K. Rennhak u.a. (Hgg.): Geschlechterordnungen um 1800

Titel
Revolution und Emanzipation. Geschlechterordnungen in Europa um 1800


Herausgeber
Rennhak, Katharina; Richter, Virginia
Reihe
Litertur - Kultur - Geschlecht. Große Reihe 31
Erschienen
Köln 2004: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Angelika Epple, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Der von Katharina Rennhak und Virginia Richter herausgegebene Sammelband mit 15 Beiträgen unterschiedlicher Disziplinen erlaubt einen Einblick in die spannende Diskussion um die Geschlechterordnungen in Europa um 1800. Und das im doppelten Sinne: Zum einen skizziert die Einleitung der Herausgeberinnen den Verlauf der fachwissenschaftlichen Diskussion der letzten zwanzig Jahre und arbeitet die unterschiedlich methodisch-theoretischen Positionen klar heraus. Zum anderen verdeutlicht der Band, zu welch unterschiedlichen kulturwissenschaftlichen Befunden diese unterschiedliche Positionen führen.

Im Mittelpunkt der ersten Phase um die Geschlechter habe die feministisch orientierte Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas´ Konzept und die Kritik an dessen „blind spot“ gestanden. Dadurch sei jedoch die Polarisierung und Hierarchisierung der miteinander korrelierenden Oppositionen „Öffentlichkeit“ und „Privatheit“ sowie „Männlich“- und „Weiblichkeit“ festgeschrieben worden. Selbst wenn man versuche im Anschluss an Nancy Fraser oder Geoff Eley den Habermasschen Begriff der Öffentlichkeit auszudifferenzieren, hätten die Diskussionen der 1990er-Jahre gezeigt, dass es schwierig sei, an der Vorstellung der „seperate spheres“ festzuhalten. Diskussionen um das Kollabieren der Dichotomien und um „shifting boundaries“ seien in dieser zweiten Phase aufgekommen.

Ohne sich einer Richtung explizit anzuschließen, stellen die Herausgeberinnen, die – wohl rhetorische Frage –, ob die Vorstellung von „overlaps“ und „intersections“ nicht überzeugender sei. Bestätigt finden sie diese unter anderem durch die Forschung von Anne K. Mellor. In deren Untersuchung politischen Schriften von Frauen in England (1730-1830) versuchte sie, die Teilnahme von Frauen an der Öffentlichkeit im Habermasschen Sinne zu zeigen. Auch die Historikerin Linda Colley wird dieser zweiten Phase zugeschlagen und mit ihrer These vorgestellt, die Geschlechterdifferenz sei um 1800 zwar zunehmend in der Theorie beschrieben, in der Praxis jedoch immer mehr gebrochen worden.

Leider versäumen es die Herausgeberinnen, am Beispiel Linda Colleys nachzuhaken, und die Frage nach dem Verhältnis von Theorie und Praxis der Geschlechterordnungen um 1800 aufzuwerfen. Was heißt Theorie der Geschlechterordnung und was Praxis? Lässt sich das eine vom anderen trennen und wenn ja, wie? So bleibt als salomonisches, aber unbefriedigendes „Einleitungs-Fazit“, das Wissen um die Vielfältigkeit möglicher Antworten.

Nach der Einleitung gliedert sich der Sammelband in fünf ungleichgewichtige Unterkapitel. In zwei Aufsätzen wenden sich zunächst die Philosophin Cornelia Klinger, dann die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Hannah Lotte Lund dem Zusammenhang von Geschlecht und Raum um 1800 in Theorie und Praxis zu. Auch hier wird erneut das Spannungsverhältnis angesprochen, ohne die Begriffe und deren Verhältnis genauer zu klären.

Ebenfalls zwei Aufsätze umfasst das zweite Kapitel. Die Literaturwissenschaftlerin Alexandra Kleihus und die Anglistin und Didaktikerin Sabine Doff, beschäftigen sich darin mit den neuen Bildungskonzepten bei Madame d´Epinay bzw. am Beispiel des höheren Mädchenschulwesens in Deutschland.

Literaturwissenschaftlich ausgerichtet sind die beiden folgenden Kapitel, „Der männliche Blick auf Weiblichkeitskonzepte im deutschen Drama“ und „Re- und Dekonstruktionen des Geschlechterverhältnisses“. Dem deutschsprachigen Raum wenden sich im dritten Kapitel die Philologinnen Claude D. Conter, Julia Schöll und Simone Wangler zu, die sich mit den Dramen von Heinrich Zschokke bzw. August von Kotzebue, Heinrich von Kleist und Friedrich Maler Müller bzw. Ludwig Tieck auseinandersetzen.

Auch das vierte Kapitel beginnt mit dem deutschsprachigen Raum. Christina Jung-Hofmann untersucht ein Drama von Annette von Droste-Hülshoff. Helga Schalm und Katharina Rennhak widmen sich der „Politik der englischen Biographie“ am Beispiel William Godwins „Memoirs of the Author of the Rights of Women“ und dem Wechselverhältnis von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonzepten in Mary Hays´ Memoirs of Emma Courtney sowie Mary Wollstonecrafts Maria ort he Wrongs of Women.

Im letzten großen Kapitel wird der bisher auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien eingeengte Blick thematisch erweitert – wenn auch ausschließlich im Beitrag von Kirsten Raupach eine außereuropäische Quellengrundlage bearbeitet wird. Hier wird im Sinne der postcolonial studies die prägende Kraft der Kolonien auf die Metropole am Beispiel der Schwarzen Revolution von Saint-Domingue auf den britischen Weiblichkeitsdiskurs analysiert. Die Konstruktion ethnischer Differenz und männlicher Alterität untersucht Melanie Utz in der Historienmalerei des Premier Empire am Beispiel der Darstellung der „Orientalen“. Konzepte ethnischer Alterität arbeitet Barbara Schaff aus den Gedichten der englischen Romantik heraus. Zwei Beiträgen von Mary Prince bzw. Matthew Lewis zum abolitionistischen Diskurs geht Virginia Richter nach. Dabei zeigt sie die Interferenzen der beiden Texte auf, die mit ähnlichen Tropen zur Beschreibung der Sklaverei arbeiten, diese aufgrund gänzlich unterschiedlicher Interessenlage jedoch konträr einsetzen.

Mit einem aus der Zählung der Kapitel herausgehobenen als „Coda“ bezeichneten, letzten Abschnitt skizziert Ethel Matala de Mazza das Geschlecht, genauer: die Geschlechterindifferenz des politischen Körpers. Damit endet der umfangreiche Sammelband.

Das spannende Projekt, verschiedene Auffassungen um die Geschlechterordnungen in Europa ins Gespräch zu bringen, hat gezeigt, wie anspruchsvoll und vielfältig die Diskussionen auf diesem Gebiet sind. Als Historikerin vermisse ich jedoch Beiträge, die versuchen, das Verhältnis von dem „Reden über“ oder „Reden von“ und dem „Leben“ oder „Aushandeln“ geschlechtlicher Ordnungen zu analysieren. Dann hätte man auch die von Jürgen Habermas unhinterfragt übernommene Epochenschwelle in Frage stellen können. „Overlaps“ würden dann nicht nur auf geschlechtliche Ordnungen, sondern auch auf die heutige Ordnung der Epochen angewendet und deren „gendering“ herausgearbeitet.

Die Beiträge konzentrieren sich auf die Untersuchung von literarischen Schriften, Diskussionen und theoretischen (Bildungs-)Konzepten, unternehmen jedoch nicht den Versuch, daraus Rückschlüsse auf Praktiken zu ziehen. So würde die Dichotomie von so genannter Theorie und Praxis der Geschlechterordnungen diskursanalytisch aufgehoben. M.E. werden durch die gesamteuropäische Perspektive und die Konzentration auf die ausschließliche Analyse dessen, was im Sprachgebrauch des Bandes wohl als Theorie bezeichnet werden muss, innereuropäische Unterschiede kassiert. Europa ist – und in Fragen der Geschlechterordnungen wird dies ganz besonders deutlich – eben kein homogener Raum. Dennoch mein Fazit: Wer auf der Tagung nicht dabei war, hat offensichtlich etwas verpasst, und kann sich nun über die zahlreichen Anregungen aus den profunden, teilweise sehr scharfsinnigen und weit über die Grenzen eines einzelnen Faches hinausgehenden Methoden und Erkenntnisse freuen. HistorikerInnen werden nicht auf ihre Kosten kommen, es sei denn, sie lassen sich durch die überfällige Erweiterung des Quellencorpus zu weiteren Studien inspirieren.