G. L. Mosse: The Fascist Revolution

Titel
The Fascist Revolution. Toward a General Theory of Fascism


Autor(en)
Mosse, George L.
Erschienen
New York 1999: Howard Fertig
Anzahl Seiten
XVII +230 S.
Preis
US-$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Hacke, Humboldt-Universität zu Berlin

Der amerikanische Historiker George Mosse muß für den deutschsprachigen Raum nicht erst entdeckt werden, denn seine nun schon klassischen Werke über die "völkische Revolution", die "Geschichte des Rassismus in Europa" oder über die "Nationalisierung der Massen" erreichten hierzulande alle Taschenbuchauflagen.1 Es überrascht zunächst, daß sich für keines der genannten Bücher ein Rezensent im repräsentativen Organ der deutschen Historikerschaft, der Historischen Zeitschrift, fand. Mosses Arbeiten können wahrscheinlich aus einem triftigen Grund klassisch genannt werden: weil sie auf eine selbstbewußte Weise unzeitgemäß waren und oftmals Trends vorwegnahmen, die erst später die deutsche Historiographie dominierten. Thematisierte Mosse Festkultur und nationale Selbstinszenierung im 19. und 20. Jahrhundert schon seit Anfang der 70er Jahre, so geschah dies in Deutschland mit mindestens einem Jahrzehnt Verzögerung. In Zeiten politik- und sozialgeschichtlicher Dominanz wirkte jemand wie Mosse, der die Faschismen als kulturelle Bewegungen verstehen wollte, seltsam fremd.

Noch kurz vor seinem Tod im Januar 1999 hat der 80jährige einen Band mit dem (zu) viel versprechenden Titel "The Fascist Revolution. Toward a General Theory of Fascism" zusammengestellt und eingeleitet, der eine Sammlung von zehn verschiedenen Essays zum europäischen Faschismus beinhaltet. Die Arbeiten in dem vorliegenden Band entstanden zwischen 1961 und 1996 und sind allesamt schon in Zeitschriften und Sammelwerken veröffentlicht worden. Wie Ernst Nolte in seiner Habilitationsschrift "Der Faschismus in seiner Epoche" konzentriert sich Mosse auf den Nationalsozialismus, den italienischen Faschismus und - kursorisch - auf die Action française.2 Damit widmet sich der Historiker noch einmal dem Phänomen des Faschismus, das ihn zeit seines Lebens nicht nur professionell beschäftigt, sondern auch ganz existentiell bestimmt hat, denn Mosse mußte, als Sohn des bekannten Berliner Verlegers Hans Lachmann-Mosse, 1933 aus Deutschland emigrieren. Gemeinsam mit Fritz Stern und Peter Gay gehörte er der bedeutenden Generation von amerikanischen Historikern an, die aus der traumatischen Erfahrung, im "Dritten Reich" nicht mehr jüdische Deutsche sein zu dürfen, zum kultur- und ideengeschichtlichen Verständnis des Weges in den "Führerstaat" wesentlich beigetragen haben.3

Mosses Konzept einer Kulturgeschichte setzt einen breiten, sich auf alle Lebensbereiche erstreckenden Kulturbegriff voraus. Kulturgeschichtsschreibung handelt in seinem Sinne allgemein von den "Perzeptionen" der Menschen und davon, wie diese Wahrnehmungen und Auffassungen - auch durch die Politik - geformt und in Anspruch genommen werden (XI). Diese Sicht korrespondiert mit der faschistischen, sehr umfassenden Lesart des Begriffes, denn in der faschistischen Ideologie galt Kultur, so Mosse, allgemein als "proper attitude toward life" - eine Haltung, die den Glauben an den Führer, Arbeitsethos und Disziplin, aber auch Heimatverbundenheit und einen Sinn für Kunst einschloß (12).

Indem Mosse den Faschismus als "nationalistische Revolution mit eigener Ideologie und eigenen Zielen" (XI) versteht 4, kann er erstens sowohl Revolutionen von links als auch von rechts für grundsätzlich möglich und vergleichbar erklären und zweitens eine generelle Definition mitliefern: Revolution ist dann die "kraftvolle Neuordnung der Gesellschaft im Licht einer projizierten Utopie" (XII). Mosse übt deutliche Kritik an dem (freilich nicht mehr allzu verbreiteten) Modell einer "guten Revolution" und weist zurecht darauf hin, daß die faschistischen Bewegungen im Gegensatz zum Bolschewismus nicht erst durch einen Bürgerkrieg an die Macht kommen mußten. In Italien wie auch in Deutschland sicherte sich eine neue Elite die Herrschaft vielmehr mit modernen "Methoden der Massenmobilisierung und -lenkung" (6).

Weder sozialökonomische noch normative Schranken behindern Mosses Begriff von der faschistischen Revolution, deren Selbstwahrnehmung und -darstellung als "kulturelle Bewegung" Mosses Untersuchungsparadigma begründen: "Jede vergleichende Studie muß auf einer Analyse der kulturellen Übereinstimmungen und Unterschiede basieren", weil die sozialen und ökonomischen Vorstellungen nicht nur international, sondern schon innerhalb jeder faschistischen Partei erheblich variierten (12). Die langjährigen Kontroversen um Faschismus- und Totalitarismustheorien werden somit größtenteils ignoriert. Darin liegen - um es vorwegzunehmen - Vorzüge und Nachteile zugleich. Insofern führt der Untertitel (gleichzeitig Thema des ersten Essays) in die Irre, denn es kann keine Rede von einer Annäherung an eine anwendungsorientierte Theorie des Faschismus sein. Die wichtigsten der hier versammelten Arbeiten behandeln die Bereiche "Faschistische Ästhetik und Gesellschaft" (45-54), "Rassismus und Nationalismus" (55-68), "Der Faschismus und die Französische Revolution" (69-93), "Der Faschismus und die Intellektuellen" (95-116), "Der Faschismus und die Avantgarde" (137-156).

Im Vergleich zeigen sich für Italien und Deutschland im Zeitalter des Faschismus kongruente Erscheinungen, die seit der Französischen Revolution die Nationalisierung und Mobilisierung der Massen bewirken. Hier wie dort wurden die Leitmotive des Nationalismus sowie Rituale und Kulte der nationalen Selbstinszenierung übernommen: die Idee des einheitlichen nationalen Willens, Militarismus und Uniformierung, Totenkult, Jugend- und Schönheitskult. Gleichermaßen hingen der Nationalsozialismus und der italienische Faschismus der Vorstellung von der Schaffung eines neuen Menschen an, und den totalen Anspruch faschistischer bzw. nationalsozialistischer Doktrin leitet Mosse ideengeschichtlich vom Nationalismus - hier dem Jakobinismus - her. Insbesondere der jeweilige Bezug auf die Französische Revolution zeigt für Mosse ein Unterscheidungsmerkmal des Nationalsozialismus, der durch seine rassistische und antisemitische Fixierung zu einer radikalen Absetzung von 1789 gelangte; die Revolution war aus nationalsozialistischer Sicht von Juden und Freimaurern initiiert worden und besaß damit "materialistischen" und "liberalistischen" Charakter. In den romanischen Ländern sah man dies auch auf der radikalen Rechten differenzierter und suchte vielmehr, bei Bewunderung der revolutionären Kraft von 1789 die eigenen Ideale "realistischer" umzusetzen, wobei ebenso auf Erziehung gesetzt und jegliche "rassische" Züchtungsvisionen fehlten (88-93).

Die feste Verankerung des Nationalsozialismus im völkischen Denken und seine spezifische Verwandtschaft mit den Ausläufern des deutschen Idealismus und Irrationalismus bedingten seine besondere Provinzialität. Hitler erreichte nie die Attraktivität für intellektuelle Eliten, die Mussolini anfänglich durch seine Offenheit gegenüber Zeitströmungen wie dem Futurismus und dem Expressionismus zueigen war. In Italien verhinderten "römische und katholische Traditionen" eine radikale Entgleisung in den Provinzialimus des völkischen Denkens (145).

Das Dilemma der Intellektuellen, die sich dem Faschismus verschrieben hatten, läßt sich wiederum generell beschreiben. Elitäre Vorstellungen brachen sich häufig mit der realisierten "Gleichheit" innerhalb der "Masse" im faschistischen Staat. Die Etablierung neuer kultureller Werte scheiterte angesichts des schnell dominierenden kleinbürgerlichen Massengeschmacks. So stellt Mosse fest: "Der Bauer, der den heroischen Prototyp im Faschismus abgab, war kein Nietzscheanischer Prometheus, sondern stellte sich als bequemer Bourgeois heraus." (115) Die Konsequenz dieser "bourgeois anti-bourgeois revolution" (149) war, daß Faschisten und Nationalsozialisten zwar den Anspruch auf eine "geistige Umwälzung" erhoben, "die durch die Schaffung eines neuen Menschen die Nation und die Welt erneuern würde", sie jedoch in Wirklichkeit in "middle-class values" verfangen blieben (116). Nun könnte man einwenden, daß sich dieses Auseinanderklaffen von ästhetischem Ideal und ernüchternder Wirklichkeit auch dort finden läßt, wo die "Herrschaft der Arbeiterklasse" errichtet werden sollte. Wichtiger erscheint es jedoch, die Grenzen von Mosses Modell der faschistischen Revolution kenntlich zu machen, dessen Stärke vor allem darin liegt, die faschistischen Revolutionen als Bewußtseinsphänomene deutlich zu machen. Was können diese anderes sein als selbsterzeugter Mythos von Bewegung, wenn der utopische kulturelle, gesellschaftliche und politische Anspruch immer weit hinter den bewußt verschleiernden Zielvorstellungen zurückblieb?

Mosse scheint seine eigenen Befunde zu relativieren, wenn er selbst an einer Stelle davon spricht, daß man eher von "faschistischer Dynamik" (51) sprechen sollte als von Revolution - eine Bezeichnung, die als wissenschaftlicher Begriff ohnehin wenig nützt. Problematischer wirkt Mosses unzureichende begriffliche Differenzierung zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, die z.T. synonym gebraucht, manchmal aber auch unterschieden werden. Dies ließe sich deutlich besser außerhalb des kulturell-ästhetischen Bereiches klären, und Mosses Ansatz verharmlost hier wahrscheinlich in puncto Dynamik, Effizienz und Radikalismus deutliche Unterschiede, die in seiner Betrachtungsweise nicht greifbar sind.

Insgesamt bietet dieser Sammelband dem Leser die wesentlichen und wiederkehrenden Thesen Mosses sehr prägnant dar und kann somit als griffige Einführung in das Lebenswerk dieses außergewöhnlichen Gelehrten dienen, der seine Zeitzeugenschaft und die daraus resultierende persönliche Erfahrung nie verheimlicht hat: "I remember how, in the 1930s, even in the midst of our antifascist engagement, we could only laugh at Mussolini's posturing, and his gestures [...] without attempting to understand its true import or considering whether a fascist aesthetic could have played a crucial role in its appeal. As historians we were not accustomed to give aesthetics much weight as over against economic or social forces. We failed to see that the fascist aesthetic itself reflected the needs and hopes of contemporary society, that what we brushed aside as the so-called superstructure was in reality the means through which most people grasped the fascist message, transforming politics into a civic religion." (46) Den Ursachen dieses Irrtums hat sich Mosse auf faszinierende Weise wissenschaftlich gewidmet und damit neue Herangehensweisen eröffnet.

Anmerkungen:
1 George L. Mosse: Die völkische Revolution. Über die geistigen Wurzeln des Nationalsozialismus, Frankfurt 1991; ders.: Die Geschichte des Rassismus in Europa, Frankfurt/M. 1990; ders.: Die Nationalisierung der Massen. Politische Symbolik und Massenbewegungen von den Befreiungskriegen bis zum Dritten Reich, Frankfurt/M. / New York 1993.
2 Ernst Nolte: Der Faschismus in seiner Epoche, 9. Aufl. München 1995. Eine umfassende Analyse des europäischen Faschismus leistet Stanley G. Payne: A History of Fascism 1914-1945, Madison 1995.
3 Zu Mosse siehe insbesondere Steven E. Aschheim: George Mosse at 80. A Critical Laudatio, JCH 34 (1999), 295-312; und ferner die sehr persönliche Würdigung von Anson Rabinbach: George L. Mosse 1919-1999. An Appreciation, CEH 32 (1999), 331-336.
4 Alle in dieser Rezension auf Deutsch wiedergegebenen Zitate aus dem besprochenen Buch wurden von mir übersetzt, J.H..

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