Titel
'Völkische Frauenbewegung'. Deutschnationale und nationalsozialistische Geschlechterpolitik in Österreich


Autor(en)
Gehmacher, Johanna
Erschienen
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
DM 54,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Tacke, Castelfiorentino

Mit dem Zusammenhang von Geschlecht und Nation sowie mit möglichen Traditionslinien gegenüber der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich die hier vorliegenden Untersuchungen.

Während Dirk Reder die Frauenvereine der Befreiungskriege in Deutschland als "Anfang einer Frauenbewegung" definiert (S. 483), befaßt sich Johanna Gehmacher mit dem von der 'völkischen Frauenbewegung' in Österreich etwa ein Jahrhundert später selbst erhobenen Nachfolgeanspruch gegenüber der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung. Aus der unterschiedlichen zeitlichen Perspektive entstehen dabei völlig konträre Einschätzungen des Verhältnisses von Nation, Geschlecht und Frauenbewegung, die es sinnvoll und aufschlußreich erscheinen lassen, beide Bücher, trotz ihrer unterschiedlichen zeitlichen und national(staatlich)en Perspektive und methodisch unterschiedlicher Herangehensweisen, nebeneinander zu lesen.

Dirk Reder beschreibt das Verhältnis von Nation und Geschlecht weitgehend im Sinne einer Emanzipationsgeschichte. Der nationale Aufbruch der Befreiungskriege und das mit der Idee der Nation verbundene politische Partizipationsversprechen erlaubte nicht nur Männern, sondern auch Frauen, die sich in Deutschland zu dieser Zeit in mindestens 573 Frauenvereinen, die der Autor in mühevoller und findiger Archivarbeit nachweisen konnte, zusammenschlossen, einen Anspruch auf politische Mitbestimmung zu stellen und zu legitimieren. Die patriotischen Frauenvereine, in denen Frauen während der Befreiungskriege Spenden zur Ausrüstung von Kriegsfreiwilligen sammelten, Verletzte und Kranke pflegten, Kriegslazarette einrichteten und versorgten oder Verbandsmaterialien und Kleidung herstellten, erlaubten es den Frauen, so Reder, sich selbst als Teil der nationalen Bewegung zu verstehen, zu der sie "als Pendant zur allgemeinen Wehrpflicht" ihren Beitrag leisteten. Die nationale Bewegung ermöglichte es den Frauen daher, den ihnen zugewiesenen häuslichen Rahmen zu verlassen und Anerkennung und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erringen. Nach 1815 lösten sich zahlreiche Frauenvereine wieder auf, einige widerstanden allerdings dem "konservativen Backlash" (S. 470) nachdem der Ausnahmezustand des Krieges vorüber war, indem sie sich der öffentlichen oder religiösen Armenfürsorge und -pflege widmeten.

Ohne Zweifel ist das Buch aufgrund der detaillierten Darstellung der - bisher nahezu unbekannten - weiblichen Vereinstätigkeit in dieser Zeit, die der Autor an regionalen Beispielen (Rheinland, Berlin, Sachsen-Weimar-Eisenach) darstellt, ein ausgesprochen wichtiger und lesenswerter Beitrag zur Frauenforschung. Die offensiv vertretene These, die nationale Bewegung habe den Frauen letztlich als Emanzipationsvehikel gedient, auf das die Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts erfolgreich aufspringen konnte, muß allerdings von der Rezensentin mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Reder räumt zwar ein, daß die im Rückgriff auf die Nation konstruierte Trennung der Öffentlichkeit in einen weiblichen und einen männlichen Bereich einer politischen Gleichheit letztlich im Weg stand, daß "sich aus dieser Betonung der Differenz der Geschlechter (statt ihrer Gleichheit) letztlich keine bürgerlichen und politischen Rechte ableiten ließen" (S. 475), jedoch unterliefen die Frauen, so Reder, mit ihren Vereinen de facto beständig die Rollenzuschreibungen der bürgerlichen Gesellschaft. Der weibliche Wille zur Partizipation und zur Sicherung eigener, organisierter Handlungsspielräume, der ursprünglich aus dem allgemeinen Partizipationsversprechen der Nation abgeleitet worden sei, beschreibt - so Reder - eine Konstante der Frauenbewegung: "Diese Freiräume, die Organisationserfahrung der Frauen und ihr gewonnenes Selbstbewußtsein waren entscheidende Voraussetzung für die spätere Organisierung feministischer Interessen." (S. 420)

Dieser problematischen Einschätzung liegen methodische und theoretische Grundannahmen zugrunde, die im folgenden kritisch beleuchtet werden sollen.

Erstens scheint Reder eine grundsätzliche Unterscheidung zu machen zwischen einem auf Partizipation im Innern gerichteten Patriotismus einerseits und einem nach außen gerichteten aggressiven Nationalismus andererseits - wenn er auch zum Schluß seines Buches eingesteht, daß die deutsche Nationalbewegung von Anfang an durch Partizipation und Aggression geprägt war. (S.451) Daß die Differenz zwischen den Geschlechtern, die auf der Trennung von männlichen Kriegern und weiblichen Helferinnen (wenn es auch individuelle Ausnahmen weiblicher Kriegerinnen gegeben hat) beruhte und mit dem 'Janusgesicht der Nation' unmittelbar verbunden war, das Emanzipationspotential der Nation und Partizipationsmöglichkeiten für Frauen an der Nation von vornherein grundsätzlich begrenzte - daß die Nation wegen ihres ihr immanenten kriegerischen (als männliche Domäne beschriebenen) Charakters keine Emanzipationsideologie sein kann - stößt zwar unterschwellig immer wieder vor, wird aber nicht grundlegend reflektiert, sondern immer wieder mit dem weiblichen Willen zur Partizipation verdeckt.

Die These Reders, daß die Befreiungskriege auch die Geburtsstunde der Frauenbewegung war, ist unmittelbar einleuchtend; in der Verbindung mit der Nation wird jedoch gerade das Dilemma der Frauenbewegung zwischen Differenz und Gleichheit deutlich. Gerade daß die (bürgerliche?) Frauenbewegung mit der Nationalbewegung unmittelbar verbunden war, betonte die Differenz und nicht die Gleichheit der Geschlechter.

Zweitens wendet Reder einen methodischen 'Trick' an, der es ihm immer wieder ermöglicht, weibliche Vereinstätigkeit in - über die Nation legitimierten - typisch weiblichen Bereichen grundsätzlich als Beitrag zur Emanzipation zu deuten. Als Kernthese erscheint die Annahme, daß es den Frauen mit ihren Vereinen weniger um ihre öffentlich verkündeten Ziele, als vielmehr um ihre Integration und Partizipation ging. "Da die Frauenvereine kaum selbstreflexive Texte hinterlassen haben, die nicht für die öffentliche Selbstdarstellung gedacht und deshalb an die Erwartungen der Öffentlichkeit angepaßt waren, wird versucht, das Handeln der Frauenvereine als ihre eigentliche 'Sprache' auf ihre Intentionen hin zu interpretieren." (S. 30) Durch diese Trennung in legitimatorische Rhetorik einerseits und 'Sprache des Handelns' andererseits hätten Frauen die Forderung nach weiblicher Zurückhaltung und Häuslichkeit unterlaufen und ihre grundsätzliche Partizipation an der Gesellschaft aufrechterhalten können. Auch wenn Dirk Reder Frauen ausdrücklich nicht als 'Opfer der Gesellschaft' beschreiben will, stellt er dadurch ihr Handeln doch als erfolgreiche Strategie gegen von außen an sie herangetragene Forderungen und Restriktionen dar. Nationale Geschlechterstereotypen, Mütterlichkeit, weibliche Religiosität erscheinen dann nicht mehr als wirkungsmächtige gesellschaftliche Unterscheidungen, sondern allenfalls als (immerhin) "gefährlicher Versuch, durch verbale Akzeptanz von Rollenzuschreibungen die eigenen Grenzüberschreitungen zu verdecken, um Konflikte zu vermeiden und die neuen Freiräume (...) langfristig zu sichern". (S. 475)

Ob man allerdings allein in der Vereinstätigkeit, unabhängig von inhaltlichen und ideologischen Fragen, Zielen und Tätigkeitsbereichen als Emanzipation beschreiben kann, bleibt fraglich, gesteht Reder doch selbst die "Brisanz dieser einschränkenden Ideale" ein: "Daß sich aus der Betonung der Differenz der Geschlechter, die die Frauenvereine für ihre Legitimation nutzten, bürgerliche und politische Gleichberechtigung nicht ableiten ließ, haben die Frauen nicht erkannt."

1918 erhielten die österreichischen Frauen das Wahlrecht; sie konnten sich politisch betätigen, Vereinen und Parteien beitreten und Abgeordnete stellen. War jedoch Geschlecht juristisch kein Kriterium mehr für den Ausschluß von Frauen von der politischen Betätigung, blieb die Trennung der Politik in Geschlechtersphären in der praktischen Politik auch nach 1918 bestehen.

Johanna Gehmacher geht am Beispiel der deutschnationalen und nationalsozialistischen Geschlechterpolitik in Österreich der Frage nach - offenen oder verdeckten - Zusammenhängen zwischen Nationalismus und der politischen Positionierung von Frauen 'als Frauen' und der damit verbundenen Formulierungen des Geschlechterverhältnisses in der Ersten Republik und im austrofaschistischen Ständestaat nach.

Dabei fragt sie einerseits nach Verbindungslinien und Transformationen zwischen den deutschnationalen und 'völkischen' Milieus und der sich formierenden nationalsozialistischen Bewegung. Andererseits behandelt sie die Frage der Reformulierung von Geschlechterverhältnissen in nationalsozialistischen Diskursen und nach der Partizipation von Frauen an oppositionellen - legalen oder illegalen - nationalsozialistischen Politikverhältnissen in dieser Zeit. Angesichts der Tatsache, daß Frauen nach 1918 die Mehrheit der WählerInnen stellten, sah sich auch die Großdeutsche Volkspartei - eine antisemitisch ausgerichtete Sammelpartei aus deutschnationalen Parteien, die sich den Anschluß an Deutschland zum Hauptziel gemacht hatten - gezwungen, sich in besonderer Weise um ihre weiblichen Wählerinnen zu kümmern. Frauenorganisationen der GDVP wurden deshalb in erster Linie aus Nützlichkeitserwägungen der männlichen Parteielite geduldet. Die Politik der Frauen hatte sich in erster Linie auf Frauenfragen zu richten: Die Politik der Verbesserung der Situation der Hausfrauen, die Fürsorge-, Selbsthilfe- und Ausbildungsaktivitäten der im völkisch orientierten Reichsbund deutscher Frauenvereine zusammengeschlossenen Frauenorganisationen der GDVP, aber auch die Bildungs- und Berufstätigenvertretung von Mädchen und Frauen waren von der Vorstellung einer besonderen Aufgabe von Frauen im weiteren Umfeld des Haushaltes getragen.

In der Analyse der Frauenpolitik der GDVP arbeitet Johanna Gehmacher die These heraus, daß sich die Idee der getrennten Geschlechtersphären - Frauen hatten sich vor allem um Frauenfragen zu kümmern - eng mit der Ideologie der Volksgemeinschaft verbinden ließ. Mit der Vorstellung der Bürgerin als Hausfrau, die sich sowohl in der praktischen Politik der mit der GDVP verbundenen Frauenorganisationen als auch in programmatischen Entwürfen niederschlug, verband sich der Anspruch, daß die Situation der Frauen die ganze 'Gemeinschaft' betraf und politische Eingriffe zu Gunsten der Frauen dem Wohl der gesamten 'Volksgemeinschaft' zugute kamen. Angesichts einer drohenden Proletarisierung des Mittelstandes in der Zwischenkriegszeit, die oftmals nur unter erheblicher Mehrarbeit von (Haus-)Frauen abgewendet werden konnte, diente die antisemitische Ideologie der Volksgemeinschaft innerhalb der GDVP und der mit ihr verbundenen Frauenorganisationen auch als Legitimationsideologie, mit der auch die Aufwertung der Hausfrauen als einer klassenüberschreitenden, völkisch definierten Interessengemeinschaft verbunden wurde. Die antisemitische Politik der großdeutschen Frauen war für den Bund österreichischer Frauenvereine - eine Schwesternorganisation des BDF - übrigens kein Hinderungsgrund dafür, freundliche Beziehungen zu diesen zu pflegen.

In einem zweiten Schritt geht Johanna Gehmacher möglichen personellen und inhaltlichen Verbindungen der deutschnationalen Frauenpolitik mit der seit 1933 illegal arbeitenden österreichischen NSDAP nach. Auch wenn innerhalb des GDVP noch nicht eindeutig entschieden war, ob mit der Volksgemeinschaft in erster Linie rassische oder kulturelle Zusammenhänge verbunden wurden, die NSDAP hingegen Geschlechterpolitik ausschließlich unter der Perspektive einer Nutzanwendung für das Volk als Rasse betrachtete, bestimmte die Ideologie der Volksgemeinschaft die Vorstellungsmatrix der GDVP und machte sie anfällig gegenüber der NSDAP. Die Möglichkeit des Brückenschlags zwischen der Idee getrennter Geschlechtersphären und der Ideologie der Volksgemeinschaft machten großdeutsche Politikerinnen, aber in Einzelfällen auch Frauen aus dem Umfeld der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung offen gegenüber den nationalsozialistischen Plänen einer totalitären Restrukturierung der Gesellschaft. Johanna Gehmacher weist nach, daß die NSDAP Anfang der dreißiger Jahre nicht nur einen Großteil des deutschnationalen Milieus und der deutschnationalen WählerInnenschaft absorbierte, sondern daß eine Reihe von Frauenvereinen und Politikerinnen aus dem Umkreis des GDVP der verbotenen Partei nach 1933 zahlreiche Tarnungsdienste leisteten. Die von großdeutschen Frauen vor 1938 geleisteten Dienste für die NSDAP im Bereich der Wohltätigkeit, der Aufrechterhaltung von Verbindungen mit illegalen Organisationen und der Propaganda für den Nationalsozialismus unter Frauen legten den Grundstein für die nach dem 'Anschluß' weitgehend reibungslos verlaufende Transformation der zuvor in verschiedenen deutschnationalen und 'völkischen' Organisationen tätigen Frauen in Nationalsozialistinnen.

Großdeutsche und nationalsozialistische Frauen stellten sich, wenn auch mit unterschiedlichen Ansprüchen, in eine Kontinuität zur bürgerlich-liberalen Frauenbewegung. Die großdeutschen Frauen übernahmen einige Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung, wobei besonders die in der Bewegung weit verbreitete Vorstellung getrennter Geschlechtersphären sich mit dem 'berufsständischen' und völkischen Programm der GDVP verbinden ließ. Auch die Nationalsozialistinnen wiesen der "nationalen Frauenbewegung", der sie neben der großdeutschen Politikerin Emmy Stradal auch Käthe Schirmacher und Helene Lange zurechneten, eine "Ahnherrschaft der neuen deutschen Frauenbewegung" zu, proklamierten mit ihrer Vorstellung einer 'neuen deutschen Frauenbewegung' ihren Nachfolgeanspruch jedoch als "Kampf gegen die Emanzipation".

Es geht Johanna Gehmacher nicht darum, Kontinuitäten von der alten zur 'völkischen Frauenbewegung' zu ziehen, allerdings macht sie eindringlich deutlich, daß es dringend nötig ist, die Verbindung von Nationalismusforschung und Geschlechtergeschichte, insbesondere aber die Verbindung von Nationalismus und Frauenbewegung näher zu erforschen. Im Zentrum steht die Frage, welche politischen Entwürfe Anknüpfungspunkte für Nachfolgeansprüche bereit stellten. "Angesichts der Rolle, die 'ständische' Perspektiven und die Ideologie der 'Volksgemeinschaft' als Brücke zwischen verschiedenen politischen Konzepten spielten, gilt es (...) die Analyse auf umfassende Gesellschaftskonzepte zu konzentrieren." (S. 233f.)

Vor diesem Hintergrund erhält auch Dirk Reders Buch eine andere Bedeutung. Wenn, wie Reder zeigt, Frauenbewegung und Nationalismus zeitgleich und in direkter Verbindung zueinander entstanden sind, erhält die Frage nach der im Rückgriff auf die Nation konstituierten Trennung der Geschlechtersphären - die sich später eng mit dem Konzept der Volksgemeinschaft verbinden ließ - neue Virulenz für die Frage nach der Beteiligung von Frauen an aggressiven Formen von Nationalismus. Auch wenn von einer direkten Kontinuität von der 'frühen Frauenbewegung' zur 'völkischen Frauenbewegung' nicht gesprochen werden soll und kann - sondern Kontinuitäten allenfalls im Rückgriff konstruiert wurden -, bedarf vor dem Hintergrund der Lektüre von Johanna Gehmachers Untersuchung die in der Nationalismusforschung immer noch herumgeisternde These, der auch Dirk Reder anhängt, von der Nation als Emanzipationsideologie einer dringenden Revision. Zentral ist nicht nur, um auf Dirk Reders These zurückzukommen, daß Frauen im 19. (und 20.) Jahrhundert partizipierten, sondern eben auch, wie sie partizipierten.

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