.

Wie der Autor einräumt, besitzen seine Erkenntnisse – wenigstens solange wichtiges Archivmaterial unzugänglich bleibt – eher provisorischen Charakter, nicht nur was die serbisch-kroatische Vergleichsperspektive, sondern auch was die anderen Glaubensgemeinschaften Ex-Jugoslawiens anbetrifft. Diese zukünftigen Untersuchungen bedürfen auch (weiterhin) eines definitorischen Feingefühls, wie im vorliegenden Buch. Trotz einiger Unstimmigkeiten in den Zitaten und Fußnoten hat diese umfangreiche Monografie in ihrer differenzierten Analyse komplexer Beziehungen im multikonfessionellen und -nationalen Staat zu bemerkenswerten Erkenntnissen in der historischen Südosteuropaforschung beigetragen.

Anmerkung:
1 Bremer, Thomas, Kleine Geschichte der Religionen in Jugoslawien. Königreich Kommunismus – Krieg, Freiburg im Breisgau 2003, S. 139.

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