W. Lotz u.a. : Die Deutsche Reichspost 1933-1945

Titel
Die Deutsche Reichspost 1933-1945. Eine politische Verwaltungsgeschichte


Autor(en)
Lotz, Wolfgang; Ueberschär, Gerd R.
Erschienen
Anzahl Seiten
2 Bde. 319 S. + 380 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan-Otmar Hesse, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Postgeschichte ist ein ebenso weites wie undankbares Feld. Muß einerseits zur Erschließung von Unternehmen wie der Deutschen Reichspost ein umfassendes Spezialwissen mitgebracht werden (von der technischen Betriebsweise einer halbautomatischen Telefonvermittlung bis zu den scheinbar unbedeutendsten Verwaltungsverfügungen), so sind andererseits die Möglichkeiten, mit der Postgeschichte strahlende wissenschaftliche Anerkennung zu erreichen, sehr begrenzt. Aufwand und Ertrag posthistorischer Forschung stehen daher in einem merkwürdigen Mißverhältnis und das Bekenntnis zu einem posthistorischen Forschungsanliegen löst beim Publikum nicht selten kindliche Heiterkeit aus. Nicht zuletzt hierauf ist es wohl zurückzuführen, daß das Grundlagenwerk des einstigen Staatssekretärs im Reichspostministerium, die Deutsche Postgeschichte von Karl Sautter, seit ihrem Erscheinen 1951 den Rang eines Standardwerkes beanspruchen konnte, obwohl es nicht einmal ansatzweise wissenschaftlichen Ansprüchen genügt. 1

Für den Zeitraum 1933-1945 haben nun Wolfgang Lotz und Gerd R. Ueberschär diesen Anspruch in Frage gestellt. Zum ersten Mal erscheint mit der zweibändigen Geschichte der Deutschen Reichspost 1933-1945 überhaupt eine aus den Akten gearbeitete und handwerklich einwandfreie Geschichte der staatlichen deutschen Post, die auf eine beinahe beängstigend dichte Überlieferung der entsprechenden Archivbestände rekurriert. Schon der Bearbeitungszeitraum von zwölf Jahren für einen Untersuchungszeitraum von zwölf Jahren weist darauf hin, daß hieraus ein wahrhaft monumentales Buch werden mußte.

Daß es schließlich doch nicht in jeder Hinsicht ein Standardwerk werden kann, liegt an einer entscheidenden, angesichts der Materialfülle zwar verständlichen, aber dennoch zu bedauernden Einschränkung des Untersuchungsfocus, der im Untertitel mitgeteilt wird: Behandelt wird lediglich die "politische Verwaltungsgeschichte" der Deutschen Reichspost im fraglichen Zeitraum, nicht aber Fragen aus dem Bereich der mir in diesem Zusammenhang äußerst interessant erscheinenden Unternehmensgeschichte. Auch die allgemeine Wirtschafts- und Sozialgeschichte kommt sehr kurz, wenn beispielsweise die Netzdichte von Telefon, Post, Telegraphie und Funk nur in Form von statistischen Anhängen präsentiert, aber eben nicht historisch erklärt werden, wenn die Frage der industriellen Forschung bei der Reichspost oder die soziale Rekrutierung und Ausbildung des Personals nicht thematisiert werden, ebenso wie die ordnungspolitischen Diskussionen über staatliche vs. privatwirtschaftliche Kommunikationssysteme, die zumindest in den 1920er Jahren unter den Akteuren noch virulent war. Nur zum Teil liegen zu diesen Fragen einige neuere Spezialstudien vor, wie bspw. die Arbeit von Frank Postler über die gesellschaftliche Funktionsbestimmung der Post bis 1945. 2 Nur die Arbeit von Ursula Nienhaus 3 über die Frauenbeschäftigung der deutschen Postunternehmen 1867-1945 benutzt die Aktenüberlieferung und ging damit über den Stand der Sekundärliteratur hinaus, die seit dem Jubiläum zum 500. Geburtstag der Post 1990, als die Postgeschichte eine aktualpolitisch induzierte Konjunktur erfuhr, unzählige Male reproduziert wurde.4

Die Funktion eines Standardwerkes wäre es gewesen, diese Spezialforschungen zusammenzufassen und ihre Thesen anhand der Akten zu überprüfen. Die Funktion eines Standardwerk wäre es gewesen, den die Postgeschichte offenbar auf Ewigkeit beherrschenden Dualismus zwischen Verwaltungs- und Personalgeschichte einerseits und Technikgeschichte andererseits zu beseitigen. Nun drängt sich zu einem solchen Experiment der Zeitraum des Nationalsozialismus nicht gerade auf, da die Deutsche Reichspost niemals so viele Funktionen auf sich vereint hatte, wie in dieser Zeit: Brief-, Telegraphen- und Telefonverkehr, Zeitungsmonopol, aber auch Funk und Rundfunk und dann später Fernsehen, Luftpost und Personenposten mittels Omnibussen, Paketpost, Postscheck und Postsparkassenwesen, Forschungsanstalt, Versicherung, Wohnungsbau und -verwaltung, Sozialfürsorge, und und und - alles in allem rund 540.000 Beschäftigte um 1939 und damit eines der größten Unternehmen in Deutschland. Nüchtern betrachtet ist die Herstellung eines Standardwerkes damit zum jetzigen Zeitpunkt wohl eine Utopie.

Band I, 1933-1939

Hat man schließlich von dem Anspruch, ein Standardwerk zur Postgeschichte des NS vorzufinden, Abstand genommen, so bietet das Buch für die politische Verwaltungsgeschichte des NS allerhand neues. Wolfgang Lotz beginnt die Ausführungen zum Zeitraum 1933-1939 im ersten Band einem literarischem Drama gleich mit der biographischen Vorstellung der zentralen Akteure im Reichspostministerium, dem Verkehrs- und Postminister in Personalunion, Paul Freiherr von Eltz-Rübenach, dem zunächst heimlichen, ab 1937 dann tatsächlichem Chef des Postministeriums, Staatssekretär Wilhelm Ohnesorge (ab 1937 Minister) und einigen politisch bedeutsamen Staatssekretären und Ministerialräten, die mit einem teilweise beachtlichem Aufwand an Intriganz ältere Kollegen (wie Karl Sautter) aus dem Amt drängten. Die Person des 1872 geborenen Wilhelm Ohnesorges steht hierbei für einen paradigmatischen Führungswechsels bei der Deutschen Reichspost im Jahr 1933, den er als begeisterter Anhänger Hitlers und Gründer der ersten außerbayerischen Ortsgruppe der NSDAP in Dortmund 1923 bereits in seiner Funktion als Staatssekretär, verstärkt dann aber mit seiner Ernennung zum Minister 1937 vehement vorantrieb (22-27).

Der Wechsel der Führungsspitze der Deutschen Reichspost, der - zumindest was die Person Ohnesorges anbelangt - kein wirklicher Generationswechsel gewesen ist, wurde dann in der Folge des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" auf andere Ebenen der dienstlichen Hierarchie ausgedehnt: 11% aller höheren Beamten und insgesamt 2,6% des gesamten Personals der Deutschen Reichspost seien in den Jahren 1933 und 1934 in den Ruhestand getreten und hätten für politisch loyale Beschäftigte Platz gemacht, ein geradezu überwältigender Austausch gerade des hochqualifizierten Personals mit ganz erheblichen betrieblichen Effekten (eine Vermutung, die zu verfolgen lohnenswert gewesen wäre) (43-48). Auch die Ausführungen über die "Nationalsozialisierung" der Reichspost (dem eigentlichen Hauptanliegen des Buches), also der nicht so leicht zählbaren politischen und damit außerökonomischen Einflußnahme auf Rekrutierung und Beförderung des Personals, verweisen immer wieder (aber eben nur implizit) auf die ökonomischen Effekte einer solchen Personalpolitik, die dann im Zeichen des für die Reichspost ungeheuer problematischen Überhangs an Arbeitsnachfrage in den Jahren 1938/39 relativiert werden mußte (78, 235). Unter "Nationalsozialisierung" der Reichspost versteht Lotz freilich viel mehr als die Bevorzugung von Mitgliedern von NSDAP oder anderen Organisationen bei Beförderungen. Ebenfalls unter diesen Terminus subsummiert werden die intensiven Bemühungen einer ideologischen Indoktrinierung des Personals sowohl auf einer rein rhetorischen Ebene mit der Stilisierung des Begriffs der Kameradschaft in den Reden Ohnesorges, die an die Stelle einer betriebsbezogenen Unternehmenskultur trat (95), als auch mit den zahlreichen sozialpolitischen Initiativen, für die Ohnesorge (im übrigen auch in den besetzten Gebieten nach 1938) eine besondere Verantwortung empfand. Eine weitere Stufe der ideologischen Indoktrination der Reichspost wird von Lotz in einem eigenen Kapitel unter dem Begriff der "Judenpolitik" zusammengefaßt. Während allerdings der personelle Effekt der "Arisierung" in Folge der Nürnberger Gesetze von 1935 von Lotz als eher unbedeutend eingestuft wird, erweist sich die auf die Einstufung des Personals im Sinne der NS-Rassenpolitik verwandte Energie der Reichspost als "erstaunlich", häufig wurde sogar über das von außen vorgegebene Maß hinausgegangen (206), so daß sich die Reichspost bei näherer Betrachtung als ein besonders fruchtbarer Nährboden für den Antisemitismus zeigt.

Schon als sensationell einzustufen sind Lotzens Ergebnisse über die Wahrung des Postgeheimnisses im Nationalsozialismus. Würde man hier zunächst a priori von einer lückenlos im Sinne der totalitären Staatsorganisation auch zum Zweck von Spionage und Überwachung eingesetzten Reichspost ausgehen (zumal eine solche Funktionalisierung in den ideologischen Bereichen doch offenbar erfolgreich war), so machte Lotz sogar einen zuweilen offenen Konflikt zwischen der Gestapo, die die Post zur intensiven Mitarbeit bei der Überwachung von Staatsfeinden zwingen wollte, einerseits und der Post andererseits aus, die die betrieblichen Belastungen aber auch das Postgeheimnis als Wert an sich zu einer Verweigerung dieser Mitarbeit veranlaßten (189f.).

Daß der erste Band gänzlich ohne zusammenfassendes Schlußwort endet, ist dem Autor wohl angesichts der zweibändigen Konzeption des Werkes nicht anzulasten - nur daß eine solche Zusammenfassung auch im zweiten Band nicht erfolgt. Hier scheint es Abstimmungsprobleme gegeben zu haben. Die vielen unterwegs gesammelten interessanten Details sind daher vom Leser selbst zu kompilieren, bevor er zum zweiten Band übergeht: Die Deutsche Reichspost, ein durchaus erfolgreiches Unternehmen in der Weimarer Republik, geriet unter den vollständig veränderten Vorzeichen des Nationalsozialismus in eine im Grunde politische Unternehmensführung, die "Kameradschaft", Antisemitismus und sozialpolitische Leistungen wesentlich höher bewertete, als eine betriebswirtschaftliche Unternehmenspolitik, die bei der Deutschen Reichspost in den 1920er Jahren durchaus noch existent war. Staatssekretär und Ohnesorge-Intimus, Jakob Nagel, 1937: "Die Deutsche Reichspost ist kein Wirtschaftsunternehmen. Für ihre Arbeit sind erfolgswirtschaftliche Erwägungen nicht maßgebend. Sie dient dem ganzen Volke! Ihr Zweck ist die Förderung der kulturellen Aufgaben und Bedürfnisse des Staates und der Volksgemeinschaft und nicht Gewinnerzielung." (78).

Band 2: 1939-1945

Auf Grundlage einer derartigen Interpretation des "Unternehmensziels" ließ sich die Reichspost für die militärischen Ziele des Nationalsozialismus natürlich trefflich instrumentalisieren. Hiervon handelt der zweite Band, der die Geduld des Lesers nun allerdings auf eine wahrlich harte Probe stellt. Nicht nur, daß die Einleitung zum zweiten Band bis hin zur Vorstellung der Literaturlage noch einmal dieselben Informationen enthält, die bereits im ersten Band verabreicht wurden. Auch die Ausführungen über Kameradschaftssemantik und Führungsstruktur an der Spitze des Reichspostministeriums wiederholen sich. Ausführungen über den Übergang von der Friedens- zur Kriegswirtschaft bei der Deutschen Reichspost erschöpfen sich dagegen in Erläuterungen über die Funktionsweise der Feldpost (38-48), während die Bedeutung der Abschaffung der Vorprüfung des Haushalts der Reichspost durch den Rechnungshof (19) nur erwähnt wird. Die Entstehung von ganz unterschiedlichen Organisationsformen der Postverwaltung in den besetzten Gebieten, die zum Teil der Reichspost und zum Teil der Zivilverwaltung der Besatzung unterstanden, wird im wesentlichen auf einen fast persönlichen Konflikt zwischen den gleichermaßen eitlen Hans Frank (Generalgouvernement), Kurt Daluege (Protektorat) und Wilhelm Ohnesorge (Reichspost) reduziert, während die betrieblichen Folgen dieser Vielgestaltigkeit der Organisation für die Reichspost nicht erwähnt werden.

Der zweite Band der Postgeschichte krankt an einem vermeidbaren und daher ärgerlichen Gliederungsfehler: Weil Ueberschär die dargebotenen Details ohne Not in eine penetrat chronologische Ordnung zwingt, gehen Zusammenhänge verloren und es schleichen sich ärgerliche Redundanzen ein. Auf Seite 266 erfahren die Leser bereits zum vierten Mal (nach den Seiten 264, 255, 236), daß der von der Reichspost bewältigte Briefverkehr 1943 um 50% gegenüber dem Jahr 1938 zugenommen habe.

Während derartige Redundanzen indes höchsten ärgerlich sind, schwächt die militant chronologische Gliederung an anderen Stellen entscheidend die Aussagekraft des Buches. Am wichtigsten sicherlich bei dem Thema Zwangsarbeiterbeschäftigung, das freilich erst in jüngster Zeit eine Bedeutung erfährt, die für Ueberschär bei der Konzeption des Buches nicht prognostizierbar gewesen ist. Trotzdem ist es unverständlich, warum er das Thema derart zerreißt und auf die einzelnen Kapitel verteilt, daß weder eine schnelle Informationsentnahme für Spezialisten auf diesem Gebiet möglich ist, noch für den intensiven Leser das Thema Konturen annimmt. So finden sich vereinzelte Informationen über "Fremdarbeiter" aus Holland und dem "Protektorat Böhmen und Mähren" im geographisch gegliederten Kapitel über den Aufbau der Postverwaltungen nach der Besetzung dieser Gebieten, wo sich die 6500 (1943) holländischen Postbediensteten indes nicht mit den 2500 aus dem "Protektorat Böhmen und Mähren" addieren (110,117). Erst wesentlich später ist zu lesen, daß es weitere "Fremdarbeiter" aus Frankreich und Italien gegeben hat - insgesamt seien es Anfang 1943 rund "17000 Kräfte" gewesen, zu denen dann Ende des selben Jahren noch "10000 ausländische Arbeitskräfte" hinzu gekommen seien (237), sowie später noch einmal 5000 italienische Kriegsgefangene (238). Kaum eine Seite wird der Unterbringung und Behandlung der Fremdarbeiter gewidmet, was in einem merkwürdigen Mißverhältnis zu fast zehn Seiten Ausführungen über die "Briefmarken im Dienst der NS-Kriegspropaganda" steht.

Genauso tropfenweise fließen die Informationen zur Personalpolitik der Reichspost insgesamt, die angesichts der Annexion weiter Landstriche im Westen und Osten des Reiches und angesichts des während des Krieges rasch wachsenden Personalbedarfs der Wehrmacht und SS das wohl drängendste Problem der Reichspost während des Krieges gewesen ist. Zwar wird hier immer wieder vom Scheitern Ohnesorges berichtet, die Personalansprüche der Militärs abzuwehren und gleichzeitig die Post als kriegswichtigen Wirtschaftsbereich festzulegen, um auf der Prioritätenliste des "Generalbevollmächtigen für den Arbeitseinsatz", Fritz Sauckel, aufzusteigen und bei der Zuteilung von Arbeitskräften bevorzugt behandelt zu werden (238). Diese Ausführungen verlieren sich allerdings im Zusammenhangslosen, zumal im Fazit fast stolz von den besonderen Leistungen der Reichspost während des Krieges berichtet wird, die bis 1944 einen fast unbeschränkten zivilen Postverkehr sicherstellte und dabei den Personalbestand gegenüber der Vorkriegszeit sogar noch auf 572000 Personen (Ende 1944) ausdehnen konnte. Rechne man die Bediensteten in den "Nebenländern" mit ein, umfaßte das Personal der Reichspost zu diesem Zeitpunkt sogar mehr als 800000 Beschäftigte. (291). Ein systematisierendes Kapitel über diese Zusammenhänge von Personaldefizit, Personalexpansion, Zwangsarbeit und Frauenbeschäftigung hätte hier im Gegensatz zu der chronologischen Darstellungsweise Klarheit bringen können.

Dies gilt auch für die andere interessante Erkenntnis Ueberschärs: den Zusammenhang von Reichspost und SS, die zwischen beiden Institutionen "während des Krieges" entstehende "feste Kooperation" (292). Auch diese Entwicklung ist zu komplex, um sie weit verstreut in unterschiedlichen Kapiteln häppchenweise abzuhandeln. Hier gab es auf der einen Seite die noch aus der Vorkriegszeit stammenden Kontakte zwischen SS-Funktionären und hohen Ministerialbeamten des Reichspostamtes. Auf der anderen Seite gab es aber auch die Instrumentalisierung des seit 1933 existierenden "Postschutzes", der eigentlich eine bewaffnete postinterne Bürgerwehr zum Schutz der postalischen Einrichtungen gewesen ist, während des Kriegsverlaufs dann aber dem Befehl der Waffen-SS unterstellt und mit Sonderaufgaben innerhalb der Kampfhandlungen betraut wurde, "für die Bandenbekämpfung hinter der Front" (209) beispielsweise. Auch die "Fronthilfe der Deutschen Reichspost (SS-Kraftfahrstaffel)", immerhin 6000 Mann (1943) mit rund 900 Fahrzeugen, die kleinere Truppen- und Verletztentransporte mit dem Fuhrpark der Reichspost organisierten, war der SS unterstellt und wurde von dieser "zu sogenannten 'Bandenkämpfen'" (hier also in Anführung!) herangezogen (216). Nur ein systematisches Kapitel hätte diesen Komplex aufhellen können. So bleibt Ueberschär dagegen die Beantwortung der sich geradezu aufdrängenden Frage schuldig, ob der große Einfluß der SS, die in der Reichspost offenbar die Basis für einen direkten Zugriff auf die Kommunikationskanäle des Reiches nach dem Krieg sah (205), sich auch auf die Unternehmenspolitik der Reichspost insgesamt auswirkte, zumal Ohnesorge trotz des Nimbus, Nationalsozialist der ersten Stunde und alter Freund Hitlers zu sein, zusehends an Einfluß verlor.

Ein Buch nach dem zu beurteilen, was es nicht enthält, ist sicherlich in keinem Fall angemessen, auch wenn ich im Fall von Lotz/Ueberschär Ausführungen über die Forschungsanstalt der Reichspost, das Reichspostzentralamt, die Fernkabelgesellschaft also dem gesamten Bereich der telefon- und funktechnischen Forschung und Entwicklung sowie (damit zusammenhängend) über die Beziehungen dieses größten Nachfragers nach Schwachstromelektronik zur Elektroindustrie sehr gerne gelesen hätte (ebenso wie etwas ausführlichere Bemerkungen zur Sozialgeschichte des Personals). Aber auch die stattdessen präsentierte "Verwaltungsgeschichte" der Reichspost weist erhebliche Mängel auf, die sich am deutlichsten im lieblos unsystematisch zusammengestellten Materialhaufen des zweiten Bandes zeigen. Bildete für den Ersten Band der Übergang von einer ökonomischen zu einer ausschließlich ideologisch geführten Organisation noch eine gewisse spannende Rahmenhandlung, so wird diese Spannung im zweiten Band gleich zu Beginn aufgelöst, dann aber keine neue Spannung aufgebaut, die der Stoff mit den Verflechtungen der Reichspost in Zwangsarbeit und SS-Hierarchie sicherlich geboten hätte. Das letzte Wort scheint daher über die Reichspost noch nicht geschrieben.

Anmerkungen:
1 Sautter, Karl: Geschichte der deutschen Reichspost, 1871-1945. Frankfurt/Main 1951.
2 Postler, Frank: Die historische Entwicklung des Post- und Fernmeldewesens in Deutschland vor dem Hintergrund spezifischer Interessenkonstellationen bis 1945. Eine sozialwissenschaftliche Analyse der gesellschaftlichen Funktionen der Post. Frankfurt 1991.
3 Nienhaus, Ursula: Vater Staat und seine Gehilfinnen. Die Politik mit der Frauenarbeit bei der Deutschen Post 1864-1945. Frankfurt 1995.
4 Heimann, Heinz-Dieter: Neue Perspektiven für die Geschichte der Post. Zur Methode der Postgeschichte und ihrem operativen Verhältnis zur allgemeinen Geschichtswissenschaft in Verbindung mit einem Literaturbericht zum "Post-Jubiläum 1490-1990". In: Historische Zeitschrift 253 (1991), S.661-674.

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