W. Meske (Hg.): From System Transformation to European Integration

Cover
Titel
From System Transformation to European Integration. Science and technology in Central and Eastern Europe at the beginning of the 21st century


Herausgeber
Meske, Werner
Erschienen
Münster 2003: LIT Verlag
Anzahl Seiten
478 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Roesler, Berlin

Im 20. Jahrhundert hat es tatsächlich einen, nach 1990 wieder vergessenen, bemerkenswerten Aufholprozess Osteuropas gegenüber Westeuropa auf dem Gebiet von Wissenschaft und Technik gegeben. Der Westen reagierte Ende der 1950er-Jahre mit dem „Sputnikschock“ auf eine Entwicklung, die er lange nicht wahrhaben wollte. Zugeschrieben wurde der nun auch in den Augen des Westens erstaunliche Fortschritt dem sowjetischen System von Forschung und Entwicklung. Das analysiert Werner Meske, von 1996 bis 2003 Leiter der Arbeitsgruppe „Wissenschaftstransformation“ im Wissenschaftszentrum Berlin, in drei Beiträgen im ersten Teil des Buches, das der Entwicklung von Wissenschaft und Technologie in osteuropäischen Ländern bis 1990 gewidmet ist. Meske charakterisiert diese Entwicklung „als Versuch, die fortgeschrittensten Länder einzuholen und zu überholen.“ Wissenschaft und Technik erhielten oberste Priorität. Es entstanden „nationale Wissenschaftssysteme“, zuerst - schon seit Beginn der 1920er-Jahre - in der Sowjetunion. Im Verlaufe der 1930er-Jahre entwickelte sich aus ersten Bemühungen ein spezielles „Sowjetischen Modell“ der Wissenschaftsorganisation, das sich von den westlichen strukturell wesentlich unterschied. Für das „Sowjetische Modell“ charakteristisch waren Großforschungsinstitute der Akademie der Wissenschaften sowie neue Universitäten und andere Bildungseinrichtungen, die mit Hilfe einer strikt ausgerichteten Ausbildung qualifiziertes Personal für die Forschung und Entwicklung (F&E) „produzierten“. Zum System gehörte weiterhin die Errichtung eines Netzwerkes von Forschungsinstituten in fast allen Industriezweigen sowie eines umfangreichen militärischen Komplexes für Forschung und Entwicklung im Landesmaßstab.

Das System hatte zweifellos seine Stärken, aber auch nicht zu leugnende Schwächen. Die wichtigsten Forschung und Entwicklung lenkenden Institutionen waren die Industrieministerien. Sie hatten einen Produktionsauftrag von der Planungszentrale. Entsprechend waren die Ministerien daran interessiert, die Forschungsinstitutionen „ihrer“ Zweige für die Gewährleistung und Entwicklung der Qualität der Produktion einzuspannen, mit der sie beauflagt waren. Eine Rückkoppelung gab es seitens der Betriebe des Zweiges, der die Forschungsergebnisse anzuwenden hatte; keineswegs aber von den Endnutzern der neuen Technik, deren Wünsche keinen unmittelbaren Adressaten fanden.

Meske betont, dass die Verbindung zum „Endverbraucher“ in einem Sektor doch „in einem gewissen Maße“ funktionierte – im militärischen. „Das ist“, so der bemerkenswerte folgende Satz des Autors, der näherer Erläuterung wert gewesen wäre, „wahrscheinlich ein Grund, warum der militärische Sektor relativ erfolgreich war“ (S. 17). Ansonsten behinderten starke administrative Barrieren zwischen den einzelnen Industriezweigen und das daraus resultierende „Ressortdenken“ die Verbreitung neuer technischer Verfahren und den Innovationsaustausch unter den Betrieben. Die Barriere war besonders hoch zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor. Mehrere Jahrzehnte lang wurden die in das „sowjetische Modell“, das – allerdings stets mit nationalen „Anpassungen“- Anfang der 1950er-Jahre von den Ländern des „sozialistischen Lagers“ übernommen worden war, „eingebauten“ Hemmungen durch die Vorteile eines Wissenschaftssystems überkompensiert, das sich als bestens geeignet erwies, Innovationen des Westens nach- und weiterzuentwickeln, zu denen der Kalte Krieg bald prinzipiell den Zugang versperrte.

Etwa Mitte der 1970er-Jahre hatten sich die Vorteile des Systems weitgehend erschöpft, die Nachteile dominierten endgültig und dauerhaft. Ab dieser Zeit begannen Forschung und Entwicklung in den sozialistischen Ländern, gemessen an der Zahl und dem durch Ranking ermittelten Wert ihrer wissenschaftlichen Veröffentlichungen, hinter dem Westen zurückzubleiben. Die Stagnation von Wirtschaft und Politik in den 1980er-Jahren brachte auch für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik den Stillstand. Bewegung kam in die östliche Welt erst wieder durch die politische Wende und den beginnenden wirtschaftlichen Transformationsprozess zu Beginn der 1990er-Jahre. Die Demokratie siegte 1989/90 innerhalb von Monaten. Auch der Produktions- und Produktivitätsverfall in den Staaten Osteuropas war nach der ein bis drei Jahre währenden Zeit der „Anpassungskrise“ beendet. Einer beträchtlichen Anzahl Transformationsländer gelang es bis zum Ende des Jahrzehnts, den Produktionsumfang von 1989 wieder zu erreichen - mit besseren Produkten und einer auf den Weltmarkt ausgerichteten Unternehmensstruktur.

Wie hat sich unter diesen Umständen der Bereich von Wissenschaft und Technik in den osteuropäischen Ländern entwickelt? Dazu äußern sich im zweiten Teil des Bandes Autoren, die in der Regel aus den Ländern stammen, über die sie schreiben. Behandelt werden die neuen Mitgliedsländer der Europäischen Union ebenso wie die „EU-Aspiranten“ Rumänien und Bulgarien, ferner Russland, Weißrussland, die Ukraine sowie Serbien/Montenegro. Abgesehen vom verständlichen Fehlen einiger jugoslawischer Nachfolgestaaten sowie von Albanien und Moldawien, vermisst der Leser die DDR. Sie gehört offensichtlich nicht zu Ostmitteleuropa, sondern zu Westmitteleuropa. Wer die internationale Transformationsliteratur studiert, wird immer wieder auf diesen rein politisch motivierten, also nicht historisch, nicht einmal geografisch (vgl. Tschechien) zu rechtfertigenden Ausschluss der (nach der Sowjetunion und Polen) drittgrößten Wirtschaftsmacht des RGW aus den Transformationsstaaten stoßen. Was Wissenschaft und Technik betrifft, dürfte das Gewicht der DDR im RGW sogar noch größer gewesen sein.

Der Herausgeber des Buches mag das Manko gespürt haben, und da er mehrfach auch Autor von Beiträgen ist, hat er – gewissermaßen durch die Hintertür – die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der DDR doch in den ihr gebührenden östlichen Zusammenhang gebracht. Im von Meske verfassten Teil III des Buches, der „provisorischen Einschätzung“ der Transformation von Wissenschaft und Technik während der 1990er-Jahre, wurden explizit „die Erfahrungen Ostdeutschlands mit berücksichtigt“ (S. 419). Eine generelle Einschätzung nimmt Meske auf der Grundlage eines vom ihm entwickelten Drei-Phasen-Modells vor. Danach war Phase 1 der Transformation (Auflösung und Abwicklung des alten Systems) für die Mehrzahl der Transformationsländer Mitte der 1990er-Jahre überstanden. Doch noch zu Beginn des neuen Jahrhunderts verharrten Wissenschaft und Technik in Osteuropa in Phase 2 (Reorganisation des Systems). Phase 3 (die zielgerichtete Entwicklung eines neuen nationalen Systems von Wissenschaft und Innovation, das unter den Bedingungen von zunehmender Öffnung der Wissenschaftssysteme und ökonomischer Globalisierung wettbewerbsfähig ist), steht nach Meskes Einschätzung selbst in den entwickeltsten osteuropäischen Ländern (Ungarn, Tschechien, Slowenien) noch aus.

In Ostdeutschland verlief Phase 1 am schnellsten: Die staatlichen Leitinstitutionen von Wissenschaft und Technik wurden im Oktober 1990 eliminiert, die Forschungsinstitute der Akademie der Wissenschaften Ende 1991 aufgelöst. Die Abwicklung der in den Hochschulen und Industriezweig-Instituten vorhandenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten dauerte bis Ende 1993. Wenn auch manche Institution und mancher Forscher im neuen Rahmen weiterarbeitete, „fand generell eine rapide und schmerzhafte Reduktion des F&E-Personals statt“ (S. 423). Während andere ostmitteleuropäische Länder nach Phase 1 ziemlich lange brauchten, um ein Konzept für die Gestaltung einer neuen Wissenschaftslandschaft zu entwickeln – wobei sich der Zeitraum weniger aus gründlichem Nachdenken als aus der Priorität anderer, drückenderer Probleme im ökonomischen und sozialen Bereich erklärt – bekam die Ex-DDR per „Institutionentransfer“ sein neues System von Forschung und Entwicklung geliefert. Ungeachtet dessen war am Ende der 1990er-Jahre Ostdeutschland nicht weiter als seine östlichen Nachbarn, verharrt also noch in Phase 2. „In Ostdeutschland“, schreibt Meske, „ist es noch nicht zum Entstehen eines neuen (regionalen) Innovationssystems gekommen, das in irgend einer Weise mit dem westdeutschen mithalten kann“ (S. 430).

Im vierten Teil des Buches stellen sich Werner Meske und Slavo Radosevic vom University College London die Aufgabe, den Zustand und die Aussichten des Sektors Wissenschaft und Technik in den osteuropäischen Staaten um die Jahrtausendwende einzuschätzen. Dabei wird versucht, den Rückstand, den die Transformation dieses Bereichs zu den Bereichen Politik und auch Ökonomie aufzuweisen hat, zu klären. Unzweifelhaft ist wohl, dass die sich im Zuge der Annäherung an die EU vollziehende Integration der osteuropäischen Wirtschaften in das internationale Produktionsnetzwerk noch nicht begleitet wurde von einer technologischen Integration in den Westen, die sich in einer Erhöhung des Anteils technologieintensiver Exporte zeigen müsste. Selbst in den von Direktinvestitionen westeuropäischer und amerikanischer Konzerne profitierenden Staaten wie Ungarn, Tschechien und der Slowakei, in denen der Beschäftigungsanteil von High-Tech-Industrien relativ hoch sei, „ist die Wertschöpfung und der Technologieanteil noch sehr niedrig“, schreibt Radosevic (S. 453). Die Entwicklung Osteuropas in den 1990er-Jahren, so urteilen er und Meske, lasse einen unmittelbaren Entwicklungszusammenhang zwischen Produktion und Wissenschaft/Technik ebenso wenig erkennen wie zwischen Produktivität und Forschung und Entwicklung.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension